Hintergrund

Höfe im Wandel

Den hofeigenen Schwerpunkt erkennen und fördern

von Matthias Zaiser

 

Es ist nicht zu übersehen: Der biologisch-dynamische Anspruch steht zunehmend in krassem Widerspruch zu den wirtschaftlichen Notwendigkeiten auf den Höfen. Dabei ist zu erleben, dass Fleiß und Überzeugung immer weniger ausreichen, um die aufgehende Schere von Ökologie und Ökonomie zu schließen. Der Blick auf die erfolgreichen Betriebe zeigt, entgegen jeder betriebswirtschaftlichen Vermutung, dass es auf die individuelle Lösung des einzelnen Hofes ankommt.

 

„Auf meinem Hof materialisiert sich meine Vision“, so beschrieb dies neulich ein preisgekrönter Landwirt. Das heißt im biologisch-dynamischen Sprachgebrauch: Die jeweilige Hofindividualität muss entwickelt werden. Hierzu gehört das Zusammenwirken von Hof, Landwirt und dem dazugehörigen sozialen Umfeld. Doch wie ist diese Entwicklung zu steuern und bewusst betriebswirtschaftlich einzusetzen? Im Folgenden soll sich dieser Frage angenähert werden. Dazu werden betriebswirtschaftliche Charakteristika der typischen vier Bereiche von der Produktion bis zur Vermarktung von Lebensmitteln beschrieben. Ziel ist es, ein erweitertes Ökonomie-Verständnis zu entwickeln, um die „Begabungen“ des eigenen Betriebes und die wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten in einem Gesamtzusammenhang zu reflektieren und zukünftig gestalten zu können.

Ebene 1: Erzeugung

Hierbei handelt es sich um die klassische landwirtschaftliche Produktion. Es braucht dazu landwirtschaftliches Fachwissen und Leidenschaft für das Produzieren. Klassischerweise wird hier mit Deckungsbeiträgen gerechnet. Die natürliche Ausstattung, das persönliche Geschick und der Marktpreis bestimmen den Erfolg, wobei der Preis dabei in aller Regel vom Markt vorgegeben ist. Der Landwirt agiert anonym auf einem meist internationalen Markt. Hier ist er am stärksten der ökonomischen Rationalität von Wachsen oder Weichen ausgesetzt. Die Bodengüte, der Spezialisierungsgrad und die technische Ausstattung sind bestimmende Leistungsfaktoren.

Ebene 2: Verarbeitung und Dienstleistung

Der Produktion werden Verarbeitungsstufen und /oder weitere Dienstleistungsbetriebe (Pädagogik, Sozialtherapie, Lohnarbeiten, etc.) angegliedert. Der Betrieb diversifiziert sich und nimmt Anteil an der Wertschöpfungskette. Wichtig ist hierfür das betriebswirtschaftliche Verständnis unterschiedlicher Gewerke. Es bedarf des Vergleiches mit aktuellen Branchenkennzahlen, um die Leistungsfähigkeit des Betriebes zu messen. Der Betriebsleiter muss seine Rollen wechseln und komplexe Aufgaben in der Organisation seines vielfältigen Betriebes anleiten. Über die Veredelungsprodukte entwickelt der Hof einen Bekanntheitsgrad. Es bilden sich regionale Marken aus, mit unterschiedlichen Prägungen der einzelnen Regionen. Vielfalt des landwirtschaftlichen Betriebes zeigt sich auf dieser Ebene nicht mehr nur an der landwirtschaftlichen Vielfalt (Fruchtfolge, Tierbesatz, erweiterter Naturzusammenhang), sondern auch an den unterschiedlichen menschlichen Gewerken auf dem Hof.

Ebene 3: Handel

Neben der Produktion und Veredelung wird auch die Vermarktung in die eigene Hand genommen. Bei direktvermarktenden Betrieben geht es um das unternehmerische Engagement bis direkt zum Kunden. Es geht um den gesamten Unternehmensauftritt und insbesondere um die Menschen oder das Gesicht hinter der Marke auf einem lokalen Markt. Betriebswirtschaftlich spielt die Handelsspanne die wesentliche Rolle und die Frage: Kalkuliere ich die einzelnen Produkte/ Produktgruppen richtig? Liegen diese Höfe oder Vermarktungszusammenschlüsse marktfern, übernehmen Händler oder Wiederverkäufer die Vermarktungsaktivität. Der Umgang mit dem seelischen Element ist auf dieser Ebene entscheidend, in der Vermarktung – beim Handel und am „Point of sale“, wenn Gefühle entscheiden.

Ebene 4: freie Assoziation

Nachdem die vorige Ebene noch auf dem klassischen Marktmodell von Angebot und Nachfrage aufbaut, wird dies auf Ebene 4 entkoppelt. Es gibt keine „unsichtbare Hand“ mehr, die das Marktgeschehen beeinflusst. Hierzu zählen die Modelle einer Wirtschaftsgemeinschaft (im englischen Sprachraum CSA genannt, Community supported agriculture). Der Hof wird von Menschen getragen, die sich möglichst vielseitig vom Hof ernähren wollen und im Gegenzug für die entsprechenden Kosten aufkommen. Ein solcher Hof muss sich vielseitig entwickeln, um die Bedürfnisse der ihn beauftragenden Solidargemeinschaft umfassend bedienen zu können. Dabei ist hohes kommunikatives Geschick und Organisationstalent von Nöten und das Vertrauen in eine assoziativ gestaltete Sozialgemeinschaft. Der Hof entwickelt sich direkt von Mensch zu Mensch im gegenseitigen Vertrauen auf eine gemeinsame Idee. (s. a. S. 52)

Die Begabung entwickeln

Die oben aufgeführten vier Skizzen wirtschaftlicher Aktivitäten geben einen Rahmen, um die landwirtschaftliche „Begabung“ eines Hofes ökonomisch zu erfassen. Sie zeigen im Spannungsbogen von Ökologie und Ökonomie über die vier Ebenen hinweg folgende Entwicklung auf:

 

• von der Spezialisierung in die Vielfalt,

• aus der Anonymität hin zu einem Verhältnis von Mensch zu Mensch,

• von einer passiven zu einer aktiven und damit unabhängigeren Positionierung am Markt.

 

Die vier betriebswirtschaftlichen Ebenen werfen für die eigene Betriebsentwicklung somit die wesentlichen Fragen auf: Wo stehe ich, bzw. was will ich und was kann ich als Landwirt leisten, wie beeinflusst die Lage und Ausstattung des Hofes die Entwicklung und wer ist mein soziales Umfeld?

 

Wenn ich auf Ebene 1 produziere, brauche ich andere Partner entlang der Wertschöpfungskette, um meinen Anspruch an Ökologie und Biodynamische Wirtschaftsweise umzusetzen, als wenn ich als Hof oder Vermarktungszusammenschluss mit Kollegen, wie in Ebene 2 bis 4, oder als Partner einer Wertschöpfungskette miteinander arbeite. Das heißt, gute Produktionsbetriebe brauchen Kooperationspartner entlang der Wertschöpfungskette, die die erzeugten Qualitäten in innovative Produkte verwandeln und zu vermarkten wissen. Gesucht werden muss das offene Gespräch einer „starken Markengemeinschaft“, um gerade diese Qualitäten zu entdecken und zu entwickeln. Engagement der Bauern, der Unternehmer in der handwerklichen Lebensmittelverarbeitung und der ökologischen Lebensmittelherstellung, sowie der Partnern im Handel ist dazu Bedingung.

 

Im Sinne von Ebene vier kann man darauf vertrauen, dass biologisch dynamische Lebensmittel genug „Inhalte“ haben, um den Konsumenten zu überzeugen: Klimafreundlichkeit, Regionalität, Geschmack und die Authentizität der Produkte – eine konsequente Geschichte vom Anfang bis zum Ende!

 

Matthias Zaiser,

Diplom Ökonom, staatl. geprüfter Landwirtschaftsgehilfe,

Tätig als Unternehmensberater, Coach & Projektentwickler mit dem Schwerpunkt ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft; Vorstandsmitglied der Stiftung Aktion Kulturland, Geschäftsführer der Landbauforschungsgesellschaft mbH, des gem. Trägers der Bauckhöfe und Partner im Beraterverbund agroviva

Matthias.Zaiser(at)betriebsentwicklung.de

Handlungsbedarf? Den Betrieb beurteilen:

Im grünen Bereich

  • Arbeit macht Sinn und (meist) Spass

  • genügend Zeit für Individuelles

  • Eigenkapital und Rücklagen werden gebildet

  • Ersatzinvestitionen aus Eigenkapital

  • Fremdkapital laufend abgebaut

  • angemessener Alterungsgrad bei Maschinen, Hoftechnik und Gebäuden

  • zeitnahe Rechnungszahlung, Skonto wird genutzt

Gelb – erste Warnzeichen:

  • Betrieb läuft, Einkommen reicht, aber:

  • Gefühl der (Arbeits-)Überlastung

  • länger keine Erneuerungsinvestitionen getätigt, Reparaturstau an Gebäuden und Maschinen

  • häufiger Rückgriff auf Rücklagen,

  • häufiges Liegenlassen von Rechnungen, bzw. steigende Lieferantenverbindlichkeiten

  • kaum geringere Gesamtverbindlichkeiten trotz geringerer Investitionen

Rot – Alarmzeichen:

  • Gefühl, den Überblick zu verlieren

  • anhaltender Notstand auf dem Girokonto

  • vermehrt Pannen: Tiergesundheit, Feld- und Lagerverluste, Hoftechnik

  • offene Rechnungen

  • Investition in Maschinen / Gebäude dringend, aber keine Rücklagen

  • Ersatzinvestitionen aus Fremdkapital

  • Kapitaldienst nicht voll bedient, kurzfristige Kredite

  • Darlehenstilgung aus Kontokorrent-Krediten

  • steigende Gesamtverbindlichkeiten trotz geringerer Investition

Maßnahmen:

  • Ziel setzen: Eigenkapitalbildung und Arbeitsumfang regelmäßig prüfen

  • Unterstützung in der persönlichen und betrieblichen Zielsetzung durch Coaching und Hofgespräche

  • Blick von außen holen: offenes Hofentwicklungsgespräch mit Beratung: persönliche / betriebliche Situation, Ausgaben, Leistungen, Förderung, Kredite, Versicherungen prüfen

  • Notfallplan mit Beratung durchgehen: Bankgespräch vorbereiten, Konsolidierung durch Rückzug, Nebenerwerb, Kapitalisierung durch (Teil-)Verpachtung, Flächen/ Maschinen- Teilverkauf,

 

Erhard Gapp und Matthias Zaiser, Agroviva Beraterverbund