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Bürger beraten die Politik

Interview mit Claudine Nierth, Politaktivistin und Mitgründerin von „Mehr Demokratie“, zum Bürgerrat „Ernährung im Wandel“

Liebe Frau Nierth, was ist der Bürgerrat und welchen Zweck hat er?

Der Bundestag ließ 160 Menschen auslosen, um sich von ihnen beraten zu lassen – eine neue Form der Bürgerbeteiligung zu testen. Soll er in die Ernährung der Menschen eingreifen und wenn ja, wie? Die jüngste Teilnehmerin war 16, der älteste 84 Jahre alt. Sie bildeten die Vielfalt der Gesellschaft ab, nach Geschlecht, Bildungsgrad, Stadt/Land und Ernährungsgewohnheit. 88 % Fleischesser, 10 % Vegetarier, 2 % Veganer – so die Zusammensetzung. An drei Wochenenden tagten sie gemeinsam in Berlin und kamen zusätzlich an sechs Abenden online zusammen. Unterstützt von einem Moderatorenteam und zahlreichen Experten, legten sie zuerst die für sie wichtigsten Themenfelder fest: Kennzeichnungen und Labels für Lebensmittel, Tierhaltung und Tierwohl, Bezahlbarkeit von gesunden Lebensmitteln.

Welche Empfehlungen hat der Bürgerrat letztlich formuliert?

Wie schwer es ist, sinnvolle Positionen zu beziehen, haben die Bürger schnell gemerkt. Nicht jede Maßnahme führt zwingend zum Ziel, manche haben unerwünschte Nebenwirkungen. All das haben die Bürger sehr sorgfältig bedacht.

Mitte Januar veröffentlichte der Bürgerrat seine neun Empfehlungen – nicht zuletzt ein Verbot von Energydrinks für Kinder unter 16 Jahren. Hierfür machte sich gerade die jüngste Generation im Bürgerrat stark, nachdem sie sich der Gefahren für die körperliche Entwicklung durch die Kombination von hohem Koffein, Taurin und Zucker bewusst wurden. Der Zucker war im Bürgerrat so umstritten, dass die eine Hälfte für, die andere gegen eine Zuckersteuer stimmte. Schließlich einigten sich die Bürger nur darauf, Zucker von der Liste der geringbesteuerten (7 % Mehrwertsteuer) Grundnahrungsmittel zu streichen und zukünftig bei 19% einzustufen. Einig waren sich die Bürger bei der Schulspeisung. Wie in Schweden, Frankreich oder Brasilien sollen ausnahmslos alle Kinder einmal am Tag eine gesunde, warme Mahlzeit in der Kita oder Schule kostenlos bekommen können. Die dafür nötigen fünf Mrd. Euro könnten von der zukünftigen Kindergelderhöhung direkt verwendet werden. So die Empfehlung der gelosten Bürger. Außerdem soll das Tierwohl von der Geburt bis zur Schlachtung bei allen zum Verzehr gedachten Tieren berücksichtigt und beim Kauf gekennzeichnet werden. Schlechtere Haltungsformen sollen höher besteuert werden, um damit jene Bauern finanziell zu unterstützen, die für bessere Haltungsformen ihre Ställe und Flächen umbauen müssen.

Was passiert nun mit den Empfehlungen?

Der Bundestag hat sich mindestens zwei Bürgerräte vorgenommen, um das neue Element der Bürgerbeteiligung zu erproben, bevor er es wie zum Beispiel in Irland, gesetzlich etablieren will. Nun befasst er sich erstmal mit den neun Empfehlungen, die ihm zur Orientierung dienen. Gebunden ist er an die Empfehlungen nicht. Aber er wäre gut beraten.

 

Fragen: Katrin Bader
INFOS: https://www.bundestag.de/parlament/buergerraete/buergerrat_th1