Portrait

Wildnis integrieren

Der Lämmerhof verbindet Landwirtschaft und Naturschutz

Von Michael Olbrich-Majer

 

Sanft tönt die Sonne den weiten Abendhimmel mit einem glimmenden Band, orchestriert vom Rhythmus der Teichfrösche. Ein Trupp Kraniche fliegt trompetend in unsere Richtung, dreht mit breiten Schwingen ab, als er uns Abendspaziergänger bemerkt. Wir stehen auf einer kleinen Anhöhe hinter dem Lämmerhof, unten zwischen den Feldern und Wiesen liegt ein großer Weiher, das Hellmoor, auf das gerade ein Seeadler zusteuert, in der Ferne grast friedlich eine Angusherde. Von einem solchen Bild muss Detlef Hack, Demeter-Landwirt im holsteinischen Panten, einmal geträumt haben. Ein Stück Wildnis, drei Minuten zu Fuß hinterm Hof.

Das Schweigen der Landschaft

Panten, eine Ortschaft mit acht Höfen, liegt im eiszeitlich geprägten lauenburgischen Hügelland und beeindruckt durch die stattlichen Backsteinbauten seiner Bauernhäuser. Detlef Hack ist hier aufgewachsen. Weite Äcker, selten aufgelockert durch die typischen Knicks bzw. Baumhecken bestimmen die Landschaft aus ackerfähigen ebenen Grundmoränen, begrenzt durch Moore, trockene Sander und teils steile Täler. Die nächste Stadt ist Lübeck, 30 km entfernt. Der Landwirtssohn wurde mit den Intensivierungsschüben der Landwirtschaft groß und besuchte die höhere Landbauschule – allerdings mit Zweifeln an der Zukunft. Gift auf den Äckern, der schlechte Umgang mit Tieren und seine Liebe zu Natur und Landschaft ließen ihn Abstand suchen, den er unter anderem auf Reisen nach Afrika fand, wo ihn das Wildtierleben beeindruckte. Mit 27 Jahren übernahm Detlef Hack den Hof und nutzte die neue Extensivierungsförderung, um auf Bioland umzustellen. Hack schaffte auf dem ackerbaulastigen Hof die konventionellen Schweine ab, 1995 als Bioschweine wieder an und zwei Jahre später kamen auch Rinder dazu.

Der Anfang: das Hellmoor

In dieser Zeit ereilte den Jungbauern der Ruf der Landschaft: Um ihn herum wurde die Vielfalt weiter dezimiert, Hecken gerodet, Flächen drainiert. Doch stand in Schleswig-Holstein der Aufbau eines Biotopverbundes an, um wertvolle Trittsteine in der Landschaft zu vernetzen, ein Flurbereinigungsverfahren lief an. Zeit, sich Gedanken zu machen. Denn die zunehmende Segregation von Landschaft und Landwirtschaft in Naturschutzgebiete und Naturausräumungsgebiete ging Hack gegen den Strich. Mit dem ehemaligen Moor hinter dem Betrieb, durch Torfstich und Landwirtschaft entwässert, fing alles an. Hack tauschte Flächen rund um das Gewässer gegen seine besseren auf der Grundmoräne ein, verhandelte mit Behörden und Kommune, und schuf Fakten, indem er eigenhändig den Bach aus dem Rohr befreite. Durch Sohlanhebung und verlangsamten Abfluss wurde das trockengelegte Moor zum Flachwassersee und zu einer Attraktion für die wilde Tierwelt. Über die Flurbereinigung gelang es, 106 ha eigene und 50 ha Pachtfläche um das Moor herum zu legen. Mit einem extensiv angepassten Bewirtschaftungskonzept, der Pflanzung von Knicks, einem kleinen Wald und kleinen Feuchtbereichen erhöhte er die Biotopdichte und schuf so, u.a. mit dem Verein Natur Plus, den er 1997 mitbegründete, ein Musterbeispiel einer Landwirtschaft, die Naturschutz integriert. Sozusagen Detlef Hacks Gesellenstück als Landschaftspfleger.

Der Landwirt ist auch Wirt für Wildes

Der Natur etwas abgeben, für die hiesigen Bauern, denen der Sinn nach Spezialisieren und Intensivieren und Wachsen stand, war das links und naiv. Detlef Hack spürte in der Entwicklung des Ortes die Folgen einer zunehmend ausgeräumten, schweigenden Landschaft – und sah seine Aufgabe darin, etwas zu tun, den elterlichen Hof im Organismus der Landschaft zu verankern, nicht als Gegensatz zum natürlichen Zusammenhang, mit etwas Alibi-Natur garniert. Für ihn lebt die Landschaft nur naturdurchströmt, von isolierten Einzelmaßnahmen hält er wenig. Detlef Hack will etwas erleben, wenn er über seine Flächen streift, ob mit dem Ohr oder mit dem Fernglas. „Mein Getreide soll den Gesang der Vögel und den Schatten des Adlers gespürt haben“ ist seine Maxime. Ökologische Bewirtschaftung hat dazu das Potenzial und der biodynamische Blick, zu dem Detlef Hack und Ute Thode mit den Jahren kamen, ermöglicht es, von Landschaftsorganismus zu sprechen und individuelle Möglichkeiten, der Natur etwas zu geben, zu denken. „Das kann jeder Betrieb, ganz seinem Standort entsprechend, es ist eine Frage des Wollens.“

Schritt für Schritt - Naturschutz ermöglichen

Detlef Hack hat sich die Natur-Beseelung seines Betriebs mit Fleiß, Ausdauer und Leidenschaft erarbeitet. Das Know-how wuchs mit dem Interesse und durch die Partner in ehrenamtlichem Naturschutz und Behörden. Im Rahmen der 1991 begonnenen Flurbereinigung wurde der Landwirt mit dem Flurbereiniger zum Diplomaten mit langem Atem für den Biotopverbund. Denn erstmal muss die Fläche zusammengebracht werden. Naturschutz wurde zum integralen Bestandteil des Betriebskonzeptes des Lämmerhofs. Es mussten Biotopstrukturen verbunden werden – dazu waren teils Nutzungsaufgabe, teils Ergänzung von Landschaftselementen erforderlich: Hecken, Säume, Feldgehölze und Wald wurden gepflanzt, das Knicknetz komplettiert, Feuchtstrukturen aktiviert oder angelegt. Ein weiterer Schritt war die mit sachverständigem Konzept angepasste Nutzung, z. B. Beweidung von Magerstandorten oder Streuobst oder gezielt extensivierter Anbau. Und wenn das mal steht, folgt die Feinabstimmung nach Vorjahreserfolg und Jahresverlauf; aber das kennt man als Landwirt ja, nur, dass auf dem Lämmerhof das Wohlergehen der Natur eine wichtige Zielgröße ist.

Äcker durch Vielfalt beleben

Natürlich baut der Lämmerhof auch Getreide oder Bohnen für den Markt an, Kleegras und Zwischenfrüchte sorgen mit dem knappen Mist für Fruchtbarkeit. Bestandsführung, Sortenwahl etc. folgen aber anderen Regeln als dem hier üblichen Ertragsziel von 100 dt/ha. Die Nutzungsintensität greift die Landschaftssituation auf und die prinzipiell siebengliedrige Fruchtfolge ist flexibel. Das beginnt schon bei Saatdichte und Sortenwahl. Wo normale Biobauern gut beschattende Sorten vorziehen, da sie das Unkraut unterdrücken, sucht Hack nach Sorten, die mehr Licht in die Bestände lassen, der Flora und Fauna zuliebe. Dazu testet er Getreide biodynamischer Züchter in Kleinversuchen. Denn die Abreife soll entschleunigt und ein Erntekahlschlag ohne Deckung vermieden werden. Die Landwirtschaft soll sich, so Hack, möglichst an die Reproduktionsansprüche der vorkommenden Arten anpassen. „Die Wachtel liebt die spät räumende Bohne, Greifvögel brauchen überwinternde Stoppelfelder.“ Wenn bei 400 Hektar mal ein Feld verloren geht, nehmen es die Leute vom Lämmerhof sportlich: „Der Kranich war diesmal schneller als die Bohne“. Mist zur Düngung gewinnt der Lämmerhof von den im Winter eingestallten Tieren. Dennoch ist der Tierbesatz am unteren Demeter-Limit. Umso intensiver ist die Arbeit mit den biodynamischen Präparaten, ein Mitarbeiter kümmert sich um Herstellung, Kräuter sammeln und Ausbringung.

Auch im Grünland: Natur zurück holen

Weidegang ist in der Region unüblich geworden, die nicht geackerten Restflächen sind zu nass oder zu trocken. Der Lämmerhof setzt seine Wiederkäuer zur Pflege einer halboffenen Weidelandschaft auf naturschutzrelevanten Flächen ein. In zwei Herden ziehen Angus-Rinder über die großzügigen, fast zusammenhängenden Areale – Wildnisbeweidung nennt Hack das. Niedriges Nährstoffniveau und geringer Viehbesatz sorgen für gerade soviel Verbuschung, wie es für bestimmte Vogelarten wie den Neuntöter, erforderlich ist. Zugleich beleben die Rinder die Landschaft dadurch, dass sie Insekten und damit Vögel anziehen, sogar die Kraniche picken gerne in den Fladen. Allerdings heißt das auch, stabile Zäune ziehen, sowohl außen herum als auch innen, um sensible Flächen herum. An den 20 Kilometern Zaun hat sich das Land beteiligt. Auch braucht es Fanggatter, um die Tiere vor dem Kalben in den Stall oder zum Schlachten zu bringen. Zum Umzug auf andere Flächen muss man die Rinder mit Zufutter locken. Die Mahd auf den Wiesen erfolgt meist spät, zudem bleiben Streifen als überjährige Strukturen stehen, Refugien für Wachtelkönig und Braunkehlchen. Renaturierung ist ein weiteres Ziel, sowohl bei den Trockenflächen der ehemaligen Kiesgrube am Pantener Moorweiher als auch durch Wiedervernässung wie in der Diekbekniederung. Die Heidschnuckenherde, betreut von Ackerbauer Rudi Walch, weidet ganzjährig wandernd in der Fruchtfolge. Sie ergänzt das Weidemanagement und grast dort, wo die Rinder nicht hinkommen. Die Schweine leben auf dem Lämmerhof luxuriös – nicht nur wegen des großzügigen Schweinestalls. Sie rotieren auf sieben Auslaufflächen drumherum, die teils auch zum Anbau von Hokkaido-Kürbis genutzt werden.

Safari auf Kuhpfaden: Pädagogik und Partner

Natürlich geht das alles nicht alleine. Auch die Mitarbeiter des Lämmerhofes sind naturschutzbegeistert. Franziska Eggers hat das Kartenmaterial fürs Internet erstellt. Der Verein Natur Plus berät bei Naturschutzfragen, macht Bestandsaufnahmen samt Monitoring und schreibt Berichte. Die Flurbereinigungsbehörde, die meist den Flächenerwerb übernahm, Formelles und Planungen regelte, half hier ebenso wie die Stiftung Aktion Kulturland und der Deutsche Verband für Landschaftspflege (DVL) e.V., die den Weg dafür ebneten, dass mit finanzieller Förderung des Landes auf den Ackerflächen neue Naturschutzmaßnahmen erprobt werden können. Und, es war immer auch im Blick, zu ermöglichen, die Natur zu erleben. So ist der Lämmerhof Veranstalter von Führungen, Safaris, Seminaren oder Kunstaktionen. Allein 25 Mal im Jahr hilft Ute Thode – als Bäuerin zuständig für die modernen K´s: Kinder, Konto, Kommunikation und Kultur – Schülergruppen beim Entdecken der Geheimnisse des Lämmerhofs. Besonders eindrucksvoll ist auch die „Safari auf Kuhpfaden“ mit Beobachtungsstunde im Weidenhochsitz.

Der Lämmerhof

So komplex wie es auf den Flächen zugeht, ist auch die Betriebsstruktur. Zur Lämmerhof GbR gehören neben dem Bauernhof in Panten die Unterkunft für die Heidschnucken auf dem Hof Gretenberge und der Hof von Hacks Partner Christian Brüggemann. Der Landwirt und UGB-Gesundheitstrainer im benachbarten Mannhagen hat seine Flächen in die GbR eingegeben und vermarktet die Erzeugnisse der gemeinsamen GbR und mehr in seinem gut sortierten Biomarkt sowie mit einer flexiblen Abokiste. In der Scheune bringt er Musik aufs Land oder organisiert das Hoffest. Zum Lämmerhof gehören auch der Betrieb Thode, dem rechtlich die Naturschutzflächen zugeordnet sind, und der gewerbliche Betrieb für den Getreidehandel: Hack lässt zur gezielten Vermarktung des Naturschutzaspektes Mehl mahlen und nimmt auch Getreide von Projektkollegen auf. „Landschaft ist spannend und kann wunderbar schmecken“ – mit diesem Ansinnen will er eine gezielte Vermarktung aufbauen, die „Wildartenfreundlichkeit“ als Merkmal auslobt, für Biobetriebe seiner Ansicht nach die Antwort auf den Boom „regionalen“ Marketings.

Gemeinsam Landschaft entwickeln

Aufbauend auf dem eigenen Engagement brachte der Lämmerhof zusammen mit verschiedenen Partnern aus der Region eine neue Projektidee hervor. Im Frühjahr 2009 wurde die Koordinierungsstelle Lauenburgische Kulturlandschaft, kurz Kolk, eingerichtet, für zunächst zwei Jahre, gefördert durch die Umweltlotterie BinGO!. Träger sind die Stiftung Aktion Kulturland und Natur Plus e.V., der DVL unterstützt in fachlichen Fragen. Die Koordinierungsstelle spricht im Kreis Herzogtum Lauenburg gezielt Landwirte an, um auf Basis ökologischer Bewirtschaftung spezielle Naturschutzmaßnahmen umzusetzen. Parallel dazu soll eine Vermarktungsschiene für die beteiligten Betriebe aufgebaut werden. Mehr als 20 Landwirte machen inzwischen mit, lassen, wie Hack es beschreibt, „natürliche Wettbewerbsnachteile mit Hilfe des Naturschutzes über erkennbare Gemeinwohlleistungen zu einem Wettbewerbsvorteil werden“. Auf derzeit 800 ha Ackerland sollen die Bedingungen für die Vermehrung von Feldlerche, Rebhuhn oder Wachtel nachhaltig verbessert werden. Ökolandbau wird zu so einem Naturschutzinstrument, trägt als Teil eines Lebensraumverbunds zum Schutz der Artenvielfalt bei.

 

In der Pilotphase sind noch Ausgleichszahlungen erforderlich, für 250 ha wurden bereits spezielle Förderanträge genehmigt. In diesem Frühjahr wurden Demonstrationsflächen für das Kolk-Projekt auf dem Lämmerhof eingerichtet, auf denen gleichzeitig ein Monitoring von Zielarten durchgeführt wird. So unterbrechen sechs Meter breite Blühstreifen in Abständen den Aufwuchs, insgesamt 10 ha, die Sortenmischung nach Blühzeitpunkt gestaffelt. So viel Vielfalt wie möglich soll geschaffen, die Landschaft mit vielen Elementen differenziert werden, besonders rund um die Biotope. Aktuell gibt es auf dem Lämmerhof fast 100 Schläge zu bewirtschaften, im Schnitt des Projektgebiets 2,2 ha, sonst 4,2 ha groß. Auf den Demonstrationsflächen wird besonders wildartenfreundlich gewirtschaftet, indem z. B. Getreide kleinflächig nicht geerntet wird, um Winterfutterflächen für Vögel und andere Tiere zu schaffen. Detlef Hack erhält für die Erprobung der Einzelmaßnahmen Ausgleichszahlungen aus dem Artenhilfsprogramm des Bundeslandes. Damit es voran geht, springt der Lämmerhof schon mal als „Lohnunternehmer Naturschutz“ ein. So hat Hack gleich hinter Panten einen großen Getreideschlag mittels blau blühender Streifen aufgegliedert, ein ungewöhnlicher Anblick: Lerchenfelder statt Lerchenfenster. Auf dem Lämmerhof kann man es erleben: Naturschutz macht Freude und den Ökolandbau noch spannender!

Betriebsspiegel

  • 550 ha Fläche: 400 ha Acker, 150 ha Weidelandschaft, 10 ha Wald, 35 ha Wasser, Knicks und Biotope, 10 ha Blühstreifen

  • wechselnde Böden, im Schnitt 45 Bodenpunkte (18 bis 62)

  • Fruchtfolge, Anbau, Sorten und Tiere integriert in Naturschutzkonzept

  • Extensive Beweidung mit 30 bis 40 Mutterkühen plus Nachzucht und Ochsenmast, sowie 80 Mutterschafe; 90 Mastschweine mit Weideauslauf

  • Kürbis im Freiland (ca. 3 ha), Gurken und Feingemüse in 2500 qm Glas

  • 4 Unternehmen, drei Hofstellen, Vermarktung über Hofladen und Abokiste (300), Biogroßhandel, eigenes Mehl an Bäcker

  • Neben Betriebsleitern (Detlef Hack, Ute Thode, Christian und Urte Brüggemann, Rudolf Walch) 10 Mitarbeiter in Landwirtschaft, Hofladen, Gewächshaus und Büro

  • Förderpreis Öko-Landbau des BMELV 2004, Förderpreis Naturschutzhöfe 2008

  • Der Lämmerhof, Hack & Brüggemann GbR, Dorfstraße 10, 23896 Panten, http://www.laemmerhof.de