Kurz & aktuell

Vorwärts in die Nische

Die Pioniere haben ihre Schuldigkeit noch nicht getan!

 

Der Biomarkt boomt. Zweistellige Wachstumsraten im dritten Jahr in Folge, zeigen:"Bio" ist im Lebensmittelmarkt angekommen, auch unabhängig von den Farben der Politik in Berlin. Doch die Integration in die "normalen" Strukturen des Marktes hat trotz deutlichem Volumenwachstum in der "Bio-Szene" möglicherweise mehr Verlierer als Gewinner. Billig produzieren und rationell vermarkten, das sind nicht die Stärken der bäuerlichen Biobetriebe und der selbständigen Naturkostläden. Und die vielgerühmte "Prozessqualität", für die insbesondere die großen Bioverbände stehen, wird im Kampf um die Kostenführerschaft in den stark wachsenden und umkämpften Massenmärkten zwar gern mitgenommen, aber nicht (ausreichend) honoriert.

 

Bio geht auch industriell. Hier zählt der EU-Bio Standard, das inzwischen weit verbreitete "Künast"-Biosiegel. Das bekommen auch die Demeter-Bauern zu spüren. Derzeit beweist sich im Biomarkt :auch hier funktioniert der Kapitalismus, wenn es sich rechnet. Der anhaltende Preisverfall hat auf der Erzeugerseite zur Stagnation bei der Umstellung geführt.

 

Die Pioniere haben ihre Schuldigkeit getan. Sie haben die Motive, Argumente, Ideen für "neue" Produkte und Märkte geliefert, sie haben die Produktionsverfahren und die "Spielregeln" geschaffen. Und sie haben für ausreichende Marktpotentiale gesorgt. Wenn die "Rezepte" und Märkte entwickelt sind, kommt die Zeit der "Profis". Sie "optimieren" die Kosten und maximieren damit ihre Gewinne. Und wie im Bereich regenerativer Energien und ökologischer Baumethoden gilt: Nach der Phase des ideologischen Bekämpfens folgt die Phase des neidvoll/kritischen Beobachtens und dann die der Übernahme der Marktanteile. Das läuft jetzt ab. Marktkenner haben bereits vor Jahren vorhergesagt: Bei zwei Prozent Öko-Anteil am Lebensmittelmarkt steigen die Supermärkte ein, bei drei Prozent die Discounter. Bei fünf Prozent werden die Discounter 50% Marktanteil haben.

 

Wenn es der Politik bei der Ausweitung des Biomarkes weiter nur um Ökoflächen auf der einen und preiswerte Bioprodukte auf der anderen Seite geht, dann werden wir uns wundern, wie wenig Arbeitskräften (in Deutschland) man für 20% Bioanteil in den Regalen der Lebensmittelhandelskonzerne braucht. Im Zeitalter von Massenarbeitslosigkeit und leeren Staatskassen sollten in der agrarpolitischen Debatte um die Verteilung von Staatsgeld für die Landwirtschaft endlich soziale Aspekte die Bedeutung erhalten, die für die Gründerväter des Ökolandbaus selbstverständlich waren.

 

Es wird Zeit, dass die Verbände des Ökolandbaus in ihrem Selbstverständnis und ihrer politischen Strategie über Umweltaspekte hinausblicken. Nicht nur in der Politik, sondern auch im realen Marktgeschehen ist die Zeit reif für ein neues Selbstbild, das soziale Verantwortung und Regionalität in den Blickpunkt von Kaufentscheidungen stellt. Doch kommt dieser Prozess nicht von allein ins Rollen. Nutzen wir offensiv die Nischen, die beim Marktwachstum entstehen!

 

Dietmar Gross ist Biobeauftragter der ABL und Demeter- und Bioland-Landwirt