Portrait

So kommt Leben in den Wein

Peter Jakob Kühn arbeitet mit Hingabe biodynamisch und mit der Natur

Von Michael Olbrich-Majer

 

„Und hier ist unser Schafgarbenfeld!” Bei einem Weinbergsrundgang stutzt man da erst mal. Doch Peter Jakob Kühn hat offenbar einen Schatz neu entdeckt – die Fülle des Lebens neu aufgefrischt, so begeistert stellt er die Elemente seiner biologisch-dynamischen Weinbergskunst vor. Die Schafgarbe braucht er für die dazugehörenden Präparate, ebenso wie das kleine Schachtelhalmfeld, das Fladenpräparat im Fass oder den Kompost, der auf einem eigenen Platz in der Gemarkung reift. „Entspannung für die Natur” ist sein Motto in der Rebmonokulturlandschaft des Rheingaus, in der das Weingut liegt. Und der Top-Winzer sorgt dafür genauso hingebungsvoll, wie er sich um seine Reben kümmert.

 

Peter Jakob Kühn gehört zu den deutschen Spitzenweingütern und er hatte für einen Winzer eigentlich alles erreicht: mit seiner Frau ein schönes Weingut in Ortsrandlage aufgebaut, Preise gewonnen, die Renaissance des deutschen Rieslings mit eingeleitet, Mitglied im VdP – dem Club der knapp 200 deutschen Prädikatsweingüter. Doch irgendwann war ihm die Freude abhanden gekommen und er machte sich auf die Suche, um für sich ein neues Kapitel der Weinbereitung aufzuschlagen. Er war die Gängelung durch die Agro-Chemie leid: „Im heutigen Wirkstoffkarussell verlieren die Menschen die Beobachtungsgabe und Urteilsfähigkeit. Uns wird weisgemacht, dass die Natur nicht mehr ohne Industrie funktioniert.” Dieser Herausforderung wollte er sich stellen. Und wenn schon umstellen, dann biologisch-dynamisch, auf die umfassendste Alternative zur Entmündigung der Natur, auf die Wirtschaftweise, die, wie er sagt, die Kräfte der Natur trainiert.

Der Winzer sorgt für entspannte Natur

Peter Jakob Kühn ist ein sanfter Mensch, aber einer, der es wissen will: kein Purist, sondern von einer fröhlichen Experimentierlust beseelt. Bei ihm soll es lebendig zugehen, wachsen, reifen. „Die Natur will grundsätzlich zum Ziel kommen.” Also gibt er ihr Zeit und Raum, ob im Weinberg oder im Keller. Und päppelt hier und da, mit grünen Nischen, Kräutertees, Kompost, blühfreudiger Gründüngung und natürlich den biodynamischen Präparaten.

 

Die artenreiche Begrünung wird z. B. nicht gemulcht, sondern gewalzt, das schont die Kleintiere und blüht schneller wieder. Sechzig Nistkästen wurden aufgehängt, mehr als 100 Obstbäume gepflanzt, ein bisschen Brache hier – das Gras wird kompostiert – eine kleine Hecke dort angelegt. Dem engagierten Winzer ist es ein Anliegen, dass der Weinbau nicht als Monokultur von Umweltgruppen bekämpft wird. Er will vorleben, dass es anders geht. Das wirkt ansteckend. Nicht nur auf die Zahlen schielen, der Lohn der Arbeit liegt für ihn darin, Einklang zu schaffen. Und damit Zukunft. Die frische Begeisterung weckte auch in Kühns Sohn Peter Bernhard eine Änderung des Berufswunsches. Nach einem Praktikumsjahr im Burgund wird er sein Studium in Geisenheim fortsetzen und dann neben seiner Schwester Sandra in den Betrieb einsteigen.

Umstellung: Entdeckungerfreude statt Routine

Raus aus der Chemieabhängigkeit, rein in die Umstellung. Peter Jakob Kühn begann schrittweise – seit 2004 ist er zertifiziert: Demeter in Umstellung. Da es noch keine Weinbauberater vom Demeter-Verband gab, die Nachhilfe von biodynamischen Kollegen nur schleppend in Gang kam und es verschiedene Ansichten und Ansätze gibt, sich dem Biodynamischen zu nähern, suchte er sich einen Mentor: Georg Meißner, der in Geisenheim zur Biodynamik im Weinbau forscht. Mit ihm, den Winzern Sven Leiner, Heiner Sauer und anderen gründete er eine kleine Arbeitsgruppe: Gemeinsam gruben sie Anfang Mai die biodynamischen Präparate aus, sie tauschen sich regelmäßig aus und bekommen Tipps vom Wissenschaftler. Zusätzlich informierte Kühn sich auf Öko-Weinbautagungen in St. Ulrich und Altenkirchen und besorgte sich alles, was dazu beitrug, seine Fragen zu beantworten, sei es Material bei Christian von Wistinghausen oder ein Besuch der biodynamischen landwirtschaftlichen Tagung am Goetheanum. An den Treffen der neuen Fachgruppe Demeter-Winzer hat er noch nicht teilgenommen, da ging es zunächst vor allem um Demeter-Richtlinienfragen.

 

Um die übliche Weinbauroutine aufzubrechen, setzte er nach eigener Einschätzung anfangs etwas zu absolut auf die Selbständigkeit der Natur. Mit der biodynamischen Verfahrensweise ist es nun einfacher, eine neue Balance zu arrangieren. Jedenfalls braucht man keine Angst vor diesem Schritt zu haben, meint der Winzer. Die Förderung, die es für die Umstellung vom Land gab, hat er aber verpasst, sie war ausgerechnet in dieser Zeit ausgesetzt. Der wesentliche Punkt der Umstellung war vor allem die Organisation der Mehrarbeit: Kühn brauchte einen Schlepper und einen Fahrer mehr. Bodenbearbeitung, Kompost aus- und einbringen, besonders aber das häufigere Spritzen, um dem Befall mit Echtem bzw. Falschem Mehltau vorzubeugen, alles Mehraufwand. Konventionelle Winzer setzen hier länger anhaltende systemische Mittel ein, die über die Pflanze wirken. Aber biologische bzw. biodynamische Arbeit im Weinberg ist, konsequent gemacht, da genauso erfolgreich, auch beim Ertrag. Allerdings hat Kühn die Hektoliterernte schon immer beschränkt. Und: „Wenn ich die biodynamischen Präparate spritze, weiß ich, dass ich der Natur und den Reben etwas Gutes tue. Das tut auch mir sehr gut.”

Biodynamisch und gelassen

Dreimal Hornmist unter anderem auf den ausgebrachten Kompost, viermal Hornkiesel ab Blüte, dazu noch Fladenpräparat aus der Tonne, Schachtelhalm auf den Boden, bevor er ergrünt und diverse Tees aus Kamille, Weide, die teilweise mit Kupfer- oder Schwefelanwendungen vermischt werden: das biodynamische Repertoire des Winzers ist umfassend und verbindet sich mit der betriebseigenen Handhabung der Reberziehung. Die sollen nicht zu viel Ertrag, höchstens 50 Hektoliter je Hektar, bringen, die Hälfte des hier Üblichen. Entsprechend werden sie geschnitten – auf einen Trieb – und entblättert. Die Tees und auch Baldrianpräparat verteilt er auch schon mal zur Beruhigung der Pflanzen nach dem Schnitt. Der erfolgt in der Regel bei absteigendem Mond. Überhaupt kommt es ihm sehr darauf an, dass die Reben entspannt und harmonisch gedeihen. Breite Reihen von ca. 1,70 Meter, Dichtpflanzung in der Reihe, damit die Wurzeln sich rasch in die Tiefe ausbreiten, sparsames Hacken, um nicht zu viel Stickstoff und Triebigkeit zu mobilisieren, auch das gehört zum Wellnessprogramm für die Reben. Revitalisieren, statt durch Agrarchemie zu „entmündigen” und zu entkräften, so könnte man seinen Ansatz auch beschreiben.

 

Mehr zur Bodenberuhigung denn zur Düngung dient der Kompost, den der Winzer gründlich pflegt. Dafür wurde eigens ein behördlich genehmigter Kompostplatz angelegt, auf dem zugekaufter Bio-Rindermist, Trester, Walderde, Laubholzhäcksel und Wiesenschnitt gemischt, präpariert und aufgesetzt mindestens ein Jahr lang zu Komposterde reifen. Einmal wird er zuvor noch umgesetzt und erneut präpariert. Vom Wert dieses Aufwands ist Kühn überzeugt: im Frühjahr dick ausgebracht, ca. 10 bis 12 t/ha und gleich eingearbeitet stärkt die Humuswirkung die Reben.

Zwar braucht Kühn mit seinen Weinen sicher keine weitere Marke wie Demeter oder Biodyvin, doch mit Demeter kommt Peter Jakob Kühn am ehesten auf einen Nenner. Er beteiligt sich am gemeinsamen Messeauftritt der Demeter-Winzer und Kühn möchte zu dem stehen, was er tut. Der Verband mache im Namen der ganzen biodynamischen Sache vieles möglich – wichtig sind für den Winzer auch die Aktivitäten in Brüssel, z. B. um die Herstellung der Präparate legal abzusichern.

Reife ist mehr als Zuckergehalt: die Weine

Der Doosberg, das ist ein Wein, den vergisst man nicht mehr. An der Grenze zum typischen Riesling kommt da vollgoldene Kraft daher und auf einmal öffnet sich die Tür zur einer reichhaltig-pulsierenden Struktur, die nachhallt. Biodynamische Klarheit und Vielfalt zugleich im Glas. Zwar kann das Weingut in der Vermarktung nicht nur auf solch höherpreisige Spezialitäten setzen, auch nicht am Bio-Markt, doch sind sogar die „normalen” Weine ansehnlich individuell und werden nach denselben Regeln der Kunst „ausgebaut”, wie es in Winzersprache heißt.

 

Das beginnt bei der Lese per Hand, etwas früher als üblich, denn Öchslegehalt, sprich Zucker, ist für Peter Jakob Kühn nicht das Wesentliche für den Geschmack. Wochen zuvor wurden die Trauben bereits ausgedünnt bzw. halbiert. Vor der Pressung steht das so selektierte Lesegut einen halben Tag auf der Maische, von der bei den aufwendigeren Weinen ein unterschiedlich großer Teil mitgärt. Die erfolgt spontan, mit den Hefen, die die Trauben mitbringen, auch ein Aspekt des Betriebsorganismus. Genauer gesagt testen Kühn und seine Leute die Gäreigenschaften mit zuvor gelesenen Trauben. „Ein Riesenspaß”, sagt er schmunzelnd, wie überhaupt das Ausprobieren für ihn erst der wahre Ansporn ist. Dazu gehört auch mal ein Flop, als er z. B. einmal die Vorklärung unterließ. „Ein toller Wein”, wie er schwärmt, aber die Kunden verstanden das weniger. Eiweiß fällt er nicht extra aus, das erledigt sich durch den langsamen und längeren Ausbau und die Filtration.

 

Ein wenig unverständlich ist ihm, wie wenig die meisten Öko-Kollegen für das Ursprüngliche des Weines kämpfen, sein Herzensanliegen. Ungenormte, nicht uniforme Weine mit einem breiten Spektrum an Aromen, dabei kräftig, klar und präzise, das ist seine Vorstellung, die in seinen Weinen ausreift. Da fühlt er sich im VdP noch gut aufgehoben, zumal da noch andere ökologische und biodynamische Winzer auf höchste Qualität setzen. Von „Bananenweinen” wie er sie nennt, hält Kühn nichts, und meint damit standardisierte Geschmäcker, wie sie durch Zugabe von Reinzuchthefen forciert werden. Dass die so gut ankommen, dazu trägt wohl auch die alltägliche Verwirrung unserer Sinne durch vielerlei künstliche Düfte bei, auf Toiletten, in Kaufhäusern, in Lebensmitteln. „Wein kann etwas anderes”, das ist sein Credo. Die Beweise liegen bei ihm im Keller.

Zeit lassen

Dort wird ebenfalls nichts beschleunigt. Die spontane Gärung verläuft ruhiger und harmonischer, ohne Temperaturregulierung und bis zum Abschluss. Die Weine liegen im Fass, bis sie aus sich selbst heraus stabil sind, abgefüllt wird nicht vor Mai, die Spitzenweine nicht vor September. Nach Kühns Erfahrung haben die Trauben eine stärkere Gärkraft, sind durch die biodynamische Bewirtschaftung und die Substanzen und Nährstoffe für die Weinbereitung geeigneter „Da ist eine Kraft drin, die den Wein auch zu Ende bringt.” Reinzuchthefen ginge rascher die Luft aus. Spontangärungsweine, bis 1970 noch das übliche Verfahren, können und sollten älter getrunken werden. Korrektur im Keller, das passt nicht in Kühns Art, Wein zu machen. Ihm geht es um Unikate, um Erlebnisse, intensive, aber echte Eindrücke; auch hier will Kühn am Naturvorgang Freude haben, die sich dann seinen Kunden mitteilt. „Rassige Natürlichkeit”, „Weine, die aus der Reihe tanzen” oder „Meditationsweine” attestieren denn auch Weinkritiker. Der Doosberg wurde schon 2004 zum besten Weißwein auf der französischen Vinexpo gekürt. In diesem Frühjahr wurde das Weingut für die beste Kollektion im Rheingau ausgezeichnet.

Mit der Natur spielen

In seinem Bemühen um Ursprünglichkeit und Natürlichkeit experimentiert und entwickelt Peter Jakob Kühn mit Lust weiter. Mit speziellen Tees, vielleicht aus Kompost, will er versuchen, einen Teil der Kupferspritzungen zu ersetzen. Auf der Biofach-Messe unterhielt er sich lange mit dem österreichischen Demeter-Kollegen Wimmer-Czerny, der Rinder auf seinem Weingut hält. Wären kleine Dexter-Rinder etwas für unseren Betrieb hier im Rheingau? – so ein Gedankenspiel von Kühn. Erfahrung mit Tieren hat er, im Weinbaubetrieb seiner Eltern standen noch eine Kuh und der Deckstier des Ortes. Oder besser Schafe? Den Betriebsorganismus abrunden, das ist die eine Richtung. Die andere ist der Spaß am Besonderen, wie z. B. die Geschichte mit der Amphore. In zwei fast mannshohen Amphoren, mit Weinbergserde umhüllt, ließ der Winzer Riesling mitsamt der Maische reifen, ein antikes Verfahren, aber jemals auf Riesling angewandt? Der Versuch gelang, der Wein ist ein besonderes Erlebnis. Peter Jakob Kühn hat seine Begeisterung für Rebbau und Wein dank der Umstellung auf Biodynamisch neu errungen. Sie springt spür- und schmeckbar über.

Betriebsspiegel Weingut Peter Jakob Kühn

  • 18 Hektar, 50 Schläge, Rheingau

  • Sorten: 90 % Riesling, 10 % Spätburgunder

  • Ausbau in Holz, Barrique, Edelstahl, Spontangärung mit Maischeanteil

  • Besondere Weine: Doosberg, St. Nikolaus, Schlehdorn, Amphora

  • Familienbetrieb: Frau Angela, Tochter Sandra, Alexander Mittlmeier, künftig auch Sohn Peter, 4 feste Mitarbeiter aus Polen, Saisonarbeitskräfte

  • Demeter in Umstellung seit 2004.

  • Direktvermarktung und Vertrieb über Weinhandel je zur Hälfte

  • Vinothek zum Rasten & Kosten sowie jahreszeitliche Veranstaltungen

Weingut Peter Jakob Kühn, Mühlstr. 70, 65375 Oestrich im Rheingau,

Tel.: 06723-2299, Fax -87788, http://www.weingutpjkuehn.de