Ernährung

Aus Respekt: Ganz verwerten

Interview mit dem Koch Simon Tress und Bio-Pionier Georg Schweisfurth

Fragen per eMail: Michael Olbrich-Majer

 

Das ganze Tier nach dem Schlachten zu verwerten ist aus der Mode gekommen, warum?

 

Simon Tress: Ich denke weniger, dass es an einer Mode liegt: Eher ist es nun endlich an der Zeit, den Respekt dem Lebewesen wieder zu zollen, indem wir es ganz wertschätzen. Und ich finde es wichtig, dass wir weiterhin zu Hause fünfmal die Woche vegetarisch essen und zwei Tage gutes bis sehr gutes Fleisch zu uns nehmen sollten. So ist unserem Körper, Geist und auch der Seele aber auch dem „Abschlachten“ von zu vielen Tieren geholfen.

 

Georg Schweisfurth: Nach den Kriegen, den Zeiten der Entbehrung und des Hungers, in denen man „alles“ vom Tier zum Essen vorgesetzt bekam, weil es gar nicht anders ging, hatte sich in den Köpfen der Menschen festgesetzt, dass der Verzehr der edleren und schmackhafteren Bratenstücke – Kurzbratstücke kannte man so noch gar nicht – Ausdruck von Reichtum ist: „Endlich wieder gutes Fleisch essen!“ Die Köche und Metzger haben darauf reagiert und die Supermärkte in den 1960ern, die keine Metzgerläden mehr waren, hatten die sogenannten unedleren Teile wie Kochfleisch und Innereien irgendwann gar nicht mehr im Angebot! Und so änderten sich durch Mangel an Angebot und Koch­expertise auch die Essgewohnheiten.

 

Worin bestehen denn die Schwierigkeiten für den Verwerter, ob nun Metzger oder Gastwirt?

 

Simon Tress: Eigentlich gibt es keine Schwierigkeiten, wenn alle die gleichen Gedankengänge haben. Ich habe hier bei uns auf der Schwäbischen Alb das Glück und bin sehr dankbar dafür, dass ich wunderbare Lieferanten und einen super Metzger habe. Mit meinen Bauern habe ich exklusive Abkommen, dass ich ihnen alles abnehme, was sie in Ruhe und mit bester Qualität herangezogen haben. Ich habe mit Frank Siefert einen sehr guten Bauern mit 35 Bioland-Schweinen pro Jahr. Ich habe mit Achim Geiselhart, der für den Stall auf dem Biolandhof Masshalderbuch verantwortlich ist – der Hof betreibt auch unsere 14 Hektar Demeter Landwirtschaft – und mit Demeter-Landwirt Anton Köberle aus Obermarchtal zwei tolle Bauern, die mich mit besten Rindern beliefern und beide arbeiten sehr eng zusammen. Zum Beispiel habe ich letzte Woche den Mastbullen Hannes aus Masshalderbuch bekommen, der zuvor bei Anton groß gezogen worden ist. Ein wunderbares und perfektes Fleisch. Mit Torsten Sellenthin haben wir einen Schäfer, der im Jahr fast 75 Demeter-Lämmer liefert. Die Qualität ist einzigartig und gigantisch gut für Lamm! Es macht mir riesig Spaß, über diese­ Menschen zu sprechen und mit ihnen zu arbeiten, da sie etwas wirklich Wunderbares erzeugen. Mit unserm Metzger Walter Ranz haben wir in Hayingen einen sehr guten Metzger, der das Tier mit hohem­ Respekt in den Tod begleitet: Er entscheidet mit seinem Umgang­, wie die Qualität auf dem Teller landet.

 

Georg Schweisfurth: Simon sagt es schon: die Verfügbarkeit wäre gar nicht das Problem, die Kunst des Kochs auch nicht (mehr). Metzgern und Köchen und allen am Prozess Beteiligten muss es gelingen, langsam wieder diese Teile in das Bewusstsein und auf die Zungen der Menschen zu bringen. Unser Buch soll dabei helfen, hier „goldene Geschmacksbrücken“ für die Menschen zu bauen. Die Verbraucher dürfen nicht den puren Produkten wie Hirn oder Hoden ausgesetzt werden, wie das vielleicht in Frankreich noch Tradition ist – dort war die Entbehrung flächendeckend während und nach dem Krieg nicht so groß – sondern diese Stücke müssen geschickt in einfache und „umhüllende“ Rezepte eingebracht werden.

 

Wie gehen Sie in Ihrer Gastronomie damit um?

 

Simon Tress: Wir stellen von jedem Tier immer ein Teil kurzgebraten und ein Teil geschmort auf die Karte. Wir beginnen beispielsweise beim Rind immer mit Filet; ist es verkauft, geht es weiter mit der Hüfte, dann Entrecote und zum Schluss der Rücken, der dann fast über zwei Monate gereift ist. Beim Geschmorten starten wir mit den Rindsrouladen und anschließend mit einem 80°C über sechzehn Stunden Geschmorten vom Rind. Die Innereien sammeln wir, bis wir genug Zungen, Nieren usw. zusammen haben, um ein Ragout aus Innereien zu kochen. Des Weiteren präsentieren wir ein Menü, das aus vier Gängen besteht. Am Beispiel Lamm sieht das so aus: Essenz vom Lamm mit Lammherztrellini oder zum Beispiel Lammbolognese mit Thymian-Papardelle, Salbeipesto und weißem Knoblauchschaum. Wir rotieren jeden Monat mit einem anderen Tier durch. Darüber hinaus entwickeln wir gerade für den Biohandel ein Glasfood-Konzept mit Chili con Carne, Curry vom Lamm mit Grünkern, Tomaten und Chili verfeinert und Sauerbraten. Das sind nur ein paar Beispiele, wie man alles verwerten kann.

 

Wie machen Sie das den Gästen bzw. den Kunden schmackhaft?

 

Simon Tress: Wir zelebrieren jedes Teil und versuchen es so attraktiv wie möglich zu machen. Zudem geben wir unser Bestes, um über moderne Gar- und Zubereitungsmethoden aus jedem Fleischstück geschmacklich das Maximale herauszuholen und runden es dann über kreative Beilagen und Gemüse und frische Kräuter ab. Ab Anfang September werden Georg und ich mit unserem neuen Fleischkochbuch Verbrauchern die Möglichkeit geben, mit einfachen Rezepten auch selbst das ganze Tier in der Küche genau so wie wir zelebrieren zu können.

 

Georg Schweisfurth: Wir sind natürlich die Rufer in der Wüste, aber das sind wir als Bio-Männer schon gewöhnt. Zum guten Geschmack, der notwendig, aber noch nicht hinreichend ist, musst du auch immer eine gute Portion Information liefern: zum Beispiel, dass es uns ein Anliegen ist, die Menschen wieder zu echten Genießern machen zu wollen, dazu aufrufen, den Respekt vor dem Tier, wie Simon auch immer wiederholt, zu beachten und danach zu handeln und nicht zuletzt auch mal aus den gewohnten Pfaden auszusteigen, denn das macht total Spaß!

 

Lässt sich die Verwertung aller Teile – ich denke z. B. an den Arbeitsaufwand – auch in der Gastronomie wirtschaftlich gestalten?

 

Simon Tress: Ja! Wenn man dem Gast einfach den Preis weitergibt, den man dem Bauern, dem Metzger und auch dem Mitarbeiter bezahlen darf. Der Gast kommt ja heutzutage nicht mehr jede Woche zum Essen, sondern alle zwei bis drei Wochen; dann will er aber etwas richtig Gutes und ist auch bereit, dafür mehr zu bezahlen. Der Gast von heute kocht mehr zu Hause und das ist auch sehr gut so! Aber wenn er etwas Besonderes und sehr Leckeres bekommt, bezahlt er auch gerne etwas mehr.

 

Lässt sich das Thema „das ganze Tier“ in moderne Metzgereien integrieren?

 

Georg Schweisfurth: In der Welt der Fleischwarenindustrie wird das schwer, denn diese Systeme lassen sich schwer verändern – oder besser gesagt, knacken. Dort herrschen eingefahrene Prozesse. Was sich da in bald siebzig Jahren entwickelt hat, ist groß und mächtig. Da müsste schon ein deutlich hörbarer Ruf der Händler kommen, damit Produkte entwickelt werden, in denen beispielsweise Innereien verarbeitet werden. Da der Kunde durch immer mehr Selbstbedienung beim Fleisch in den Märkten keinen Kontakt mehr zu einem Metzger hat, der Ahnung hat, vielleicht sogar selbst noch ein guter Koch ist, wird es noch schwerer. Denn Veränderung passiert hier nur im Dialog. Das kann fast nur ein fortschrittlicher Koch wie Simon mit eigenem Restaurant oder der eloquente Metzger und die, bzw. der exquisite Fleischfachverkäufer bzw. -in leisten. Diese muss man deshalb mit allen Kräften unterstützen und auch mal das ungewöhnliche Teil vom Tier kaufen und ausprobieren, oder, wenn man essen geht, das dann auf der Speisekarte aussuchen! Unser Buch wird sicher zu einem Bewusstseinswandel beitragen, weil es eigentlich so einfach ist, und auch lässig. Der stete Tropfen höhlt den Stein, wie immer im Leben!

 

Autorennotiz:

Simon Tress

betreibt als Gastronom mit seinen Brüdern und deren Frauen das Biohotel- Restaurant Rose in Hayingen-Ehestetten an der Schwäbischen Alb, den Gasthof Friedrichshöhle in Wimsen und Veranstaltungen auf Schloss Ehrenfels. Daneben fertigt er Suppen, Saucen und Bratlinge in der Rose Biomanufaktur (Demeter) und unter der Marke „Die Küchenbrüder“ (Bio)

 

Georg Schweisfurth

ist Mitgründer der Biosupermarktkette Basic, Geschäftsführer von Gut Sonnenhausen und Buchautor, z. B. Die Bio-Revolution. Die erfolgreichsten Bio-Pioniere Europas. Christian Brand­stätter Verlag Wien 2014, 304 Seiten, ISBN 978-3-850337-89-2, 22,50 Euro