Editorial

Essen und Bildung

Ein Demokrat mampft keine Dosen-Ravioli, schrieb Wolfram Siebeck, der bekannte Küchenkulturkritiker, einst in der Wochenschrift „Die Zeit“. Da hat er wohl recht und irrt doch: In der Schule demonstrierten wir mit ebenjenen Dosen und Camping­kochern gegen eine fehlende Möglichkeit zur Mittagsversorgung in unserer ­Lehranstalt.

 

Über Bonmot und Anekdote hinaus wissen wir: Essen ist auch eine Bildungsfrage. In beide Richtungen. Wer kein richtiges Frühstück hatte, lernt schlechter, und wer den Vorgang des Essens nicht wertschätzt, kann auch die Erzeugung, Herstellung und Zubereitung von Lebensmitteln nicht würdigen.

 

Gut, dass es an manchen Schulen, vor allem aber auch in der Gesellschaft mit Slowfood, Eurotoques oder Sarah Wiener-Stiftung inzwischen Initiativen gibt, die Kinder hier heranführen wollen. Waldorfschulen sind hier schon länger dran, gehören doch Ackerbauepoche mit Brotbacken, Gartenbau und Landwirtschaftspraktikum zum Unterricht, und wenn es eine Küche gibt, auch ein Praktikum dort. Und auch zahlreiche Demeter-Höfe vermitteln in entsprechenden pädagogischen Angeboten Herkunft und Qualität von Lebensmitteln gezielt an Schulklassen, Kindergärten und auch Erwachsene. Ernährungsbildung schulisch zu integrieren – das wäre eine politische Initiative wert.

 

Denn sogar in Waldorfschulen könnte das noch bewusster gegriffen werden, die Küche hat meist den Charakter einer Privatinitiative, und dient der Versorgung, weniger der Pädagogik. Vielleicht weil man auch hier das Thema Ernährung als Selbstverständlichkeit sieht, über der Wichtigeres steht. Auch spirituell stellt sich die Frage: Kann man sich zur geistigen Welt essen oder ist es einem freien Geist egal, was er isst? Immerhin kommt hier das Geistige vor, denn abendländisch-dualistisch heißt es ländläufig nur: Essen hält Leib und Seele zusammen. Fehlt da nicht etwas?

 

Die Erfahrung zeigt doch: Für ein geistiges Leben, ob nun nur mental anspruchsvoll oder gar meditativ, ist es nicht egal, was man zu sich nimmt. Nahrung kann fördern, ablenken oder gar behindern. Denn ihre Aufnahme bedeutet die intensivste Art des Kontaktes mit der Welt, weit über anfassen, riechen, schmecken hinaus: wir inkorporieren uns fremde Materie in den unbewussten Teil unseres Leibes, für einen Tag oder für sieben Jahre, manche Gifte für noch länger.

 

Nicht dass wir uns vom Stoff allein ernähren – nein, das sieht gerade der anthroposophische Blick anders. Neben Energie und, rechnet man nach, doch äußerst bescheidener Stoffzufuhr, kommt es auch auf die Ernährung durch die Sinne an, und das nicht nur bei Mahlzeiten. „Aus grauer Städte Mauern“ – ist eine Hymne von Hungrigen! „Über meinen Acker soll der Adler fliegen“, der entsprechende Satz eines Demeter-Landwirts dazu. Letztlich muss der Mensch jenseits der Mutterbrust selbst ein Gespür dafür entwickeln, was ihm gut tut, physisch, seelisch, geistig.

 

Im Bezug auf die Ernährung kommt es dabei auf die Qualitäten der Lebensmittel ebenso an, wie auf Ernährungsweise oder die Atmosphäre unserer Mahlzeiten. Und letztlich auch auf Dankbarkeit. Die ist nichts weniger als das Bewusstsein für den ganzen Zusammenhang eines Menüs, die ganze Geschichte eines Lebensmittels, die ganze Verbundenheit mit den Menschen, die in dieser Form für mich etwas getan haben. Fehlt diese, entwickelt sich schnell Gier, führt zu chronischen Krankheiten oder zu Auswüchsen im Sozialen bis hin zur Spekulation auf Lebensmittelpreise oder Landwirtschaftsflächen. Und zu einer allein „ökonomischen“ Sicht auf Agrar- und Ernährungskultur. Die „rationelle Landwirtschaft“, für die ein Steiner mal plädierte, sieht jedenfalls anders aus, als das, was wir heute flächendeckend erleben.

 

 

Ihr