Feld & Stall

Gestreichelte Kälber wachsen besser

Positive Auswirkungen einer guten Mensch-Tier-Beziehung

von Stephanie Lürzel

 

Die Beziehung zwischen Landwirten und ihren Tieren ist essenziell für hohes Tierwohl. Das Wohlergehen der Tiere ist immer eingeschränkt, wenn sie aufgrund einer schlechten Mensch-Tier-Beziehung häufig Furcht empfinden. Dies kommt besonders bei Milchkühen zum Tragen, die üblicherweise zweimal am Tag gemolken werden und dabei unmittelbaren Kontakt mit Menschen haben. Aber auch Managementmaßnahmen wie Umtreiben, künstliche Besamungen und tierärztliche Behandlungen können Furcht auslösen. Ein ruhiger Umgang führt beim Fluchttier Rind zu einer verringerten Furcht vor Menschen und Streicheln kann positive Emotionen bei Rindern auslösen. So wird der Mensch nicht mehr als Bedrohung wahrgenommen, sondern im Optimalfall sogar als Sozialpartner.

 

Außerdem hat eine gute Mensch-Tier-Beziehung auch positive Effekte für die Landwirtinnen und Landwirte: Wenn Kühe wenig Furcht vor Menschen haben, sinkt auch das Verletzungsrisiko bei Mensch und Tier durch das Ausbleiben von Schreck- und Abwehrreaktionen. Von Betriebserhebungen ist weiterhin bekannt, dass eine bessere Beziehung zwischen Milchkühen und ihren Betreuern mit einer höheren Milchleistung einhergeht. Mastkälber aus Mutterkuhhaltung, die im ersten Lebensmonat experimentell gestreichelt wurden, hatten beim Schlachten nicht nur weniger Furcht vor Menschen, sondern auch eine bessere Fleischqualität. Bei in Gruppen gehaltenen Kälbern von Milchrassen wurden solche Zusammenhänge noch nicht untersucht.

Welche Auswirkungen haben positive Interaktionen?

Wir haben auf einem konventionell wirtschaftenden Praxisbetrieb mit 1200 Holstein-Friesian-Kühen einen Versuch mit 91 weiblichen Kälbern durchgeführt (Lürzel et al., 2015). Ein Teil der Kälber wurde während der ersten 14 Lebenstage täglich 3 Minuten lang gestreichelt, wobei die Experimentatorinnen in beruhigendem Tonfall mit ihnen sprachen; die anderen Kälber (Kontrollkälber) erfuhren nur den betriebsüblichen Kontakt.

 

Nach den ersten 3 bis 10 Lebens­tagen in Einzelhaltung wurden die Kälber in Gruppen von 6 bis 7 Tieren gehalten, die, wie am Betrieb üblich, erst zu Gruppen von 12 bis 14 Tieren und dann zu Gruppen von 26 Tieren zusammengelegt wurden. Die Kälber erhielten zunächst zweimal täglich 3 l Vollmilch per Eimertränke; in den Gruppen gab es dann einen Tränkeautomaten mit 8 l Milchaustauscher am Tag. Die Reduktion der Milchaustauscher-Ration von 8 l auf 6 l am Tag begann für alle Kälber innerhalb einer 26er-Gruppe am selben Tag. Dadurch, dass es einen Altersunterschied von durchschnittlich einer Woche zwischen den 12er-Gruppen gab, die zusammengelegt wurden, war eine Hälfte jeder 26er-Gruppe zum Beginn der Reduktion ca. 5 Wochen und die andere Hälfte ca. 4 Wochen alt. Somit hatten die älteren Tiere betriebsbedingt eine Woche länger Zugang zu 8 l Milchaustauscher am Tag als die jüngeren Tiere, was allerdings gleichmäßig auf die gestreichelten und die Kontrollkälber verteilt war. Heu, Kälberstarter und Wasser waren ad libitum vorhanden. Die Kälber wurden mit 31 ± 4 Tagen entsprechend den betriebsüblichen Abläufen ohne Betäubung mit einem Brennstab enthornt.

 

Nach der Phase der Streichelbehandlung (mit 18 ± 2 Tagen), nach der Enthornung (mit 32 ± 4 Tagen) und nach dem Absetzen vom Milchaustauscher (mit 86 ± 5 Tagen) wurde die Ausweichdistanz der Kälber gemessen, um ihre Furcht vor Menschen abzuschätzen. Dabei geht ein Mensch in einer festgelegten Geschwindigkeit und Körperhaltung auf ein Tier zu und notiert die Entfernung zwischen seiner Hand und dem Flotzmaul des Tiers in dem Moment, in dem das Tier ausweicht. Weiterhin wurde die durchschnittliche tägliche Gewichtszunahme von der Geburt bis zum Versuchsende kurz nach dem Absetzen berechnet.

Verbesserte Mensch-Tier-Beziehung

Im ersten Ausweichdistanz-Test wiesen die gestreichelten Kälber eine signifikant geringere Ausweichdistanz auf als die Kontrollkälber (Grafik 1). Das deutet darauf hin, dass durch den regelmäßigen positiven Kontakt mit Menschen die Furcht der Kälber vor Menschen abnahm. Das kann zum einen auf einem Gewöhnungseffekt beruhen: Die Tiere werden regelmäßig von Menschen berührt und lernen dabei, dass ihnen nichts Schlimmes passiert. Zum anderen kann es aber auch sein, dass die Kälber das Streicheln und das freundliche Sprechen als angenehm empfinden und daher nicht nur die Furcht verlieren, sondern auch lernen, mit der Anwesenheit des Menschen angenehme Empfindungen zu verknüpfen. Die Kälber wichen bei der Streichelbehandlung selten aus und zeigten häufig Spielverhalten und Halsstrecken. Das deutet darauf hin, dass die Kälber den Kontakt als angenehm empfanden: Spielverhalten geht mit positiven Emotionen einher, und Halsstrecken ist eine Verhaltensweise, die Kälber und Kühe auch beim gegenseitigen Belecken zeigen und bei der davon ausgegangen wird, dass sie auftritt, wenn die Tiere das Beleckt-Werden genießen. Positiver Kontakt mit Menschen kann also nicht nur zu einer Verringerung negativer, sondern auch zum Auftreten positiver Emotionen führen.

Negativer Einfluss der Enthornung

Beim Ausweichdistanz-Test einen Tag nach der Enthornung zeigte sich ein anderes Bild: Nicht nur waren die Ausweichdistanzen der gestreichelten und der Kontroll-Kälber höher als beim ersten Test, die beiden Gruppen unterschieden sich auch nicht mehr voneinander. Die Ent­hornung verringert das Tierwohl also nicht nur durch die zugefügten Schmerzen, sondern möglicherweise auch durch eine Verschlechterung der Mensch-Tier-Beziehung.

 

Beim letzten Ausweichdistanz-Test, kurz nach dem Absetzen, hatten die gestreichelten Tiere wieder etwas geringere Werte als die Kon­troll-Kälber, dieser Unterschied war aber statistisch nur als Tendenz nachweisbar, und aufgrund ungünstiger Rahmenbedingungen sind die Daten des letzten Tests nur bedingt aussagekräftig. Es ist möglich, dass die Streichelbehandlung in den ersten zwei Lebenswochen längerfristige Auswirkungen hat. Um eindeutige Schlussfolgerungen ziehen zu können, müssten aber weitere Experimente durchgeführt werden.

Besseres Wachstum und mehr Milch als Kuh

Wie bereits erwähnt gab es Kälber, deren Milchaustauscher-Ration eine Woche früher von täglich 8 l auf 6 l reduziert wurde. Diese Kälber hatten, unabhängig davon, ob sie gestreichelt worden waren oder nicht, eine geringere durchschnittliche Tagesgewichtzunahme als die Kälber, die am Anfang der Reduktion eine Woche älter waren (Grafik 2). Es hat also bereits einen positiven Effekt auf die Gewichtsentwicklung von Kälbern, wenn sie nur eine Woche länger Zugang zu 2 l Milchaustauscher mehr am Tag haben.

 

Während es bekannt ist, dass eine verbesserte Ernährungssituation zu einer verbesserten Zunahme führt, wurde ein weiterer Sachverhalt bisher noch nicht nachgewiesen: Es ist zwar belegt, dass negative Interaktionen mit Menschen das Wachstum bei verschiedenen Nutztierarten einschränken, aber noch nicht, dass positive Interaktionen das Wachstum von Rindern steigern können. Dies war der Fall in unserer Studie: Die gestreichelten Kälber erzielten signifikant höhere durchschnittliche Tageszunahmen als die Kontrollkälber. Bei den Kälbern, die länger Zugang zu 8 l Milchaustauscher hatten, war der Effekt der Streichelbehandlung wesentlich stärker ausgeprägt als bei den Kälbern, deren Ration früher reduziert wurde und bei denen das Streicheln kaum einen Unterschied machte (Grafik 2). Der Effekt der Streichelbehandlung war also abhängig von der Milchaustauscher-Ration. Es kann sein, dass die geringe Energiezufuhr der Kälber mit einer früher reduzierten Ration einfach nicht ausreicht, um zusätzliches Wachstum zu ermöglichen.

 

Ein offensichtlicher Vorteil von verbesserten Zunahmen ist ein höherer Verkaufspreis für die Kälber. Zusätzlich gibt es auch einen längerfristigen Vorteil: Kühe, die als Kälber ein besseres Wachstum aufwiesen, geben später mehr Milch. In einer Meta-Analyse, also einer Studie, die die Daten vieler Einzelstudien zusammenfassend auswertet, wurde berechnet, dass pro 100 g durchschnittlicher Tagesgewichtszunahme mit einer Zunahme der 305-Tage-Leistung in der ersten Laktation um 155 kg Milch zu rechnen ist (Soberon and Van Amburgh, 2013). In unserem Versuch hatte die Kombination aus positivem Kontakt und einer weniger restriktiven Fütterung das höchste Potenzial für einen wirtschaftlichen Mehrertrag. Konkret bedeutet das: Es ist zu erwarten, dass Kühe, die als Kälber gestreichelt wurden und eine Woche länger Zugang zu 8 l Milchaustauscher hatten, in der ersten Laktation ca. 130 kg mehr Milch geben werden als Kühe, die als Kälber zur Kontrollgruppe gehörten und weniger Milchaustauscher bekamen.

Guten Umgang über einen längeren Zeitraum pflegen

Gerade bei größeren Betrieben ist es eher nicht möglich, jedes Kalb während der ersten zwei Lebenswochen täglich 3 Minuten lang zu streicheln. Für die Verbesserung der Mensch-Tier-Beziehung ist das aber auch gar nicht nötig: Wenn in einem Betrieb mit den Tieren generell gut umgegangen wird, das heißt, ruhig und für die Tiere vorhersehbar, reichen auch kürzere, beiläufigere positive Kontakte mit den Tieren, zum Beispiel während der Tierkontrolle oder, im Falle der Eimertränke, während der Fütterung. Im Gegensatz zur Praxis war es in unserem Experiment nicht möglich, die positiven Kontakte über einen längeren Zeitraum zu verteilen, weshalb wir den Zeitraum auf zwei Wochen begrenzt haben, dafür aber täglich relativ lang mit den Tieren interagiert haben. In einer älteren Studie (Boissy and Bouissou, 1988) hatte positiver Kontakt an drei Tagen pro Monat, verteilt über 9 Monate, einen deutlicheren reduzierenden Effekt auf die Furcht von Färsen gegenüber Menschen, im Vergleich zu drei Tagen pro Woche, die über 3 Monate verteilt waren – obwohl die Gesamtdauer des positiven Kontakts für alle Versuchsgruppen gleich war. Wahrscheinlich sind gelegentliche positive Kontakte über einen längeren Zeitraum effektiver für den Aufbau einer guten Mensch-Tier-Beziehung.

Offene Fragen

Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es noch viel zu tun. So ist beispielsweise noch nicht bekannt, wie es überhaupt dazu kommt, dass Kälber durch regelmäßige Streicheleinheiten besser an Gewicht zulegen. Es gibt Hinweise darauf, dass durch die Berührung verschiedene Hormone ausgeschüttet werden, zum Beispiel das sogenannte Bindungshormon Oxytocin, das nachweislich eine Anti-Stress-Wirkung hat, und auch Hormone, die der Verdauung förderlich sind. Weiterhin könnte der Effekt des Streichelns auf die Gewichtszunahme auch über die Mensch-Tier-Beziehung vermittelt werden: Wenn die Tiere weniger Furcht vor Menschen haben, müssen sie weniger Energie für Stressreaktionen aufbringen und können sie daher in Wachstum investieren.

 

Eine weitere Frage ist: Ist es überhaupt so, dass die Kälber das Futter besser verwerten oder einen sparsameren Energiehaushalt haben? Es könnte auch sein, dass sie einfach größere Mengen an Kraftfutter aufnehmen. Leider war es nicht möglich, im Rahmen unseres Experiments die aufgenommenen Futtermengen zu messen. Diese Frage muss jedoch unbedingt geklärt werden, um eine möglichst nachhaltige und effiziente Landwirtschaft zu ermöglichen. Es könnte sein, dass die Beziehung zwischen Nutztieren und den Menschen, die mit ihnen umgehen, noch tiefgreifendere Auswirkungen hat, als wir im Moment vermuten.

Autorennotiz

Dr. Stephanie Lürzel ist Universitätsassistentin (Postdoc) am Institut für Tierhaltung und Tierschutz an der Veterinärmedizinischen Universität Wien.

Quellen:

  • Boissy, A., Bouissou, M.-F., 1988. Effects of early handling on heifers‘ subsequent reactivity to humans and to unfamiliar situations. Applied Animal Behaviour Science 20, 259-273.

  • Lürzel, S., Münsch, C., Windschnurer, I., Futschik, A., Palme, R., Waiblinger, S., 2015. The influence of gentle interactions on avoidance distance towards humans, weight gain and physiological parameters in group-housed dairy calves. Applied Animal Behaviour Science 172, 9-16.

  • Soberon, F., Van Amburgh, M.E., 2013. Lactation Biology Symposium: the effect of nutrient intake from milk or milk replacer of preweaned dairy calves on lactation milk yield as adults: a meta-analysis of current data. Journal of Animal Science 91, 706-712.