Feld & Stall

Horntragende Milchkühe im Laufstall

Der Einfluss von Stall und Herdenführung

von Ulrich Mück

 

Hörnertragende Kühe im Laufstall – geht das gut? Für viele Betriebe, gerade Umsteller, ist das eine Frage von Bedeutung und auch manch erfahrener Biobetrieb hat hier mitunter Probleme, meist mit Tierverletzungen durch Hornstöße. Denn Herden in Laufställen erfordern sowohl­ ein passendes Management als auch entsprechend bauliche Voraussetzungen­ bzw. Stalleinrichtungen.

 

Was hier geeignet ist, dieser Frage ging ein mehrjähriges Entwicklungsprojekt zwischen Praxis, Beratung und Forschung nach und unter­suchte, welche Faktoren des Stallbaus und der Herdenführung im Laufstall Einfluss auf eine möglichst ruhige Herde haben. Intensive wissenschaftliche Untersuchungen in 39 Öko-Milchviehbetrieben wurden von 2014 bis 2017 im Projekt durchgeführt, das durch das „Bundesprogramm Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft“ (BÖLN) gefördert wurde. Die beteiligten Betriebe befanden sich vorwiegend in Bayern und Baden-Württemberg, aber auch in Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Die Mehrzahl befand sich während des Projekts in der Umstellung auf Hornkühe, der andere Teil hatte eine bereits vollständig horntragende Herde. Auf sechs öffentlichen Veranstaltungen wurden die Ergebnisse im Rahmen des Wissenstransfers durch die beteiligten Berater bereits­ dargestellt.

 

Die umfangreichen Erhebungen von Julia Johns, Forscherin der Universität Kassel, auf den Betrieben bezogen sich auf die Haltungs- und Managementbedingungen. Bei je drei Besuchen in aufeinanderfolgenden Winterstallperioden wurden Schäden an den Tieren bonitiert und das Verhalten der Tiere während jeweils zwei Stunden im Umfeld der Melkzeiten intensiv beobachtet. Festgehalten wurden die Orte der Auseinandersetzungen im Stall und deren Art (mit Körperkontakt und ohne Körperkontakt). Das Ergebnis der Untersuchungen war zusammen mit einer Empfehlung der Forscher Grundlage für Beratungen der Betriebe durch die vier beteiligten Öko-Berater, darunter die Demeter-Berater Ulrich Mück und Hans-Josef­ Kremer. Gemeinsam mit den Betrieben entstanden Maßnahmenvorschläge für Verbesserungen der Haltungs- und Managementbedingungen in den bestehenden Ställen. Insofern wurde insbesondere nach kleinen Stellschrauben gesucht, die dann möglichst umgesetzt wurden.

 

Zugleich begleiteten die Berater den Erfahrungsaustausch der Betriebe untereinander, die sich in vier Regionalgruppen je siebenmal trafen. Derzeit wird wissenschaftlich ausgewertet, welche Aspekte über alle Betriebe hinweg besonders wichtige Erfolgs- oder auch Risikofaktoren sind. Außerdem befinden sich noch weitere Projektteile (zu den Themen Fressgitter, Weide und Eigenkontrolle) in Bearbeitung. 2018 soll das Projekt mit der Er­stellung eines Leitfadens für die Haltung horntragender Milchkühe abgeschlossen werden.

Forschungsprojekt „Hörner im Laufstall“

  • Projektpartner Universität Kassel, Demeter, Bioland

  • Laufzeit November 2014 – Dezember 2018

  • 39 Öko-Milchviehbetriebe bundesweit, mit 13–135 Milchkühen

  • 3 Erhebungen/Betrieb im Winter durch Universität Kassel

  • Behornte Tiere (Behornungsgrad) zu Beginn (Ø 65%), zum Ende (Ø 76%)

  • 4 regionale Arbeitsgruppen (Nord, Mitte, Südwest, Südost) begleitet und beraten von je einem Öko-Berater

  • 7 Treffen in den Regionalgruppen mit Austausch zwischen Betrieben, moderiert durch Berater

  • 3 Beratungsbesuche, mit Rückmeldung der Ergebnisse und Vereinbarung von Änderungsmaßnahmen

Verletzungen als Indikator

Ein deutlicher Gradmesser für die Herdenruhe und das Tierwohl ist die Anzahl der Schäden an den Tieren. Schäden sind offene Wunden, verkrustete Wunden und haarlose Stellen. Letztere haben zahlenmäßig den weitaus größten Anteil. Wunden verheilen inklusive Erneuerung des Fells nach etwa vier Monaten. Insofern gibt die durchschnittliche Anzahl von Schäden Auskunft über die Häufigkeit von Auseinandersetzungen in diesem Zeitraum. Die Ruhe in der Herde wurde außerdem anhand der beobachteten Auseinandersetzungen eingeschätzt. Die Anzahl und Art der Schäden wurde sehr genau untersucht. Bei Betrieben mit 30 oder weniger Tieren wurden alle Tiere untersucht, bei Betrieben mit mehr Tieren etwa die Hälfte. Es wurde unterschieden nach hornbedingten Schäden, Technopathien (durch Stalleinrichtungen hervorgerufen) und Schäden ungeklärter Ursache.

 

Das Ergebnis zeigt in Abb. 1 eine große Spannweite zwischen den Betrieben bei den hornbedingten Schäden je Tier, wobei Betriebe mit einem großen Anteil horntragender Kühe (lila Säulen) im Schnitt eine höhere Anzahl hornbedingter Schäden aufwiesen als solche mit geringerem Anteil (schwarze und graue Säulen), was zu erwarten war. Erstaunlicher ist, dass es Betriebe mit sehr hoher Anzahl an Schäden gab und gleichzeitig solche, die ausschließlich horntragende Kühe hielten, mit sehr wenigen Schäden je Tier. Dies zeigt, dass es ohne Probleme gelingen kann, horntragende Milchkühe im Laufstall zu halten. Andererseits gibt es auf vielen Betrieben erhebliche Verbesserungsmöglichkeiten. Auf Grundlage der erhobenen Daten und Diskussion zwischen Wissenschaftlern und Beratern im Projekt wurden Richtwerte für die Verletzungshäufigkeit festgelegt, in der Grafik 1 durch farbige Bereiche markiert: Der anzustrebende „Zielbereich“ (grün) liegt bei ≤ 5 Schäden/Tier, der „Toleranzbereich verbesserungswürdig“ (gelb) > 5 bis < 10 Schäden/Tier und der „Alarmbereich“ (rot) bei ≥ 10 Schäden/Tier. Unter den sehr guten und guten Betrieben mit wenigen Schäden und einem Behornungsgrad ≥ 70% sind sowohl kleine Betriebe als auch Betriebe mit bis zu 80 Milchkühen.

Orte der Auseinandersetzungen

Die Beobachtung der Auseinandersetzungen im Stall brachte klärende Erkenntnisse: Wo finden sie statt? Welche Einflüsse auf die Haltungsbedingungen für eine ruhige Herde mit wenigen Auseinandersetzungen lassen sich daraus ableiten? Ich möchte im Nachfolgenden einige Ergebnisse aus dem Projekt herausgreifen und anhand der Erfahrungen und Auffassungen, die ich im Austausch mit vielen Praktikern gewonnen habe, interpretieren.

 

In Abbildung 2 sind die beobachteten Auseinandersetzungen mit Körperkontakt anteilig an der Gesamtzahl der Auseinandersetzungen zu sehen, die den beobachteten Orten farbig zugeordnet sind. Jede Säule stellt einen Betrieb dar, darunter angegeben die Betriebsnummer und der entsprechende Behornungsgrad des Betriebes. Über alle Betriebe hinweg fanden im Wartebereich (gelb) die meisten Auseinandersetzungen statt. Der Fressbereich (blau) folgt erst an zweiter Stelle. Beobachtet wurde dieser ab dem Zeitpunkt des Auslassens aus dem Fressgitter. Als dritt-häufigster Ort von Auseinandersetzungen während des Beobachtungszeitraums folgt der Austrieb aus dem Melkstand bis zum Fressgitter (braun). Weitere bemerkenswerte, aber deutlich weniger häufige Auseinandersetzungen finden an den Tränken (grün), dem Laufbereich (rosa) und im Liegebereich (dunkelbraun) statt. Sackgassen dagegen waren völlig ohne Bedeutung und sind kein regelmäßiger Ort von Auseinandersetzungen, obwohl sie bisher in der Literatur als entscheidender negativer stallbaulicher Faktor für die Haltung horntragender Kühe genannt wurden. In unserer Untersuchung haben Betriebe mit Sackgassen im Schnitt sogar bessere Ergebnisse erzielt als solche ohne, was aber auch an anderen Eigenschaften dieser Betriebe liegen kann.

 

Insgesamt sind die Orte der Ausein­andersetzungen betriebsspezifisch sehr unterschiedlich. Neben den Betrieben, bei denen der Wartebereich (gelb) Probleme bereitet, gibt es solche mit Hauptproblem im Fressbereich (blau), beim Austrieb aus dem Melkstand (braun) oder an den Tränken (grün).

Wartebereich und Futtermotivierung

Das Verstehen von Herde und Kern­elementen des Herdenverhaltens sehe ich als Schlüssel, um Auseinandersetzungen in der Herde zu mini­mieren („Rang und Vorrechte bei Rindern“, LE 2-2018 S. 34ff). Herdenführung durch den Bauern heißt aus meiner Sicht in erster Linie das Führen zum Futter. Das Recht auf Futter haben zuerst die hochrangigen Rinder. Auf dem Weg zum Futter wird den Kühen im Stall jedoch der Melkstand in den Weg gestellt. Hungrige Hochrangige müssen eventuell auf das Futter nach dem Melken warten oder die Herde wird womöglich so sortiert, dass niederrangige Rinder vor hochrangigen zum Stehen kommen. „Ärgerlichkeit“ und Aggressionen gegenüber Niederrangigen sind vorprogrammiert. Diese Auseinandersetzungen können dadurch verstärkt werden, dass es individuell zugeteiltes Leistungsfutter im Melkstand gibt. In geeigneten Melksystemen (Durchtreibemelkstand, Autotandem, AMS), in denen­ die Zuteilung unmittelbar durch den Melker erfolgt, die Menge­ nur gering ist oder die Menge der Zuteilung durch die Tiere von anderen nicht wahrgenommen werden kann, können meiner Meinung nach diese Probleme vermieden werden.

 

So unterstreichen die Untersuchungsergebnisse, wenn man den Wartebereich bereits als „futter­motivierten“ Bereich einbezieht, dass der überwiegende Teil der Auseinandersetzungen zwischen horntragenden Kühen wegen des Futters bzw. des dort besonders stark auftretenden Hoheitsanspruchs der Hochrangigen stattfindet: Wartebereich, Fressbereich, Austrieb aus dem Melkstand und Kraftfutterstation sind in diesem Sinn in den meisten Betrieben „futtermotivierte“ Orte, in denen über 75 % der Auseinandersetzungen mit Körperkontakt während der beobachteten Zeiträume im Stall stattfanden. Zwar wurden diese nur in den zwei Stunden um das Melken und die Fütterung herum beobachtet, allerdings hatten andere längerfristige Beobachtungen in Milchvieh­herden ergeben, dass in diesen Situa­tionen die meisten Auseinandersetzungen auftreten.

Mit oder ohne Fixierung am Fressgitter ?

Im Fressbereich finden am zweithäufigsten rangordnungsbedingte Auseinandersetzungen mit Körperkontakt und viele Verdrängungen statt. Ein (Bogen-)Selbstfangfressgitter kann diese Situation während definierter Fütterungszeiten deutlich verbessern, sofern es keine Mängel hat und die Tiere zu 100 % fixiert werden.

 

Falls sich Tiere befreien können und Kränkungen der Hochrangigen erfolgen (siehe Artikel in LE 2/2018), kann jedoch das Gegenteil der Fall sein. Das Fixieren der Tiere ermöglicht ruhiges Fressen, sofern eine ausreichende Fressplatzbreite oder bzw. und überzählige Fressplätze angeboten werden. Günstig ist nach meiner Erfahrung ein Fressplatz-Tier-Verhältnis von 1:1,1. Durch ein Selbstfangfressgitter mit Einsperrzeiten kann die Futteraufnahme am Futtertisch auf „Ruhe“ geprägt und weitgehend aus rangordnungsbedingtem Konkurrenzverhalten ausgenommen werden. Es wird ruhig gefressen, und auch den Niederrangigen wird eine ausreichende und unbedrängte Futteraufnahme ermöglicht. Danach besteht das Bedürfnis zu trinken oder sich abzulegen.

 

Damit die Hochrangigen zuerst trinken können und keine Engpässe an den Tränken entstehen, ist es empfehlenswert, die Kühe gruppenweise nacheinander auszulassen und genügend Tränken anzubieten. Bei Heumilchbetrieben haben die Kühe nach dem Fressen ein höheres Tränkebedürfnis. Das Angebot an Tränken muss höher sein, um die Tränke nicht zum Fokus von Aus­einandersetzungen zu machen. Während für Silobetriebe mindestens eine Tränke für 10 Kühe vorhanden sein sollte, ist für Heumilch-Be­triebe eine Tränke für 6 bis 8 Kühe empfehlenswert.

 

Eine Fixierung am Fressgitter im Winter ist möglicherweise dennoch verzichtbar bei gleichmäßiger und ständiger Futtervorlage. Also bei schmalem Futtertisch oder bei häufigem Heranräumen des Futters (z. B. Anschieberoboter) und bei separater Ausgabe von Kraftfutter (Melkroboter bzw. Kraftfutter­station mit seitlichem vorderen Ausgang mit Warteplatz danach). Im Projekt konnte das allerdings nicht untersucht werden.

 

Zu beachten ist der Ort und die Fütterung­ von Kraftfutter. Dessen Ausgabe erhöht die Futterkonkurrenz und hat ein starkes Potenzial die Herdenruhe zu stören. Die Ergebnisse des Projektes bestätigen Praktikererfahrungen. Je mehr Kraftfutter je Tier und Tag gefüttert wird, umso mehr Auseinander­setzungen mit Körperkontakt im Fressbereich gibt es. Dagegen waren­ bei verstärkter Heufütterung bzw. in Heumilchbetrieben weniger Schäden an den Tieren und weni­ger Auseinandersetzungen festzustellen.

 

In einem in der kommenden Aus­gabe (LE 4-2018) folgenden Beitrag wird am Beispiel von untersuchten Einzelbetrieben auf Gestaltungsmöglichkeiten der Haltung und Herdenführung von horntragenden Milchkühen hinsichtlich einer möglichst ruhigen Herde eingegangen.

 

Ulrich Mück ist Demeter-Berater in Bayern

 

Quelle: BÖLN-Projekt 2812NA104 „Hörner im Laufstall”, Darstellungen von Dr. Julia Johns, 2017. Die vollständigen Ergebnisse werden Ende des Jahres 2018 veröffentlicht.