Feld & Stall

HUMUSZERTIFIKATE

Klimaschutz oder Greenwashing?

von Christopher Brock

Die Verbrennung fossiler Energieträger erzeugt CO 2, welches als Treibhausgas maßgeblich zum aktuellen Klimawandel beiträgt, dessen Folgen wir zunehmend zu spüren bekommen. Humuszertifikate sind deshalb doch eigentlich eine gute Idee: Firmen bezahlen Landwirte dafür, dass letztere über Humusaufbau Kohlenstoff im Boden binden und so die Treibhausgasemissionen der ersteren ausgleichen. Tatsächlich sind die Böden – nach den Meeren – der größte Kohlenstoffspeicher auf unserer Welt und können noch erhebliche Mengen Kohlenstoff aufnehmen. Die „4 per 1000“-Initiative etwa schätzt, dass bereits ein mittlerer Aufbau der Kohlenstoffvorräte der Böden um 0,4 % pro Jahr ausreicht, um ca. 30 % der jährlichen globalen Treibhausgasemissionen auszugleichen. Sind Humuszertifikate also ein win-win-Geschäft für Landwirtschaft und Klima?

Die Frage kann man nur mit einem klaren „Jein“ beantworten, denn die Sache hat neben einigen durchaus erheblichen Vorteilen auch ein paar ebenfalls erhebliche Haken.

Organische Bodensubstanz ist die Basis nachhaltiger Landwirtschaft

Zunächst zu den Vorteilen: Wenn Humus – eigentlich besser: organische Substanz – im Boden aufgebaut wird, dann ist das prinzipiell eine gute Sache, denn die Versorgung der Böden mit organischer Substanz ist ein Schlüsselfaktor der Bodenfruchtbarkeit. Alle Formen des ökologischen Landbaus (einschließlich der biodynamischen Wirtschaftsweise) bauen auf der Förderung der Bodenfruchtbarkeit auf und zeigen eindrucksvoll, wie auf dieser Grundlage erfolgreich und ohne chemisch-synthetische Dünger und Pflanzenschutzmittel gewirtschaftet werden kann. Und selbst bei konventioneller Bewirtschaftung hat die Versorgung der Böden mit organischer Substanz einen Einfluss auf das Ertragspotenzial und die Ertragsstabilität eines Standortes – neben weiteren positiven Effekten, etwa auf die Biodiversität oder die Wasseraufnahmefähigkeit. Die Effekte auf Ertrag und Ertragsstabilität hängen übrigens mit diesen Effekten zusammen, denn es ist alles ein Organismus.

Kohlenstoff wird im Boden dynamisch gebunden

Weiterhin kann man Kohlenstoff im Boden binden und damit zu einer Entlastung der Atmosphäre beitragen. Welche Menge an Kohlenstoff ein Boden dabei binden kann, hängt von der Bodenart und der Bodenstruktur ab. Es hat sich inzwischen nämlich gezeigt, dass es (fast) keine chemisch stabilen organischen Substanzen im Boden gibt – die Bodenorganismen können alles umsetzen, wenn die Lebensbedingungen gut sind und sie an das Material herankommen. Im Boden bleibt daher nur Material übrig, welches an Mineraloberflächen anhaftet oder in Bodenaggregaten und Feinporen steckt und dadurch vor dem mikrobiellen Umsatz geschützt ist. Auf diese Weise kann eine Aminosäure im Boden ggf. länger überdauern als das chemisch eigentlich viel stabilere Lignin.

Sind die „stabilen Plätze“ eines Bodens mit Kohlenstoff (bzw. mit organischer Substanz) belegt – bei leichten Böden ist das sehr viel schneller der Fall als bei Schweren – dann kann weitere organische Substanz nur ungeschützt gespeichert werden. Hier stellt sich mit der Zeit ein Gleichgewicht zwischen Auf- und Abbau organischer Substanz ein, wobei Abbau bedeutet, dass frisches und bereits im Boden vorhandenes Material durch Bodenorganismen verstoffwechselt wird, während zum Aufbau das frische Material selbst, aber auch das Wachstum bzw. die Vermehrung der Organismen und deren Stoffwechselprodukte zählen. Eine Zunahme organischer Bodensubstanz erfolgt so lange, wie die Zufuhr an organischer Substanz größer ist als der Abbau. Theoretisch können so gewaltige Mengen an organischer Bodensubstanz und damit Kohlenstoff selbst auf leichten Böden sozusagen dynamisch gespeichert werden. Praktisch nehmen mit einer übermäßigen Zufuhr an organischer Substanz aber auch die unproduktiven und umweltschädlichen Stoffverluste zu, v. a. Nitratauswaschung und Lachgasemissionen. Die Versorgung der Böden mit organischer Substanz darf sich daher nicht allein an der Menge an eingelagertem Kohlenstoff orientieren, sondern muss zum System passen

Biokohle kann eine sinnvolle Ergänzung sein

Eine sehr umsatzträge Alternative für den Kohlenstoffaufbau ist Biokohle. Diese ist tatsächlich sehr langfristig stabil und hat zudem positive Effekte auf das Wasserhaltevermögen und die Stoffbindungsfähigkeit von Böden. Allerdings gilt das nach aktuellem Kenntnisstand nur für Kohle aus Pyrolyseverfahren, die bei hohen Temperaturen von mehr als 450°C unter Luftabschluss erzeugt wurde. Andere Biokohlen erzeugen bei der Herstellung umweltschädliche Emissionen, sind selbst mit organischen Schadstoffen, den durch die Verkohlung entstehenden PAK – polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe, belastet und zudem im Boden nicht einmal sehr stabil. Außerdem muss natürlich eine Stoffstromkonkurrenz mit anderen, möglicherweise sinnvolleren Nutzungen der Biomasse vermieden werden. Wird all das beachtet, hat Biokohle durchaus einen nicht geringen Wert für den Boden und das Klima.

Die Schätzung der C-Bindung im Boden ist zwangsläufig ungenau

Zurück zu den Humuszertifikaten: Wir haben also festgestellt, dass Böden erhebliche Mengen Kohlenstoff speichern können und dass dies auch noch zur Förderung der Bodenfruchtbarkeit beiträgt. Wo also ist der Haken?

Zum einen können CO 2-Emissionen aus Industrie und Verkehr zwar recht gut beziffert werden, die C-Bindung im Boden ist allerdings ein ökologischer Prozess und damit räumlich und zeitlich in Abhängigkeit von den Umweltbedingungen sehr variabel. Ein Monitoring auf Grundlage von Messwerten ist daher sehr aufwändig. Modelle als Alternative geben zwar immer exakte Werte an, aber die sind eben nur berechnet. Die Erfassung der realen C-Bindung im Boden bleibt also sehr ungenau.

Niemand kann garantieren, dass der Kohlenstoff auch im Boden bleibt

Der wesentliche Punkt ist aber, dass fossiler Kohlenstoff und Bodenkohlenstoff zu zwei unterschiedlichen Kreisläufen gehören: Fossiler Kohlenstoff befindet sich im geologischen Kreislauf, der natürlich sehr lange Umsatzzeiten aufweist. Das Auffüllen des fossilen Kohlenstoffpools, den wir gerade aufzehren, dauert Jahrmillionen. Um Emissionen von fossilem C durch Speicherung in den Böden wirklich auszugleichen, müssten wir also sicherstellen, dass der Kohlenstoff auch tatsächlich zumindest für ein paar Jahrtausende im Boden bleibt. Dass kann in einem so dynamischen System aber niemand gewährleisten. Sollen und wollen Landwirte wirklich die Verantwortung dafür übernehmen, die Emissionen von fossilem Kohlenstoff auszugleichen? Dazu müssten sie sich über viele Generationen im Voraus verpflichten. Und wer ist dann rechtlich dafür verantwortlich, dass der Emissionsausgleich auch tatsächlich stattfindet? Eigentlich die Zertifikatnehmenden, also die Landwirte.

Fazit

Der Aufbau von organischer Bodensubstanz ist von allergrößtem Wert für nachhaltige, resiliente Agrarsysteme und verdient jede Unterstützung. Ein Ausgleich von C-Emissionen aus fossilen Energieträgern ist aber nur sehr eingeschränkt möglich. Firmen, die (umuszertiïkate kaufen, muss klar sein, dass sie wichtige Umweltleistungen unterstützen, die den eigenen Umstieg auf regenerative Energieträger sinnvoll ergänzen, aber keinesfalls ersetzen können. Am Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger führt kein Weg vorbei, wenn wir das Klima schützen wollen.

Autor: Dr. Christopher Brock
Forschungskoordinator Demeter e.V.
christopher.brock(at)demeter.de