Portrait

Steiners Kurs bei Landwirten

Demeter-Bauern am Bodensee bringen Leben in die Lektüre

Michael Olbrich-Majer

 

Zehn Zentimeter Neuschnee wattieren die Alltagshektik. Weniger Geräusche, weniger Eile - die richtige Stimmung für einen vorweihnachtlichen Abend in Wahlwies am Bodensee, in dem es um geistige Hintergründe der Tiere im Stall und ihrer Fütterung gehen soll. Wir sind die ersten, die aus der Dunkelheit in die warme Wohnstube des Landwirteehepaars Felix Walther-Karkhof und Rita Karkhof eintreten. Bis kurz nach acht sind in dem Häuschen des Erlenhofs Stühle aufgestellt und die Runde um Sofa, Adventskranz und Aufwärmtee mit 13 Männern und Frauen komplett. Lockere Unterhaltung, der Hühnerhalter hat heute gefrorene Eier eingesammelt, ein Landwirt Apfelmost mitgebracht, die adventliche Krippe wird bewundert, dann geht es los: Steiners Kurs für Landwirte, achter Vortrag, das Wesen der Fütterung.

Grundlagen, einmal anders

Biologisch-dynamisch Bewanderte kennen das: Leseabend! Hier nimmt man sich Bücher oder Vorträge von Rudolf Steiner vor, der ja die biologisch-dynamische Landwirtschaft ins Leben gerufen hat. Doch oft bleibt das eine zähe und trockene Angelegenheit, nach langen Arbeitstagen abends auch noch zuhören und sich mit schwierigen Texten auseinandersetzen - das ist nicht immer inspiriert und manchen übermannt zwischendrin der verdiente Schlaf. Steiners Texte und Vorträge setzen aufmerksame Leser und oft die Lektüre einiger Grundlagen voraus. Und es bleibt das Problem, von Steiner schon vorgeahnt: "... dass auf der einen Seite das, was spirituell ist, nicht ins wirkliche Leben übergeht, eine Art Theorie, … eine Art Glaube an Worte bleibt, ... dass auf der anderen Seite nicht die Einsicht ist ..., dass in das unmittelbar praktische Handhaben des Spirituelle wirklich eingreifen kann."

 

Das wollten die Demeter-Bauern am Bodensee auf jeden Fall anders machen: Anfassbar und praktisch sollten sie sein, die acht Termine zu den Themen der einzelnen Vorträge, Landwirt und Landwirtin möglichst ihre eigenen Erfahrungen vor dem Hintergrund der Vorträge schildern und, wo es geht, beim Rundgang auf dem Hof zeigen. So sollte das aktuelle Jahresthema der weltweiten biodynamischen Bewegung - aktuell Steiners Kurs - lebendig werden.

Bauernfortbildung am Bodensee: bio-dynamisch

Das Bündnis für biologisch-dynamische Arbeit am Bodensee ist eine der regionalen Organisationen der Demeter-Bauern in Baden-Württemberg. Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter von 28 Höfen tauschen sich hier regelmäßig aus, organisieren die Herstellung der biologisch-dynamischen Präparate und die jährliche Demeter-Anerkennung. Sie bilden in ihrer Freien Landbauschule den Nachwuchs aus und führen gemeinsame Veranstaltungen durch. Und bilden sich fort. Zu Jahresbeginn wird gemeinsam das Thema entschieden. Seit einigen Jahre schon ist die Beschäftigung mit dem Jahresthema der Landwirtschaftlichen Sektion am Goetheanum ein Grund für viele, gut vorbereitet nach Dornach zur Landwirtschaftlichen Tagung zu fahren - wo das Jahresthema dann Tagungsthema ist, und man Interesse und Fragen vertiefen kann.

 

Heute Abend also: Stall, Tiere, Fütterung. Felix, für die Milchkuhherde hier im Pestalozzi-Kinderdorf zuständig, erklärt den Ablauf des Abends. Rita, die gastgebende Bäuerin, wird den Text vorstellen, dann geht es in den Stall und danach Austausch beim Wiederaufwärmen. Gelächter, als er das Taschenbuch mit dem Landwirtschaftlichen Kurs seiner Frau reicht: es fällt schon auseinander. "Es geht Steiner um individualisiertes Handeln, nicht um das Arbeiten nach Formeln", Rita hat sich die letzten Tage durch den Vortrag geackert und fasst ihn nun abschnittsweise zusammen, zitiert Steiners Kritik an pseudowissenschaftlichen Vorstellungen: "Im Organismus ist natürlich kein einziger Verbrennungsvorgang ... Eine Verbrennung ist ein Vorgang in der mineralisch unbelebten Natur. ... so ist dasjenige, was man als Verbrennung bezeichnet im Organismus, etwas Lebendiges, ... sogar etwas Empfindendes." Mit Aufmerksamkeit und gelegentlicher Erheiterung verfolgen die anderen ihre Darstellung. Es geht um eine Art Schulungsweg, dass man der Pflanze ansehen könne, was sie beim Tier bewirke, um die tierische Leibesorganisation zwischen Nerven-Sinnes-Pol und Stoffwechsel-Gliedmaßen-Pol und deren Beziehung zu irdischen Stoffen und kosmischen Kräften beziehungsweise zu kosmischen Stoffen und irdischen Kräften.

Das Wesen der Fütterung

Der Vortrag, der heute im Mittelpunkt steht, ist der letzte in Steiners "Geisteswissenschaftliche(n) Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft". (*GA 327, R. Steiner Verlag, Dornach). Er wurde wie die anderen Pfingsten 1924 im Rahmen einer Intensivwoche gehalten, auf Drängen von anthroposophischen Landwirten, acht Vorträge, vier Fragestunden.

 

Jahre später wurde die Mitschrift dann vom Versuchsring dieser Landwirte für den internen Gebrauch vervielfältigt, heute gibt es sie als Buch. Es geht in den Vorträgen weniger um Techniken als vielmehr um prinzipielle Regeln einer Landbewirtschaftung im - heute würde man sagen - ökologischen Zusammenhang. Und darüber hinaus vertrat Steiner die Ansicht, dass "Gerade bei der Landwirtschaft ... aus dem Geiste heraus Kräfte geholt werden müssen, die heute ganz unbekannt sind, und ... die die Bedeutung haben, dass überhaupt das Leben der Menschen ... weitergehen könne auf Erden im physischen Sinne." Ein hoher Anspruch, doch ein wirkungsvoller Impuls, wenn man die Akzeptanz und Verbreitung der bio-dynamischen und ökologischen Landwirtschaft heute betrachtet. Und doch ist auch nach so langer Zeit das Verständnis der Inhalte nur durch eigenes Bemühen zu erringen. Wie Landwirt Thomas Schmid vom Heggelbachhof es sagt: "Das Buch erschließt sich eigentlich nicht durchs Lesen, das geht nur übers Tun. Das ist ein Übungsbuch."

 

Für die Demeter-Landwirte ist das aber rasch konkret: Wenn Tiere Kräfte aus der Umgebung aufnehmen, dann kann man sie nicht dauerhaft in Ställe sperren. Wenn Futter, Tiere, Mist und Boden in einer Art Spirale der Wechselwirkung zu verstehen sind, dann gehört auch die Landschaft zu diesem Organismus. "Das ist aber jetzt der Hammer, was ich da gelesen habe", Rita macht weiter und zitiert: "Wenn ich grotesk rede, würde ich sagen, ein fortgeschrittener Dunghaufen ist das im Gehirn sich Ausbreitende ..." Hirnmasse als "zuende geführte Darmmasse", auf den ersten Eindruck klingt das krass. Weiß man aber, dass der Darm nach dem Gehirn die zweithöchste Nervendichte im Körper hat, ahnt man, worauf Steiner hinauswill. Der Mensch zieht aus der Nahrung "Dünger" für Denken und Individualität, das Tier nur für den Körper, so dass tierischer Mist mehr Düngekraft und eben auch die Anlage für Ich-Kräfte enthält.

 

Weiter geht es mit dem "Möhrchenabsatz". "Also wenn ich vor einem Kalb stehe, denke ich doch als erstes an Milch und nicht an Möhren. Aber zum Glück nennt er hier ja auch Jungvieh", formuliert einer seine Verständnisschwierigkeit angesichts Steiners Ausführungen zu stängeligem, blattartigem, wurzeligem und "sonnengekochtem", fruchtigen Futter. Dass die Fütterung über die Generationen hin wirkt, ist einigen Erfahrung und auch wissenschaftlich bestätigt. Weiter führt uns Rita von Steiners Bemerkung zu schrägem Mystizismus und Rohkostlern und der Ablehnung von fanatischem Klammern an Worten zu den Aspekten Regsamkeit, Mast, Salz und den Auswirkungen einer Tomatendiät. Während die Runde sich für die Zusammenfassung bedankt, schaut Felix rasch, ob die Kinder schlafen.

… und praktisch?

Alldieweil ist in der Stube unter dem Eindruck der Bilder, die Steiner da entworfen hat, das Gespräch eröffnet. Seine Wortkreationen als Versuch, etwas Neues auszudrücken, finden Anklang, doch Rezepte gibt in dem Kurs nicht. "Wie kommen wir im Alltäglichen über einen rein materiellen Blickwinkel hinaus?" ist eine Frage, "Wie kommt man dahin, selbst solche Zusammenhänge und Wirksamkeiten zu erkennen?" eine andere. Bei Schwein und Huhn fällt einigen der Bezug schwer, jemand gesteht, hier bisher noch keinen Hebel zum Verstehen gefunden zu haben. Das Thema Sinnesleben des Tieres und Futterwahl steht plötzlich im Raum: Wie ist das bei der Schweinemast? Und muss man nicht die Totalmischration für Wiederkäuer ablehnen, wenn man die "kosmische Ernährung" ernst nimmt?

 

Dann geht es in den Stall. Das Team vom Erlenhof hat sich bewusst für den Part zum achten Vortrag entschieden, denn als Betrieb mit Kühen und Mastschweinen gehen sie täglich mit Vieh um. Außerdem bilden die Landwirte, Felix Walter-Karkhof, Karl-Herrmann Rist (Feldwirtschaft) und Dennis Hahn (Schweine) Lehrlinge aus: Da stellt sich die Frage, wie man biologisch-dynamische Aspekte über analytische Exaktheit und Futtermittelanalyse und technologische Parameter hinaus vermittelt. Apropos Stängeliges: " Heu gilt doch nur noch als Rohfaserträger", so Felix' Erfahrung, "obwohl auch jeder konventionelle Bauer weiß, dass das mehr ist, weiß, wie es duften muss, um gut zu sein." Auf dem Futtergang steht die Gruppe prüfend und schnuppernd am Heu. Seit einem Jahr füttert der Landwirt nur noch Heu, keine Silage mehr. Die Milchleistung ist seitdem gesunken, doch vom Kollegen kommt Aufmunterung: "Im dritten Jahr ist sie bei uns wieder hochgegangen." Auf dem Erlenhof hat sich die Klauengesundheit seitdem verbessert. Und dann ist Klimaschutz Thema: Wie ist das mit rohfaserreichem Futter und Methan bei der Kuh?

 

Im den gequetschten Erbsen, die als Kraftfutter gegeben werden, taucht dann das "Fruchtende im Blatt" aus dem Vortrag wieder auf. Nachdem jeder dem Jungvieh ein paar Möhren gefüttert hat, geht es in den Schweinstall und dann zur stattlichen Dunglege, wo Landwirt Felix noch mal genüsslich-fasziniert Steiner zitiert, zu Dung und Gehirn. Der Mist auf dem Erlenhof wird übrigens teils kompostiert, teils frisch ausgebracht.

… ein anregendes Gespräch …

Drinnen gibt es dann heißen Tee und Adventskuchen, wir stehen um den Küchentisch und plaudern, bevor es noch mal zur Sache geht. Fressen die Kühe überhaupt gerne soviel Heu? Beobachtungen werden ausgetauscht, über Futterwertzahlen von Silage und Heu gefachsimpelt und die Frage aufgeworden, ob denn Silage überhaupt als Grundfutter bezeichnet werden könne. Sie sei ja schließlich vorverdaut, nähme den Kühen Arbeit ab - was bedeutet das, neben der verbreiteten Einseitigkeit der Fütterung für die Kräfte? Haben Milchallergien damit zu tun? Eine Diskussion entspinnt sich, ohne dass sie angeleitet werden müsste, das Landwirtepaar im Zentrum: Gute Silage würde andererseits ja auch gerne gefressen und die Streuung der Milchleistung in der Herde würde bei Umstellung auf Heufütterung größer. Das hinge aber auch von der Züchtung ab, so ein Einwurf.

 

Wie ist das denn mit anderen Futtermitteln, die ja auch heilend wirken können, Leinsamen z. B., macht das noch jemand? Ja, aber Lein sei schwierig im Anbau - Demeter-Bauern bauen ihr Futter gerne selbst an. Und, kennt sich einer mit Laubheu aus?

 

Deutlich wird zum Ende des Abends: "Unsere Nutztiere leben im Fressen", wie es einer ausdrückt. Der Landwirt sollte Vielfalt und Auswahl ermöglichen, Herumprobieren nutzt allerdings nichts - "Wir müssen den Blick dafür noch entwickeln, in welchem Zusammenhang ein Futter für das Tier steht". Ein Übungs- und Schulungsweg eben, im gemeinsamen Erfahrungsaustausch am effizientesten. Und Spaß hat der Abend auch allen gemacht - ein schöner gemeinsamer Abschluss kurz vor Weihnachten. Bereichert vom munteren Austausch fahren gegen halb elf abends alle wieder zu ihren Höfen.

… und neue Blickwinkel auf die eigene Arbeit

Achtmal haben sich die Mitglieder des Bündnisses für biologisch-dynamische Arbeit Bodensee im letzten Jahr getroffen, um sich, jeweils auf einem anderen Betrieb, den acht Vortragsthemen des Landwirtschaftlichen Kurses anzunähern. Immer mit der Frage "Welche praktischen Auswirkungen haben diese Anregungen auf meine Arbeit?". Meist ging es ohne Textvortrag direkt zur Sache, ob beim ersten Treffen im Mai, das von der Präparategruppe mitgestaltet wurde, oder beim Rundgang um den Heggelbachhof, wo es um Natur und Landschaft ging - Steiners Vortrag Nummer sieben zu naturintimen Wechselwirkungen. Mal waren es gut ein Dutzend, mal mehr als 30 Menschen, Neulinge in Anthroposophie wie alte Hasen, einige Umsteller und viele erfahrende Demeter-Landwirte. Es kamen auch die aus dem Bündnis, die sonst selten kommen. Zu Besuch bei den Obstbauern war es anfangs schwer mit dem praktischen Bezug, da ging es um spirituelle Aspekte der Elemente im Eiweiß und lebendige und tote Stoffe. Doch entspann sich dann eine rege Diskussion um die Lagerung der Früchte bei kontrollierter Atmosphäre, die durch einige der Elemente, C und O, gesteuert wird und den Zusammenhang zu Lebendigkeit und Qualität. Jedes Treffen war anders, konkret und spannend, man lernte neue Betriebe kennen oder betrachtete bekannte unter anderem Blickwinkel. Das Wichtigste war übrigens das Vorbereiten, so die Erfahrung der einladenden Höfe. Die Grundlagen des Biologisch-Dynamischen gaben so immer wieder eine Inspiration für das Praktische.

Betriebsspiegel: Der Erlenhof im Pestalozzi Kinder- und Jugenddorf Wahlwies

  • besteht seit 1981 (bio-dynamisch) und ist seit 1987 Demeter-anerkannt

  • dient zur Versorgung des Kinderdorfes und als Ausbildungsstätte (5 Fachwerker, 3 Azubis)

  • hat 146 ha, davon 71 Acker, 75 Grünland

  • hält 40 Milchkühe mit Nachzucht und Zuchtbullen sowie 5 Muttersauen nebst Eber sowie Kleintiere

  • mästet 100 Ochsen und Färsen sowie 60 Mastschweine

  • betreibt Naturschutz (u. a. mit Heckrindern, einer Rückkreuzung auf Auerochsen)

  • verkauft Überschüsse im eigenen Hofladen bzw. an die Molkerei

  • Landwirte: Karl-Herrmann Rist (Feld), Felix Walther-Karkhof und Rita Karkhof (Rindvieh),
    Dennis Hahn (Ausbildung und Lehrlingsbetreuung, Schweine)

  • Pestalozzi Kinder- und Jugenddorf Wahlwies, 78333 Stockach
    0 77 71-80 03 0, http://www.pestalozzi-kinderdorf.de