Portrait

Der Präparate-Mann

Christoph Willer lebt seine biodynamische Berufung

Von Michael Olbrich-Majer

 

Ekel vor Kuhmist? Seine Finger kennen da keine Scheu. Während wir anderen kurze Hölzer als Spachtel benutzen, um Klümpchen frischer, braungrüner Kuhfladen in die bereitliegenden Kuhhörner zu stopfen, nimmt Christoph Willer lieber die Hand: da hat man mehr Gefühl und schneller geht´s auch. Höchste Bewunderung bringt er dieser Substanz entgegen. Nicht nur, dass ökologische Bauern den Mist brauchen, und biodynamische erst Recht, zumal für die Herstellung des Hormistpräparates. Ein aufmerksamer Blick auf den Mist lehrt auch viel über die einzelne Kuh wie über den Betrieb. Und, was die Kuh „übrig“ lässt, ist schließlich eine Art geistiges Kondensat ihrer Verdauungswahrnehmung – eine Mitteilung an den Boden und die Pflanzen, die darin wachsen.

Gemeinsam Hörner stopfen

In der Runde beim Präparatetreffen der biodynamischen Arbeitsgemeinschaft Berlin- Brandenburg wird weniger sinniert als fleißig geschafft. Schließlich sind noch reichlich Hörner zu füllen, insgesamt vier Wannen, und die Präparate aus Eichenrinde und Rinderschädel bzw. Löwenzahn und großem Netz aus dem Innern des Rindes sollen ebenfalls heute noch gemacht werden. Und dann müssen die Hörner auch vergraben werden, wie die Schädel und später die Löwenzahnpäckchen. Jakob Ganten hatte biodynamische Landwirte und Hausgärtner zum gemeinsamen Herstellen der Biologisch-dynamischen Präparate auf den Hof Apfeltraum geladen, wie immer, Ende September um den Michaelitag. Ein Brauch in vielen biodynamischen Arbeitsgemeinschaften, wo Landwirte ihren Anregungs-Dünger mit landwirtschaftseigenen Substanzen selbst fertigen. Christoph Willer ist heute als Fachmann für die Anleitung und für Fragen zuständig. Und die gibt es reichlich, wenn etwas praktisch wird.

 

Wird die Qualität im Frühjahr beim Ausgraben sich unterscheiden? Zwei Arten Mist, von Kühen mit Weide und welchen nur mit Heufütterung werden ja verfüllt. Aktuell ist die Grube für die Hörner zu nass – es hat wochenlang geregnet. Also muss Sand herbeigeholt werden. Muss die Eichenrinde nicht angefeuchtet werden, bevor sie in den Schädel gefüllt wird? Ist dieses Netz aus dem Kuheingeweide brauchbar? Ja, das ist schön dünn. Es kommt auf sorgfältiges Arbeiten an, im induzierten, natürlichen Reifungsprozess der Präparierungen im Boden kann noch einiges schief gehen. Und die Qualität der Präparate spielt eine Rolle: gammelige Kompost- oder Spritzpräparate sind untauglich. So werden gemeinsam Präparate für andere Demeter-Betriebe mit hergestellt und gleichzeitig tauscht man sich über Techniken und Qualität aus. Am Nachmittag schließt ein Erfahrungsbericht über unterschiedlich hergestelltes Baldrianpräparat an.

Die Arbeit auf die Erde bringen

Seit fast 30 Jahren arbeitet Christoph Willer intensiv mit den biodynamischen Präparaten, mehr oder weniger im Hauptberuf. In Berlin hatte der Pfarrerssohn aus Nordhessen bereits Kuhhörner im Hinterhof vergraben, während andere Häuser besetzten. Über sein Interesse an der Natur war er als Student der Landschaftsplanung auf das Biodynamische gestoßen und interessierte sich für dessen Hintergründe. Bei der biologisch-dynamischen Hausgärtnergruppe in Berlin lernte Willer dann die Herstellung der Präparate. Im naturwissenschaftlichen Studienjahr an der Hochschule für Geisteswissenschaften in Dornach eröffnete sich ihm die goetheanistische Herangehensweise der Anthroposophie an die Naturphänomene.

 

Trotz Uni-Abschluss war Büroarbeit für ihn keine Perspektive und er entschied sich nach kurzer Erfahrung als Planer für die praktische Arbeit im Naturschutz, war als Naturschutzpfleger in Berlin tätig. Handfest und draußen, er braucht dieses Freiheitsgefühl. Seine Arbeit nutzte er als Ausgangspunkt, um mit einer Arbeitsgruppe und Revierförstern mittels biodynamischer Maßnahmen und Versuchen mit den Präparaten heilende Wege für den Wald, für Boden und Bäume, zu entwickeln. (s.a. LE 6-2003)

Präparate im Wald – die Versuchsjahre

Einen Tag die Woche arbeitete er dafür im Wald, begleitend fanden Untersuchungen durch die Berliner Senatsverwaltung Umwelt statt. Nach sieben Jahren gab es einen Abschlussbericht der Forstakademie Eberswalde, der eine Verbesserung der Böden, der Humusqualität und des Zustands der meisten Beobachtungsbäume feststellen konnte – ohne Kalkung! Daneben bildeten sich die Kronen mit Behandlung harmonischer aus. Für Willer war diese Arbeit ein Schlüssel zum Verständnis der Biodynamischen Präparate. Offensichtlich regten sie das Bodenleben an, hoben die Pflanzengesundheit und die Nährstoffverfügbarkeit an. Anschließend, 1996, zog es Christoph Willer in das frisch auf Demeter umgestellte Ökodorf Brodowin in Brandenburg.

 

In dem 1200-Hektar-Betrieb mit zahlreichen Naturschutzflächen leitete er die Präparatearbeit, anfangs noch unterstützt von Günter Graf Finkenstein. Seit 2005 ist er nun der Mann für die Präparate im Demeter–Landgut Pretschen am Rand des Spreewalds, mit 800 Hektar ebenfalls ein größerer Demeter-Betrieb, bewirtschaftet von Sascha Philipp. Dort lebt Christoph Willer als Landarbeiter mit spezieller Mission bescheiden mit seiner Katze, konzentriert auf seine Aufgaben, ohne Handy, ohne Computer.

Die Präparate – ein spirituelles Geschenk

Für das Herstellen und Ausbringen der Präparate ist Willer allein zuständig, neben dem Zupacken bei anderen Arbeiten im Betrieb. Ein Viertel seiner Zeit, ca. zehn Wochen im Jahr vor allem im Herbst und Frühjahr, nahmen die Präparate in Brodowin in Anspruch, keine Dreiviertelstunde pro Hektar. Auch in Pretschen ist zwischen Ostern und Pfingsten Hochsaison für das Ausbringen der biodynamischen Spritzpräparate, im Spätsommer und Herbst geht es dann Schritt für Schritt. Selbstverständlich stellt Christoph Willer sie alle selbst her, schließlich sind sie ja Mittel aus der Landwirtschaft, lebendig miteinander zu etwas wirkungsvoll Neuem verknüpft.

 

Doch fürs Sammeln der Blüten ist die Zeit knapp bemessen – Lehrlinge der benachbarten Demeter-Gärtnerei und der Freien biodynamischen Ausbildung helfen da aus. Die Löwenzahnblüte beispielsweise muss zum exakt richtigen Zeitpunkt gepflückt werden, sonst wird sie beim Trocknen zur Pusteblume; am besten an Licht/Blüte-Tagen nach Maria Thuns Kalender.

 

Als ich Christoph Willer besuche, ist gerade Zeit zum Hörner stopfen. Zwei trocken stehende Kühe füttert er dazu nur mit Heu – dann stimmt die Konsistenz des Mistes. Hornmist ist für ihn so etwas wie eine Erinnerungskraft im Betrieb, während die Kompostpräparate sensibel für die aktuellen seelisch-astralischen Kräfte machen sollen. Für ihn sind sie Wandler, verdichten die Wirkungen des Tierkreises. Die biodynamischen Spritzpräparate dagegen, und dazu zählt Christoph Willer auch die Schachtelhalmzubereitung, sorgen eher für ein Gleichgewicht der Einflüsse von Sonne, Mond und Erde, laden die Kräfte der Schöpfermächte ein. Wenn man mit diesen arbeiten wolle, dann brauche man auch ein moralisches Fundament. Denn das entscheidende auch für die Wirksamkeit sei, sich mit der Präparatearbeit zu verbinden.

Arbeitsplatz Präparate

Dafür hat Christoph Willer mit roh geschälten Stämmen eigens einen Hochstand an eine der Pretschener Großscheunen gebaut. Auf vier Meter Höhe stehen die Rührfässer und das Präparatelager, auf der kühlen Nordseite, damit er beim Rühren mit der Hand – immerhin im 500-l-Fass – nicht ins Schwitzen kommt. Auch die Spritze auf einem Hänger ist selbstgebaut, ein Propeller versprüht das angerührte Präparat. „Kein Plastik verwenden, das mindert die Wirkung“, empfiehlt Willer. Er verwendet Schläuche aus Gummi mit kleinen Eisenfiltern und Messingdüsen, der Tank ist verzinkt. Mit 20 m Arbeitsbreite und wenig Druck, maximal 2 bar, bringt er ca. 10 bis 20 Liter je ha aus, an einem Vormittag sind dann schon mal 50 ha zu schaffen. In der Regel kommt er gerade einmal mit jedem Präparat herum.

 

Zwischen Ostern und Pfingsten ist die intensivste Zeit, was das Ausbringen der Präparate angeht. Mit Hornmist fängt Willer so früh wie möglich im Februar, März an. Wenn die Sonnenkräfte den Substanzaufbau der Pflanzen fördern, dann kommt Hornkiesel zum Einsatz, meist nur einmal, im Herbst dann Hornmist auf den Boden zu den Winterungen. Wenn es zeitlich drin ist, dann gibt es je nach Bestand auch eine Spritzgabe zusätzlich, auf Saatgutfeldern z. B. oder wenn er das Gefühl hat, dass der Boden im Frühjahr noch mal Hornmist braucht oder das Grün nicht so frisch ist, wie es sein soll. Überhaupt, das Grün: im Wald hat er gelernt, die zahlreichen Facetten des Grüns zu unterscheiden und daraus auf die Bestände zurückzuschließen. „Wenn ich nach dem Spritzen etwas sehe, dann am ehesten an der Veränderung der Farbe oder daran, dass der Bestand tags darauf einheitlicher geworden ist.“

Auf die Qualität kommt es an

Doch kann man natürlich nur eine Wirkung erwarten, wenn alles optimiert ist, angefangen von der richtigen Bodenvorbereitung und biodynamischem Saatgut bis hin zur Spritztechnik und natürlich Präparate vom eigenen Hof – auch das in gutem Zustand. Die Präparate lagert er feucht, in Tontöpfen umgeben von Torf.

 

Fladenpräparat macht Willer nicht, und spricht die Gefahr von „Abkürzungen“ und Vereinfachungen an. Sein Ziel ist gediegene Präparatearbeit, zumal auf den leichten Böden hier. Da muss Kompost drauf, kein Ersatz. Auch Experimente mit anderen Zubereitungen unterlässt er: „Begeisterung ist gut. Aber wir müssen jetzt nicht noch neue Präparate erfinden, sondern erstmal fragen, ob wir wirklich schon alles gemacht haben, was Steiner dazu angegeben hat“, merkt er kritisch zur Probierlaune mancher biodynamischer Betriebe an. „Man soll im geistigen Bereich die Dinge nicht mischen,“ so seine Überzeugung. Sonst weiß man hinterher auch nicht, was wirkt und was nicht. „Es kommt darauf an, dass wir selber Erfahrungen machen, unser Denken beweglich machen.“ Der Wunsch nach Verkürzung dieses Lernprozesses übersieht seiner Ansicht nach, dass man sich dabei auch selbst verändern muss. „Es gibt keine bessere Möglichkeit, sich in die Hofindividualität zu vertiefen als beim Rühren. Mir kommen die besten Ideen in dieser Stunde.“

 

In der Präparatediskussion konzentriert sich Willer auf das Wesentliche: Selbst urteilsfähig werden, darauf legt er Wert bei sich und auch, wenn er sein Wissen vermittelt. Das Ohr ganz an der Praxis hat Christoph Willer im eigenen Garten. Dort, am Ufer eines Spree-Armes, stehen auch seine Bienen, neben dem Interesse an alten Kirchen eines seiner Hobbys. Sechs Kartoffelsorten vermehrt er seit Jahren, verascht Kartoffelkäfer und macht Versuche mit verschiedenen Präparatequalitäten und zur Wirkung von Schachtelhalmspritzungen: Hörner füllen oder ausgegraben zu unterschiedlichen Sonnen- oder Mondständen. Die astrale Wirkung von Sonne und Mond differenziert beurteilen zu können, ist dabei sein Anliegen. Auch die Rhythmen von Mond und Planeten hat er im Bewusstsein, prüft besondere Orte im geomantischen Erdgitter, zum Präparate eingraben.

Spiegel des Betriebs

Für den Präparatearbeiter ergibt sich aus seiner Tätigkeit heraus ein Blick auf die Ideale eines Betriebes. Das fängt bei der Fladen- und Mistbeschaffenheit an – unter anderem der Frage: Reicht das Stroh für eine gute Rotte des Mistes? – und ermöglicht über Fütterung und Boden Anregungen zur Abrundung des Hoforganismus und zur Ausprägung der besonderen biodynamischen Qualität. Doch steht die erforderliche gründliche und langfristig angelegte biodynamische Arbeit heute oft in Spannung zur kurzfristig betrachteten Rentabilität. Auch ist der Umgang mit den biodynamischen Präparaten zwar essenziell, aber nicht nur Chefsache – das müssen auch die Lehrlinge lernen, das ist der beste Einstieg in die biodynamischen Begrifflichkeiten und die Betrachtung des Betriebes von diesen her.

 

Umstellern rät Willer, gleich mit dem Hornmist machen anzufangen und den Kompost zu präparieren. Dann kann man sich nach und nach die anderen Präparate erschließen – gemeinsam in der regionalen Demeter-Arbeitsgemeinschaft. Fürs Ausbringen soll man möglichst keine alte Pflanzenschutzspritze nehmen, und ruhig mit der Hand rühren, das bringe als Nebeneffekt auch Struktur in die Arbeit. Wenn dann der Grund gelegt ist, einen Präparateplatz einrichten, aber nicht provisorisch, denn es sollte alles bereit stehen zum Loslegen. Wenn man erst das Fass aus der Scheune hervorkramen muss, dann leiden Laune und Qualität.

Biodynamische Ausbildung ermöglichen

Einmal monatlich unterrichtet Willer von Samstag bis Dienstag die Lehrlinge der Freien biodynamischen Ausbildung im Osten. Die hat er selbst mit ins Leben gerufen und sie besteht aus der Mitarbeit auf Demeter-Betrieben plus Teilnahme an den monatlichen Seminaren, das ganze über vier Jahre. Dann darf die staatliche Gesellenprüfung abgelegt werden.

 

In der Betreuung der jungen Leute werden aber noch andere als fachliche Qualitäten gefragt, für menschliche Fragen und Probleme seiner Schützlinge hat der alleine lebende 52jährige immer ein offenes Ohr und praktischen Rat. Das ist ein bisschen wie Kinder haben, freut er sich. Mit überzeugender Ernsthaftigkeit begeistert er junge Menschen und sorgt dafür, dass sie bei der Stange bleiben.

 

Auch bei den Vertiefungswochen in biodynamischer Landwirtschaft und Anthroposophie am Goetheanum ist er als Dozent dabei, mit Überblick den Landwirtschaftskurs wörtlich zitierend und auf die Grundlagen zurückführend. Den fachlichen Austausch pflegt er beim regelmäßigen internationalen Treffen der biodynamischen Präparatefachleute im Februar. Mit dem Landgut Pretschen hat er für seine Reisen ein Arrangement getroffen. Und kann so auch anderswo zum Verstehen und Nutzen der Präparate beitragen.

Demeter-Landgut Pretschen

  • 600 ha Acker, 240 ha Grünland, ca. 40 ha Wald

  • 275 Milchkühe und Nachzucht (insgesamt 600 Kopf Rindvieh)

  • Milchviehbetrieb, mit Gärtnerei und speziellem Betriebszweig Chicorée (10 ha)

  • Hofladen, Café, Brot, Wurstsortiment, Leinöl

  • ca. 25 festangestellte Mitarbeiter

  • Seit 1999 biologisch-dynamisch

  • Bewirtschafter: Sascha Philipp

  • http://www.landgut-pretschen.de
    Präparate auf Pretschen: Christoph Willer, Am Landgut 1c, Pretschen