Editorial

Poesie und Praxis

Vor fast einhundert Jahren lauschten mehr als hundert anthroposophische Landwirte Rudolf Steiner, der in acht Vorträgen versuchte, Antworten auf ihre drängenden Fragen zur Landwirtschaft zu geben. Aber er entwarf auch eindrückliche Bilder, in einem großen Bogen verbunden, der von den kosmischen Ursprüngen des Lebens auf der Erde bis zur Einbettung des Betriebs in die Natur und Aspekte der Fütterung bzw. der menschlichen Ernährung reicht: keine Anleitung, sondern ein motivierender Ideenfundus.

Diese Ideen verbreiteten sich rasch, wurden in Europa und anderswo erprobt, so dass wir im kommenden Jahr das Erreichte von 100 Jahren biodynamischer Landwirtschaft feiern können. Sie motiviert Menschen nach wie vor – vor allem dort, wo Landwirtschaft und Gartenbau über die reine Produktion hinaus noch eine größere gesellschaftliche Bedeutung haben: weil die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise den ganzen Menschen und die ganze Natur ins Bild nimmt.

Wie ist es hierzulande? Lebt der Landwirtschaftliche Kurs noch in der Demeter-Bewegung? Er erschließt sich ja nicht ganz einfach, seine Inhalte können verblüffen, irritieren und begeistern zugleich. Letztlich ist er eine Erkenntnishilfe und als solche erschließt er einen erweiterten Rahmen für das, was wir unter Landwirtschaft verstehen. Manches bedarf auch noch der Forschung. Und für die Bewegung gilt: äußere Entwicklung setzt innere Entwicklung voraus - beide befruchten sich gegenseitig.

Aktuell haben sich die äußeren Umstände in den letzten zwei Jahren gewandelt – erstmals stagnieren die Umsätze und die Zahl der Umsteller in der Biobranche. Demeter und das Biodynamische wurden in den Medien stetig diskreditiert. Neue Gentechnik sorgt für Beunruhigung, dennoch treten Umweltthemen in den Hintergrund. Wenn wir uns andererseits die Umstände von Steiners Kurs anschauen, kein Jahr nach der großen Inflation in Deutschland, in gesellschaftlich und politisch sehr unruhigen Zeiten, dürfen wir einerseits dankbar denen gegenüber sein, die dennoch die Fundamente für Demeter und das Biodynamische legten und andererseits können wir Mut daraus schöpfen, dass es ihnen gelang, diese Bewegung zu verstetigen und auch andere zu inspirieren.

Womit wir bei der Relevanz dessen sind, was wir tun: Der Ökolandbau ist etabliert, mit den Demeter-Pionieren als wichtigem Geburtshelfer, Demeter-Produkte erfahren mehr Verbreitung als früher, Supermarkt statt Reformhaus – aber was ist mit den Ideen? Von einem anderen, pflegenden Umgang mit der Natur bis zum assoziativen Wirtschaften – können wir auch diese in die Gesellschaft einbringen? Mut macht hier, dass sich immer wieder junge Leute auf den Weg machen, das Biodynamische praktisch zu erlernen – allein in Deutschland mehr als 300. Nicht alle werden Bauern oder Gärtner, aber alle haben die praktische Zuwendung des Menschen zur Erde gelernt.

 

Herzlichst Ihr