Hintergrund

Das Recht sich zu ernähren

Freiheit durch Freihöfe

von Rolf Künnemann

 

„Wes Brot ich ess, dess' Lied ich sing.“ Unsere Ernährung ist nicht nur entscheidend für unsere Gesundheit und für unsere gemeinsamen Lebensgrundlagen (Böden, Gewässer, Klima, Artenvielfalt) – sondern auch für unsere Freiheit. Wer die Lebensgrundlagen anderer kontrolliert, hat die anderen in der Hand – kann sie unterdrücken. Freiheit ist die Abwesenheit von Unterdrückung. Menschenrechte, z. B. auf ein faires Gerichtsverfahren, angemessene Nahrung, politische Teilhabe, Zugang zu Bildung sind Voraussetzung der Freiheit. Staaten können Menschenrechte anerkennen und gesetzlich niederlegen – aber erschaffen können sie sie nicht. Menschenrechte sind den Staaten vorgegeben.

 

Menschenrechte sind die Quelle von Staatenpflichten. Drei Typen von Staatenpflichten gibt es. Sie sind für alle Menschenrechte gleich. Beim Recht auf angemessene Nahrung haben sie die folgende Form: 1. Staaten müssen den Zugang zu angemessener Nahrung respektieren (dürfen ihn also nicht zerstören, etwa durch staatliche Landvertreibung), 2. Staaten müssen diesen Zugang vor der Zerstörung durch Dritte schützen (etwa gegen private Landvertreibung), 3. Staaten müssen für diejenigen Menschen, die sich angemessene Nahrung nicht beschaffen können, diesen Zugang so schnell wie möglich gewährleisten (etwa durch Agrarreformen und soziale Transferleistungen). Der Zugang zu angemessener Nahrung muss übrigens für alle auch stets ökologisch nachhaltig sein, weil sonst eine Diskriminierung zukünftiger Generationen stattfände. Eine Missachtung dieser Staatenpflichten oder eine Diskriminierung bei deren Umsetzung wird „Menschenrechtverletzung“ genannt.

Staat in der Pflicht

Menschenrechte wie das Recht auf Nahrung sind keine staatliche Moral, sondern Recht. Seit dem Inkrafttreten der Menschenrechtspakte 1976 sind sie auch Bestandteil des internationalen Vertragsrechts. Die UN haben das Menschenrecht auf Nahrung 1999 kommentiert und dabei die Staatenpflichten weiter verdeutlicht. Seit 2004 gibt es Leitlinien zum Recht auf Nahrung der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft FAO. Dennoch gehört das Menschenrecht auf angemessene Nahrung, selbst in seiner elementarsten Form als „Freiheit von Hunger“, zu den weltweit am meisten verletzten Menschenrechten. Die Staatenpflichten sind klar, die Ressourcen sind da. Aber nur allzu oft missachten Regierungen den Zugang ländlicher Gemeinschaften zu ihren Ressourcen, schützen sie nicht vor dem Zugriff reicher und mächtiger Interessengruppen und richten die Agrarpolitik an diesen Interessengruppen aus statt am Menschenrecht auf Nahrung. Obendrein verweigern sie den Hungernden rechtlich garantierte Transferleistungen.

 

Das Menschenrecht auf Nahrung ist aber nicht nur das Recht auf Transfers, sondern das Recht sich – gemeinsam mit anderen – selbst zu ernähren. Der Zugang zu den lebensnotwendigen Ressourcen gehört zu diesem Recht, aber auch die Übernahme von Mitverantwortung für die Erzeugung der eigenen Lebensmittel. Diese Mitverantwortung muss teilweise erst wieder erlernt werden. Gedankenlos verlassen sich viele Zeitgenossen auf die Supermärkte und ggf. deren „Bioprodukte“, und sehen nicht, wie dadurch die Qualität unserer Nahrung sinkt, die Gesundheit der Böden und Gewässer zerfällt, das Klima kippt, wie immer mehr Bauern aufgeben und unser Ernährungssystem zunehmend in die Hände großer Konzerne gerät.

Versorgung mitgestalten

Wer das Menschenrecht, sich zu ernähren, wahrnehmen will, kann es nicht dabei belassen, sich im eigenen Schrebergarten oder auf dem eigenen Hof selbst zu ernähren. Er muss Mitverantwortung dafür übernehmen, dass unsere Landwirtschaft eine solidarische Landwirtschaft wird, z. B. indem sich Menschengemeinschaften als „Hofgruppen“ mit zukunftsfähig produzierenden Höfen verbinden. Diese Hofgruppen leben meist in den Städten. Jede Hofgruppe garantiert die Existenz „ihres“ Hofes im Voraus und erhält dafür im Gegenzug Anteil an den Erzeugnissen des Hofes. Der Bauer kann dabei seinen Hof im Eigentum halten. Landwirte und Hofgruppen haben zahlreiche wirtschaftliche und soziale Vorteile, von der Sicherung des Hofes bis zur lokalen gesunden Nahrung zu günstigen Kosten. Beide Seiten werden krisenfest und frei. Sieben solche Freihöfe gibt es schon in Deutschland, und das Interesse an dieser solidarischen Landwirtschaft wächst. Wer mehr darüber wissen will, wer sich einer Hofgruppe anschließen oder seinen Hof zu einem „Freihof“ machen will, wende sich bitte an den Autor.

 

Autor:

Dr. Rolf Künnemann ist Human Rights Director bei FIAN International, der Menschenrechtsorganisation für das Recht, sich zu ernähren. kuennemann(at)fian.org