Kurz & aktuell
Gentechnikrecht – Status Quo

Interview mit Clara Behr, Leiterin des Brüsseler Büros von BFDI - Demeter International
Liebe Clara, was ist der aktuelle Stand bzgl. Regelungen zu neuer Gentechnik – wann werden Entscheidungen dazu getroffen?
In der EU unterliegen bisher alle gentechnisch veränderten Organismen (GVO) einer obligatorischen Risikobewertung, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung gemäß dem geltenden EU-GVO-Rahmen. Diese Anforderungen gewährleisten den Schutz unserer Umwelt und unserer Gesundheit, aber sie stellen auch sicher, dass Landwirte und Verbraucher wissen, was sie auf ihren Feldern und Tellern finden.
Unter dem Druck der Biotech-Industrie erwägt die Europäische Union, diese Anforderungen für eine bestimmte Kategorie von GVO aufzuheben, die sie als neue genomische Techniken bezeichnet. Noch vor der Sommerpause soll ein Legislativvorschlag vorgelegt werden, der den Weg für eine solche Deregulierung von GVO ebnet. Dies würde bedeuten, dass GVO auf den Markt kommen könnten, deren Sicherheit nicht geprüft wurde und die nicht als solche gekennzeichnet sind, so dass Verbraucher und Landwirte im Unklaren sind. Neben der Bedrohung für unsere Umwelt und Gesundheit wird dadurch auch unsere Entscheidungsfreiheit eindeutig gefährdet.
Was wird von BFDI bis dahin unternommen werden, um die Kennzeichnungspflicht beizubehalten?
Die breite Mehrheit ist nicht darüber informiert, dass bald eine neue Generation von GVO ohne vorherige Sicherheitsprüfungen, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung auf unsere Felder und Teller kommen könnte, obwohl dies uns alle direkt betrifft. Deswegen verbreiten wir diese Information, damit wir alle gemeinsam unsere Stimme erheben können, um unsere Wahlfreiheit zu gewährleisten und den Schutz unserer Umwelt und unserer Gesundheit sicherzustellen.
Um die bevorstehenden Verhandlungen zu beeinflussen, sollten wir nicht zögern, uns an unseren Landwirtschaftsminister und an den relevanten EU-Abgeordneten zu wenden. Beide werden eine wichtige Rolle spielen, und mit den bevorstehenden EU-Wahlen werden sie ein offenes Ohr für ihren Wahlkreis haben. Sie können sich z. B. an ihre lokalen Abgeordneten mit einem Brief wenden oder ein Treffen anfragen. Zögern sie auch nicht, eine Postkarte an Landwirtschaftsminister Cem Özdemir oder an Bundeskanzler Scholz zu schicken.
Was sind konkrete nächste Schritte, Aktionen, Termine?
Sobald der Vorschlag vorliegt, besteht die Herausforderung für die EU-Entscheidungsträger darin, das gesamte Gesetzgebungsverfahren rechtzeitig vor den Europawahlen 2024 abzuschließen. Denn nach den Wahlen werden die Karten neu gemischt. Die frisch gewählten Mitglieder des Parlaments können entscheiden, ob sie den Vorschlag annehmen, abändern oder ablehnen wollen. Dies lässt die Tür für eine Vielzahl unterschiedlicher Szenarien weit offen. Angesichts dieser kurzen Zeitspanne bedarf es einen starken politischen Willen, um die Verhandlungen vor den EU-Wahlen im Mai abzuschließen. Der Rat der Europäischen Union, in dem die 27 Landwirtschaftsminister sitzen, und das Europäische Parlament müssen parallel arbeiten und ihre jeweiligen Positionen bis Ende des Jahres abschließen. Nur so können sie rechtzeitig Anfang nächsten Jahres in die letzte Phase der Verhandlungen eintreten, die so genannten ‚Triloge‘, in denen sich alle drei europäischen Institutionen auf eine endgültige Fassung des Textes einigen.