Portrait

Die Balance im Weinberg

Winzer Andreas Schumann lässt im Weingut Odinstal mit Erfolg die Natur machen­. Auch im Keller.

von Michael Olbrich-Majer

 

Es muss wohl die Aussicht gewesen sein, die Lage mit dem weiten Blick über die Rheinebene, die Thomas Hensel dazu anhielt, so lange am Ball zu bleiben. Zehn Jahre dauerte es, bis der im Immobiliengeschäft erfahrene Unternehmer das kleine Weingut oberhalb Wachenheims an der Weinstraße kaufen konnte, auf das er täglich beim Heimweg blickte. Auch hinsichtlich der Rebkultur ist die Lage einzigartig. Winzer Andreas Schumann, der das Gut bewirtschaftet, erzeugt hier mit biodynamischen Methoden gefragte Weine der Oberklasse.

Einzellage mit Weitblick

Das Odinstal ist landschaftlich eine Besonderheit: Umschlossen von Wald umfasst die knapp zehn Hektar große nach Osten geneigte Mulde vier Gesteinsarten: Basalt, der im angrenzenden Steinbruch noch zu sehen ist, Muschelkalk, Keuper und den in den Dörfern hier häufig verbauten gelben Buntsandstein. Vom oberen Ende des Tälchens blickt das Gutshaus auf die Anlage, zu der auch Wiesen und Obstbäume gehören. Anfang des 19. Jahrhunderts war hier einst der Wald gerodet, das Gelände zum Teil terrassiert worden, um ein Weingut zu etablieren. Heute ein perfekter Standort, wenn man biologisch-dynamisch arbeiten will, werden doch konventionelle Spritzmittel so ferngehalten und die Insellage bietet für eine gute Voraussetzung, um eine Art landwirtschaftlichen Organismus einzurichten, nahe am biodynamischen Ideal. Bedingt durch die Höhenlage klimatisch allerdings an der Grenze des Rebbaus. Doch kommt das den Weinen zugute. Infolge der Verdunstungskälte ist der Unterschied zwischen Tag und Nacht ausgeprägter als in der Umgebung, was die Bildung von Aromen fördert.

 

Andreas Schumann, seit 2004 auf dem Weingut, hat diese Gegebenheiten erkannt und nach der biologischen Vorbewirtschaftung gezielt ausgebaut: So weiden Charolais-Rinder eines benachbarten, noch konventionellen Landwirtes auf den Wiesen, lassen auf den Flächen und für Kompost ihren Mist. Sie liefern auch die Hüllen für die auf dem Betrieb selbst hergestellten Biodynamischen Präparate, und verändern mit ihrer Anwesenheit die Atmosphäre im Odinstal. Der Belebung dienen auch die Bienenvölker, die der Bioland-Imker Andreas Kramer hier aufgestellt hat, ebenfalls in Kooperation. Er freut sich über das reichliche Blütenangebot für seine Bienen, nicht nur durch Reihenbegrünung, sondern auch durch zusätzliche Blühstreifen, aber auch die Akazien und Esskastanien. Sitzstangen für Greifvögel weisen darauf hin, dass hier Vogelschutzgebiet ist; Wasserschutzgebiet ist hier übrigens auch. Die Insellage im Wald führt jedoch zu Rehverbiss und sattem Wildschaden. Schafwolle am Draht soll abschrecken und die einfache Litze hat der Winzer durch eine dreifache ersetzt. Schumann freut sich aber über die Vielfalt am Standort – auch der Kräuter – und bemerkt dazu, dass er über die Kooperationen eine Menge für das gesamte Naturverständnis lerne. Der Wald selbst wird nur extensiv genutzt. Aber das Haus hat eine Pelletheizung und eine Pflanzenkläranlage.

 

Andreas Schumann kommt von der Weinstraße und festigte über den Zivildienst im Weinbau der Lebenshilfe seinen Berufswunsch. Er lernte bei Müller-Cartoir, einem renommierten Weingut in Neustadt, bei Bürklin-Wolf, studierte dann in Geisenheim und begann noch im Studium auf Odinstal. Die Aufgabenteilung auf dem Weingut beschreibt Eigentümer Thomas Hensel wie folgt: „Mit mir können Sie wunderbar Wein trinken, wenn Sie was über Wein wissen sollen, fragen Sie Herrn Schumann.“ Der Winzer arbeitet als angestellter Betriebsleiter mit einer Fach- und zwei langjährigen Saisonkräften. Bei der Lese sind natürlich mehr Hände dabei, Praktikanten und Freunde. Wichtig war Familie Hensel die biologische Bewirtschaftung – kein Gift vorm Fenster! Sohn Maximilian Hensel arbeitet diesen Sommer im Weingut mit. Steuerlich und rechtlich getrennt vom Weingut laufen Veranstaltungen, unter Ute Hensels Unternehmen „living & more“. Inzwischen hat Andreas Schumann so viel Erfahrung, was biodynamische Praktiken angeht, dass er auch als Winzerberater über den Demeter-Beratung e.V. nachgefragt wird.

Biodynamisch mit der Rebe arbeiten

Die Rebe ist eine wuchernde Lianenpflanze aus der Aue und wächst intensiv verbunden mit dem Sonnenrhythmus, so Andreas Schumann. Er nennt als Beispiel die Blüte zur Sommersonnenwende oder die Reife zur herbstlichen Tagundnachtgleiche. Dementsprechend komme alles auf die Balance zwischen Wachsen und Reifen im Jahreslauf an, geführt durch das Licht. Diese kann der Winzer durch Reberziehung, Versorgung, aber auch das Hornkieselpräparat unterstützen.

 

Der Traubenertrag ist auf den tendenziell flachgründigen Böden des Odinstals gering, aber das kommt dem Qualitätsverständnis des Demeter-Winzers entgegen. Zwanzig Quadratmeter Blattfläche pro Kilogramm Frucht sind angestrebt. Wichtig sind vor allem die basalen Blätter, sowohl für die Entwicklung der Trauben wie auch der natürlichen Weinbergshefen. Dazu helfen u.a. sanfter Rebschnitt und das Belassen der Triebspitzen, so dass kein Anreiz für weiteren Austrieb gegeben wird. Die Spitzen werden einfach hochgesteckt. Auch bremst die Begrünung das Wuchern, zu dem die Rebe generell neigt, zumal Schumann hier auf dem Grenz­standort starkwachsende Unterlagen nutzt, wenn er pflanzt. Auf zwei Flächen verzichtet der Winzer sogar ganz auf den Rebschnitt und vermarktet Riesling und Silvaner von hier als „Nature“ auf dem Etikett. Diese Reben haben kleinere Beeren und weniger Öchsle, aber eignen sich am besten für Naturweine, also unfiltrierte Weine ohne oder mit sehr wenig Schwefel.

 

Gerade erst wurden die älteren Rebstöcke mit der Kettensäge behandelt: Rebchirurgie nennt sich die Vorgehensweise gegen den Esca-Pilz, der damit ausgeschnitten wird. Diese Rebkrankheit führt zum Verstopfen der Gefäße, die Pflanzen vertrocknen, mal rasch, mal über Jahre, ein ernsthaftes Problem im europäischen Weinbau. Mit entsprechendem „sanftem“ Rebschnitt lässt sich dem vorbeugen, indem nur einjähriges Holz angeschnitten und die verbleibenden Zapfen, aus denen der nächste Austrieb erfolgt, nicht zu kurz sind, so dass das Leitungsgewebe des Stocks nicht austrocknet.

 

Wesentlich zum Regulieren des Wachstums ist die Bodenpflege mittels Bodenbearbeitung und Begrünung. Jede zweite Rebgasse wird im Frühjahr neu gesät. Davor wird der Boden gegrubbert und zugleich biodynamisches Hornmistpräparat ausgebracht. In der Saatgutmischung berücksichtigt der Winzer zu Drittel die Blütenversorgung für Insekten. Ein Drittel der Mischung ist Getreide, das, falls die Wasserkonkurrenz zu hoch wird, leichter zu walzen ist als Gras. Einen Mulcher einsetzen will Schumann nicht, um die Insekten zu schonen. Und ein Drittel der Begrünungsmischung sind Boden verbessernde Leguminosen. Biodynamischer Kompost hilft dort, wo der Boden strukturschwach ist.

Impulse durch Präparate, Pflege durch Tees

Auch die Arbeit mit den Biodynamischen Präparaten folgt dem Bemühen, einen runden Organismus zu gestalten. Mist, Darm, Gekröse und Schädel von Rindern, die hier grasen, Hirschblase vom Jäger in der Nachbarschaft, Heilpflanzen unmittelbar von den Flächen des Weinguts, Kamille und Baldrian aus der Nachbarschaft, Kiesel aus regionalen Quellen aus dem Hunsrück: Schumann legt bei der Herstellung der Präparate Wert auf den Bezug zum Ort. Mit Liebe wurde ein alter Hühnerwagen renoviert und zum Lager für die Pflanzendrogen und Präparaterohstoffe umgewidmet. Die fertigen Präparate lagern in einer stillgelegten, umbauten und mit Torf isolierten Kühltruhe.

 

Andreas Schumann und seine Mitarbeiter setzen im Weinberg zehn- bis fünfzehnmal die Biodynamischen Präparate sowie Pflanzen-, bzw. Komposttees ein. Die „Teeküche“ am Hof besteht aus mehreren umfunktionierten Kesseln, mit Gasbrennern beheizbar. Der Kompost zieht im eingetauchten Leinensack wie ein Tee, und wird dabei durch ein Pumpsystem einen Tag lang belüftet. Meist wird er kombiniert mit dem Fladenpräparat ausgebracht, das auf solche Flächen kommt, die keine Kompostgabe erhalten haben. Tees werden gezielt eingesetzt, nach vorausgehender Beobachtung der Pflanzenbestände: Weidenrinde vor der Blüte, Schachtelhalm und Efeu für den Boden gegen Mehltau, Eichenrinde für eine festere Beerenhaut. Brennnessel wiederum regt die „Durchsaftung“ der Pflanzen an, Löwenzahn erhöht die Lichteffizienz und Baldrian schützt vor Kälte, auch im frostigen Frühjahr 2017.

 

Die Biodynamischen Präparate kommen außer im Kompost im Weinberg zum Einsatz. Zwei- bis dreimal Hornmist belebt den Boden, im Herbst auch schon mal als 500p – mit den Kompostpräparaten präpariert – verwendet, da, wo überschießende Wachstumskräfte in den Bodenaufbau gelenkt werden sollen. Gekieselt wird drei- bis viermal. Tees und Präparate werden mit dem Quad ausgebracht, da diese Pflanzenstärkungsmittel geringere Aufwandmengen – 15 bis 30 Liter je Hektar – benötigen als der Pflanzenschutz mit Schwefel oder Kupfer. Insgesamt kommen eine Menge Überfahrten zustande, das zusätzliche Päppeln mit biodynamischen Mitteln aber hilft zu mehr Balance.

Minimalistisch im Keller – impressionistisch die Weine

Das Wichtigste geschieht im Weinberg – das ist Andreas­ Schumanns biodynamisches Konzept. Gesunde Pflanzen, blühende Begrünung, einwandfreies Lesegut, dann stellen sich auch die Hefen im Keller ein. Aufgrund Sorten und Lage lesen die Odinstaler ihre Trauben erst ab Ende September, bis in den November hinein. Bis dahin müssen sie gesund bleiben. Denn die Spontangärung, die der Winzer ausschließlich nutzt, erfordert hohe Sorgfalt: Trauben zu 100 % gesund, kein Schimmel, keine Essigfäule, keine Sekundär­infektionen bei edelfaulen Trauben wie für Auslese. Mit viel Zeit wird dann schonend gepresst. Die schönsten­ Trauben werden ausgewählt und dürfen mitver­gären, im Leinenbeutel, damit man sie danach wieder herausnehmen kann. Deren Gerbstoffe dienen dem Wein auch als Schutz vor Oxidation.

 

Dann heißt es, Geduld haben – der Wein bekommt die Zeit, die er braucht. Keine Temperaturregelung, kein Druck, bis zum Schluss auf der Hefe sitzend; die Fässer sollten allerdings voll sein. Meist gärt es im Frühjahr ein zweites Mal, gut für den Säureabbau. „Die Weine finden ihre Balance selbst. Und werden so trocken wie sie wollen“, ist die Erfahrung von Schumann. Dazu muss er hin und wieder einen von der üblichen Definition von „trocken“ abweichenden Wein akzeptieren. „Trockener“ Wein ist beschrieben durch das Verhältnis von Säure zu Süße: das ist bei den durchweg sehr säurearmen Odinstaler Weinen aber eng. Filtriert und danach zugleich auf Flaschen gezogen wird denn erst im Juli oder August, mit einer gemieteten Abfüllanlage. „Der Keller muss im Herbst leer sein!“, sagt der Betriebsleiter. Er hat aus der Not, wenig Platz zu haben, eine Tugend gemacht und verkauft den Wein eher jung. Und eben spät im Jahr.

Eigene Qualitätsmaßstäbe für die Vermarktung

Bei der Vermarktung der Weine entzieht sich das Weingut der üblichen Prädikatseinstufung, erzeugt „nur“ Qualitätswein“. Schumann hat eigene Qualitätskategorien entwickelt und bei den Kunden etabliert: 350 NN, nach Gestein, „nature“ und Auslese. Das Weingut kann es sich leisten, stattet es doch vor allem Spitzengastronomen aus. Die schätzen die säurearmen, verträumten und zugleich charaktervollen Weißweine als Begleiter ihrer Kochkunst. Gestartet ist Andreas Schumann mit der ersten Ernte ohne Kunden. Odinstal kannte keiner, die Liquidität sicherte zunächst die Eigentümerfamilie. Doch hat sich das Bewusstsein für besondere Weine gewandelt, und mit dem Kontakt zu Trendsetter-Restaurants wie dem Noma in Kopenhagen und zu entsprechend aufgestellten Weinhändlern und Importeuren kam nach einigen Jahren der Durchbruch: Wer heute Wein vom Odinstal will, muss vorbestellen und zahlt ab 18 Euro aufwärts.

 

Das gelingt nicht von selbst – der Winzer ist öfters im Einsatz vor Ort, um seine Weine Sommeliers oder Gästen zu präsentieren. Die Gastronomie ist auch ein Multiplikator. Und Schumann zielt nicht auf die Flaschenweinkarte, sondern auf die Weinbegleitung: „Wir brauchen Fans!“ ist hier sein Credo. Auch die Präsenz auf Hausmessen der Händler oder unlängst der von Vinaturel­ organisierten „501-biodyn“ gehört dazu oder ein eigenes Seminar auf Odinstal für Gastronomen und Händler. Selbstverständlich muss auch die Verpackung stimmen – hochwertige Flaschen, teils in Magnum-Größe, nüchtern-konzentriertes Etikett. Aktuell gehen 40 % der Flaschen in den Fachgroßhandel, Schwerpunkt Gastronomie, 30 % in den Export und 23 % an Privatkunden. Gasthäuser der Region kommen auf 7 %. Das Lager ist mangels Platz unten im Ort, der praktische Versand läuft über einen Kollegen mit. Auch wenn der Winzer nicht weiter in den Flächen wachsen will, denkt er über den Bau einer Halle nach: die wäre an vielen Stellen praktisch.

 

Noch geht es ohne: Unter Andreas Schumann, der in Anspielung auf die Nummer des biodynamischen Hornkieselpräparates gerne T-Shirts mit der Aufschrift 501 trägt, ist das Odinstal nicht nur ein besonderer Ort, sondern auch ein Botschafter für das Potenzial des biodynamischen Weinbaus.

Weingut Odinstal

  • Wohnsitz und Eigentum der Familie Hensel in Wachenheim/Pfalz, Bewirtschafter: Andreas Schumann

  • Von Wald umgebene Lage auf ca. 350 m ü NN, 650 mm Niederschlag bzw. 9,3 °C Temperatur im Jahresdurchschnitt

  • Vier charakteristische Böden: Basalt, gelber Buntsandstein, Muschelkalk, Keuper

  • 6,2 ha Rebfläche, 3,8 ha Wiese/Weide, 10 ha Wald, 5 Mutterkühe mit Nachzucht, Bienen

  • 50 % Riesling, 30 % Weißburgunder, daneben Silvaner, Auxerrois, Gewürztraminer, Rieslaner

  • 100 % Spontangärung, Ausbau nach Rebsorte und Boden, Abfüllung erst im Spätsommer,

  • Vermarktung als junge Weine in vier Kategorien in die Spitzengastronomie,

  • Demeter seit 2013

  • Weingut Odinstal, Thomas Hensel, Odinstalweg, 67157 Wachenheim an der Weinstraße, http://www.odinstal.de