Feld & Stall

Mit vereinten Gärten

Biozüchtung als Gemeinschaftsaufgabe

von Ulrike Elliger

Im Projekt „Mit vereinten Gärten“ suchen die Schweizer Biosaatgutproduzentin „Sativa Rheinau AG“ und die Stiftung „ProSpecieRara“ mit einem großen Netzwerk von Hobby- und Profigärtnern nach robusten Salatsorten, die auch mit Mehltaubefall noch verkaufsfähig sind und über lange Zeit und in unterschiedlichen klimatischen Bedingungen widerstandsfähig bleiben. Im dritten Versuchsanbau 2021 wurden Salattestlinien in 1.900 Gärten in der Schweiz, Belgien, Deutschland, Österreich, Frankreich und der Niederlande angebaut.

Toleranz statt Resistenz

Moderne Sorten bieten leider keinen langfristigen Schutz vor falschem Mehltau (Bremia), da deren eingekreuzte Resistenz schnell vom Erreger durchbrochen werden kann. Das Konzept der Sativa setzt deshalb auf Toleranz statt Resistenz. Die Salattestlinien entstehen daher aus der Kreuzung alter, widerstandsfähiger, toleranter Sorten mit Salatsorten, deren Eigenschaften wie Kopfform, Farbe, Geschmack etc. den Ansprüchen des modernen Biosalatanbaus entsprechen. Aufgrund der enormen geographischen Verteilung der verschiedenen Bremia-Rassen, müssen die „halbfertigen“, aus diesen Kreuzungen entstandenen, Salat-Testlinien nun an möglichst vielen verschiedenen Standorten auf ihre Mehltau-Toleranz getestet werden.

Neue Wege gehen mit Citizen Science

Allein ist diese Aufgabe für ein Unternehmen kaum zu bewälti-gen. Mit Hilfe vieler Hobby- und Profigärtner aus verschiedenen europäischen Ländern schon. Deshalb setzt das Züchtungsprojekt auf das Citizen Science-Konzept: in einem Citizen Science Projekt werden wissenschaftliche Arbeiten von Nichtwissenschaftlern ausgeführt. Solche Projekte bieten sich vor allem an, wenn es um das Sammeln von vielen Daten geht.

Biozüchtung im eigenen Garten

Bei „Mit vereinten Gärten“ bauen die Versuchsteilnehmenden im Zeitraum von Mitte Juni bis Ende Oktober die Salattestlinien aus der Sativa- Züchtung im eigenen Garten an. Zum Zeitpunkt der Erntereife bewerten sie den Grad des Mehltaubefalls. Durch die Rückmeldung der Versuchsergebnisse können dann die besten Linien selektiert und schlechte Linien ausgesondert werden. In jeder Versuchssaison werden etwa 60 neue Salatlinien getestet.

Züchtung mit einem Netzwerk: Chance und Herausforderung

Für belastbare Ergebnisse sollten möglichst viele Wiederholungen in unterschied­lichen Umweltbedingungen stattfinden. Genau diesen Vorteil bietet das Gartennetzwerk. Aber es gibt auch zu lösende Herausforderungen. Das Züch­­tungsprojekt muss zum einen wissenschaftlichen Kriterien standhalten und zum anderen für die Teilnehmenden verständlich und umsetzbar sein. Ein entscheidender Faktor ist die Qualität der zurückgemeldeten Daten. Für eine gute Datenqualität müssen die Teilnehmer so angeleitet werden, dass der Versuch möglichst uniform durchgeführt und bonitiert wird. Auch muss festgestellt werden, welchen Einfluss die Sorte (Genotyp) bzw. die Umweltbedingungen und der Anbau auf den Mehltaubefall haben. Dafür dokumentieren alle Versuchsteilnehmerinnen die Umweltbedingungen bei ihrem Versuchsanbau in einem Fragebogen. Dieser Faktor wird in die Datenauswertung mit einbezogen. Zusätzlich werden Anbau- und Umweltbedingungen sowie die Anbauzeiträume überprüft, um zu sehen, ob die Ergebnisse plausibel sind.

Auch das Netzwerk selbst wird geprüft. In jedem Versuchsjahr befinden sich fertige mehltauresistente Salatsorten unter den Test­linien. Befinden sich diese Sorten in der Gesamtauswertung unter den ersten Favoriten, kann man davon ausgehen, dass das Netzwerk zuverlässige Rückmeldung über die Mehltautoleranz einer Testlinie gibt. Für die Auswertung der Daten gibt es bisher noch kein Standard­verfahren, so dass die Methoden laufend weiterentwickelt werden.

Damit der Versuchsanbau von allen Teilnehmenden möglichst gleich und korrekt umgesetzt wird, ist eine gute Kommunikation notwendig. Eine genaue Anleitung und alle wichtigen Informationen zum Versuchsanbau befinden sich im Projekthandbuch. Zusätzlich begleitet das Projektteam die Gärtner über die gesamte Anbauzeit mit Newslettern und steht via Mail für Fragen zur Verfügung. Im Online-Forum können sich alle Projektgärtnerinnen gegenseitig austauschen und informieren.

Wie läuft ein Versuchsanbau?

Die Projektgärtner wählen bei der Anmeldung über die Projektwebsite die Anzahl der Salattestlinien aus: 2, 4 oder 6 Testlinien, was einer Anbaufläche von mindestens 5m² bis maximal 15m² entspricht. Anfang Juni erhält jeder das Projektpaket mit dem Versuchssaatgut, dem Handbuch sowie den Etiketten mit der Sortenkennzeichnung für die Voranzucht und Auspflanzung der Testlinien. Je nach Klimaregion erfolgt die Aussaat zwischen Juni (kühle und hochgelegene Regionen) und August (warme Regionen). Im Optimalfall sollten 20 Pflanzen pro Testlinie ausgepflanzt werden, sodass zum Zeitpunkt der Erntereife mindestens 10 Pflanzen vorhanden sind. Damit der Gesamtbestand einer Versuchslinie auf den Grad des Mehltaubefalls zuverlässig bewertet werden kann, sollten die Pflanzen beieinanderstehen und klar gekennzeichnet werden. Sobald die Salate verkaufsfähige Köpfe gebildet haben, erfolgt die Mehltaubonitur mit Hilfe einer Anleitung und eines Fragebogens im Handbuch. Die Ergebnisse werden online über einen Datenerfassungsbogen eingegeben und vom Züchtungsteam der Sativa ausgewertet.

Bisherige Ergebnisse und wie es weiter geht

Erst nach dem 2. Versuchsanbau 2020 konnten sieben mehltautolerante Linien identifiziert werden. 2021 wurden von diesen Linien vier erneut im Netzwerk getestet. Die zwei hervorgegangenen Favoriten gehen 2022 in die Saatgutvermehrung und werden 2023 bei verschiedenen Anbauern einem Praxistest unterzogen. Dabei werden sie erstmalig auf größeren Flächen angebaut, um Erntefähigkeit, Reifehomogenität und Haltbarkeit am Feld zu prüfen, sowie den Einfluss saisonabhängiger Stressoren auf die Salate einzuschätzen. Mit fünf Jahren Vorzüchtung bei der Sativa, zwei Testjahren im Netzwerk „Mit vereinten Gärten“ und einem bestandenem Praxisjahr könnten 2024 nach acht Jahren Züchtungszeit die ersten zwei neuen mehltautoleranten Sorten angemeldet werden. Im Versuchsjahr 2022 geht es mit diesem Zyklus weiter. Getestet werden im 2.Testjahr 17 Favoriten aus dem Versuchsanbau 2021, 34 neue Linien und 10 fertige Standardsorten.

Biohöfe, Gärtnereien, Solawis, urbane Gartenprojekte, Schulgärten oder Hobbygärtner – was sie eint ist Experimentierfreude, Spaß an wissenschaftlichem Arbeiten und der Wunsch, einen Beitrag zur nachhaltigen Lebensmittelerzeugung zu leisten. Wie etwa Rafael Rieck aus der Eifel, der am Versuchsanbau 2021 teilnahm. Seit 40 Jahren ist der 78jährige ehemalige Lehrer ein passionierter Hobbygärtner. Seine Motivation: „Endlich den Samenfabriken Paroli bieten und untersuchen, welche Salatsorten besonders gut in der Eifel wachsen.“ „Ich hätte nie gedacht, dass ich durch das Projekt mit so vielen anderen Hobbygärtnern in Kontakt komme und Neues erfahre. Begonnen habe ich mit zwei Testlinien auf ca. acht Quadratmetern. Dann kam der „Flutsommer“: Regen, Regen, Regen, Kältegrade im September und Oktober, Schneckeninvasionen. Aber „meine“ Salate haben ziemlich gut durchgehalten, was ich zu Beginn nicht für möglich gehalten habe: Sie wurden groß, bekamen nur wenig falschen Mehltau und sie schmeckten hervorragend. Nächstes Jahr bin ich mit einer größeren Fläche wieder dabei.“

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