Portrait

Pferdearbeit und solidarische Landwirtschaft

Der Gärtnerhof Entrup119 ist Medium für gesunde Lebensmittel und ökologische Aktivitäten

Von Michael Olbrich-Majer

 

Auf Entrup119 ist man eigentlich nie alleine. Gärtner Kenneth Stange sitzt nicht allein am Mittagstisch, auch wenn heute Lebensgefährtin Susanna, Lehrlinge und Mitarbeiter unterwegs, der Bäcker und die Käserin noch nicht da sind. Vier Waldorfschulpraktikanten, eine französische Elektronikstudentin, die mal was anderes – ein FÖJ – macht, eine Schäferin, die vorübergehend beim Melken mitarbeitet, die Hof„mann“schaft ist bunt, das soziale Umfeld des Gärtnerhofes vielseitig, engagiert und: interessiert an Landwirtschaft. Werner Bez, der Mann für die Tiere, isst bei seiner Familie, ein Stockwerk höher im Bauernhaus. Siebzig Milchschafe, zehn Schweine und die vier Arbeitspferde auf Entrup119 sind sein Arbeitsgebiet, Christiane, seine Frau, macht den Hofladen, Kenneth Stange und Susanna Lindeke die Gärtnerei, er die Häuser, sie die Freiflächen.

Gärtnerhof, erweitert in die Gesellschaft

So ist der Betriebe für seine 2,5 Hektar Gemüse, 6 Hektar Acker und 21 Hektar Wiesen und Weiden sehr belebt. Kein Wunder: er gehört seit Jahren einem Verein, der Initiative Entrup e.V.. Dieser Kunden-und Freundeskreis hat ihn 1989 gekauft, um hier weiterhin die Agrarkultur zu ermöglichen, die zwei Jahre zuvor begonnen wurde: Biologisch-dynamische Landwirtschaft. Dazu wurde er an eine Betriebsgemeinschaft verpachtet, die 2007 in eine Genossenschaft überführt wurde. Das bedeutet, an dieser Art Landwirtschaft sind mehr als 60 Menschen beteiligt, nicht nur Betriebsleiter und Mitarbeiter. Vorstände der Genossenschaft sind seit ihrer Gründung Kenneth Stange und Susanna Lindeke, die nach einem schwierigen Start den bestehenden Freundeskreis um die Schafe zu einer CSA (Community Supported Agriculture) ausweiteten. Die versorgt inzwischen ungefähr 130 zahlende Mitwirtschafter, 400 Menschen insgesamt, mit Gemüse, Brot, Käse, Äpfeln, Honig und ab und an auch Fleisch.

 

Das Modell Solidarlandwirtschaft gründet darauf, dass die Nutzer den Erzeugern das Arbeitsjahr per Monatsbeitrag vorfinanzieren. Die CSAler zahlen zurzeit einen empfohlenen Betrag von 115 bis 155 Euro, Familien nach Selbsteinschätzung zwischen 300 und 450 Euro. Für die ein Jahr laufende Vereinbarung wird im Juni eine Generalversammlung einberufen, in der die wirtschaftliche Situation des Gärtnerhofes, Investitionen und der künftige Beitrag besprochen werden.

Solidarische Landwirtschaft

Den Kundenkreis dafür neu aufzubauen, war allerdings ein gutes Stück Arbeit, das die Entruper ideen- und erfolgreich angegangen sind. Mit Katja Beiersmann aus dem Kundenkreis stand ihnen eine erfahrene PR-Frau zur Seite. Im Münsteraner Kino führten sie den Film von Farmer John vor und diskutierten mit den Zuschauern, waren in der regionalen und überregionalen Presse, machten Veranstaltungen auf dem Hof, streuten Flyer, standen in der Fußgängerzone, warben äußerst rege für ihre Idee einer von allen getragenen Landwirtschaft. Und sie holten sich Rat bei der Wirtschaftsgemeinschaft des Buschberghofs (vgl. LE 4-2012), die das schon lange so macht. Rasch wurde aus dem Kreis der Mitwirtschafter eine Website erstellt, die von diesen vorbildlich gepflegt wird und die die vielfältigen Angebote und Aktivitäten des Gärtnerhofes unter die Leute bringt. Das CSA-Modell erfordert ja ohnehin Engagement von den beteiligten „Abnehmern“: Das beginnt schon beim Abholen, das Verteilen muss selbst organisiert werden, in fünf Depots in Münster und einem auf dem Hof. Aktuell gibt es jetzt Prämien für die Werbung neuer CSAler, denn die Fluktation liegt zwischen 10 bis 20 % muss ausgeglichen werden. Das meiste läuft über das Persönliche.

 

Das Wirtschaftsmodell zieht immer wieder Studierende an, die darüber ihre Abschlussarbeit schreiben wollen – hier wären vor allem die verschiedenen Erfolgsbedingungen im Vergleich der CSAs interessant. Demnächst steht Erntedank an, Gottesdienst auf dem Hof, davor Apfelsaft pressen, vor kurzem war Benefizessen – zur Cofinanzierung des neuen Schafstalls. Monatlich gibt es Mitmachtage, helfen und gemeinsam essen auf dem Hof. Künstler, die im Gemeinschaftsraum ausstellen oder für Website oder Hofpostkarten fotografieren, bereichern das Geschehen ebenfalls. Die gemeinschaftlich getragene Agrarkultur lebt! Fordert aber auch die Gärtner. Damit diese Landwirtschaft auch Schüler erfahren können, hat ein Entruper CSA-Mitglied einen Bauwagen für den Hof gestiftet – als Begegnungsort und dafür einen Zukunftspreis bei der Drogeriekette dm gewonnen. Das ergänzt die regelmäßig in Entrup stattfindenden Seminare rund um ökologisches Leben und Landwirtschaft.

Grünzeug und Grünverwerter

Die Gärtnerei ist klein, aber so vielfältig, wie es die Direktvermarktung erfordert: ein abwechslungsreiches Angebot an 40 Sorten von Gemüse, Salaten und Kräutern über eine möglichst lange Zeit des Jahres. Im Winter wird es dann naturgemäß ein wenig eintöniger, aber das ist ja die Bedeutung von regional und saisonal. Auch wenn die beiden Gärtner „nur“ studiert, aber nicht jahrelange Betriebspraxis mitbrachten, sieht es hier professionell aus: in den Folientunneln gedeihen Tomaten, Paprika, Auberginen, rote Beete wurden gerade geerntet, Sellerie und Petersilienwurzeln stehen noch, ebenso wie das große Kohlfeld, das aber trotz Abdeckung schon die Kohlweißlinge entdeckt haben. Blühstreifen und Komposthaufen runden das Bild ab, einzig die zwar leuchtende, aber etwas ertragsschwache Kürbisernte ist wohl verbesserungswürdig: die Untersaat hat Größe gekostet. Aber: „Ich experimentiere auch immer etwas, um Erfahrungen zu machen“, sagt Gärtner Stange.

 

Am Hofeingang unter einer alten Eiche empfangen den Besucher schon die Schweine, die hier einen Morgen Fläche zum austoben haben. Die Schafe haben gerade erst im Sommer den neuen, lichten Stall bezogen, der für 120 Tiere ausgelegt ist. Gemolken werden sie nebenan im Altgebäude, da ist ein Melkstand mit 18 Plätzen. Aus der Milch wird Käse und Joghurt. Zwar sind die Milchtiere auf der großen hofnahen Weide, die Jungtiere aber sind auf 3 bis 5 Kilometer entfernten Flächen, müssen also ab und an gefahren werden. Auch der Acker ist weiter weg, kommt also eher selten für die Pferdarbeit in Frage.

Arbeit mit Pferden

„Oha!“. „Wiest, wiest“. „Hott!“ „Num!“. Mit tiefergelegter Bauchstimme dirigiert Werner Bez heute die Kaltblüter Thekla und Daniel, den Zügel um den Nacken gelegt, die Hände am Einscharpflug. Rote Beete Blätter einpflügen, begleitet vom Hütehund Oskar, der die Kommandos auch schon kennt und auf seine Art kommentiert. Hier ist der Boden leicht, lehmiger Sand, aber auf dem tonigeren Gemüsestück ist das schwere Arbeit. „Man ist näher am Boden dran“, beschreibt das Bez und weist auf seine Erfahrung hin, dass der Boden durch Pferdearbeit lockerer ist. „Man merkt das beim drübergehen“. Auch die Lehrlinge dürfen an die Pferde ran, müssen sich dann aber erstmal bei den Tieren durchsetzen. Das gibt´s beim Traktor nicht.

 

Werner Bez kam mit Familie, Pferd und Fohlen 2007 nach Entrup. Schon im Praktikum als Agrarstudent arbeitete er mit Pferden, machte Fahrschein und Pflügelehrgang, rückte einen Sommer lang Holz. Nach Selbstständigkeit als Gemüsebauer und Mitarbeit auf dem Schulbauernhof Hutzelberghof ist er auf Entrup119 Mitarbeiter für Tiere, Grünland und Acker. Dabei kommen neben den zwei Traktoren natürlich die Stuten Thekla und Karina und die Wallache Daniel und Rocco zum Einsatz. Thekla war schon ausgebildet, ihr Fohlen Rocco lernte Werner Bez selbst an: das Jungtier kam mit zum Arbeiten, später folgten Einzeltraining und einfach mal Mitlaufen im Gespann: Ab drei Jahren geht es mit leichten Arbeiten los. Wallache statt Hengste machen es einfacher, ein Gespann zu bilden und können mit den Stuten zusammen in der Gruppe gehalten werden. Die Arbeitspferde stammen naturgemäß aus Kaltblutrassen: vier Pferde, dreieinhalb Rassen: Süddeutsches Kaltblut, darein eingekreuzt Comtois, Rheinisch-deutsches Kaltblut mit breiten Hufen und Schwarzwälder Fuchs.

 

Hier auf Entrup119 gibt es reichlich Einsatzmöglichkeiten: durch die gärtnerische Nutzung der Flächen ist der Pferdeeinsatz praktikabel, für große Äcker kann das Pferd mit Schlagkraft und Arbeitsbreiten moderner Schlepper nicht mehr konkurrieren. Werner Bez verfügt neben verschiedenen Pflügen über einen Kalk- und einen Miststreuer, ein Vielfachgerät zur Gemüsepflege mit 1,5 m Arbeitsbreite, einen Schleuderroder, über Schleppe, Walze und Sternradrechen fürs Grünland, über eine Präparatespritze mit bodenangetriebener Pumpe und demnächst über eine Sämaschine. Vieles ist gebraucht, aber durch einfache Technik und generell kleineres Gerät für Pferde ist auch ein Miststreuer leicht erschwinglich. Auch für Transporte und im Wald setzt Werner Bez die Tiere ein.

Um Pferde muss man sich anders kümmern als um einen Traktor

Was verlangen die Tiere vom Pferdeführer? Nun, wie alle Tieren, klare Ansage, nicht nur in den Worten des regionalen oder vom Pferd gewohnten Fuhrmannslateins, sondern auch in der Körpersprache. Vor dem Anspannen müssen das Fell gestriegelt und die Hufe ausgekratzt werden. Aufmerksamkeit für die Reaktionen der Tiere, die natürlichen Pferdestärken langsam hochfahren, nicht gleich das Schwerste zuerst, die Tiere in ihren Trott kommen lassen. „Der Kopf muss mitkommen“, beschreibt das Bez und meint auch die Erinnerung des Pferds an einen ihm vertrauten Arbeitsgang, die sich nach einiger Zeit wieder einstellt.

 

Die Pferde sollten also in Übung bleiben, denn anders als einen Traktor kann man sie nicht für ein halbes Jahr im Schuppen stehen lassen. Sie wollen und müssen bewegt werden. Und beim Futter gilt: lieber knapp halten, zu lange Weidezeiten lassen sie fett werden, Kraftfutter gibt´s bei Werner Bez sowieso nicht. Die gegenüber dem Schlepper längere Anrüstzeit ist ein Nachteil für die Auslastung: mal eben aufspringen und ein paar Reihen Feldsalat hacken, geht schlecht, Planung und eine gewisser Arbeitsumfang müssen sein. Dafür können die Tiere schon mal aufs Feld, wenn es für den Schlepperräder noch zu feucht ist. Insgesamt kommt Werner Bez auf 300 bis 400 Arbeitstunden mit den Kaltblütern, einschließlich der Arbeit in den 3 Hektar Wald des Gärtnerhofes. Auf vier Tiere dann doch nicht soviel, fällt doch besonders im Frühjahr die Arbeit stoßweise an. So ist Feldgemüse allein schon deshalb der optimale Betriebszweig für den Pferdeeinsatz, weil es übers Jahr gesehen lange etwas zu tun gibt. Die Hufeisen lässt Bez übrigens seit einigen Jahren fort, das spart Kosten und sie werden, da Zugarbeiten auf der Straße selten anfallen, nicht gebraucht.

Konsolidierung und wie rechnen sich die Pferde?

Entrup119 ist ein besonderer Ort, nicht nur wegen seiner Vorgeschichte. Kenneth Stange landete hier nach langer Zeit als Straßenkünstler und Weltenbummler. Relativ spontan entschloss sich der gelernte Molkereifachmann vor zehn Jahren, beide Agrarstudiengänge in Witzenhausen zu studieren, den ökologischen und den internationalen. Hier lernte er auch seine zweite Lebensgefährtin Susanna kennen. Nach der Hochschule ging´s erstmal auf die Alp, dann suchte Entrup, damals im Umbruch, neue Betriebsleiter, für die in Gründung befindliche Genossenschaft. Für die beiden die Chance, ohne wesentliches Eigenkapital praktische Landwirtschaft zu betreiben. Der Preis dafür ist eine komplexe Organisationsform mit vielen Gremien und Gesprächen, und viel Überzeugungsarbeit, ob nun in der Genossenschaft oder beim Werben neuer CSAler – viel Leben eben. Da sind sowohl die agrarischen wie die kreativen Fähigkeiten von Kenneth Stange gefragt beim Zusammenhalten und Verbinden der verschiedenen Ebenen. Sein Fundament findet er in der biodynamischen Arbeit in der regionalen AG oder in Dornach und in regelmäßiger Meditation.

 

Das Fundament des Betriebs sind solide Finanzen. Zwar gibt es ein engagiertes Umfeld, das beim Bau des Schafstalls spendete und mithalf, ebenso wie beim Ausbau von Backstube und Hofladen, doch um Entscheidungen, und sei es nur den CSA-Beitrag begründen zu können, braucht man Zahlen. Susanna und Kenneth sind als Genossenschaftsvorstände diejenigen, die sich auch immer wieder rechnerisch (betriebswirtschaftlich) mit dem Hof auseinandersetzen müssen: Wie viel Aufwand haben wir eigentlich? Was lohnt sich? Wo geht das Geld hin? Was kommt über welchen Zweig rein?

 

Durchgerechnet haben die Entruper die Pferdearbeit noch nicht. So können sie auch keine betriebswirtschaftliche Bewertung abgeben, ob es nun eine echte Empfehlung oder doch eher ein praktisches, gut in die Hofabläufe passendes Hobby ist. Die Pferde werden sich das gefallen lassen müssen, wie ein Traktor in Zahlen betrachtet zu werden. Ihr Nutzen für den Hof liegt natürlich nicht nur in den verrichteten Arbeiten, im günstigen Preis und einfacher „Unterhaltung“ aus betriebseigenen Mitteln, sondern sie wecken als Großtiere auch Besucherinteresse und bauen am Image von Entrup119 mit. Und Mist erzeugen sie auch.

 

Insgesamt ist Entrup119, umgeben von Maisäckern für Schweinemäster und Biogasanlagen, eine kulturelle Oase, ein Widerhaken in der ordentlich bäuerlichen münsterländer Welt mit ihren geputzten Hofstellen und sauberen Monokulturen, die mit ihrer Selbst-Industrialisierung die eigene Abschaffung vorantreibt.

Betriebsspiegel Gärtnerhof Entrup119

  • Münsterland, sandiger Lehm bis lehmiger Sand 20 bis 40 Bodenpunkte, 700 mm Niederschlag und 9,8 Grad jeweils im Jahresdurchschnitt

  • 30 ha, davon 2,5 ha Gemüsebau, 800 qm Folientunnel, 6 ha Acker, 21 ha Grünland, 3 ha Wald

  • 100 Milchschafe plus Nachzucht (norddt.Milchschaf), 8 Schweine, 4 Arbeitspferde

  • Gemeinschaftlich getragene Landwirtschaft (CSA) mit 130 Abnehmern

  • Hofkäserei, Backstube, Hofladen

  • Eigentümer: Initiative Entrup119 e.V., Bewirtschafter; Entrup119 e.G. (Genossenschaft)

  • Bewirtschafter: Kenneth Stange (geschützter Anbau, Märkte), Susanna Lindeke (Gartenbau), Werner Bez (Acker, Schafe, Pferde) Christiane Bez (Laden), plus 2 AK weitere Mitarbeiter bzw. Lehrlinge (Käserei, Backen, Gärtnerei)

  • FÖJ, Waldorfschulpraktika (keine Klassen), pädagogisches Angebot

  • Kenneth Stange, Susanna Lindeke, Entrup 119, 48341 Altenberge, http://www.etrup119.de