Editorial

Die Welt braucht Fortschritt vor Ort

Fangen wir mit der schlechten Nachricht an:

 

Immer noch hungern mehr als 900 Millionen Menschen, mangelt es 2.000 Millionen an bestimmten Nährstoffen. Das wollte die Staatengemeinschaft längst geändert haben, doch ist sie hier so wenig voran gekommen wie beim Klimaschutz. Offenbar gibt es jenseits von Sonntagsreden kein Interesse oder es werden die falschen Mittel angewendet. Was nicht in Heller und Cent ökonomisiert werden kann, hat heute wenig Relevanz. Die Hungernden an den Peripherien der Welt schlagen in der globalen Ökonomie nicht hinreichend zu Buche. Die Bekämpfung von Armut und Hunger ist meist caritativ angelegt, die Ursachen aber sind strukturell.

 

Entwicklung findet in den Städten statt. Da warten Jobs, Wohnraum, Aufstiegschancen und im Glanz der beleuchteten Metropolen gedeiht die Hoffnung auf bessere Lebensverhältnisse. Dass jährlich zig Millionen Menschen das Land verlassen – seit 2008 leben mehr Menschen in Städten als auf dem Land – ist nur verständlich, denn Entwicklung – auch die ländliche – wird in den Städten gemacht. Hier sitzen Kapital und Entscheider, Knowhow-Entwickler und mehr oder weniger entwickelte Märkte.

 

Kein Wunder also, dass jahrzehntelang ländliche Entwicklung und Agrarforschung eher vernachlässigt wurden. Zumal da kaum Kaufkraft für industrielle landwirtschaftliche Betriebsmittel vorhanden ist, also keine Absatzmärkte, außer für Bildung, aber die kostet ja.

 

Good Governance, Landrecht und Infrastruktur, Mikrokredite und Frauenförderung, Bildungsstätten und Demonstrationsfarmen, das wird dort mehr gebraucht als Turbosaatgut oder synthetischer Dünger, die Bauern zuhauf in die Schuldenfalle führen. Doch wer organisiert das? Bisher vor allem die Zivilgesellschaft, aber auch die Entwicklungshilfeorganisationen einzelner Staaten. Das ist die gute Nachricht.

 

Es gibt viele engagierte Projekte, deren Unterstützung jeweils lohnt. Doch kommen wir um eine gravierende politische Weichenstellung in der Agrar- bzw. Wirtschaftspolitik nicht herum. Die reichen Staaten vor allem der Nordhalbkugel müssen ihre Landwirtschaft endlich nachhaltig gestalten: Und statt ethisch verbrämt Gentechnik zu exportieren, weil das hierzulande angeblich Arbeitskräfte sichert, müsste die Politik vor allem beim Aufbau von Knowhow helfen – aber mit den Bedürftigen, nicht über sie hinweg, denn das hieß bisher im Effekt immer: gegen sie.

 

Das heißt auch, in internationale Verhandlungen das Bild des sogenannten Europäischen Agrarmodells – einer multifunktionalen Landwirtschaft – mitzunehmen und bis zur WTO gegen USA und andere verteidigen. Weitere ergebnislose Konferenzen kann sich die Menschheit nicht leisten. Doch handeln unsere Regierenden zurzeit genau in die andere Richtung. Landwirtschaft soll Industrie werden, dann wird alles gut, so ihr Motto. Dies Handeln mutet an wie die vom Kommunikations- und Sozialforscher Paul Watzlawick beschriebene psychologische Falle der Pseudo-Lösung „mehr desselben“, wenn es nicht mehr weiter geht.

 

Die vergangenen Jahrzehnte haben gezeigt, dass das alleinige Setzen auf den agroindustriellen Weg und globale Marktmechanismen ausgereizt ist. „Weiter so ist keine Option“ heißt es dazu im Weltagrarbericht. Das Potenzial zur Ernährungssicherung sind die Kleinbauern, die mehr als 60% der weltweiten Anbaufläche bewirtschaften. Werden die alle befähigt, mit ökologischen Methoden, sind massive Ertragsteigerungen möglich, für den Verbrauch, nicht für den Export.

 

Unterstützen wir sie dabei!

 

Ihr