Ernährung

Wie wirkt Ernährung?

Der Einfluss der Ernährung auf Konzentration, Gesundheit und soziale Kompetenz

 

Versteht man Ernährung ganzheitlich, kommt es auf mehr an, als auf die reine Versorgung mit Nährstoffen. Es geht auch nicht nur um körperliche Eindrücke. Inwieweit Ernährung bis in die Qualität unseres Handelns ausstrahlen kann, beschreibt die Autorin.

 

Konzentration, Gesundheit und soziale Kompetenz sind seelische Eigenschaften des Menschen. Inwieweit hat Ernährung darauf einen Einfluss? In den letzten Jahren beschäftigt diese Frage zunehmend Ernährungswissenschaftler und Pädago­gen. Es entstehen vermehrt Studien, mit denen man den Einfluss der Ernährung nachweisen will. Dazu müssen Fähigkeiten wie Konzentration mit bestimmten Tests überprüft werden.

Aktuelle Studien: Vollwertfrühstück wirkt

In einer Studie wurde ein vollwertiges Frühstücksbüffet am Vormittag in der Pause mit Obst, Rohkost, Vollkornbrot und Milchprodukten angeboten. Die teilnehmenden Schüler wurden verglichen mit einer Kontrollgruppe, die ihr übliches Frühstück (oder auch keins) verzehrten. Später wurde die Konzen­tration mit einem Test gemessen. Daneben stellten die Forscher auch Daten zur sozialen Herkunft und zum Geschlecht fest. Es konnte ein positiver Einfluss des Essens ermittelt werden, neben der sozialen Herkunft. Nicht zu trennen war, ob die Verbesserungen durch die Art der Lebensmittel oder die soziale Zuwendung in Form des schönen Büffets (Aussehen, soziale Gemeinschaft etc.) zustande kamen. Aber deutlich wurde, dass Ernährung und Mahlzeit einen Einfluss auf Lernverhalten und Konzentrationsfähigkeit der Kinder hatten. Solche Studien gibt es häufiger. Trotzdem ist es schwer, die genaue Gewichtung einzelner Komponenten vorzunehmen, denn Ernährung ist vielschichtig und die Lebenssituation der Menschen ist immer verschieden1.

Anthroposophischer Ansatz und Konstitutionstypen

Ehrenfried Pfeiffer war ein enger Mitarbeiter Rudolf Steiners, der ihn zudem oft mit dem Auto chauffierte und auf diese Weise viele Gespräche mit ihm führte. So stellte er die Frage nach der Schwierigkeit von Menschen, ihre Vorsätze, Gedanken, Ideen, in die Handlung den Willen umzusetzen. Rudolf Steiner antwortete darauf, dass dies mit der Qualität der Ernährung zusammen hänge – durchaus überraschend. Er führte aus, dass die Kräfte der pflanzlichen und tierischen Nahrung nicht mehr so beschaffen seien, um dem Menschen Kraft zu geben, Denken und Willen zusammen zu bringen. Hierzu muss erklärt werden, dass der Mensch – anthroposophisch betrachtet – über drei Seeleneigenschaften verfügt, die zusammenwirken. Der Volksmund nennt sie „Kopf, Herz und Hand“. Dies bedeutet,

  • das Denken mit dem Kopf,

  • das Fühlen mit dem Herzen,

  • das Wollen mit der Hand.

Dem entspricht die anthroposophische Dreigliederung des Organismus, die Kopf, Brust und Bauch unterscheidet. Jeder Bereich hat eine innere und äußere Seite:

  • Zum Denken (Gehirn, Nerven) gehört das Wahrnehmen (Sinne).

  • Zum Fühlen im Innern (Herz) gehört nach außen die Lunge mit der Atmung.

  • Zum Wollen im Inneren (Bauchorgane, Stoffwechsel) gehören nach außen die Gliedmaßen.

Alle drei Bereiche wirken zusammen. Wer eine Idee hat (Denken) muss von ihr begeistert sein (Fühlen), um sie in die Tat (Wille) umsetzen zu können. Das Fühlen ist der Vermittler, ohne das es nicht geht. „Es lässt einen kalt“, da „springt kein Funke über“ sind Sprichworte, die das fehlende Mitfühlen ausdrücken. Die Entwicklung der Menschheit geht dahin, den früher instinktiven Zusammenhang der drei Seeleneigenschaften mehr mit innerer Bewusstheit durchzuführen. Namentlich die Ausprägung der Bewusstseinsseele in der modernen Zeit führt zur Trennung der instinktiven Verbindung von Denken, Fühlen und Wollen. Der Mensch muss diese Arbeit vermehrt mit Bewusstsein leisten.

 

Dabei sind die drei Seelenbereiche bei den Menschen unterschiedlich ausgeprägt. Es gibt selten Menschen, bei denen alle drei harmonisch gleichwertig sind. Oft überwiegt eine Eigenschaft. Das Zusammenwirken nennt man Konstitution. Die reale Ausprägung bei einem Menschen ergibt dann den Konstitutionstyp. So kann man vom Kopf-, Herz- oder Bauchtyp sprechen. Dann liegt jeweils ein Schwerpunkt vor. So fällt dem Kopftyp das Denken leichter, dem Bauchtyp das Handeln und dem Herz-Typ das Spontane. Auch innerhalb der Typen gibt es Verstärkungen und Schwächungen, so dass eine Vielzahl von Ausprägungen möglich ist.

Kräfte in der Ernährung

Für die Konzentration müssen Denken und Wollen zusammenwirken. Konzentration bedeutet ein Fokussieren auf einen Punkt vom Umkreis her. Der Wille verengt die möglichen Ablenkungen. Gesundheit ist ein weiter Begriff, der körperliche, seelische, geistige und sogar soziale Gesundheit umfassen kann. Hier im Text geht es um die körperlich-vitale Gesundheit. Damit sind Stoffwechsel, Verdauung und Muskeltätigkeit gemeint. Bezieht man dies auf die Ernährung, so erhält der Körper mit dem Essen vitale Kräfte der Lebensmittel. Er muss sie verdauen und vernichten, um selbst daran kräftig zu werden. Sie prägen ihn jedoch damit, was er als „Information“ aus ihnen gewinnt. Hier haben wir eine Quelle der Stärkung der vitalen Kräfte des Menschen, die im Willensbereich liegen. Liefert die Nahrung zu wenig Anregung, so kann der Mensch seine eigenen Lebenskräfte (Ätherkräfte) nicht so entwickeln und kräftigen, wie es mit anderer Nahrung möglich wäre.

 

Die Ätherkräfte haben zwei Wirkbereiche. Zuerst sind sie gebunden an den Körper und bilden und erhalten ihn. Ist eine solche Bildungsaufgabe abgeschlossen wie beim Formen der zweiten Zähne, so werden sie frei von ihrer Aufgabe, der Körper bildet nie wieder neue Zähne. Sie stehen dann „leibfreier“ Betätigung, d.h. dem Denken zur Verfügung. Im Laufe des Lebens lösen sich immer mehr Ätherkräfte aus ihrer Körperbindung, da auch die Erhaltungsleistung des Körpers mit dem Alter zurückgeht. Der Mensch hat die Chance, aktiver im Denken und Bewusstsein zu werden, bei Rückgang körperlichen Aufbaus. Die Lebensmittel nähren die leibgebundenen Ätherkräfte, die dadurch eine Prägung erhalten. Beim Freiwerden sind sie die Grundlage des Denkens. Daher kommt der Nahrungsqualität eine weitreichende Aufgabe zu.

 

Selbstverständlich wirkt auch das Fühlen in diesen Vorgang hinein. Die Wahrnehmungen beim Essen, die Anregungen der Sinne führen zu gefühlsmäßigen Empfindungen wie Sympathie, Freude, Genuss oder auch Ablehnung, Antipathie, Ekel. Diese Empfindungen spielen eine Rolle bei der Verdauung und des Lebensgefühl wie Zufriedenheit, Wohlgefühl oder Unzufriedenheit, Unruhe bis hin zur Aggression. Dies kann jeder an sich selber beobachten.

Sozialkompetenz und Gestaltung der Mahlzeiten

Soziale Kompetenz setzt Mitfühlen mit anderen voraus. Diese Fähigkeit nennt man Empathie, die durch Wahrnehmung und Mitschwingung der sogenannten Spiegelneuronen im Gehirn nachzuvollziehen ist. Dieses Mitfühlen kann auch bei den täglichen Mahlzeiten erübt werden. Das gemeinsame Essen, ein Spruch oder Lied bei den kleinen Kindern, wenigstens ein gemeinsames „guten Appetit“ fördern die Wahrnehmung des Mitmenschen. Dazu gehört das soziale Miteinander des Essens: Rücksichtnahme, warten, bis alle ihren Teller gefüllt haben, das gerechte Aufteilen und schließlich auch der Abschluss mit dem Wegräumen des Geschirrs. Hier lernen die Kinder soziale Kompetenz täglich wie nebenbei, wenn die Mahlzeiten in entsprechender Atmosphäre ablaufen können. Dies setzt bei Kindern Führung durch Erwachsene, Lehrer, Erzieher etc. voraus. Auch die Begegnung mit den Küchenmitarbeitern, die das Essen zubereitet haben, verstärkt die soziale Zuordnung. Die Erstellung der Mahlzeit wird an konkreten Menschen deutlich. Lob und Klagen sollen nicht mehr anonym, sondern direkt an ein bekanntes „Gesicht“ weiter gegeben werden.

 

Heute dominiert in der Gesellschaft vielfach das abstrakte Denken. Der Ansatz der Waldorfpädagogik ist ein anderer. Dies gilt auch für die Ernährungserziehung, denn das alleinige Wissen über Nährwertgehalte oder Energiemengen bringt hier wenig. Das Erleben an den Nahrungsmitteln, ihrer Erzeugung, Verarbeitung und Zubereitung muss dazu treten. Dann ergänzt sich die rein auf das Denken beschränkte Ansprache an den Kopf durch das Wahrnehmen auf weiteren Ebenen. Bereits durch eine lebendige, bildhafte Sprache kann das Fühlen mehr in die Denkinhalte integriert werden. Dies muss nicht auf Kosten der Exaktheit geschehen. Bei der eigenen Zubereitung von Mahlzeiten werden Wille, Denken wie z.B. durch Überlegungen zum Rezept, zu Arbeitsschritten mit den Lebensmitteln etc, und auch das Fühlen angesprochen. Der ganze Mensch wird angesprochen.

Lebensmittelauswahl ist individuell

Pflanzen zeichnen sich durch ihr standortgebundenes Wachstum, eine artspezifische Entwicklung und Reifung aus. Jede Art prägt ihre Gestalt und bestimmte Gesten wie Blatt- oder Blütenform aus. Verzehren wir sie, geben die Pflanzen die diesen zugrunde liegenden „Inhalte“ an uns ab. Dabei sind die Formen und ihr Ausdruck durchaus unterschiedlich. Die Getreidepflanzen zeichnen sich durch ihren Zentral­spross aus, der zur Sonne wächst. Blätter und Blüte sind wenig auffällig. Die Kräfte werden in die Frucht- bzw. Samen der Körner gegeben und in die Wurzeln, damit genügend Mineralstoffe aus dem Boden aufgenommen werden können. Bei Obst von Bäumen (Äpfel, Pfirsich etc.) reifen die Früchte zwar ebenfalls in der Sonne, enthalten aber mit Zucker, Vitaminen und Säuren ganz andere Substanzen als das Getreidekorn mit Stärke und Eiweiß. Aus Getreide bzw. Brot muss der Körper sich den notwendigen Zucker selber abbauen, das Obst liefert ihn fertig. Allerdings muss er in der Verdauung noch aus den Zellen gelöst werden.Anders der weiße Zucker. Er wurde aus den Zellen der Rübe oder des Rohrs extrahiert, isoliert und konzentriert. Bei ihm muss die Verdauung fast nichts mehr tun und wird noch überschwemmt mit dem süßen Nährstoff.

 

Jedes Lebensmittel fordert daher eine andere Eigenaktivität vom Menschen und liefert andere Lebenskräfte. Beim weißen Zucker sind sie kaum noch vorhanden, beim gedünsteten Obst, z. B. Kompott sind sie gemindert, beim Obst ganz natürlich wie gewachsen. Dabei muss der Einzelne unterscheiden, was er sich an Verdauungsarbeit zumuten darf. So verträgt nicht jeder frisches Obst, vor allem im Alter, aber auch der Kopf-Typ. Stoffwechselkräftige Menschen, „Bauchtypen“, vertragen dagegen sogar rohen, eingeweichten Getreideschrot wie Frischkornbrei. Dies zeigt individuelle Bedürfnisse. Daher ist eine entsprechende Lebensmittelauswahl wichtig und wird zu recht als Ernährungskunst angesehen.

Stoffliche Wirkungen umfassen auch Farben und Aromen

Die Substanzen der Lebensmittel haben vor allem auf die Nerven einen Einfluss. Dies betrifft Mineralstoffe und psychisch wirksame Stoffe wie z. B. Hormone. Dieses Gebiet wird zurzeit von der Neurophysiologie intensiv untersucht. Neurotransmitter wie Glutamat wirken z. B. auf das Gehirn und besonders das Hunger-Sättigungszentrum2. Eiweiß und vor allem die basische Aminosäure Arginin (sie hat vier Stickstoffmoleküle) liefern die Grundlage für den Neurotransmitter Stickstoffmonooxid (NO), der über die Nerven den Blutdruck beeinflusst3. Jedem ist die Koffeinwirkung aus Kaffee, Tee oder Mate bekannt, die über die Nerven ebenfalls seelisches Verhalten von der Konzentrationsförderung bis zur Unruhe bewirken kann.

 

Ähnliches gilt für Aromen und Farben, die über die Sinne wie Sehen, Riechen, Schmecken innere Anregungen bringen. Darauf bauen sich Therapien auf (Farb-, oder Aromatherapie), die so starke Wirkung haben können, dass der Mensch aus seiner krankheitsbedingten Einseitigkeit gelöst werden kann. In geringerem Maße geschieht dies auch durch die tägliche Nahrung. Das Achten auf farbenfrohe Kost unterstützt das Denken, Fühlen und Wollen in unterschiedlicher Weise. Rot fördert z. B. Aktivität, grün beruhigt etc. Die chinesische Ernährung kennt diese Zusammenhänge seit langem und empfiehlt, die Nahrung täglich aus allen Farben einschließlich weiß (Fenchelknolle, Rettich, weiße Johannisbeeren) und schwarz (Wildreis, Aroniasaft, dunkle Pilze) zusammenzustellen. Dies soll die seelische Ausgeglichenheit fördern. Der bevorzugte Verzehr einer Farbe geht dann in die diätetische Richtung4. Dabei stehen hinter den natürlichen Farben beispielweise einer Orange die Kräfte der Pflanze. Chemisch gefärbte Lebensmittel weisen diese Kräfte nicht auf. Hinsichtlich des aufbauend-ernährenden Charakters ihrer Kräfte sind sie reduzierter.

 

Die Ernährung kann also über verschiedene Wege – Kräfte wie Stoffe – Einfluss auf den ganzen Menschen und damit auch sein Denken, Fühlen und Wollen ausüben. Je mehr dieser Wirkungen verstanden werden, umso wichtiger wird eine entsprechende Ernährungskultur und Nahrungsqualität. Mit dem biologisch-dynamischen Landbau wurde vor nunmehr fast 90 Jahren eine Grundlage gelegt, um eine menschengemäße Ernährung zu ermöglichen. Die Verarbeitung und Zubereitung der Lebensmittel muss diesen Weg entsprechend weiter gehen. Auch die Ernährungsbildung der Menschen spielt hierfür eine entscheidende Rolle. Hier ist zunächst das Denken, der Verstand gefragt. Dazu muss aber kommen, dass die Eigenwahrnehmung geschult wird, so dass die individuelle Bekömmlichkeit und Brauchbarkeit einzelner Lebensmittel für einen selbst bewusst wird. Diese Sinnesseite der Ernährung soll daher nicht nur im Genuss, sondern auch mit Bewusstsein erlebt werden.

Autor

Dr. Petra Kühne,

Arbeitskreis für Ernährungsforschung e.V.,

Niddastr. 14, D-61118 Bad Vilbel,

info(at)ak-ernaehrung.de, http://www.ak-ernaehrung.de

Quellen

  • 1) Frühstück und mentale Leistungsfähigkeit. „Ernährungs-Umschau“ 7/2011, S. 346 sowie Terschliessen, Maria; Müller, Kristina u.a.; Der Einfluss von Mahlzeiten, Nährstoffen und Flüssigkeiten auf die kognitive Leistungsfähigkeit von Kindern „Ernährungs-Umschau“ 6/2010, S. 302-307

  • 2) Hermannussen, Michael; Gonder, Ulrike: Der Gefräßigmacher. Wie uns Glutamat zu Kopf steigt und warum wir immer dicker werden. Stuttgart 2008

  • 3) Elmadfa, Ibrahim; Leitzmann, Claus: Ernährung des Menschen, 4. Aufl. Stuttgart 2004, 172

  • 4) Kühne, Petra: Die Fruchtampel. „Lebendige Erde“ 2-12, S. 28

  • 5) Kühne, Petra: Vom Umgang mit dem Genuss beim Essen.. „Lebendige Erde“ 2-11, S. 26f.