Portrait

Kompost ist das Brot der Erde

Auf dem Hofgut Rengoldshausen leben Vielfalt und Innovationsgeist

von Michael Olbrich-Majer

 

Mit dem Futter fängt ein guter Kompost an. Die Rengoldshausener Landwirte verfüttern kein Kraftfutter, nur noch Grünzeug, Heu und Gemüseabfälle, von denen sie reichlich haben. Eigens fürs Heu wurde 2005 eine Halle gebaut, in der 6000 Kubikmeter Gras vom Grünland und Luzernegras lose getrocknet werden können, die Wärme dazu wird unter dem Photovoltaikdach abgesaugt. Danach schließt sich eine Kette an, die zum Kompost führt, die bei Tiergesundheit und Tierwohl beginnt und die durch kontinuierliche Kompostausbringung über den Boden und Feldfrüchte wieder in den Stall zurückwirkt.

Betriebs- und Hofgemeinschaft

Aktuell wird das Hofgut mit seinen ca. 200 Hektaren von vier Bereichen genutzt: Die Landwirtschaft führt eine Betriebsgemeinschaft bestehend aus Walter Sorms, Mechthild und Markus Knösel, die Gärtnerei managen Hanno Willasch und Simon Rothenberger, im Samenbau auf dem zwei Kilometer entfernten Ralzhof vermehrt und züchtet Vera Becher Gemüsesorten und im Lernort Bauernhof bringt Sonja Ostermayer seit vielen Jahren Kindern, Schülern und Erwachsenen die Landwirtschaft nahe. Die Vielfalt des Hofgutes, vom intensiven Gemüsebau über Milchverarbeitung, Hofladen, Lehrlingsausbildung, Projekte, ist nur möglich, weil viele qualifizierte Hände mit anpacken. Mehr als 20 Menschen sitzen am Mittagstisch der Landwirte, den die Küchenmitarbeiterin richtet, insgesamt arbeiten auf dem Hofgut rund 50 Männer und Frauen.

 

Träger der Aktivitäten ist die „Gesellschaft zur Förderung der Jugend durch die Landwirtschaft e.V.“, mit den Vorständen Sorms und Willasch, die Altgebäude und Flächen von der Eigentümerin, der Stiftung Columban, gepachtet hat, Mitarbeiter anstellt oder in neue Gebäude investiert. So war hier auch viele Jahre das von Eckard und Brigitte von Wistinghausen initiierte landwirtschaftliche Grundjahr beheimatet – und etwas von dieser jugendlichen Frische lebt noch in den alltäglichen Begegnungen.

 

Beim Kompost berühren sich die Tätigkeitsbereiche der Menschen auch stofflich: Mist und Streu von Naturschutzflächen, Gemüseabfälle und Wascherde als Materialien, Dung aus dem Stall für den Kompost der Gärtnerei, Luzernegras aus der fünfjährigen Gärtnerfruchtfolge für den Stall. Sowohl Landwirtschaft wie auch Gärtnerei haben jeweils einen Kompostverantwortlichen, beide kompostieren jeweils selbst.

Kompost konkret

In der Landwirtschaft wurde bereits bei Stallgestaltung und Einstreubedarf ans Kompostieren gedacht: Der Außenklimastall, Leichtbauweise, flexible Gatter, erinnert mehr an ein überdachtes Corralsystem als an die üblich geschlossenen Stallgebäude. Die breiten Gänge ermöglichen, dass mit dem Radlader regelmäßig entmistet wird – bei Bullen einmal, bei Jungvieh im Liegebereich der Kühe zweimal wöchentlich, im Fressgang bei denKühen sogar täglich. So muss nur knapp gestreut werden, der Strohbedarf ist geringer, bei ca. 5 kg je GV und Tag, die Tiere bleiben sauberer als im Tretmist- oder Laufstall, und Stroh und Mist sind bereits im optimalen Verhältnis. Vor dem Stall wird der Mist auf einen Haufen geschoben. Ein paar Tage liegt er so sich erhitzend auf der Kompostplatte, bevor er dann ebenfalls mit dem Radlader zur Miete aufgesetzt, präpariert und abgedeckt wird. Ein weiterer Vorteil gegenüber der Feldmiete: der Kompost ist präsent, täglich im Bewusstsein.

 

Das Verfahren folgt dem von Roland Ulrich in Anlehnung an Ehrenfried Pfeiffer entwickelten Verfahren der heißen, kontrollierten Kompostrotte. Zusammen mit den Rengoldshausenern und dem nahen Andreashof hat Ulrich das für die örtlichen Gegebenheiten angepasst und beschrieben. Georg Biewer, Kompost„meister“ des landwirtschaftlichen Betriebsteils, hat die Methode so über zwei Jahre gelernt: Zum Mist kommen noch 10 Prozent Erde, meist die ausgesiebte vom Feldgemüse einschließlich eines Teils reifen Kompostes, gelegentlich auch Reste aus der Landschaftspflege der Randflächen des Hofgutes: das C/N-Verhältnis von 30–20:1 muss aber stimmen. Gestapelt im Sandwichstil erreicht die Temperatur in der Vorrotte maximal 60 bis 65 Grad, in der Miete kühlt sich der Kompost pro Monat um 10 Grad ab, erwärmt sich aber durch das monatliche Umsetzen regelmäßig wieder etwas. Das Ergebnis nach fünf bis sechs Monaten mit einer so verlängerten Warmphase ist ein etwas gröberer, nicht ganz so kolloidaler Kompost wie beim CMC-Verfahren, mit mehr Betonung des pilzlichen Lebens. Und mit relativ wenig Substanzverlust. Landwirt Biewer beobachtet die Qualität mit Proben für Analysen in einem Labor und Chromatogrammen – einer Bildschaffenden Methode. Der Arbeitsaufwand hält sich in Grenzen: Entmisten läuft während der Stallzeit, An- und Aufsetzen braucht dann noch gerade mal zwei Stunden die Woche – ein Vorteil, wenn der Kompostierprozess als Routine eingerichtet ist.

Roland Ulrich: Ein anderer Weg zum Humus. Anleitung und Richtlinien für die „heiße“ – kontrollierte Kompostrotte;

Bezug: Andreashof gbR, Kirchstr.35, 88662 Überlingen, 07551-947 470, info(at)andreashof-bodensee.de

Innovativ und verbessert: die Mistplatte

„Warum sollte man den Dung dadurch verschlechtern, dass man ihn von der Erde absondert“, antwortete der Inspirator der Biodynamik, Rudolf Steiner auf eine Zuhörerfrage in seinem Kurs für Landwirte 1924. Dieser Gedanke liegt auch der Rengoldshauser Mistplatte zugrunde: Kompostieren auf offenem Boden. Allerdings endet je nach Boden ganz rasch die Befahrbarkeit im Matsch – die Gärtnerei denkt bereits ebenfalls über eine Befestigung nach. „Kompost soll einen trockenen Fuß haben“ so Landwirt Sorms. Auch muss Sicker- oder Regenwasser abgeführt werden können, zumal die Fläche im Wasserschutzgebiet liegt. Da eine Planbefestigung ausschied, entwickelten Eckard von Wistinghausen und Walter Sorms 1996 die nach Rengoldshausen benannte Mistplatte mit Rasengittersteinen, befahrbar und durchlässig zugleich. Auf eine 30 cm Erdschicht, in die ca. 5 % hochquellfähiges Bentonit eingefräst wurde, folgt eine in 25 cm Grobkies (Körnung 20–45 mm) verlegte Drainage, darauf 4 cm angewalzter Splitt von 11–14 mm Körnung, auf dem dann die Rasengittersteine verlegt werden. Bei der inzwischen verbesserten Version werden diese aber nicht mit Erde gefüllt – das hatte zum Zusetzen geführt – sondern mit Rundkieseln von 8–16 mm gefüllt und auch der Drainkies ist kantiger und gröber als zuvor. Walter Sorms ist vollauf zufrieden mit dem Ergebnis: Selbst 50 mm Regen pro Stunde führt dieser vollflächig drainierende Platz ab. Der Kompost bekommt nie nasse Füße. Und teurer als Beton war es auch nicht. „Wir sind froh, einen duftenden Dünger hinzukriegen“, so das Fazit von Sorms: Die Kompostwirtschaft als kontinuierlicher Prozess bringt ein anderes Bewusstsein in die betrieblichen Abläufe.

Der Landbau

Die Umstellung auf Festmist bzw. Mistkompost Ende der 1990er erledigte auch ein pflanzenbauliches Problem: Die immer mal wieder auftretende Fäulnis in der Hackfrucht hatte ein Ende, so Walter Sorms. Die Äcker bekommen ihre Kompostgaben übers Jahr verteilt, bei der Menge von aktuell 120 GV bzw. 10 t /ha und Jahr ohnehin mehr zum Bodenaufbau als zur zielgerichteten Düngung. Die Wiesen und Weiden bekommen ein Drittel weniger.

 

Auch im Ackerbau geht Rengoldshausen den Weg der Haufen: Nicht nur Kartoffeln, auch Feldgemüse und Getreide gedeihen auf Dammkultur. Sorms ist da nach einigen Jahren des Experimentierens ohne Pflug, mit Stoppelhobel etc. angekommen. Zwar ist das vom Spanier Julian Turiel (www.haeufelpflug.de) entwickelte System lernintensiv, so Sorms, aber die Distelnester von einst sind kein Thema mehr. Hauruckverfahren sind mit dieser Methode schwieriger. Mit der Zeit wird der Boden lebendiger und garer – „ das sind Welten“ so erlebt es der Landwirt. Auch hier gibt es einen Bezug zu Steiners Kurs für Landwirte: über das normale Niveau gehoben werde die Erde lebendiger, heißt es da sinngemäß.

Kompost in der Gärtnerei

Der Mistkompost verbindet auch Landwirtschaft und Gärtnerei. Diese setzt ihre Komposte für immerhin knapp 30 Hektar meist mit einem hohen Mistanteil von 60 Prozent auf. David Steinhauser ist hier der Mann fürs Schwarze, seine halbe Arbeitskraft widmet er der Umwandlung von „Rest“stoffen und der Qualitätskon­trolle u.a. mit Chromas. Vier verschiedene Komposte bzw. Erden benötigt die Gärtnerei: Grundversorgung für den Boden, Nährkomposte versetzt mit Ackerbohnen- oder Leindotterschrot, sowie vor allem fürs Glashaus aus reinem, gereiften Mistkompost und schließlich Erde für die Chicoreetreiberei mit höheren Anteilen von Torf und Sand. Das Verfahren folgt wie in der Landwirtschaft der kontrollierten Heißrotte. In den Kompost kommen neben Mist aus der Landwirtschaft Gärtnereiabfälle, zugekaufter Biopferdemist, Bio-Pilzsubstrat, Grünschnitt, nach Bedarf auch Holzhackschnitzel. Das heiße Verfahren hat den Vorteil der in der Regel sicheren Hygienisierung, was für die Chicoreeerde, die nicht gedämpft wird, von Bedeutung ist. Für Hanno Willasch, der die Gärtnerei leitet, ist der tierische Anteil essenziell und Kompost ohnehin, obwohl unter Biogärtnern nicht mehr üblich. Der Kompost dient sowohl zur Gesunderhaltung wie auch zum Ausgleich für die „Spitzensportler“ unter seinen Kulturen. Auch Komposttees kommen zum Einsatz, im Gewächshaus und im Samenbau.

Durchdachter Stall – gesunde Tiere

Im Stall geht es ruhig zu, viel Platz für die Tiere, auch beim Umtreiben der Kühe zu ihren Kälbern, was technisch mit ein paar gedrehten Gattern in diesem Stall ganz einfach ist. Mechthild Knösel ist eine der Pionierinnen der muttergebundenen Kälberaufzucht. Die Kälber sind kerngesund – wohl auch, weil der Kälberstall von links nach rechts umziehen kann , um den Stallboden von der Sonne hygienisieren zu lassen. Und natürlich arbeitet die Bäuerin mit Homöopathie.

 

Im Melkstand Geruch nach Desinfektion – die aktuell 45 Kühe Schweizer Braunvieh geben Vorzugsmilch, ca. 5800 Liter im Jahr, rechnet man die Kälbermilch hinzu. Rengoldshausen macht das seit den 1950er Jahren und ist einer der wenigen verbliebenen Betriebe. Gut kontrolliert übrigens – was die Landwirtin für ihre Züchtung nutzen kann: Sie kreuzt per Verdrängungszüchtung auf Zweinutzungsvieh, ist mit einem zugekauften Bullen auf dem Weg zur Familienzucht. Denn sie will alle Tiere verwerten, die vom Hof kommen, statt Kälber und Jungvieh irgendwohin weiterzuverkaufen. Das sind viele, das Durchschnittsalter der Kühe ist bei neun Jahren. Also selber Mästen. Gut zwölf Bullen gehen mit 24 Monaten in die hofeigene Vermarktung, die Färsen und restlichen Mastbullen gehen zur regionalen Bioland-Erzeugergemeinschaft. Zur Vermarktung von Altkühen arbeitet sie mit den Demeter-Kollegen der Region an einem gemeinsamen Weg.

Stiftung als spiritueller Kompost: ein Innovationsort ist möglich

Das Hofgut, einst vom Industriellen Voith gekauft als Gegenwicht zur Industrie, erfüllt diese Mission seit 1932; solange wird es schon biodynamisch bewirtschaftet. In Rengoldshausen liegen die Wurzeln für die rege biodynamische Bewegung am Bodensee mit zahlreichen interessanten Betrieben, sozialtherapeutischen Einrichtungen, und gegenüber vom Hofgut ist Überlingens Waldorfschule. Die spirituell-finanzielle „Bodenbelebung“ der Stifter hat, wie man heute sieht, Raum geschaffen für Betriebsgestaltung, die auf der Entwicklung der einzelnen Menschen beruht. Das Hofgut ist aktuell so etwas wie ein Hafen für biodynamische Ideen, das fing bereits mit dem biodynamischen Grundjahr an. Oder, wie Walter Sorms es formuliert: „Hier gibt es dreimal so viel Möglichkeiten, wie realisierbar sind.“ Weshalb er bereits 30 Jahre dabei ist. Und sich nun schon in der zweiten Wahlperiode auch im Überlinger Stadtrat engagiert.

 

Markus Knösel, der in der Betriebsgemeinschaft neben dem Ackerbau viel im Büro ist, das Personalwesen verantwortet und die Kinder hütet, während seine Frau im Stall wirkt, engagiert sich intensiv in der biodynamischen freien Ausbildung der Bodenseeregion. Das Paar hatte hier einst das Grundjahr, dann die Lehre gemacht und war nach Wanderjahren zurückgekehrt. Die Gärtner um Hanno Willasch haben ein Verfahren erprobt, als einer der wenigen Betriebe überhaupt, Chicoree in Boden und nicht in Wasser zu treiben. Um die Datengrundlage für ein mögliches Zweinutzungshuhn aus der Rasse Bresse kümmert sich Inga Günther, die in einer kleinen Herde stramm selektiert. Auf dem Ralzhof entstehen biodynamische Gemüsesorten. Dass der Hof offen für Innovationen ist, liegt sicher an den Menschen und der offenen Stimmung, aber auch an der Rechts- und Eigentumsform, die diese Freiheit ermöglicht. Zweimal im Jahr werden im fröhlich-festlichen Rahmen die Biodynamischen Präparate mit allen auf dem Hof gemeinsam hergestellt. Und vielleicht kann man auch den steten Kompoststrom jenseits des direkten Düngeeffektes so verstehen: als Humus der Ermöglichung.

Betriebsspiegel Hofgut Rengoldshausen

  • Oberhalb der Stadt Überlingen am Bodensee gelegen; Moränenböden v.a. Geschiebelehm, 25–75, im Schnitt 50–55 Bodenpunkte, 450 m ü. NN, im Durchschnitt 9,2° C und 900 mm Niederschlag

  • Ca. 200 ha, davon 90 Acker, 80 Grünland; 28 ha Gärtnerei, 2 ha Samenbau, 1 ha Wald

  • Vier Betriebsbereiche: Landwirtschaft, Gärtnerei, Samenbau (Ralzhof), Lernort Bauernhof

  • Fruchtfolge (Landwirtschaft): 2 Jahre Luzernegras, Kartoffeln, Dinkel, Feldgemüse (v.a. Möhren), Kürbis, Hafer

  • Tierhaltung: 50 Milchkühe, Nachzucht, ca. 45 Mastbullen, 55 Färsen, 170 Legehennen, Gärtnerei: 35 Kulturen auf 28 ha, dazu 6000 qm unter Glas sowie 1400 qm Folienhäuser

  • Produkte: Vorzugsmilch, Käse & Milchprodukte, Feld- & Feingemüse, Fleisch

  • Vermarktung über 1200 Abokisten in eigener Vermarktungs-GmbH, Naturkostgroßhandel, Hofladen

  • Besonderheiten u.a.: Lernort Bauernhof, Zuchtprojekt Zweinutzungshuhn, Photovoltaik

  • Arbeitsplätze: 50 Menschen incl. Betriebsleiterfamilien, Angestellte, 12 Auszubildende, 5 Plätze Bundesfreiwilligendienst und bis zu 6 Saisonkräfte

  • Hofgut Rengoldshausen, Rengoldshauser Straße 29, 88662 Überlingen, 07551-915 810, http://www.rengo.de