Ernährung

Öko-Milchviehkälber: Verzehr von Milch und Rindfleisch

Kuhgebundene Aufzucht braucht dreifachen Öko-Fleischkonsum

von Ulrich Mück

„Mehr Bio-Rindfleisch essen, für mehr Tierwohl!“

Die Rinderhaltung der 1960iger Jahre in Deutschland bedeutete die Haltung von Zweinutzungsrindern. Rinder dienten der Ernährung der Menschen mit Fleisch und Milch, beides trug wesentlich zum Einkommen der bäuerlichen Familien bei. Dies hatte eine Entsprechung in der Ernährung und im Konsum. Doch bald war Rindfleisch immer weniger gefragt. Schweinefleisch aus zunehmend intensiver Haltung und Fütterung und etwas später auch Geflügelfleisch wurde bevorzugt und vermehrt konsumiert, auch des sehr günstigen Preises wegen. Politisch unterstützt wurde die Milch zum wirtschaftlichen Hauptnutzen der Rinderhaltung. Der Rindfleischverbrauch sank seit 1960 um 64 % (1) und die Milcherzeugung stieg um 34 % (2).

Moderne Rinderhaltung – wenig Fleisch und viel Milch

Es entstanden in Folge zwei völlig neue spezialisierte Einnutzungs-Rinderhaltungssysteme: die intensive Milchviehhaltung (Hauptnutzen Milch) und in den 1990iger Jahren die Mutterkuhhaltung, einziger wirtschaftlicher Nutzen ist Fleisch. Letztere wurde meist extensiv betrieben (3). Doch auch in der Milchviehhaltung entsteht Fleisch – neben dem Hauptnutzen Milch. Die Entstehung erfolgt dort in einem Verhältnis zur Milch. In Bezug auf den Verzehr liegt es bei 15 bis 31 Gramm Rindfleisch je Liter Milch. Kuhgebundene Kälberaufzucht benötigt etwa 30 Gramm je Liter (4).

Koppelprodukt Kalb – das Leid der Milchviehkälber

Für die Kälber der Milchkühe hatte die Entwicklung drastische Folgen. Sie wurden zum unwirtschaftlichen Koppelprodukt der spezialisierten Milcherzeugung, denn nur ein kleinerer Teil der Kälber einer Herde dient der Nachzucht zum Ersatz einer Milchkuh. Der überwiegende Teil verlässt den Hof und wird zu Fleischrindern. Sie entstammen jedoch der Zuchtausrichtung zur Milchkuh, dadurch sind sie weniger gut für die Fleischerzeugung geeignet und haben oft geringere Mastleistungen. Ihr Wert und Preis sind gering, entsprechend der rückläufigen Nachfrage von Rindfleisch in der Gesellschaft und des niedrigen Preises, der dafür gezahlt wird. Die Kälber der Milchkühe tragen deshalb nicht zur Einkommenssicherung der Milchviehhalter bei. Um die Unwirtschaftlichkeit der Aufzucht der Kälber zu verringern, erhalten sie möglichst wenig betriebseigene Milch und sie werden möglichst bald nach der Geburt an den Viehhandel abgegeben. Im Jahr 2023 sank der Verzehr von Rindfleisch noch einmal um 0,6 kg (9 %) pro Kopf (5), in Entsprechung dazu stieg der Export und Transport von deutschen Rindern ins Ausland (9).

Die Öko-Milchviehhaltung in Deutschland ist vom Missverhältnis der Ernährung mit „viel Milch und wenig Rindfleisch“ und der Situation der Milchviehkälber besonders stark betroffen, denn in den letzten zehn Jahren boomte die Öko-Milchnachfrage. Die nach Öko-Rindfleisch nicht, denn eine vegane und vegetarische Ernährung ist besonders bei den Öko-Kunden verbreitet. Etwa zwei von drei Öko-Milchviehkälbern werden jedoch zu Fleischrindern, für die allerdings die Öko-Nachfrage und ein angemessener Preis fehlt. Zudem haben sie im Öko-Markt sehr große Konkurrenz durch mastfähigere und kostenextensiv aufgezogene Kälber aus der umfangreichen Öko-Mutterkuhhaltung. 30 % der Mutterkühe in Deutschland leben auf Öko-Höfen, jedoch nur 7 % der Milchkühe. So werden Öko-Milchviehkälber überwiegend in den Viehhandel und in konventionelle Rindermast abgegeben (6).

Nachhaltige Ernährung mit kuhgebundener Aufzucht und Rindfleisch

Nachhaltige und regionale Öko-Ernährung in Deutschland sollte Verantwortung übernehmen für Milchviehkälber und ein damit verbundenes Verzehrsverhältnis von Milch und Fleisch. Nur wenn Öko-Ernährung diesem Verhältnis nahekommt, kann den auf Öko-Milchkuhbetrieben geborenen Kälbern höchstes Tierwohl und die Aufzucht und Haltung als Öko-Fleischrind ermöglicht werden. Tiertransporte, die Abgabe an den Viehhandel und in konventionelle Haltungen könnten verringert werden. Ohne Zweifel benötigt es dafür höhere Erlöse. Zum Erreichen dieses Ziels nachhaltiger und regionaler Öko-Ernährung braucht es allerdings in jedem Fall genügend Öko-Rindfleisch-Konsumenten für alles aus der Öko-Milchkuhhaltung und ihren Kälbern sowie aus der Öko-Mutterkuhhaltung entstehende Fleisch. Die Frage ist, wie groß müsste der Öko-Konsum sein im Verhältnis zur aktuellen Öko-Einkaufsmenge? Es ist viel mehr Öko-Rindfleischkonsum für mehr Tierwohl notwendig!

Die Zahlen zeigen, dass es einen sehr viel höheren, annähernd dreifachen Konsum von Öko-Rindfleisch braucht. Das macht deutlich, in welch dramatisch unzureichender Situation sich die Öko-Rinderhaltung, die Rinderhalter und gerade auch diejenigen befinden, die sich an einem biologisch-dynamischen Hoforganismus mit Rindern und dem größten Wohl ihrer Milchviehkälber orientieren. Es ist dringend notwendig, das Thema nachhaltiger Ernährung mit Rindfleisch seitens des Ökolandbaus endlich auch gesellschaftlich offensiv zu diskutieren, und Fördermittel für kuhgebundene Milchkälberaufzucht politisch einzufordern. Nur dann kann mehr Öko-Milchviehkälbern ein Leben mit höchstem Tierwohl im Öko-Zusammenhang, mit Weide und kuhgebundener Aufzucht ermöglicht werden.

Autor: Ulrich Mück

Agraringenieur, Experte für nachhaltige Rinderhaltung und Ernährung

ulrich.mueck(at)organismus.farm

 

Quellen:

  • Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1989; Statistisches Jahrbuch 2022, SJ 2022, Kapitel D 1,b;
  • Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1961; Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1989; Milchwirtschaft auf einen Blick, 2024, BLE;
  • Statistische Jahrbücher DDR und BRD 1961, 1970, 1980, sowie Deutschland 1990, 2000, 2010, 2019; Golz L. (2013): Mutterkuhhaltung in Deutschland – Status quo und Zukunftsperspektiven im europäischen Kontext;
  • Mück U. (2021): Milch und Fleisch in den Einkaufskorb, Ökologie & Landbau, 2021_1, S.38-39;
  • Effenberger M. (2022), Alltägliche Ernährungsökologie – Sich allein vegetarisch ernähren ist nicht nachhaltig, Schule und Beratung, S.68-70
  • Pressemitteilung BLE, 24.4.2024, Pro-Kopf-Verzehr von Fleisch sinkt auf unter 52 kg
  • AMI Marktbilanz Öko-Landbau 2024, Tabelle 3.7 Bodennutzung und Tierhaltung im deutschen Öko-Landbau, S.48
  • AMI Marktbilanz Öko-Landbau 2024, Tabelle 6.9 Einkaufsmenge und Umsatz von Öko-Fleisch (ohne Geflügel) ohne Großteile und Großeinkäufe in Deutschland, S.91; mündl. Mitteilung Dr.Diana Schaack, AMI;
  • AMI Marktbilanz Öko-Landbau 2024, Tabelle 6.10 Einkaufsmenge und Umsatz von Öko-Fleischwaren und Öko-Wurst in Deutschland, S.92; mündl. Mitteilung Dr.Diana Schaack, AMI;
  • Deutsche Exporte von Rindern ausgeweitet, 29.05.2024 (AMI)
  • MLP Jahresbericht 2023 Bayern, LKV, S.96
  • Bayerisches Landwirtschaftliches Wochenblatt 24-24, 14.Juni, Märkte und Preise, S.77