Portrait

Lebendige Weine

Sven Leiners Weine sind vom Boden aus gedacht

Von Michael Olbrich-Majer

 

„Das war für mich der Wow- Effekt!“ Wir stehen an den Kompostmieten und Demeter-Winzer Sven Leiner erzählt, wie er zwei Mieten zugleich aufgesetzt hatte, eine mit, eine ohne biodynamische Kompostpräparate. Die präparierte Miete rottete deutlich schneller und es war sichtbar mehr Leben drin. Als der Jungwinzer im Jahr 2000 zum Ende seiner Weinbautechnikerausbildung in den Betrieb einstieg, weil sein Vater schwer erkrankt war, hatte er mit biodynamisch nichts im Sinn. Aber dass die Qualität aus dem Boden kommt, darauf setzte er sofort und begann mit gezielten Maßnahmen zur Bodenverbesserung, ließ Kunstdünger und Chemie weg. Zunächst mehr aus dem Bauch heraus mit Mist und Begrünung der Fahrgassen, aber er merkte rasch: da fehlt die Gleichmäßigkeit, die Wirkung verpufft. Also kam er auf Kompost und stellte fest: Es war tatsächlich schwer, sich in diese Thematik einzuarbeiten, und wo gab es kompetente Adressen, Kontakte? Schließlich landete er bei Dr. Christian von Wistinghausen am Telefon, der für Bauern die Biodynamischen Präparate herstellte: Dieser schickte ihm ein Basispäckchen, und so ging es los.

Der Boden

Seitdem setzt der Winzer mit einem geliehenen Radlader ordentlichen Kompost an drei wechselnden Plätzen auf: dünne Schichten abwechselnd übereinander von zugekauftem Pferdemist, Trester, Gesteinsmehl, Reb-, Baum- und Heckenschnitt, teils auch von der Gemeinde. Nach mindestens halbjähriger Rotte streut er den Kompost mittels Kratzbodenanhänger, dosiert durch die hydraulische Klappe, in seine Weingärten. Bodenbearbeitung macht Sven Leiner eher extensiv, vor allem mit dem Grubber, vor der Einsaat zwischen den Reihen lieber mit der Kreiselegge, als mit der Fräse. Zur Begrünung nutzt er unterschiedliche Mischungen, hat aber auch die Frage, ob sich auf Dauer nicht eine standortgemäße natürliche Weinbergsbegrünung etabliert. Das fände er authentischer.

 

Die zweite Erfahrung mit dem Biodynamischen, auf der ersten Tagung zum biodynamischen Weinbau, veranstaltet vom Forschungsring auf Schloss Freudenberg, machte ihn allerdings eher skeptisch: Das dort vorgestellte Leitbild biodynamischer Rebkultur umfasste unter anderem auch „die Befreiung der Rebe aus der Einseitigkeit der Alkoholerzeugung“. Das war im Hinblick auf Säfte und neue Rebprodukte wie das Kristdyn-Elixier oder Trautweins Verjus gemeint, wirkte für einen jungen Weinerzeuger doch seltsam. Was Leiner aber nicht davon abhielt, den eingeschla­genen Weg weiter zu verfolgen.

 

Gemeinsam mit Peter-Jakob Kühn aus dem Rheingau, inzwischen ebenfalls Demeter-Winzer, widmete er sich der Biodynamik, oft beraten vom Geisenheimer Doktoranden Georg Meißner, der dort dazu forschte. Sie stellen immer noch zusammen Präparate her, inzwischen mit Heiner Sauer und pflegen den Erfahrungsaustausch. Starthilfe gab auch Klaus Rummel, Biowinzer in der Nähe. Regelmäßig besucht Leiner die biodynamischen Weinseminare in St. Ullrich. Seit 2011 sind seine Weine Demeter zertifiziert. Die Umstellung, die der Winzersohn damals mit jugendlicher Begeisterung anging, ist gut gelungen. Getragen hat ihn sein Vertrauen in die Natur und in die Menschen, die bereits erfolgreich so wirtschafteten, sowie der Wille, aus dem, was nicht klappt, zu lernen. Längst gehört der 33-jährige zu den Vorzeigewinzern in der Pfalz, ließ das Fernsehen beim biodynamischen Hörnerstopfen zuschauen und wurde für fünf Jahre in die Garde der Spitzentalente des Verbands Deutscher Prädikatsweingüter VDP aufgenommen.

Die Rebe

Die genaue Beobachtung des Rebwachstums gibt Sven Leiner wesentliche Anhaltspunkte zur Beurteilung seiner Maßnahmen. Die Rebe als Pflanze ist dazu besonders geeignet, muss dem Winzer doch für die Qualität seiner Weine die Balance zwischen der enormen Wuchskraft der Rebe einerseits und der Ausreife der Trauben andererseits gelingen. Das fängt bei der Reb­erziehung an, Leiner bevorzugt den Kordon und den Schnitt auf ein Auge: Das bildet dann nicht so viel Frucht und spart meist die „grüne Lese“, also das Reduzieren der Früchte. Natürlich gibt es einen Laubschnitt, aber deutlich seltener als bei konventionellen Kollegen, und immer verbunden mit einer Gabe biodynamischen Baldrianpräparats. Das beruhigt die Reben nach diesem Eingriff, reduziert das Wachstum von Geiztrieben – die Kraft focussiert sich auf die Trauben.

 

Insgesamt wachsen seine Reben ausgeglichener, so seine Erfahrung, und zwar durch das Bündel aus Bodenpflege, Erziehung und Biodynamischen Präparaten. Diese werden im Weingut gezielt eingesetzt. Viermal gibt es die Hornkieselspritzung, zur Blüte als Qualitätsimpuls, zum Traubenschluss, um den vegetativen Schwung zu bremsen, kurz vor der Ernte zur Ausreife und nach der Ernte: Den verdutzten Nachbarn erklärte der Senior des Weinguts, Jürgen Leiner einmal: „Ich lege die Reben schlafen.“ Tatsächlich beobachten die Winzer zwei bis vier Tage später einen verstärkten Blattfall. Hornmist gib es im Frühjahr zum Erwachen des Bodenlebens und im Herbst zur Bodenbearbeitung.

 

Zum Regulieren der Pflanzengesundheit setzt der Winzer auf Tees, die er in einem eigens angeschafften Teekocher zubereitet. Die sind je nach Zweck unterschiedlich zusammengesetzt aus Weidenrinde, Ackerschachtelhalm, Brennnessel, Schafgarbe, Kamille und unterschiedlich kräftig. Auch bei der Ausbringung gibt es verschiedene Kombinationen: zusammen mit Kupfer und Schwefel gegen falschen Mehltau oder z. B. Brennnessel einzeln in der Frontspritze, um die Pilze am Boden zu halten und der Rebe Stickstoff -, Eisen- und Caliumimpulse mitzugeben – kombiniert mit der Präparatespritzung mittels Anbaugerät. Die Anwendungen gehen teils auf Empfehlungen des biodynamischen Beraters Andrew Lorand zurück und Vater Jürgen Leiner sammelt ohnehin das ganze Jahr über Kräuter. Die Teeduschen sind ein wichtiger Baustein für gesunde Pflanzen: trotz großem Peronospora-Problem im diesem Jahr brauchte Leiner weder die erlaubten 3 kg Kupfer je Jahr und Hektar, noch musste er auf die Ausnahmereglung für phosphorige Säure – Fruto­gard – zurückgreifen. „ Da zeigt sich die Gesundheit des Komplettsystems, angefangen beim Boden“, ist der Winzer überzeugt. Ihm geht es darum, das Ökosystem Weinberg abzurunden und so aktiver zu machen und der Pflanze ein günstiges Umfeld zu schaffen. Letztlich sei das Biodynamische nicht sonderlich viel Zusatzaufwand für einen anspruchsvollen Winzer.

 

Auch landschaftsbildende Elemente helfen dabei, „aber da machen wir noch zuwenig“ meint Sven Leiner. Kompostwiesen und Begrünung seien da eigentlich nur ein Anfang. Wenn der Umbau fertig ist, soll es Hühner am Hof geben. Und über den biodynamischen Mist für das Hornmistpräparat, den er vom Kleinsägmühler Demeter-Hof in der Pfalz holt, schwingt auch die Frage nach dem tierischen Element für das Weingut mit. Zwar zieht über Winter eine Schafherde durch die Weinberge, doch ist für den Winzer die Frage nach der Verbindung zum Weingut offen. Das hat Lagen auf verschiedenen Böden, die Leiner jeweils bevorzugt mit bestimmten Rebsorten bepflanzt: Spätburgunder auf Kalk oder Sand, Riesling auf Lehm und Kalk wie auf der Erhebung der Kleinen Kalmit, Grauburgunder auf Lehm und Löss und Scheurebe auf dem Buntsandstein an den Hängen des Pfälzer Waldes.

Im Keller

Die Lese erfolgt zu 80 Prozent mit der Hand, auch mit Vorlese arbeitet das Weingut. Denn der meiste Most wird spontanvergoren, und so lässt sich ein Ansatz bereiten, der die natürlichen Hefen schon mal in Bereitschaft versetzt. Der Wein wird lagenweise, nach Pressen und Vorklären in die Fässer zum Gären gefüllt. Besonders wichtig in der ersten Phase der spontanen Gärung, auch für die Stilistik des Weines, ist die richtige Temperatur: deren Verlauf wird zusammen mit dem Zuckerabbau sowie sensorisch intensiv beobachtet. Sven Leiner findet solche Weine rundum komplexer und durchgängiger im Geschmack. Weine mit Reinzuchthefen tendierten dagegen zu vordergründigen Aromen.

 

Der Ausbau erfolgt je nach Qualität und Farbe in Tanks oder Fässern, letztere fassen ca. 25 Prozent der Weine des Gutes, vor allem die roten. Aber auch weiße Lagenweine reifen im Holz, bekommen hier mehr Zeit. Obwohl aus gleichem Holz, hat jedes Holzfass doch einen eigenen Charakter, berichtet Leiner. Rote Weine reifen hier über mindestens ein Jahr. Weißweine, die gelegentlich auch so lange liegen, fand der Jungwinzer genial. Doch der Trend geht ja eher zur jungen Frische, besonders in der Gastronomie, so dass diese Weine Besonderheiten sind. Eine solche ist auch die spanische Rebsorte Tempranillo, die Sven Leiner in der Pfalz kultiviert.

 

Gerade rechtzeitig zur Ernte 2012 wurde die Erweiterung der Betriebsgebäude fertig, neue Räume zum Verarbeiten und Lagern, verbunden mit der Unstellung von Kleinkisten auf die verbreiteten großen, was händisches umhertragen spart. Der Anbau – im Obergeschoss noch nicht ganz fertig – ist großzügig und lässt Licht in den Fasskeller. Auch hat Leiner aus der Bodenplatte ein Stück ausgespart, um ein wenig Naturboden zu belassen. Alle vierzehn Tage ist Kellertag: dann gilt es, die Verdunstungsverluste in den Holzfässern auszugleichen. Im nächsten Raum, dem Altbau gibt es eine Überraschung: wie in einem Waschsalon muten die Luken zu den in die Wand eingelassenen Betonfässern an, eine regionale bauliche Besonderheit der sechziger Jahre, als Sven Leiners Großvater den Betrieb ausbaute. Der hatte das Weingut als Teil mit 1,4 Hektar geerbt und im Nebenerwerb geführt, später dann die Flaschenweinerzeugung und -vermarktung aufgebaut. Vater­ Jürgen Leiner, gelernter Koch, machte sich dann mit dem Weingut als Haupterwerb selbstständig.

Weine und Kunden

Das Weingut vermarktet die Weine in Anlehnung an die VDP- Klassifikation als Gutsweine, bei Leiner als „Handwerk“ bereits sortentypisch, als Ortsweine die Klassiker und als Lagenweine mit Zeit im Ausbau. Der VDP differenziert unterschiedliche Maximalerträge, Sortenreinheit und Abfüllzeitpunkt. Doch gibt es im Weingut Leiner auch noch die Literflasche und für junge Genießer die Basisweine der Reihe Fusion weiß, rose, rot, ja und auch Fasswein wird noch verkauft. Zwar gehen fast zwei Drittel der Weine in Gastronomie und Fachhandel, doch den Ab-Hof Verkauf will der Winzer nicht missen. Die alte Probierstube wurde zum kleinen modern eingerichteten Verkostungsraum umgebaut. Denn er wünscht sich mehr Hofverkauf, hier gibt es noch direktes Feedback. Wenn die Bauphase vorüber ist, möchte er auch mehr Veranstaltungen machen. Bisher wird einmal im Jahr der neue Jahrgang präsentiert, 2013 schon im großzügigen neuen Keller.

 

Tradition ist zu spüren, steht man im Ortskern von Ilbesheim vor dem Eingang des Weingutes und biegt man um die Ecke, entdeckt man den modernen Anbau. Was sich hier baulich zeigt, lässt sich vielleicht auch übertragen auf den Winzer Sven Leiner: verwurzelt und lebendig einerseits, was die Arbeit im Weinberg und Keller angeht, aber modern bei den Weinen, mit Persönlichkeit und Klarheit, oder wie Leiner seine Winzerhandschrift sprachlich ausdrückt: echt, direkt, griffig.

Weingut Jürgen Leiner

  • Bewirtschaftet von Sven Leiner, Ilbesheim bei Landau/Pfalz, gemeinsam mit Eltern, z.T. Ehefrau Simone, einem Mitarbeiter – Johannes Helbling, festen Saisonkräften für Laubarbeit und Ernte

  • 15 Hektar, 80 Parzellen auf Kalk, Löss, Buntsandstein

  • Ca. 20 % Riesling, 30 % Burgunder (Spät- bzw. Grau-) und Chardonnay, Gewürztraminer, Tempranillo: ca. ein Drittel Rotweine

  • Ausbau: i.d.R. Spontanvergärung, 25 % im Holzfass – auch besondere Weißweine (Lagen)

  • Weine in drei Klassifikationen (VDP): Guts-, Orts-, Lagenwein, daneben Fusion und edelsüße

  • Vermarktung: Schwerpunkt regionale und überregionale Gastronomie und Fachhandel, Privatkunden, etwas Fasswein

  • Weingut Jürgen Leiner, Arzheimer Straße 14, 76831 Ilbesheim/Pfalz, 06341-306 21, Fax: -344 01
    http://www.weingut-leiner.de