Ernährung

Das Geistige der Nährstoffe

Die umfassende Bedeutung der Nahrung FÜR den Menschen

von Dr. Petra Kühne

„Nicht wahr, man muss sich darüber klar sein: Geist ist vorhanden, aber der Geist muss, damit er auf Erden wirken kann, in den Stoffen wirken. Und man muss daher, gerade wenn man Geisteswissenschaft betreibt, die Wirkung des Geistes in dem Stoff kennen.“ Rudolf Steiner 1

Bevor ein Haus gebaut wird, muss es einen Bauplan geben. Er entsteht im Kopf des Architekten, ist also zunächst nur geistig vorhanden. Dann kann es losgehen mit den Materialien, um das Haus auch physisch entstehen zu lassen. Ebenso kann man sich vorstellen, dass es Ideen höherer Wesen, des Kosmos, gab, die die irdische Materie, den Stoff dachten, bevor er tatsächlich entstand. Unsere Materie stammt ursprünglich aus dem Kosmos, ist Sternenstaub wie die Astrophysiker sagen.

Geist und Materie…

... sahen die Philosophen viele Jahrhunderte als Gegenspieler und Polaritäten, die einander bedingten. Erst im Materialismus, der seit dem 19. Jh. stark die Wissenschaft beeinflusste, wurde das Primat des Stoffes, der Materie, aufgestellt. Geistiges sollte nicht zuerst als Idee, sondern als ein Ausfluss aus der Materie vorhanden sein. Ideen sollen danach durch Nervenimpulse und chemische Reaktionen entstehen. Nur Nährstoffe ernähren den Menschen und schaffen die Grundlage für sein geistiges Wirken. Jetzt im 21. Jh. lösen sich diese materiallistischen Ideen langsam auf, aber gerade in der Ernährungslehre wirken sie noch stark. Von Lebenskräften spricht die Wissenschaft nicht, sie gelten vielen als unwissenschaftlich. Aber die Erkenntnisse nehmen zu, dass das Bewusstsein beispielsweise die Verwertung von Nährstoffen beeinflusst – also ein geistiger Prozess auf die Nahrungsmaterie einwirkt. So wird empfohlen, achtsam und langsam zu essen, da dadurch der Appetit sinkt und weniger verzehrt wird. Diese Übungen setzen Ernährungsberater inzwischen bei übergewichtigen Menschen ein, die abnehmen wollen. Es kommt also nicht nur auf die Kalorienmenge an, sondern auch auf die Bedingungen, unter denen der Mensch sie zu sich nimmt.

Ebenso empfinden viele Menschen, dass die Herkunft und Erzeugung der Lebensmittel geistig zu erfassen ist. Auch dazu gibt es eine Übung, mit der man sich schulen kann, wenn man sich die Biografie, den Werdegang, eines Lebensmittels vergegenwärtigt. Diese Übung zeigt, wenn sie nicht nur vorgestellt, sondern innerlich miterlebt wird, einen Einfluss auf die Ernährung. So kann einem der Appetit auf ein Fleisch beim Nachvollziehen der Bedingungen in der Massentierhaltung vergehen. Oder es meldet sich das Gewissen, wenn man Billigkaffee erwirbt, der unter Ausbeutung der Kaffeebauern erzeugt wurde. Aber auch im positiven Sinne wirkt diese Übung, wenn die Biografie eines Demeter-Apfels vom regionalen Hof nachvollzogen wird. Rudolf Steiner hat so ein Beispiel gewählt, um einen Weg zu zeigen, das Geistige im Lebensmittel zu erkennen:

„Essen und Trinken ist etwas, was alltäglich aus Trieb, aus Instinkt begangen wird, und es dauert wirklich recht lange, bis der, welcher eine geistige Entwickelung durchmacht, sozusagen auch diese Dinge einbezieht in das geistige Leben. Gerade die alltäglichen Dinge lassen sich am schwersten in das geistige Leben einbeziehen, denn wir haben Essen und Trinken erst dann einbezogen, wenn wir verfolgen können, warum wir, um dem ganzen Laufe der Welt zu dienen, in rhythmischem Gange die physischen Stoffe zu uns nehmen müssen und welche Beziehung die physischen Stoffe zum geistigen Leben haben; wie der Stoffwechsel nicht bloß etwas Physisches ist, sondern durch seinen Rhythmus auch etwas Geistiges hat.“ 2

Sich ernähren und Essen sprechen das Wissen sowie das Empfinden und Handeln an

Welche Nahrung gut ist, wissen sehr viele Menschen, aber sie handeln nicht danach. Diese Diskrepanz ist so häufig, dass man heute von der Handlungslücke spricht, die zwischen dem Denken und Reden und dem tatsächlichen Verhalten besteht. Der Mensch bringt beides nicht zusammen. Das Essen ist mit Genuss und Geschmack assoziiert, die Ernährung mit Wissen über Nährstoffe und gesunder Nahrung. Hierbei geht es um die zwei Ebenen des Menschen:

  • das Nerven-Sinnes-System mit dem Denken und
  • das Stoffwechsel-Gliedmaßen-System mit dem Willen.

Sie sind beide oftmals wie getrennt. Aber es gibt eine Verbindung zwischen ihnen und das ist das Fühlen, welches dem Rhythmischen System zugeordnet ist. Es wird oftmals zu wenig, einseitig oder überschwänglich einbezogen, wenn man z. B. unkritisch von einer neuen Ernährungsform begeistert ist. Aber die Begeisterung für eine Idee ist notwendig, um sie umzusetzen. Ohne Empfindung und Gefühl geht es nicht, sonst bleiben das Wissen und die Idee ohne richtigen Antrieb. Bezieht man dies auf die Übung zur Biografie eines Lebensmittels, so lässt sich sagen, dass die Vorstellung (Denken) vom Weg eines Apfels nur das Nerven-Sinnes-System beansprucht. Fühlt man aber mit, wie er aus der Blüte durch die Bestäubung von einer Biene entsteht, wie Sonne und Schatten auf ihn wirkten bis zur Ernte und dem Verkauf im Laden, so ist das Rhythmische System beteiligt. Man kann dieses Beispiel einmal mit einem konventionellen und Bio-Apfel durchführen. Ersterer wurde mehrmals während seiner Reifezeit gespritzt, vielleicht in fernen Ländern verpackt und per Schiff in Europa angelandet, auf dem Großmarkt gehandelt und in einer Supermarktkette angeboten. Welche Ideen begleiteten ihn vom Bauern bis zum Händler? Dagegen lässt sich der Weg eines Apfels von einem regionalen Demeter-Hof anders nachvollziehen: von der Sonne, die ihn reifen ließ, bis zum Angebot im Hofladen. Kauft man ihn im April, so hat er eine Lagerzeit durchgemacht, die ihn weiter veränderte. Es formt sich daraus im Innern ein Bild von dem Geistigen, was im Apfel wirksam ist. Jeder Pflanze und jedem Tier liegen neben den physischen Substanzen geistige Ideen sowie Lebens- und seelische Kräfte zugrunde.

In Steiners Worten: „Allerdings gibt es einen Weg, um nach und nach diese nicht durch eine äußere stoffliche Notwendigkeit bloß geforderten Dinge zu spiritualisieren. Denn es gibt eben die Möglichkeit, diese Dinge so anzusehen, daß wir uns sagen: Wir essen diese oder jene Frucht, und wir können uns durch unsere spirituellen Erkenntnisse immerhin eine Vorstellung bilden, wie, sagen wir, ein Apfel oder irgendeine andere Frucht zum Ganzen des Universums steht. Das dauert aber lange. Dann gewöhnen wir uns an, das Essen nicht eine bloß stoffliche Tatsache sein zu lassen, sondern wir gewöhnen uns zu beachten, welchen Anteil zum Beispiel der Geist hat an dem Reifen einer Frucht in den Sonnenstrahlen. Daher vergeistigen wir auch die stofflichsten, alltäglichen Prozesse und gewinnen die Möglichkeit, selbst da mit unseren Gedanken einzudringen; ich kann das hier nur andeuten, wie auch da Gedanken und Ideen hineingebracht werden können. Das ist aber ein weiter Weg, und die wenigsten Menschen können in unserem Zeitalter dazu kommen, über das Essen vollgültig zu denken.“ 3

Natürlich kann man solch eine Essmeditation schwerlich mit allen Lebensmitteln durchführen, die in einer Mahlzeit sind. Da hat Rudolf Steiner Recht, dass nur wenige Menschen zurzeit dazu in der Lage sind. Auch ist es nicht angebracht, dies bei der Mahlzeit zu machen, da man sonst gar nicht zum Essen kommt vor lauter Nachdenken. Aber vorher oder nachher ist sicherlich eine Möglichkeit sich mit dem geistigen Aspekt eines oder mehrerer Lebensmittel zu befassen. Viele Menschen beschäftigen sich heute mehr als vor 100 Jahren mit Gedanken über den Anbau, die Art der Tierhaltung, die Zubereitung und soziale Folgen von Nahrungserzeugung. Die Zeilen von Rudolf Steiner sind 1910 gesprochen. In den über 100 Jahren seitdem hat sich viel verändert. Das Denken in Kreisläufen, das Erkennen von Zusammenhängen zwischen dem Anbau von Lebensmitteln und ihrem Wert hat sich sehr verbessert. Insofern fällt die Übung heute bestimmt leichter als damals. Diese Gedanken über ein Lebensmittel können viel bewirken, bis hin zu Veränderungen im Kauf- und Essverhalten. Für eine achtsame Einstimmung auf die Mahlzeit eignen sich beispielsweise auch Tischsprüche oder Tischgebete.

Geist und Nährstoffe

Bisher ging es um das Geistige in Lebensmitteln. Sie bestehen aus Nährstoffen wie Eiweiß, Fetten und Kohlenhydraten, die von Lebewesen mit ihren Äther- und Astralkräften erzeugt wurden. Daher wirkt selbst in den Nährstoffen Geistiges. Bei ihrer Betrachtung sollte man daher auch hinter die rein materielle Wirkung schauen. So liegen Vitaminen in der Materie gebundene Lebenskräfte zugrunde. Sie waren ursprünglich mit den Lebensprozessen verbunden. Daher sind sie nicht nur materielle Substanzen, die man als Nahrungsergänzung zu sich nehmen kann. Diese Beziehung zeigt sich auch darin, dass isolierte Vitamine weniger wirken, als wenn sie mit einem pflanzlichen oder tierischen Lebensmittel aufgenommen werden. Man nennt es die Bioverfügbarkeit einer Substanz. Sie gibt den Wirkungsgrad an. Die Bioverfügbarkeit eines Vitamins oder Mineralstoffs ist in pflanzlichen oder tierischen Lebensmitteln höher als bei der physischen (mineralischen) Substanz. Heute wird diese Tatsache meist materiell erklärt als Wirkung von Begleitstoffen oder der Struktur der Zellen, in denen die Substanz eingebettet ist. Eigentlich geht es um die Kräfte des Geistigen, die den Aufbau der Struktur und das Zusammenwirken der Begleitstoffe geleistet haben. Rudolf Steiner wählt das Bild vom Eis, der Materie, die im geistigen Wasser schwimmt. Das Eis entsteht aus der Flüssigkeit durch äußere Bedingungen wie die sinkende Temperatur. So kann man die Materie als herausgefallene, verdichtete Geistigkeit verstehen.

„Was ist in der Geisteswissenschaft die Materie? Nur eine andere Form des Geistes! Spricht die Geisteswissenschaft von Materie, Stoff und Körper, so spricht sie davon so, wie sie von Eis in Beziehung auf Wasser spricht. Eis ist Wasser in anderer Form.“ 4

Diese Beispiele zeigen, wie wir uns einem Denken nähern können, dass das Geistige der Nahrung einbezieht. Es geht um geistige Wirkungen von Pflanzen, Tieren und Nahrung, nicht nur um eine materielle Anschauung von Nährstoffen. Das bedeutet, dass man auch für die Ernährung ein erweitertes Natur- und Menschenverständnis entwickeln muss, das über das allein physische hinausgeht.

Vielleicht kann das Beschäftigen mit dem Geistigen der Nahrung dazu führen, nicht mehr zu viel, zu unbewusst und zu Durcheinander zu essen. Wie viele geistige Impulse stürmen in unserer Verdauung auf uns ein, wenn man allein an ein Fertiggericht denkt, das Lebensmittel aus verschiedenen Kontinenten enthalten kann? Natürlich ist nicht gemeint, nun ganz asketisch und einseitig zu essen und immer an das Geistige in der Nahrung zu denken. Es ist nur ein Weg, der hinführt zu der umfassenden Bedeutung und Wirkung, die Nahrung auf uns Menschen ausüben kann. Dass bewusstes Essen die Verzehrmenge senkt, die man zum Leben benötigt, ist eine bekannte Tatsache. Auch dies kann langfristig ein Beitrag zur Verteilung der Lebensmittel der Welt sein.

 

Autorin: Dr. Petra Kühne
Arbeitskreis für Ernährungsforschung e.V.
www.ak-ernaehrung.de / info(at)ak-ernaehrung.de

Dieser Artikel fasst die Beiträge „Das Geistige der Nahrung“ aus dem Ernährungsrundbrief 1-19 und 2-19 zusammen.
Mehr zum Thema finden Sie hier: Petra Kühne: Vitamine – Wirkstoffe des Lebendigen. Arbeitskreis für Ernährungsforschung Bad Vilbel 2015

Fußnoten

  1. Rudolf Steiner: Eiweiß, Fette, Kohlenhydrate und Salze. Vortrag vom 22.9.1923. GA 350 Rhythmen im Kosmos und im Menschenwesen. 16. Vortrag., S. 290. Rudolf Steiner Verlag Dornach 1991
  2. Rudolf Steiner: Exkurse in das Gebiet des Markus-Evangeliums GA 124, S. 134f.
  3. Rudolf Steiner: Eiweiß, Fette, Kohlenhydrate und Salze. Vortrag vom 22.9.1923. GA 350 Rhythmen im Kosmos und im Menschenwesen. 16. Vortrag., S. 290. Rudolf Steiner Verlag Dornach 1991
  4. Rudolf Steiner: Vortrag vom 24.10.1907. Die Erkenntnis der Seele und des Geistes. GA 56 Rudolf Steiner Verlag Dornach 1995, S. 69f.