Portrait

Vielfalt im Wald

Der biodynamische Förster German-Michael Hahn setzt sich für einen bunten Waldorganismus ein

Von Michael Olbrich-Majer

 

German-Michael Hahn arbeitet wie ein Anwalt. Hält Plädoyers für Bäume und Dauerwald. Keine Forsthausromantik, selten gemütliche Spaziergänge im Tann, der Alltag des Würzburger Revierförsters besteht aus Vorträgen vor Gemeinderäten, Telefonaten mit Bürgermeistern, Ortsbegehungen mit Landwirten und Waldbesitzern, Diskussionen mit Jägern. Zwischendrin dem Bauhof der Gemeinde Bescheid sagen, bei den Waldarbeiten im „Hartwald”, wo die Schüler sägen, nach dem Rechten sehen, dann zwischendrin vielleicht noch Holz verkaufen. Und Auto fahren: Denn die Waldstücke, die er betreut, liegen verstreut auf 21 Ortschaften im Landkreis Würzburg, in einem Gebiet von 20 mal 20 km, zusammen 2500 ha Gemeinde- und Privatwald, dazu kommt die Mitverantwortung über eine ebensogroße Fläche Staatswald. Den roten Faden trotz Betriebsamkeit bildet das relativ zeitlose Wesen des Waldes: Raum für nachhaltiges Denken und Verantwortung für die Zukunft.

Der Förster als Vertreter in Sachen Waldentwicklung

Beraten, überzeugen, motivieren, koordinieren – der Wald soll mehr werden – so sieht es der Regionalplan für die Ackerbauregion vor, und der Wald soll wertvoller und artenreicher werden, so will es German-Michael Hahn. Das heißt Umbau zu naturnahem Dauerwald mit edleren Hölzern und diesem Ziel gilt sein ganzer Einsatz. Auch der Naturraum ist eine Herausforderung, Weinbauklima mit Sommertrockenheit und vor allem Lößböden, viel Eiche, wenig Buche. So ist der fahrende Förster als Waldvertreter unterwegs mit einer Querschnittsaufgabe zwischen Behörden, Waldnutzern und Waldarbeitern. Außer Auto und dem Handy hat er nur sein Expertenwissen. Die Waldarbeit machen die Mitarbeiter der gemeindlichen Bauhöfe, die er regelmäßig schult, oder die Waldbesitzer selbst. Diese bzw. die Gemeinden treffen auch die Entscheidungen. Umso wichtiger ist Kommunikation, das Übersetzen von komplizierten Forstzusammenhängen in praktikable Handlungsvorschläge, was Michael Hahn mit fröhlicher Stetigkeit bewältigt.

Der Waldrand – eine Visitenkarte

Für die Bauern der Region vertritt der Förster die Konkurrenz. Boden ist wertvoll, zumal auch hier die Industriegebiete ins Kraut schießen und die Ausgleichsmaßnahmen dafür noch einmal gute Äcker beanspruchen. Die Ausdehnung und Verknüpfung der relativ kleinen Waldbereiche ist nicht im Interesse der Landwirte. Die Hecken der Demeter-Bauern Karl Friedrich und Benno Wöhrle fallen in der ausgeräumten Landschaft sofort ins Auge. So hat es Förster Hahn auch schwer mit einem seiner biodynamischen Projekte – der aktiven Gestaltung der Waldränder. Nicht nur aus ästhetischen Gründen hegt er diesen Übergang von Hochwald zu Acker, empfiehlt Auflockern der Stämmefront durch überlegte Entnahmen, pflanzt und pflegt Blühsträucher und Wildobst. Denn die Säume verschönern nicht nur die an Strukturen arme Landschaft, sie sind auch Futterangebot für Insekten und Vögel. Auf Gemeindeflächen sorgt er mit Wildkrautmischungen für Schmetterlingsimbiss, zudem bemüht sich Hobbyimker Hahn, Imkerkollegen für die Aufstellung ihrer Völker an seinen bunt blühenden Waldrändern zu gewinnen. Wildobstbäume wie Elsbeere, Kirsche, Mehlbeere, Speierling, Vogelbeere, Wildapfel und Wildbirne dienen der Vielfalt – auch bei der Fauna.

Vom Gleichgewicht

Wald ist ein komplexes, dynamisches Gebilde. Baumartenzusammensetzung, Altersverteilung, Überhälter und Unterwuchs, Böden und Licht, Mikroben und Wild – eine ausgeprägte dreidimensionalen Vorstellungskraft muss man als Förster schon haben und Wechselwirkungen und die Zeit mitplanen. „ Der Wald ist eine Denkschule”, sagt Michael Hahn – die nächsten Schritte muss man immer mit einbeziehen – in entsprechend weiten Zeiträumen. Eine Jungbuche wird erst in 140 Jahren „geerntet”. Fichten- und Kiefernmonokulturen, im Gleichschritt gepflanzt und gefällt, sind dagegen einfacher zu denken. Nicht umsonst sind zwei Drittel des deutschen Waldes so aufgestellt. Wie fein die Wechselwirkungen sind, zeigt das Beispiel Schädlingskalamitäten: Buche kühlt, wenn sie zu mindestens 40 % im Bestand untergepflanzt wurde – die Schadinsekten entwickeln sich schlechter, Kahlfraß wird so verhindert. Zudem bremst Vielfalt Massenplagen im Wald. Kühl-feuchter Boden ist auch von Bedeutung für das Keimen von Buche, Hainbuche und Linde. Entscheidend für den Erfolg der Temperaturregelung durch Verdunstungskälte ist allerdings ein geringer Wildbesatz – stets nervender Streitpunkt mit den Jägern, die hier wie bundesweit zu viel Wild halten.

Es geht auch anders: Wald naturgemäß

Naturgemäßer Dauerwald – darauf arbeitet der studierte Förster Hahn hin. Bereits an der Universität engagierte er sich in der Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft – heute „Pro Silva”. Um vorzuführen, wie das aussieht, führt er seine Klienten durch die verschiedenen Stadien der Waldentwicklung: Von der jungen Pflanzung an zeigt er in Zehnjahresschritten die Veränderung und den Zuwachs. In diesem Turnus werden auch die Bestände durchforstet, bis sich Jung und Alt nach ca. 30 Jahren langsam aber sicher mischen. Das Prinzip des Dauerwaldes ist die stete Bedeckung durch Kronenbäume: Nur einzelne werden gefällt – im Gegensatz zum flächenweisen Hieb von Bäumen auf ganzen Schlägen oder in Gruppen. So bleibt ein kleinräumig stufiger Wald mit gemischten Altersklassen erhalten, der sich ununterbrochen verjüngt. Der Förster denkt immer in mehreren Etagen. Als Schlupfwinkel für die Fauna, aber auch als Brutstätte für Mykhorrhizapilze und Bodenentwicklung dürfen hier und da Altholzhaufen verrotten, Totholzbäume bleiben stehen. In vielen Wäldern herrscht heute die blanke ökonomische Sichtweise, obwohl der Großteil aller deutschen Wälder PEFC*-zertifiziert ist. Vor allem die Böden leiden unter der Ausdünnung der Forstverwaltungen und der Verlagerung des Betriebs zu Forstunternehmen. Denn stärkere Entnahmen und vor allem der Einsatz von mehr und schwereren Maschinen wie Vollerntern verdichten den Boden, zumal wenn wenig Rücksicht auf den witterungsbedingten Bodenzustand genommen wird. Förster Hahn versucht das zu vermeiden, indem er auf Dumpingangebote nicht eingeht, nur kleine Mengen vergibt und das Netz der Rückegassen breitmaschiger als üblich anlegt – so wie es die FSC**-Richtlinien vorsehen.

Waldumbau verbessert Wald- und Bodenqualität

Jährlich bis zu 50.000 Bäumchen lässt der Förster in den von ihm betreuten Wäldern pflanzen. Naturverjüngung ist wichtig, geht aber nur sehr begrenzt. Durch den hohen Wildbestand wird stark verbissen. Außerdem soll ja umgebaut, Neues angesiedelt werden. Gepflanzt wird teils mit eigener Anzucht, teils mit Bäumen von der biodynamischen Forstbaumschule in Darmstadt. Saat- und Pflanzgut sind teuer – umso wichtiger ist, dass die Ansaat bzw. Pflanzung gelingt. Dabei achtet Michael Hahn auf Vielfalt, nicht nur der Risikominderung wegen, auch Tiere und Menschen sollen etwas von Wald haben, z. B. durch Wildfruchtbäume, die durch gute Streuzersetzung auch die Humusqualität steigern. Zum Schutz grenzt er wertvolle Pflanzungen mit Zäunen und mit Benjeshecken ab, die sich aus dem Schnittgut vom Freistellen im Jungwald leicht gewinnen lassen. Da er nicht der Bewirtschafter ist, versucht er mit einigen Nutzern anschauliche Demonstrationsflächen zu schaffen. Statt bei Kahlschlag zu rügen, berät er lieber, wie es besser geht und wie man z. B. Förderung für die Laubholzpflanzung bekommt, statt erneut Fichte in Reinkultur zu setzen. Als Revierförster ist er auch für den Holzzuwachs seiner Wälder zuständig. Immerhin konnte er die Holzvorräte in seiner dreiundzwanzigjährigen Amtszeit von 110 auf 150 Kubikmeter pro Hektar anheben – das Ziel für Dauerwald liegt bei 250.

Premiumwaldwirtschaft: Werben für die Zukunft

„Offensiv Vielfalt pflanzen” ist das Motto Hahns. Zwar schreiben Forstgesetze hohe Anteile standortheimischer Hauptbaumarten vor, aber der typische Buchenmisch- oder Eichen-Hainbuchen-Wald sollte aus guten Gründen diversifiziert werden, findet der Förster. „Wald ist mehr als ein Reservoir für Brennholz”, so wirbt er. Nussbäume und Esskastanie, Kirsche und Sorbusarten, eine breit gefächerte Angebotspalette im Wald ist seine Empfehlung. Um das anschaulich zu machen, präsentiert er schon mal Möbel aus Edelhölzern und hält des Absatzes wegen gute Kontakte zu Furnierherstellern. Auf Versammlungen der Gemeinderäte führt er die Arten im Pflanztopf samt Hölzern vor, um seinen Klienten Appetit zu machen. Schließlich ist der Wald so etwas wie eine Sparkasse – wenn auch erst für die Enkel. Er strebt einen Wertholzanteil von 10 % an. Bis zu tausend Euro pro gepflegter Altkirsche sind da drin, statt nur 15 € für den Kubikmeter Brennholz oder 60 bis 100 € für einen nicht geasteten Stamm. Und Kirsche und Walnuss halten hier locker mit der rasch wachsenden Fichte mit. Nach 60 Jahren haben sie einen Stammdurchmesser von 60 cm. Doch bei Umtriebszeiten – das ist die Zeit von Saat bis Ernte – bis zu 240 Jahren ist es nicht immer einfach, alle Beteiligten über das Jahr 2100 hinaus mitzunehmen.

Waldbau biologisch-dynamisch

Waldpflege statt Warenlager – mit diesem Motiv bringt Förster Hahn eigenhändig Präparate im Wald aus, die die Gesundheit von Boden und Bäumen fördern sollen. Mit der Turbine seiner 600-l-Hardi-Spritze und 70-PS-Geräteträger mit 1800-l-Fass reicht er von den sparsam angelegten Fahrwegen bis 50 Meter in den Wald hinein: Zur Anwendung kommen die biodynamischen Präparate Hornmist im Frühjahr, Hornkiesel im Sommer und Fladenpräparat im Herbst, natürlich mit Genehmigung des jeweiligen Gemeinderates. Immerhin bis zu 500 ha pro Jahr schafft er, füllt 1000 Hörner pro Jahr, gerührt wird auf dem Demeter-Hof Richard Konrad. Auch das Kohlenstoffpräparat von Hugo Erbe testet Hahn auf belasteten Flächen neben der Autobahn und organisiert im Januar das Dreikönigspräparat. Unterstützt wird er vom biodynamischen Arbeitskreis der Anthroposophischen Gesellschaft in Würzburg, den er mit leitet. Sogar mit den Aschen von Schaderregern zur Regulierung des Befalls hat der Forstmann Erfolg. Insekten zieht er schon mal im Terrarium vor, stellt davon Asche her und bringt sie verdünnt als D8 aus. Das wirkt außerdem bei Waldmäusen. Biodynamische Ansätze des Waldbaus versucht Michael Hahn auch hinsichtlich des Tiermanagements, das heißt: Artenvielfalt, Biotope, Regulation der Wildpopulationen und beim Waldorganismus durch Anteile von Aue, Lichtung, Totholz etc. zu integrieren. Waldbau als Lehrinhalt in der biodynamischen Landwirteausbildung – das fände er daher sehr wichtig. German-Michael Hahn ist neben Thomas Link Mitinitiator der „biologisch-dynamischen Waldbaugruppe”, in der sich Förster, Waldbesitzer, Baumpfleger, Ökologe und andere zweimal jährlich am wachsenden Beispiel austauschen. In diesem Jahr auf dem Bergbauernhof der Familie Peer-Pichler in Südtirol (s. S. 16). Anstoß waren jährliche Waldbautagungen beim Biodynamiker Georg Wilhelm Schmidt und die Entwicklungsarbeit von Nikolaus und Raimund Remer im Wald des Bauckhofs.

Schüler als Waldpfleger

„Der Wald hat ein gewaltiges pädagogisches Potenzial.” German-Michael Hahn weiß, wovon er spricht. Seit vielen Jahren schon organisiert er neben Führungen auch Schülereinsätze im Wald. Um das zu vertiefen, hat er vor ein paar Jahren nebenbei ein Aufbaustudium zum Master für Natur- und Umweltpädagogik gemacht. Zu Füßen der Schülergruppe aus Wattenscheid, die auf hohen Leitern in den schwankenden Wipfeln steht und sägend aufastet, ist der spezielle Reiz der Waldarbeit zu spüren. Klar ist das anstrengend, besonders wenn man sein Mittagsbrot vergessen hat, aber das hier ist noch richtige Arbeit. Und echt spannend dazu. „Auf jeden Fall mehr Spaß als Gartenbau”, meint eine andere Gruppe Schüler, die kräftig Nadelforst ausgedünnt und Bucheckern gesät hat, stolz auf ihre Leistung. Brauchbarer Wald wächst nicht von alleine – das ist die eine Erkenntnis. Dass die Arbeit nur im Team Spaß macht, eine andere. Und von wegen nix los im Wald: Die Feuerwehr war schon da, obwohl das Feuer angemeldet war und einem Kriminalfall sind sie auch auf die Spur gekommen. Die Neuntklässler Viola, Tim, Max, Hannah, und Ronja fanden ein gestohlenes Motorrad. Zuhause sind sie eher selten im Wald, höchstens mal zum Joggen oder mit dem Hund.

Der Wald im Klimawandel

Ein guter Grund für Förster Hahns Bemühen um Vielfalt ist der beginnende Klimawandel. An den Schädlingskalamitäten ist jetzt schon abzulesen, was bei zu einseitigen Beständen droht. Daher variiert der Förster nicht nur die Arten, sondern auch die Herkünfte, setzt mit Baumarten wie dem Italienischen Ahorn (Acer opalus) auch schon mal auf südlichere Abstammung. Denn er erwartet künftig mehr Wärme, intensivere Perioden der Trockenheit und auch schon mal plötzliche Kälteeinbrüche, eine Verschiebung von borealem Klima zu mehr mediterranen Witterungsverhältnissen. In FFH-Gebieten muss Förster Hahn ohnehin amtliche Naturschutz-Vorgaben einhalten, z. B. max. 3 % Douglasien. So tritt er für Versuchsanbauten ein, denn wirklich wissen, was in zwei Generationen trägt, kann man nicht. Risikostreuung ist daher auch bei der natürlich wachsenden Kapitalanlage Wald angeraten. Wald ist für Michael Hahn eine Kulturaufgabe mit vielen Dimensionen.

 

* Pan European Forest Certification Forest Stewardship Council

** s. auch Seite 40