Portrait

Die Nische genutzt

Peter Heuner baut biodynamisch Heil- und Gewürzkräuter an

von Michael Olbrich-Majer

 

Sanfte bewaldete Berge, verträumte Tälchen mit Äckern und Wiesen, Fachwerkdörfer: echtes Mittelhessen. Das verführt Agrarstudenten in Gießen schon Mal dazu, über den Einstieg in die praktische Landwirtschaft nachzudenken. Peter Heuner suchte vor dreißig Jahren nach Lehre und Studium die passende Nische, um sich selbständig zu machen – ohne viel Geld, ohne Hof. An der Uni hatte er sich schon mit Heil- und Gewürzpflanzen beschäftigt. Als dann westlich von Marburg ein kleiner Hof zu haben war, erwies sich der Kräuteranbau als entscheidende Perspektive, um sich auf 12 Hektar, 4 Kühe und 2 Schweine im Altgebäude mitten im kleinen Ort Seelbach einzulassen. Gemüse ging hier schlecht, zu steinig die Böden, Bewässerung nicht möglich. 1987, noch während der Vorbereitung auf den Studienabschluss stiegen die Heuners und zu Anfang ein weiteres Paar mit dem Erwerb des Hofes in die Praxis ein. Durch Zupacht ist der Betrieb heute auf 96 ha und eine 23 Kopf starke Mutterkuhherde angewachsen. Erweiterungsflächen gäbe es noch, aber es wird dann mit dem Viehbesatz knapp: und einen ganz neuen Stall bauen – das rechnet sich nicht.

Wo lernt man Kräuter anzubauen?

Doch wie baut man Kräuter erfolgreich an? Heuner hatte im Studium zwar Vorlesungen bei Frau Prof. Vömel in Gießen besucht, doch bis heute ist das Wissen zum Kräuteranbau eher rar und so waren die Betriebsgründer anfangs vor allem auf Bücherstudium und Austausch mit den wenigen Kollegen angewiesen: Denn Heil- oder Gewürzkräuter unterscheiden sich weitaus stärker voneinander als Weizen, Gerste, Dinkel, sind teils aus sehr verschiedenen Pflanzenfamilien und es werden ja auch unterschiedliche Teile, mal Blatt, mal nur Blüte oder Wurzel für verschiedene Zwecke von Tees bis Kosmetik genutzt. Etwas für Spezialisten, die mit Risiko umgehen können und was ausprobieren. Die fachliche Lücke versuchen die Bio-Kräuteranbauer selbst zu schließen, mit ihrem Verein Ökoplant e.V.: eine informative Hompage, ein jährliches Einführungsseminar, eine Tagung für Fortgeschrittene, Exkursionen, hier und da ein Feldtag und verschiedene Arbeitsgruppen. Heuner engagiert sich im Vorstand des aktuell ca. 60 Betriebe und insgesamt 170 Mitglieder umfassenden Vereins (www.oekoplant-ev.de). Anbauanleitungen hat z. B. die Biologische Bundesanstalt 2007 ins Internet gestellt (pub.jki.bund.de/index.php/MittBBA/article/download/706/641).

Biodynamische Erfahrungen

Als beim Praxiseinstieg – bio sollte es schon sein – die Frage anstand, biodynamisch oder biologisch-organisch, haben Heuner die interessanten und sehr offenen Gruppentreffen der Demeter-Landwirte überzeugt. Auch heute ist die regionale Arbeitsgruppe Bezugspunkt: Miteinander werden die Präparate hergestellt – praktisch, wenn Heuner da Kamille beisteuern kann. Mit vier anderen Demeter-Kollegen im näheren Umkreis hat er sich eine neue Präparatespritze beim Forschungsring gekauft, die mit geringerer Ausbringmenge arbeitet. Die Präparate wendet er standardmäßig an, bei den Kräutern auch jeweils zwei Spritzungen, der Mist vom Winter wird schon im Stall präpariert. Eine interessante Beobachtung machte ein alter Schäfer, der die Flächen des Krebsbachhofs gelegentlich abweidet: Er wollte wissen, was Heuner spritze, seine Flächen seien immer grüner als die der anderen Bauern. Auch die biodynamische Kompostgabe schafft leichte Vorteile – im aktuellen Trockenjahr stand das Getreide etwas besser als das der konventionellen Kollegen. Mit der biodynamischen Nutzung werden die Wiesen artenreicher, so Heuners Erfahrung.

Die passenden Kräuter finden

Welche Heil- oder Gewürzkräuter passen zum Betrieb, zum Standort. Das galt es herauszufinden. So begann Peter Heuner den Anbau zunächst mit Melisse und Minze. Doch rasch zeigte sich, dass dafür die Böden nicht geeignet sind und ihnen vor allem das nötige Wasser fehlt. Inzwischen hat der Landwirt sein System gefunden. Der Kräuteranbau kann nur zum Teil in die Fruchtfolge integriert werden, was besondere Planung erfordert, da einjährige und mehrjährige Kulturen zugleich gefahren werden. Sieben Hektar Kräuter des Krebsbachhofs stehen in der Anbaufolge zwischen Getreide und Kleegras. Vor allem die Blattkulturen wie Brennnessel und Estragon sind anspruchsvoll, was die Nährstoffe angeht, sie stehen in der Fruchtfolge besser als Arnika oder Schlüsselblumen, die eher abtragend eingesetzt werden. Mehrjährige Kräuter wie Estragon, Schafgarbe, Johanniskraut und Schlüsselblume bleiben meist vier Jahre, Arnika sogar acht. Einjährige bzw. überjährige Kulturen sind: Ringelblume, Kornblume, Kamille und die Kräuter – und Gemüsearten, die zur Saatgutvermehrung auf dem Krebsbachhof angebaut werden.

 

Heuner hat auch schon Gänseblümchen für Kosmetika oder Akelei im Versuchsanbau angebaut, das richtet sich nach dem Bedarf der Abnehmer. Neue Pflanze – neue Probephase. Aktuell gilt das für Duftveilchen, bei denen es nur auf die Blüte ankommt. Auf dem Feld sehen wir aber erstmal angefressene Exemplare, hier frei lebendes Muffelwild genoss einen Nachtisch. Das Getreide, je sieben Hektar Dinkel und Weizen, vermarktet Heuner regional an die Marburger Demeter-Bäckerei Siebenkorn, ein Hektar Hafer wird als Lockfutter für die Rinder verwendet. Kleegras wird zu Silage. Auf weiteren sieben Hektar baut der Krebsbachhof Gemüsesaatgut für die Bingenheimer AG an.

Mutterkühe beleben die Landschaft

Die Limousin-Mutterkuhherde beweidet die Grünlandflächen des Betriebs, der Stallmist ist die Düngergrundlage für die Ackerflächen. Bei den Kühen läuft der Stier mit, die Jungtiere weiden in zwei Gruppen getrennt. Die Haltung ist extensiv, reine Weidemast, keine Endmast im Stall. Dort gibt es im Winter nur Heu und Kleegrassilage und einen befestigten Auslauf. Heuners konnten Flächen und Gebäude von Nachbarn pachten. Durch Flächentausch mit Nachbarbetrieben konnten im Lauf der Jahre die stark gestreuten Flächen zu größeren Einheiten verbunden werden. Stallnahe Weideflächen erleichtern das extensive Weidemanagement. Damit die Tiere sich nicht vom Menschen entfremden, gehört der tägliche Besuch auf der Weide mit dem Hafereimer dazu. Ungefähr acht Tiere jährlich werden als Fleisch ab Hof in Zehn-Kilogramm-Paketen vermarktet, geschlachtet wird bei einem 30 km entfernten kleinen Schlachthaus, ungefähr ein Dutzend geht an die Demeter-Landbauerzeugnisse in NRW.

Der Anbau – mit viel Handhacke

Die einjährigen Kräuter werden mit der pneumatischen Einzelkornsämaschine gesät, wie Bohnenkraut, Rucola, Ringelblume, Kornblume, Phacelia oder Kümmel – der in dem Jahr wegen Trockenheit schon zweimal nicht auflief. Alle mehrjährigen Kulturen zieht Heuner im Foliengewächshaus vor und pflanzt sie.

Handhacke ist bei allen Kulturen zusätzlich zu den mehreren Durchgängen mit der Maschine nötig. So gibt es selten Fremdbesatz. „Mechanisch sind die Kulturen eigentlich gut rein zu halten“ meint Peter Heuner und rechnet je nach Kultur mit 50 bis 300 Stunden per Hektar. Tierische Schädlinge kommen dafür so gut wie nicht vor, Pilze hier und da schon. Vor allem gegen Herbst sind die letzten Ernten gefährdet, notfalls wird eine einjährige Kultur wie Ringelblume dann schon Mal gemulcht. Vorbeugend spritzt Heuner Schachtelhalm bei jedem Hackdurchgang und im Winter auch auf den Boden. Mistkompost erhalten nur die Blattkulturen, bis zu 30 t je Hektar. In diesem Winter verwendete der Landwirt mangels Frost und Befahrbarkeit das erste Mal organischen Zukaufdünger und macht die Erfahrung, dass der Unkrautdruck geringer ist.

 

Für Anbau und Ernte der Kräuter und Heilpflanzen in ihrer Vielfalt gibt es kaum fertige Maschinen zu kaufen. Improvisationstalent und ein Hang zum Tüfteln an den Maschinen braucht es. Arnikablüten und ein Teil der Ringelblumen werden von Hand geerntet. Zur Ernte von Kraut, blühender Ganzpflanze oder blühenden Triebspitzen wird ein umgebauter Grünguternter aus den Versuchswesen oder der SuperCut, ein tragbarer Mähbalken, eingesetzt. Aufmerksamkeit und viel Ausprobieren sind angesagt. Eine Saugvorrichtung z. B. hat Heuner wieder verworfen, sie beschädigte das kostbare Erntegut. Wichtig ist, dass er in die Bestände schonend hineinfahren kann, denn wenn bis zu viermal geschnitten wird, müssen die rasch und gesund wieder nachwachsen. Alle Kulturen baut er auf 1,60 m breiten 3-reihigen Beeten mit 42 cm Reihenabstand an. Für Saat, Pflanzung, Pflege und teilweise auch die Ernte nutzt der Landwirt einen speziellen Geräteträger von Mazzotti, der für alle raschen Um- und Anbauten geeignet ist und gute Sicht auf den flexiblen Zwischenachsanbau bietet.

Ernte rasch trocknen

Geerntet wird von Mai an, Schlüsselblumen machen den Auftakt. Je nach Verwendungszweck werden Blüten wie bei Ringelblume oder Kamille geerntet, blühende Triebspitzen beim Johanniskraut, blühendes Kraut bei Wundklee und Schafgarbe oder nur Stängel und Blatt wie für Estragon. Die Erntehäufigkeit ist unterschiedlich: je viermal im Jahr erntet Heuner Estragon, auch bei Arnika gibt es vier Handdurchgänge, vor allem weil die Pflanzen nicht gleichzeitig blühen; ähnlich ist es bei Schlüsselblume. Brennnesel wird dreimal kurz vor der Blüte geschnitten, Schafgarbe nur einmal. Die Erntemengen sind gering, umso wichtiger ist die Sorgfalt: 150 Kilo Arnika je Hektar und Jahr (trocken), Estragon 1 Tonne (gerebeltes Endprodukte), Ringelblumen 500 Kilo je Hektar, Brennnessel 2 Tonnen.

 

Ein entscheidender Faktor für den Erfolg des Kräuteranbaus ist die Trocknung, denn die Ernte wird in der Regel getrocknet vermarktet, Frischware ist eher die Ausnahme. Alle krautigen Pflanzenteile werden zuvor mit einem umgebauten Strohschneider zerkleinert. Danach werden die Blüten oder Blätter in Kisten mit Gitterboden in der selbst gebauten Trocknung gestapelt. Zwei Kondensationstrockner mit je 10 kW ziehen hier in zwei Stufen die Feuchtigkeit aus den Pflanzen, im ersten Raum auf 50, im zweiten dann auf 10 Prozent Restfeuchte. Bis zu 500 kg Frischware lassen sich an einem Tag in der Trocknung unterbringen. Nach dem Trocknen wird in Papiersäcke verpackt, wenn der Kunde es wünscht, wird die Ware vorher geschnitten. Rebeln und Sichten geschieht, sofern wie bei Estragon erforderlich, auf einem befreundeten Betrieb.

Vermarktung früh planen

Bei der Vermarktung ist Heuner rührig, aber auch gut vernetzt. Pflanzen für Tees gehen zu verschiedenen Teeherstellern, u.a. zu Lebensbaum und Heuschrecke, andere Pflanzen gehen in die Naturkosmetik oder Medizin bei Weleda und Wala. Brennnessel wird sowohl für Kosmetik wie für Arznei und Tee verwendet. Bei der Ringelblume wird einerseits die Blüte für Kosmetik, Medizin und Tees, andererseits auch das Kraut medizinisch verwertet. Frisch geht die Ernte vor allem in die Herstellung von Homöopathika, wo in der Regel mit wässrigem bzw. alkoholischen Auszug gearbeitet wird.

 

Der Markt ist also speziell, Flexibilität erforderlich. Heuner hält immer etwas mehr Fläche einer Kultur vor, um auf kurzfristige Bestellungen reagieren zu können. Und jedem der einsteigen will, rät er, unbedingt den Absatz vorher zu klären. Im Verein Ökoplant ergänzen sich die Kollegen gegenseitig bzw. helfen sich auch schon mal aus. Ein weiterer Vermarktungsweg wäre die südhessische Agrimed – eine Erzeugergemeinschaft für Heil- und Gewürzkräuter – Heuner ist da aber nicht mehr dabei.

 

Pestizidrückstände, hervorgerufen durch Abdrift oder thermische Verlagerung, können im Bio-Kräuteranbau durch die verschiedenen Erntetermine ein Problem sein, immerhin zweimal in dreißig Jahren kam das vor. Aktuell gilt aber den pyrolizidin-alkaloidhaltigen Unkräutern besondere Aufmerksamkeit. Mit neuen Verfahren lassen sich manche z. B. in Tees nachweisen und sollten möglichst nicht vorkommen, auch wenn noch völlig unklar ist, ob und ab welchen Gehalten sie problematisch sind. Ein Projekt, an dem auch Ökoplant beteiligt ist, soll helfen, das zu klären.

 

Peter Heuner ist 57, da steht auch die Frage an, wie es weitergeht. Die zwei Lehrlinge werden den Hof im Sommer verlassen, zum Studium bzw. Wechsel auf einen anderen Betrieb. Seit Frühjahr ist Karl Messing als Landwirt angestellt, der mit Frau und Kindern in die alte Hofstelle im Dorfkern eingezogen ist. Heuners wohnen hundert Meter weiter am Ortsrand. Für den jungen Agraringenieur ist das neben dem Erlernen des Kräuteranbaus auch eine Option auf die Hofnachfolge: In drei Jahren wollen sie das gemeinsam prüfen.

Betriebsspiegel Krebsbachhof

  • In Mittelhessen gelegen, flachgründige Böden, Bodenzahl 35, 250 m ü NN, im Jahresdurchschnitt 700 mm Niederschlag

  • 96 ha, davon 55 Grünland 41 Acker: Getreide, Kleegras, 7 ha Heil- und Gewürzkräuter sowie 7 ha Gemüsesaatgutvermehrung für Bingenheimer Saatgut AG

  • 23 Mutterkühe, 1 Zuchtbulle, Mastrinder und -Ochsen; zusammen ca. 52 GV: Fleischvermarktung ab Hof bzw. für Demeter-Landbauerzeugnisse

  • Vermarktung der Kräuter frisch bzw. getrocknet an verschiedene Hersteller in den Bereichen Heilmittel, Naturkosmetik, Kräutertees;

  • Arbeitskräfte: Betriebsleiter, Gehilfe oder Lehrling, im Sommer plus 1 bis 2 Praktikanten und 1 bis 3 Aushilfen.

  • Krebsbachhof, Peter Heuner, Rodenhäuser Straße 6, 35102 Lohra-Seelbach; http://www.krebsbachhof.de