Portrait

Unter Bio-Genossen

Die Lübecker Landwege EVG lebt Nähe und Regionalität

von Michael Olbrich-Majer

In diesem Bio-Markt bleibt kein Wunsch offen. Das Sortiment ist verlockend, die Atmosphäre einladend und viele Produkte sind aus der Umgebung: Ich sehe als Kunde, von welchem Hof aus der Region der Käse oder der Kohlrabi kommt. Wenn ich Zeit habe, kann ich auf eine Suppe oder auf Kaffee und Kuchen bleiben­. In Lübeck ist klar, wo man Biolebensmittel bekommt­, sogar, wenn man sie sich bringen lassen will: Bio gibt’s bei Landwege. Die Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft ist in der Stadt eine Institution. Fünf Einkaufsmärkte betreibt die EVG, dazu gibt es einen Schulbauernhofverein gleichen Namens und Ursprungs­. Und öfters lädt auch das Rathaus ein – Vorstand­ Tina Andres ist heute Abend beim Fachtag Ernährung, die EVG ist Lieferantin des Schulobst­programms.

Bauern mit ihrer Hofverarbeitung, Handel, Konsumenten und ein Bäcker gestalten gemeinsam den regionalen Bio-Markt – das ist die organisatorische Basis des Erfolgs. So etwas gibt es im Ansatz nur noch in Bayern bei der Tagwerk-Genossenschaft. Und in Dresden gibt es eine Verbrauchergemeinschaft, die Läden betreibt. Ist das ein Modell für regionale, nachhaltige Wertschöpfung im Lebensmittelbereich? Und kommt es nicht nahe an die anthroposophische Idee vom assoziativen Wirtschaften, wo vom Erzeuger bis zum Verbraucher alle an einem Tisch sitzen?

Initiative Verbraucher als Gründer

Tschernobyl war der Auslöser für sieben Lübecker Bürger, unterstützend auf Öko-Landwirte zuzugehen. 1988 entwickelte sich aus dem Verein eine Erzeuger-Verbraucher-Initiative, die erste Form der heutigen EVG. Anfangs wurde im Vereinsladen und auf Wochen­märkten verkauft, mit der 1999 ins Leben gerufe­nen EVG wurde der steigenden Nachfrage professio­neller begegnet; aber mit dem Anspruch der Verbindlichkeit und Beteiligung, deshalb in Form einer Genossenschaft.

Christoph Beckmann-Roden ist Genosse der ersten Stunde und Vorsitzender des Aufsichtsrats der EVG. Ihn reizt nach wie vor der Schulterschluss zwischen Landwirtschaft und Verbrauchern, sowie die Chance, Ernährungsbildung zu vermitteln. „Du hast die Höfe im Blick, wenn Du einkaufst“ – so entwickelt sich Verbundenheit. Als Konsument schätzt er neben dem vorzüglichen regionalen Angebot die Möglichkeit zur Gestaltung des Ganzen. Der Mitgründer von 1987 engagiert sich, längst hauptamtlich, im Jugendnaturschutzhof: Der Verein hat einen Hof gepachtet und kooperiert zur Bewirtschaftung mit einem Bioland Bauern. Im Jahr erleben hier 7.000 Schüler aller Altersstufen Öko-Landwirtschaft, Backen und Kochen, ein Landkindergarten gehört ebenfalls dazu. Der Verein mit allein zwölf Mitarbeitern im pädagogischen Bereich organisiert auch die jährliche Bio-Brotbox-Aktion mit Produkten der EVG – was sowohl das pädagogische Angebot als auch Landwege bekannter macht. Für Verbraucher gibt es außerdem von Landwege organisierte Hofbesuche, Bio-Genießer-Abende, Kochunterricht und natürlich werden auch die Veranstaltungen der Höfe mitgeteilt.

Handel, engagiert für die Region

Fünf Landwege-Märkte mit zusammen ca. 3.000 qm Ladenfläche gibt es in Lübeck bzw. im angrenzenden Bad Schwartau. Alle sind mit ähnlichem Sortiment bestückt­, das die Marktleiter verantworten, alle haben eine Käse-, Wurst- und Brottheke. Natürlich im gleichen­ Design – Landwege arbeitet seit langem mit einem Ladenbauer zusammen – und zwischen 300 und 800 Quadratmeter groß. Vom neuesten Markt in der Ziegelstraße aus versorgt eine zentrale Küche die Bistros, die zu jedem Markt gehören. Sie stellt außerdem eine Reihe Eigenprodukte her. Auch die Büros sind in dem 2013 als letztes hinzugekommenen Gebäude untergebracht.

Sorgfalt wird auf die Präsentation verwendet, vor allem Obst und Gemüse, im Eingangsbereich platziert, sollen appetitlich rüberkommen. Das gilt aber auch für den Rest des Sortiments, – für jedes Segment wie Brot, Wurst etc., gibt es, quer zu den Filialen Bereichsleiter, die Qualität und Schulung der Kollegen in den Fach­abteilungen verantworten. Das umfasst auch Hofbesuche, „denn was wirklich zieht, ist, wenn ein Mitarbeiter Feuer gefangen hat“, so Tina Andres, im Vorstand für Kommunikation, Mitarbeiter und Küche zuständig. Vertrauen, Freude, Genuss stehen im Vordergrund ergänzt Klaus Lorenzen, der sich im Vorstandstandem ums Sortiment, um Zahlen, Marketing und die Genossenschaft kümmert.

Als Genosse ökologischen Wandel mitgestalten

Genosse kann man für 50 Euro werden – so viel kostet ein Anteilsschein, plus Aufnahmegebühr in gleicher Höhe. Natürlich kann man mehrere Anteile halten, aber auch wer zehn oder vierzig Anteile hält, hat nur eine Stimme. Neben Kunden und Lieferanten sind auch ein Drittel der Mitarbeiter Genossen. Das lohnt sich, denn in guten Jahren werden auch schon Mal Dividende ausgeschüttet. Dem Unternehmen bietet es den Vorteil einer hohen Eigenkapitalquote von 50 Prozent. Bewusst gibt es kein Zwei-Preismodell, also Rabatt für die Mitglieder. Preise und Schnäppchen sollen nicht im Vordergrund stehen. Dafür gibt es einmal im Monat den Mitgliedereinkaufstag – nur an diesem Mittwoch gibt es zehn Prozent Nachlass. Aufsichtsrat und Vorstand geben Rechenschaft in der Generalversammlung, einmal jährlich prüft der Genossenschaftsverband und der Bundesanzeiger erhält einen Bericht. Die sachlichen Aspekte sind eines, mehr noch verbindet die Genossen das sommerliche Betriebsfest und die Neujahrsfeier mit den Bauern.

Bauern bestimmen mit

Landwirt Philipp Hennig vom Demeter-Betrieb Hofgut­ Rothenhausen hat vor drei Jahren mit anderen Familien die Verantwortung im Hof übernommen und die Mitgliedschaft in der Genossenschaft beibehalten. Der Hof ist von Anfang an dabei und vermarktet fast die Hälfte seiner Backwaren und Milchprodukte über die EVG, dazu Überschüsse aus dem Gemüse, ab und zu Fleisch. „Woanders ist man nur der kleine Bauer, aber in der Genossenschaft wird Brüderlichkeit gelebt“, das ist seine Erfahrung. Die regionalen Mitgliedsbetriebe sind sehr sichtbar, ja stehen im Mittelpunkt der Landwege-Märkte, und die möglichen Preise sind fair. So engagiert er sich nicht nur in der Bauernversammlung, sondern ist auch im Aufsichtsrat der EVG. Für den Hof nahe Lübeck sind die Genossenschaftsmärkte keine Konkurrenz, sondern eine willkommene Ergänzung für die intensive Direktvermarktung des Betriebs. Und, „Das Modell bietet extrem viele Möglichkeiten zum Mitgestalten“, so Hennig, auch wenn es nicht so manövrierfähig sei wie ein Hof, weil deutlich größer.

Spricht man mit einem Bauern, landet man schnell beim Thema Preise. Die EVG vertraut auf die Kalkulation der einzelnen Betriebe, es sind ja die satzungsgemäß als Lieferanten zu bevorzugenden Mitglieder. Preiserhöhungen sollten lieber gestaffelt als plötzlich erfolgen, dadurch, dass die Landwirte ohne Umweg über den Handel direkt in die Läden liefern, wird eine Handelsstufe eingespart – das ermöglicht bessere Erzeugerpreise.

Ein wichtiges Gremium innerhalb der Genossenschaft ist die Bauernversammlung: Hier wird besprochen, wer was liefert und über die Aufnahme neuer, liefernder Mitglieder befunden.

Wer als Hof oder Verarbeiter dabei sein will, muss ökologisch wirtschaften, im Schwerpunkt regional vermarkten und im Hundertkilometerradius um Lübeck liegen. Langfristige Lieferbeziehungen sind das Ziel, der entsprechende Erwerb von Genossenschaftsanteilen soll den Umsatz mit der EVG wiederspiegeln. Rohstoffe müssen vorwiegend aus der Region sein. Ein Leitfaden für Mitgliedsbetriebe regelt zudem auch die Preiskonkurrenz unter den Genossenschaftsbetrieben: wer woanders deutlich billiger verkauft, kann nicht bleiben. Dafür verpflichtet sich die EVG, regionale Ware nur von den Mitgliedsbetrieben aufzunehmen. Darüber hinaus berät dieser Lieferantenrat auch über das Wachstum und Sortimentsausdehnung, denn geplanter Mehrumsatz muss ja bis zum Anbau hin gestaltet werden und umgekehrt. Die Beschlüsse sind Empfehlungen für Vorstand und Aufsichtsrat. Zusätzlich treffen sich auch die Gärtner und die Fleischlieferanten für die Planung und Abstimmung. Insgesamt ist so eine fein angepasste Flexibilität möglich, vom Sortiment über die Mengen bis hin zur gelegentlichen Vorfinanzierung von Saatgut durch die Genossenschaft. Angesichts der diesjährigen Dürre war auch ein Hilfsfonds für Landwirte schon Thema.

Begegnung statt allein Marketing

„Auf lokaler Ebene lebt Landwege über die Gesichter!“, so Tina Andres. Die beiden Vorstände sind in der Tat die Gesichter des Landwege-Marketings, neben Bauern, Gärtnern und Bäckern sorgen sie für personelle Wiedererkennbarkeit – wichtig für eine Regionalmarke. Denn, „Regionales im Bewusstsein halten – da müssen wir stetig daran arbeiten“, weiß Klaus Lorenzen: Infotafeln und Übersichtskarten in den Läden, Schildchen an jeder Wurst oder jedem Gemüse, die auf die Herkunft hinweisen, unterstützen das und geben den Kunden Durchblick wie auch regionale Verortung. Daneben gibt es Plakatwerbung, Infoflyer zu den Sortimentsbereichen und Lieferanten, monatliche Aktionsblättchen, ja und punktuell Postwurfsendungen. Manche Produkte werden mit einem Gesicht aus der Mitarbeiterschaft beworben, so z. B. der Wein des Monats. Wichtig sind die Veranstaltungen wie Verkostungen, Hofbesuche, Filmabende und auch hier und da eine politische Aktion, wie gegen Gentechnik z.B. oder die Mitveranstaltung eines Abends zu Bodeneigentum. Auch in der stadtweiten Fairtrade-Initiative sind die Landwege vertreten und auf die Ernährungswende-Demo in Berlin geht es gemeinsam mit Kunden. Und zum besonderen Weinabend bei Landwege präsentiert die Vorständin auch mal französische Chansons zusammen mit ihrem Tina-Andres-Trio: Bordeaux und Brel, Pinot und Piaf.

Wie sieht es mit dem üblichen Problem in der Biobranche aus, den einzelhandelstypisch geringen Mitarbeitergehältern? Die Mitarbeiterkosten sind bei der EVG relativ hoch, viel Personal im Laden im Vergleich zum sonstigen Lebensmitteleinzelhandel, schon allein durch die umfassend bestückten Frischetheken. Dennoch ist die EVG hier auf gutem Wege: Bezahlt wird nach Haustarif auf ortsüblichem Niveau, es gibt eine betriebliche Altersversorgung, und statt auf viele preiswerte Aushilfen zu setzen, zieht Landwege unbefris­tete Verträge und möglichst Vollzeitstellen vor. Die Öffnungs- und damit die Arbeitszeiten sind moderat – um sieben wird geschlossen. Regelmäßig finden Gespräche von Geschäftsführung und Mitarbeitervertretung statt. Tina Andres stellt denn auch fest, dass die Beziehungsqualität im miteinander Arbeiten zunehmend wichtiger wird, vor allem bei wachsendem Personalstamm und dadurch tendenziell zunehmender Distanz­ zu den Kunden.

Perspektive auf dem Biomarkt

Bis vor kurzem war die Landwege EVG in Lübeck konkurrenzlos. Seit kurzem gibt es auch zwei Bio-Filialisten, zudem bewerben die Supermärkte und Discounter offensiver ihr Biosortiment. „Unerlässlich bleibt eine weiterhin kontinuierliche Marktbeobachtung, um sich auf verändernde Situationen und Wettbewerbsbedingungen schnellstmöglich einzustellen“, heißt es dazu im Jahresbericht. Die Landwege-Genossen müssen also weiter am Geschäftsmodell arbeiten. Dabei leitet sie aber keine expansive Strategie – neue Märkte, neue Städte oder gar Franchise-Konzepte. Mit Aufmerksamkeit für die Trends der Zeit will die EVG maßvoll wachsen, aber nicht rein über die Flächen und nicht über Lübeck hinaus. „Eher wollen wir Lübeck auf verschiedenen Ebenen mit unserem Angebot durchdringen“ sagt Klaus Lorenzen, und andere Kunden anziehen. So setzen die Genossen einerseits auf die Treue zu den Lieferanten bzw. Bauern und wollen andererseits mehr Kanäle erschließen. Der im Vorjahr aufgestellte Lieferservice wendet sich eher an ältere Kunden, wogegen der Online-Shop – bewusst beschränkt aufs Stadtgebiet – eher die Bedürfnisse jüngerer Kunden anspricht. Auch die stete Arbeit an der Attrak­tivität der Märkte gehört dazu. Und die neueste Idee: Obst in Büros liefern. „Wir wollen authentisch bleiben“ meint dazu der Vorsitzende des Aufsichtsrats. Denn der Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft geht es um mehr als allein um Bio-Lebensmittel.

Landwege: eine Verbraucher-Bauern-Genossenschaft

  • Gegründet 1988 als Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft

  • Seit 1999 Genossenschaft, mit heute mehr als 700 Mitgliedern, davon 30 Bauern

  • 5 Biomärkte in Lübeck mit Bistro, Zentralküche, Lieferdienst und Onlineshop

  • Mehr als 6.000 Produkte im Sortiment

  • Über 120 Mitarbeiter, davon 17 Azubis

  • Umsatz ca. 13 Mio. € (2017), davon 30 % mit EVG-Mitgliedern

  • Vorstand: Heinke Martina Andres, Klaus Lorenzen

  • Auszeichnungen u.a.: Regionalstar 2017, Nachhaltigkeitspreis des Landes Schleswig-Holstein 2017

  • Landwege Umweltstiftung und Jugendnaturschutzhof, Landkindergarten

  • Landwege EVG, Ziegelstraße 3-5, 23556 Lübeck, Tel. 0451-4505 4110, www.landwege.de