Essay

Von Werten und Zahlen

Das Wirtschaften wieder in die Hand nehmen

von Christian Hiss

 

Innerhalb der biologisch-dynamischen Landwirtschaftsbewegung ist es in den letzten Jahren seltsam ruhig geworden. Das war in den 70er bis 90 er Jahren des letzten Jahrhunderts anders. Damals gab es Themen zuhauf, die wir in den Arbeitsgemeinschaften, in Arbeitstreffen und auf Tagungen bewegten und die wir nach außen in die Öffentlichkeit trugen. Die Gentechnik, die Saatgutproblematik, die wirtschaftliche und soziale Zukunft auf den Höfen, Ausbildungsfragen, Absatzstrategien, Betriebsgestaltungsfragen, die Hofnachfolgeregelung, die Forschung für den ökologischen Landbau und nicht zu vergessen, die politische Lobbyarbeit und die gesellschaftliche Aufklärung zur Akzeptanz alternativer Landwirtschaftsmethoden waren die Gegenstände vieler Sitzungen und Treffen. Wir hatten vor, etwas zu verändern in dieser Welt.

 

Man kann berechtigt den Standpunkt vertreten, dass die damalige Arbeit erfolgreich war und vieles erreicht wurde, was man für die Zukunft forderte. Ebenso sind Erklärungsansätze aus soziologischer Sicht möglich, aus deren Blickwinkel heraus die Bewegung der alternativen Landwirtschaft die Pionierzeit verlassen hat und in die unspektakulärere Phase der Festigung übergegangen ist. Ich vermute aber auch, dass das in den letzten fünfzehn Jahren sich verbreitende betriebswirtschaftliche Denken und die betriebswirtschaftliche Analyse als Instrument der Betriebsführung mit ein Grund dafür ist, dass die Stimmung, die von den Demeter-Höfen ausgeht, so geordnet und stabil erscheint. Zahlen geben Halt und ordnen, selbst wenn sie ungünstig sind. Sie besitzen durch ihre strenge Logik Überzeugungskraft, ermöglichen Rechenschaft, bereinigen und grenzen ab. Sie erzeugen Abbilder des in der Vergangenheit Geleisteten und lassen Planspiele zur Orientierung für die Zukunft zu.

 

Es mag eine Menge Gründe geben, persönliche wie auch gesellschaftliche, die für die gegenwärtige Stimmungslage des leisen nach innen Wendens ausschlaggebend sind. Und man kann auch ganz grundsätzlich der Meinung sein, dass alles zum Besten bestellt und es gar nicht notwendig ist, seine Kraft für Grundsatzdiskussionen einzusetzen. Ich sehe das anders und möchte deshalb einen bestimmten Bereich herausgreifen, weil ich da Defizite der biologisch-dynamischen Bewegung sehe. Es ist das Gebiet der Ökonomie, des Begriffs vom Wirtschaften an sich: Dieser ist in den letzten Jahren nicht ersetzt worden durch seine bessere Alternative, sondern im Gegenteil, der konventionelle Wirtschaftsbegriff hat sich der alternativen Landwirtschaft bemächtigt.

 

Der Ertrag hat sich als Hauptgesichtspunkt das Feld erobert und entwickelt seine Zwangsläufigkeiten.


Ich erinnere mich noch gut daran, dass wir in jener Zeit der grundsätzlichen Diskussionen auch ein anderes Wirtschaften gefordert haben: ein Wirtschaften, das dem menschlichen Maß, den sozialen Beziehungen und den Naturgesetzen Rechnung tragen müsse: Im Umkehrschluss sollten Mensch und Natur nicht dem Wirtschaften unterworfen werden. Es war die Zeit, in der für einige Höfe in Deutschland gemeinnützige Trägerschaften gegründet wurden, weil man der Meinung war, dass biologisch-dynamische Landwirtschaft mehr dem Gemeinnutz dienlich ist, denn dem Wirtschaftlichen und dies steuerlich bestätigt werden müsste.

 

Ein Merkmal und vielleicht eine Folge der letzten Jahre ist, dass die Betriebe rasch größer, spezialisierter und meist auch technisch aufgerüstet werden, sei es in der Vermarktung oder in der Produktion. Weizen und Spreu haben sich getrennt, wer den Groß- und Einzelhandel beliefert, stellt sich stärker darauf ein und wer direkt vermarktet, professionalisiert sich in der Verkaufslogistik und im Sortiment. Glücklicherweise spielt die Absatzentwicklung mit, Bioprodukte sind in den letzten Jahre stark nachgefragt und genießen ein breites Ansehen in der Verbraucherschaft. Eigentlich ein erfreulicher Zustand, wenn da nicht die Gewissheit wäre, dass unter dem Diktat der Zahlen einiges zu kurz kommt. Der Ertrag hat sich als Hauptgesichtspunkt das Feld erobert und entwickelt seine Zwangsläufigkeiten. Zu beobachten ist, dass das quantitative Element des Wirtschaftens gestärkt wurde und das qualitative geschwächt.

 

Die Auswirkungen des am Quantitativen orientierten Wirtschaftens auf den Höfen lassen sich bei genauerem Hinsehen zahllos erkennen. Ob es die sich verändernde Mitarbeiterstruktur ist, die technische Aufrüstung, die Entscheidung für ertragreichere Hybridsorten, die Vergrößerung der Ackerschläge, die Verkürzung der Fruchtfolgeintervalle, die Spezialisierung auf wenige Kulturen, die Monotonisierung und Standardisierung der Arbeiten, die Entscheidung zu hoffremdem Dünger, die Kompromissbereitschaft beim Einsatz fossiler Energien und beim Aufbau des landwirtschaftlichen Organismus. An vielen Stellen wird jetzt sichtbar, welche Idee in den letzten Jahren zum Ideal des Wirtschaftens erklärt wurde: nämlich die betriebswirtschaftliche Rentabilität und der Ausbau von Marktmacht.

 

Eine seltsame, an Bilder aus Franz Kafkas Romanen erinnernde Seelenstimmung schwang in den Gesprächen mit Kollegen mit, die sich dem „Aufschwung“ innerlich und äußerlich anschlossen und ihre Ideale auf das reduzierten oder sie zu mindestens darauf zuschnitten, was sich betriebswirtschaftlich lohnt.

 

Wie oft hört man ihn, den Satz: „Erst müssen die Zahlen stimmen, dann können wir an das andere denken.“ Aber wo wird heute an das andere noch gedacht? Ist jener Zustand einer Zufriedenheit auslösenden Zahl denn jemals erreicht oder ist es nicht viel eher eine Ausrede? Ich glaube, dass es sich trotz guter oder schlechter Zahlenlage lohnt, über die immaterielle Seite der Landwirtschaft nachzudenken und sie öffentlich zu diskutieren. Ich glaube es deshalb, weil ich weiß, dass Qualitäten substanzbildend sind und diese Substanz die Voraussetzung für die Entstehung oder den Verlust des Lebendigen ist.

 

Ein sicherer Spiegel der Motive der Betriebsführung und Betriebsentwicklung ist die Elementarwelt auf den Höfen. Elementarwesen heften sich unmittelbar an die seelisch-geistige Haltung der Menschen, ohne die Fähigkeit zu besitzen, eine eigene Moralität entwickeln zu können. Sie sind nur in der Lage, die des Menschen anzunehmen und zu verstärken. Betritt man einen Hof oder ein Hofgelände nimmt man über die Wesenswelt vermittelt die Atmosphäre, die dort herrscht, wahr. Beklemmend oder leicht, angstvoll oder hoffnungsgeprägt, hell oder dunkel, warm oder kalt, turbulent oder geordnet. In einem Betrieb der im fortgeschrittenen Maß nach betriebswirtschaftlichen Paradigmen entwickelt wurde, macht sich eine Stimmung bemerkbar, die sich direkt auf die Logik der Zahlen zurück führen lässt, nämlich kalt berechnend.

 

Bedenklich wird dieser Zustand, wenn man sich die weiteren Folgen dieser Entwicklung vor Augen führt. Wie in einer Spirale setzt sich fort, was veranlagt ist. Die Wesenswelt verschiebt sich hin zu den Wesenheiten der Logik die herrscht, sie verstärkt die Richtung, liefert den handelnden Menschen die Argumente weiter zu machen, relativiert die Bedenken und grenzt das Blickfeld ein. Nicht selten passiert es dann, dass der Betriebsleiter und die Mitarbeiter nach einer gewissen Zeit unter den Geistern leiden, die gerufen wurden, und sich einem Betriebsgeschehen gegenüber sehen, das sie eigentlich nicht wollten, aber dessen Dynamik sie nicht mehr im Griff haben, sondern von ihm beherrscht werden.

 

Spätestens dann ist der Zeitpunkt erreicht, an dem man nicht mehr von biologisch-dynamischer Bewirtschaftung sprechen kann, denn diese gründet in der menschlichen Freiheit. Vielleicht wird der Betrieb noch nach den Richtlinien des Ökologischen Landbaus bewirtschaftet, aber mit der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise hat dies nichts mehr zu tun. Für sie gilt, dass der wirtschaftende Mensch aus innerer Freiheit heraus handelt, aus moralischer Phantasie und ethischem Individualismus seine Gestaltungsgrundsätze ableitet und nicht aus eindimensionalen betriebswirtschaftlichen Planspielen, die letztendlich den Menschen entmündigen. Die Frage, was und wie viel wir an diesem Punkt erreicht haben innerhalb der biologisch-dynamischen Bewegung, muss gestellt werden. Ist der Erfolg der letzten Jahre ausbalanciert oder geht er zu Lasten von Qualitäten, die eigentlich einmal ausschlaggebend für die Umstellung auf biologisch-dynamisch waren?

 

Ich glaube, es ist an der Zeit, neue Ansprüche an das Wirtschaftsgeschehen auf den Betrieben zu stellen, sich zu vergegenwärtigen, dass die Forderung nach Assoziationen nicht überholt ist und dass das „Soziale Hauptgesetz“ aktueller denn je nach Verwirklichung ruft. Erst mit dem gleichwertigen Blick auf die qualitativen und die quantitativen Wertschöpfungen erhält man das ganze Bild zur Beurteilung eines erfolgreichen oder nicht erfolgreichen Wirtschaftens. Es kann aus diesem Blickwinkel heraus durchaus sein, dass ein Betrieb rote Zahlen schreibt also betriebswirtschaftlich schlecht da steht, auf der qualitativen Seite aber Gewinne macht. Oder anders herum kann es möglich sein und ich behaupte, dass es verbreitet so geschieht, dass betriebswirtschaftlicher Gewinn zu Lasten der sozial-ökologischen Seite geht, auf Kosten der Natur und des Menschen.

 

Es muss also die Gesamtrechung gemacht werden. Da aber die konventionelle Kapitalwirtschaft mit immaterieller Wertschöpfung nichts anfangen kann, brauchen wir spezifisches Kapital. Solches, das die Menschenwürde, die Ausbildung der jungen Generation, die Würde des Nutztieres, die vielfältige Kulturlandschaft, eine freie genetische Ressource, steigende Bodenfruchtbarkeit, sinnstiftende Arbeit und einiges mehr als Werte begreift.

 

... es ist an der Zeit, neue Ansprüche an das Wirtschaftsgeschehen auf den Betrieben zu stellen ...


Seit einigen Jahren steigt der Anteil ethischer Geldanlagen am Kapitalmarkt. Das heißt, Menschen haben begriffen, dass die konventionelle Kapitalwirtschaft in die Irre führt. Ihr Geld legen sie nach ethischen Gesichtspunkten an. Anhand von Kriterien wird der Grad der Ethik festgelegt. Die Menschen, die ihr Geld in diese Anlagen hinein geben, wollen wissen, was mit damit gemacht wird, wo und wie mit damit gearbeitet wird. Das ist eine erfreuliche Entwicklung, die aber bis jetzt im Großen und Ganzen an der biologisch-dynamischen Landwirtschaft vorbei ging, paradoxerweise, wo doch die ersten ethischen Fonds vor 20 Jahren sich auf die ökologische Landwirtschaft bezogen.

 

Zwar können biologisch-dynamisch wirtschaftende Betriebe bei Geldinstituten, die im ethischen Geldgeschäft tätig sind, ihre Darlehen bekommen, aber das ist noch kein wirklicher Fortschritt. Dieser ist erreicht, wenn der Gewinn auch in Qualitäten statt nur in Quantitäten wahrgenommen wird und wenn von der biologisch-dynamischen Landwirtschaft aus die Bedingungen gestellt werden und nicht von einem zweifelhaften Geldverständnis. Nach meiner Auffassung bietet sich in dem entstehenden gesellschaftlichen Bewusststein für ethische Geldanlagen eine neue Möglichkeit, die Grundsätze der biologisch-dynamischen Landwirtschaft nach außen zu vermitteln. Dafür muss aber zuvor ein innerer Schritt auf den Höfen selbst gemacht werden, müssen die Paradigmen des Wirtschaftens verschoben werden.

 

Schlüsselfaktor Kapital

Eine Denkstudie des Autors liefert Hinweise für Rechts-Formen der Betriebsentwicklung. Anhand einer Umfrage bei verschieden organisierten Demeter-Betrieben von Verein bis Genossenschaft werden Fragen zu künftigen Betriebsentwicklung und dem Faktor Beteiligung - auch mit Kapital - aufgeworfen. Grundlage eines idealtypischen biodynamischen Betriebs ist unter anderem das Einbeziehen von engagierten Menschen, die diese Form der Landwirtschaft unterstützen möchten - eigentlich ein gemeinnütziges Anliegen. Die Studie diskutiert Vor- und Nachteile verschiedener Rechtsformen, die Beteiligung ermöglichen, und kommt am Beispiel des eigenen Betriebes zum Schluss, dass die Aktiengesellschaft die meisten Möglichkeiten bietet, Landwirtschaft der Gesellschaft zu öffnen und Verantwortung zu teilen.

 

Christian Hiß: Landwirtschaft und regionale Wertschöpfung in Zukunft. Schlüsselfaktor Kapital. Eine Denkstudie.

Forschungsring Materialien Nr. 17, 2006, 68 S., 8,50 €

Bezug: Forschungsring für Biol.-Dyn. Wirtschaftsweise e.V.,

Brandschneise 5, 64295 Darmstadt, Tel. 06155-84 21 0, Fax: -84 21 25

Es lohnt sich, den Versuch zu unternehmen, aus innerer Freiheit heraus den Betrieb und das Wirtschaftsgeschehen neu zu entwerfen, sich ganz auf die Bilder und Intentionen einzulassen, die sich einstellen, wenn man die Zwangsläufigkeiten der Betriebswirtschaft beiseite schiebt und den Idealen Raum gibt, mit denen man als biologisch-dynamisch arbeitender Landwirt angetreten ist. Nach einiger Zeit beginnen sie, ihre Wirkung zu entfalten, die Wesenswelt verändert sich, Gestaltungsentwürfe tauchen auf und Menschen aus dem sozialen Umfeld stellen sich ein, die ihrerseits Fragen und vielleicht Geld haben. Aus den Ideen werden Gedanken und aus den Gedanken wird Substanz, woraus sich schließlich Realitäten entwickeln. Sicher ist dieser Weg nicht einfach, aber er führt in eine andere Richtung als der oben beschriebene, dessen Logik den Menschen erst von seinen Idealen trennt und ihn dann in ihrer Konsequenz beherrscht.

 

Ich meine, es ist an der Zeit, dass von den biologisch-dynamischen Höfen wieder mehr Veränderungswillen in die Gesellschaft fließt. Geld und Kapital, richtig verstanden, sind die geeigneten Mittel, um die Wendung herbei zu führen.

 

Christian Hiß, Jahrgang 1961, hat seinen seit 1953 biologisch-dynamisch bewirtschafteten Familienbetrieb im Jahre 2006 in die Regionalwert AG Bürgeraktiengesellschaft in der Region Freiburg überführt. Als Vorstand baut er zusammen mit Sebastian Bauer die Aktiengesellschaft als innovative Form der Bürgerbeteiligung an biologisch-dynamischer bzw. ökologischer Landwirtschaft auf. Aktuell wird eine Kapitalerhöhung durchgeführt, mit der die RWAG weitere Betriebe erwerben oder Beteiligungen vergeben will. Die AG betreibt selbst keine Landwirtschaft, sondern verpachtet die Betriebe an eigenständige Bewirtschafter. Den Aktionären wird die immaterielle Wertschöpfung jährlich als Teil des Geschäftsergebnisses ausgewiesen.

http://www.regionalwert-ag.de