Portrait

Gelandet und gestartet

Sophie und Jonathan Kraul legen mit dem eigenen Demeter-Betrieb los

von Michael Olbrich-Majer

Wer würde diesen Hof, in dieser Lage, nicht nehmen? Der Blick streift weit, über flache Wiesen und Felder, über eine Obstallee hin zum Wald hinterm tief eingeschnittenen Nagoldtal. Der Untere Berghof ist ein Glücksfall. Jedenfalls für Jonathan und Sophie Kraul, die den Betrieb seit letztem Herbst gepachtet haben. Hier können sie ihre Idee von Landwirtschaft – biologisch-dynamisch – leben und aufbauen. Dafür ist noch einiges zu tun, der Verkauf von ein paar Dutzend Eiern und ein paar Pfund Linsen am Tag reicht nicht für ein Auskommen. Aufs Glück muss man vorbereitet sein und daran kann man arbeiten.

Vorbereitet war das Paar bestens. Unter dreißig Bewerbern bekamen sie den Zuschlag für den Hof. Sie hatten sich voll ins Zeug gelegt, Deckungsbeiträge, Gewinn- und Verlustrechnung kalkuliert, eine zwanzigseitige Bewerbung verfasst und eine Präsentation erstellt. „Unsere Wohnung glich zeitweise einem Planungsbüro“, beschreibt Sophie Kraul die erwartungsvolle Phase. Ihr Konzept und ihre Erfahrung überzeugten den Verpächter, Sven Maier. Der hatte den Aussiedlerhof bei Wildberg, dreißig Kilometer südlich von Pforzheim, 2011 gekauft, um hier Alpakas und Mutterkühe zu halten. Maier stellt Matratzen und Bettdecken her, die Wolle der exotischen Wiederkäuer wird dazu genutzt. So war der Betrieb von dem engagierten Unternehmer bereits auf Bio umgestellt, er hatte eigens dazu Landwirtschaft gelernt und einen Bewirtschafter angestellt. Doch das klappte auf lange Sicht nicht, so dass er sich entschied, zu verpachten. Für die Pächter weitere glückliche Vorteile: es war kein Landwirt abzulösen, kein Altenteil zu finanzieren und die Umstellung auf Ökolandbau war schon gelaufen. Und der Betrieb war einigermaßen in Schuss und ausgestattet für die Futterwerbung.

Der Plan und der Weg

Trotzdem war es für das Paar eine komplette Betriebsneugründung und die musste gut geplant sein, von den Betriebszweigen bis zur Finanzierung und der rechtlichen Seite. Alpakas, Weidevieh und Ackerbau sollten beibehalten, doch um Legehennen ergänzt werden. Das ganze natürlich biodynamisch. Zunächst 2000, später 4000 Hennen sollen Eier legen, gehalten im Mobilstall, gefüttert vom eigenen Acker. Milchkühe waren keine Option, auch ohne die Kosten für Anschaffung und Stallneubau genau zu kalkulieren: Jonathan, im Ackerbau zuhause, war irgendwann aufs Huhn gekommen. Wiederkäuer brauchte es nach Vorstellung der beiden Landwirte aber auch, also stand weidebasierte Jungtiermast auf dem Plan.

Jonathan und Sophie sind mit ihren 34 und 37 Jahren keine Anfänger. Sie suchten nach fünf Jahren Hofgemeinschaft, wo es prinzipiell immer viel zu besprechen gibt, etwas Eigenes. Auch als Familie mit ihren Kindern Eloa und Alva. Kennengelernt haben sie sich im Rahmen ihrer biodynamischen Ausbildung in der Schweiz. Jonathan, sein Vater baute Orgeln, wollte schon früh Bauer werden, die kernigen Typen, die er als Schüler am Bodensee kannte, faszinierten ihn. Ein Praktikum auf dem Demeter-Betrieb Rheinau war dann der Start in die Ausbildung, später, in Norddeutschland, machte er auch den Meister. Vom Biodynamischen überzeugte ihn die präzise Vorgehensweise auf der Rheinau. Sophie ist Frankfurterin, ihr Vater Werbefotograf: sie wollte was „Echtes“, etwas Praktisches machen mit Menschen. Warum Demeter? „Da machst du die Welt wieder reicher“ erfuhr und erlebte sie während der Ausbildung. Danach kontaktierte sie das biodynamisch arbeitende Schweizer Baumwollunternehmen Remei AG und ging auf eine Ausbildungsfarm nach Tansania. Mit Kind und Distanz, das ging aber nur befristet und so kam das Paar in die Betriebsgemeinschaft Klostersee bei Lübeck, die sich in einer sehr lehrreichen Auf- und Umbauphase befand. Acht Jahre später war klar, dass sie einen eigenen Hof suchen wollten.

Jonathan ging aber zunächst ein halbes Jahr nach Australien. Danach waren sie einen Sommer auf der Alp. Gleichzeitig suchten sie eifrig überall: über die Hofbörse von Hof sucht Bauer und Hof-Gesucht-Gefunden, Kleinanzeigen, Landgesellschaften, Beratungsinstitutionen.

Die Suche

Was suchen wir eigentlich? Das Bild vom eigenen Hof muss Kontur haben – welche Betriebszweige sollen möglich sein, welche Region zieht uns an, alleine oder mit anderen – was sind die Bedürfnisse der Familie – und zugleich flexibel sein, denn brauchbare Betriebe sind rar gesät. Zwanzig Höfe hatten die beiden bereits angeschaut, bevor sie den Unteren Berghof in einer Anzeige fanden: klare Infos, brauchbares Exposé. Das war auf ihrer Suche selten so, meist war unklar, was konkret übergeben wird, was die Dinge wert sind und wie der Rückzug seitens der abgebenden Landwirte gedacht ist. Häufiges Modell: erstmal eine Anstellung und wenn es dann gut aussieht, über Verkauf reden. Pachten ist da leichter zu stemmen. Das, was man bekommt, muss man sich allerdings anschauen: So standen da zwar zwei relativ neue Schlepper, aber der Kuhstall und ein Zwischengebäude waren veraltet, das Wohnhaus rief nach Renovierung. Andrerseits gibt es zwei funktionsfähige Hallen, Stall und Scheune für die Alpakas und ein Häuschen für die ersten 100 Hühner. Sie konnten also loslegen. „Wir wussten, worauf wir uns einlassen“, sagt das Paar. Das machte auch das Erstellen des Geschäftsplans einfacher.

Die Verträge und das Geld

Ein guter Plan ist nur der erste Schritt – ein Vertrag, der Betriebsentwicklung möglich macht, der zweite. Mit Maier hatten die beiden Landwirte einen fairen und verständigen Verpächter. Auch die Beratung durch den einstigen Demeter-Berater Rolf Holzapfel, der zudem die Maklerrolle innehatte, half, für geklärte Verhältnisse und einen guten Übergang zu sorgen. Unbefristet, erstmals kündbar nach zwölf Jahren mit Ausstiegsklausel, wenn zu viele Flächenbesitzer nicht mehr verpachten, so dass die Hoffläche unter 70 ha schrumpft, das ist der Rahmen. Die Maschinen mieteten sie fürs erste halbe Jahr vom Verpächter zu Maschinenringsätzen und konnten dann entscheiden, ob sie die Maschinenausstattung so übernehmen. Abgekauft wurden Inventar und Maschinen, diese wurden vom Sachverständigen geschätzt, als Grundlage für die Verkaufs­verhandlungen. Die Gebäude wurden im Rundgang mit dem Verpächter bewertet und diese Aufstellung dem Pachtvertrag beigelegt. Für eine eventuelle Abwicklung bei Pachtende ist das wichtig. Pächter und Verpächter haben vereinbart, zu gleichen Teilen in einen Instandhaltungsfonds zu zahlen. Was renoviert werden soll, wird gemeinsam besprochen. Wichtig ist, dass Vertrauen entsteht: jede Person und jede Seite muss mit dem, was verabredet wird, leben können. Eine gute Grundlage für die Gespräche war, dass der Pächter­familie wie dem Verpächter die zukünftige Entwicklung des Hofes wichtig ist.

Ganz ohne Geld, dritter Schritt, geht es natürlich nicht, denn Hennen und Stall müssen gekauft, Winterfutter und Aussaat bezahlt werden, außerdem braucht es Geld zum Leben. Letztlich benötigten die Krauls eine halbe Million Euro. Mittel aus dem Agrar­investitionsförderprogramm gab es nicht mangels Hof-Eigentum. Alternativ organisierten sie eine Förderung über Landschaftspflegerichtlinien, gut unterstützt vom Landwirtschaftsamt vor Ort. Außerdem galt es, ein Darlehen von der Bank zu beantragen, dazu brauchte es einen Geschäftsplan, auch dazu war Beratung nötig, zusätzlich warben sie private Schenkungen oder Darlehen ein. Das Geld kam rechtzeitig zusammen. Und, es gab Geld vom Arbeitsamt. Da beide als Landwirte zuletzt im Versuchsbetrieb Trenthorst des von-Thünen-Instituts angestellt waren, und somit aus der Arbeitslosigkeit den Hof gründeten, gibt es einen Gründerzuschuss in Form von Arbeitslosengeld I. Auch dafür brauchte es einen von sachkundiger Stelle geprüften Geschäftsplan. Insgesamt eine heikle Phase, denn die Landwirte brauchten auch rasch eine Unternehmensnummer, um geförderte Beratung in Anspruch nehmen zu können. Unternehmer sind übrigens beide, sie haben dazu einen GbR-Vertrag aufgesetzt.

Der praktische Start

Als Jonathan und Sophie zum September anfingen, winkte bereits eine prächtige Apfelernte auf ihren 110 eigenen Hochstämmen. Da hier auf dem Land jeder seinen eigenen Most hat, ging ein Großteil des Obstes an die regionale Streuobstinitiative Schneewittchen, den reichlichen Rest verkaufen sie als Saft in fünf Liter-Behältern. Für die Umstellung auf Demeter brachte Jonathan die biodynamischen Präparate auf alle Flächen aus: Hornmist, präparierten Kompost bzw. ersatzweise Fladenpräparat kombiniert mit Hornmist. Mit der regionalen Demeter-Arbeitsgruppe machten die beiden auch gleich selbst welche. Die Wintersaat musste in den Boden, das ließen sie vom Nachbarn machen. Rasch mussten sich die beiden auch um Förderungen kümmern und die Vermarktung klären.

Mit den ersten Schritten mussten sie auch die Planung anpassen. Mastrinder von anderen Demeter-Höfen bekamen sie nicht zusammen, also stellen Krauls ihre Fläche für Jungvieh und Altkühe von der Dorfgemeinschaft Tennental, einem Demeter-Betrieb in der Nähe, zur Verfügung. Die Hennen sollten eigentlich alles ÖTZ-Tiere sein, Coffee und Cream. Doch die andere Seite der Kalkulation ist der Absatz, gerade dafür braucht es einen Marktpartner, der nicht nur Mengen abnimmt, sondern auch die erforderlichen Preise und die dafür nötige Kommunikation realisieren kann. Der Handel kam nicht zustande, jetzt muss der Betrieb günstiger verkaufen. Deswegen haben die Landwirte preiswertere Lohmann Brown Hybridhennen bestellt. Partner ist die Erzeugergemeinschaft Zapf-Hof bei Offenburg. Sich da auf einen Zwölfjahresvertrag festzulegen, fiel den beiden Gründern nicht leicht. Dennoch ist ihr Betrieb Partner der ÖTZ, mit jedem ab Hof verkauften Ei geht 1 Cent an die ÖTZ für die Zucht von Zweinutzungshühnern. Zur Aufzucht kamen im Februar 2019 sechzig gemischtgeschlechtliche Küken von der ÖTZ: die Hennen für die Eier, die Hähnchen werden nach etwa 18 Wochen geschlachtet verkauft. Sophie Krauls Zwischenfazit der Startphase ist: „Wir hätten nicht gedacht, dass so viel Zeit für Planung auch danach drauf geht, von der Bank bis zu betrieblichen Änderungen.“

Das Ankommen

Hof, Ort und Bewohner kennenlernen, Geschäftspartner – alles­ neu, auch die Arbeitsteilung zu zweit. In der Hofgemeinschaft gab es klare Abläufe. Hier sind die beiden jetzt für alles zuständig und wachen morgens mit dem guten Gefühl auf, genau das zu tun, was sie machen wollen. Sophie kümmert sich mehr um Finanzen, Anträge, Abrechnung, Jonathan mehr um die Außenwirtschaft. Anders als in einer Gemeinschaft ist die Tagesstruktur jeden Tag neu, kein Milchviehrhythmus. Und anders als im Norden funktioniert hier die Vermarktung nicht selbstverständlich. Auch an die Mentalität des schwäbischen Menschenschlags müssen sich die ehemaligen Nordlichter noch gewöhnen.

Gleich zu Anfang machte sich ein Nachteil der kleinen Flächen bemerkbar: Jeden dritten Tag mussten sie die Rinder umtreiben. Zugleich bringen die Hühner und Rinder wieder Leben auf den Hof. Rasch war auch klar, dass man hier nichts groß verkaufen kann, zu abgelegen ist der Hof, und Obst bzw. ein paar Hühner haben hier viele. Gezielt gingen sie auf die Dorfbevölkerung zu, stellten sich und ihr Konzept vor überraschend vielen Interessierten im Gemeindehaus vor, luden alle Pächter zum Kennenlernen ein. Mit einigen von ihnen legten die Landwirte einen Kartoffelacker für den gemeinsamen Eigengebrauch an.

Jonathan, der auch am Demeter-Bodenpraktikerkurs teilnimmt, freute sich darüber, die Flächen und Böden kennenzulernen, auch dazu war das Präparatespritzen gut. „Schön ist es für uns, auch die Herstellung der Präparate im gesamten Prozess selbst zu machen. Im Spätsommer noch Schafgarbe sammeln, ein Präparatelager einrichten: alles das erste Mal hier auf dem Hof – nichts ist da und dadurch vorgegeben.“

Die Perspektive

Das Schöne ist: Man kann sich noch viel vornehmen, der Hof bietet Möglichkeiten. Sämaschine kaufen, die große Halle ausräumen und eine gebrauchte Getreideaufbereitung und Lagerung besorgen, das steht ganz praktisch an. Die ausgebaute Hütte, in der früher die Dorfjugend feierte, zusammen mit Streuobstwiese und Spielplatz in ein touristisches Angebot zu verwandeln ist da schon die mittelfristige Perspektive. Schäferwagen aufstellen und ein kleines Hofcafé, das können sich die beiden vorstellen. Heuverkauf vom reichlichen Grünland, saisonal Gänse halten, und natürlich die Aufstallung von ÖTZ Hennen weiterverfolgen, ein Maststall für Demeter-Heumilch-Bruderkälber. Und die Kinder wünschen sich einen Pfau. Der Bau von Jonathan Krauls selbstkonzipiertem Bodenbearbeitungsgerät muss da wohl noch etwas warten.

Noch ist die Tilgung nicht angelaufen. Jonathan und Sophie Kraul haben ihren Schritt zum eigenen Betrieb bisher keine Minute bereut: ohne Umwege alles selbst entscheiden können und die Vorteile eines reinen Familienbetriebes genießen – das war ihr Traum.

Unterer Berghof

  • Am Ostrand des Nordschwarzwaldes gelegen auf 500 m ü NN, 720 mm Niederschlag und 8,6° C im Jahresdurchschnitt

  • Böden auf Buntsandstein, teils Lößlehmauflage, sandiger bis schluffiger Lehm, 55 Bodenpunkte im Schnitt

  • 100 ha, davon 20 ha eigen, 100 Teilflächen in 2 km Umkreis: 55 ha Acker, 45 ha Grünland, 300 Stämme Streuobst

  • Fruchtfolge: Winterweizen, Dinkel, Roggen, Linse/Hafer, 2 Jahre Kleegras

  • 120 Hennen, 60 Aufzuchthühner (Zweinutzung), 17 Alpakas, 17köpfige Mutterkuhherde als Pensionsvieh. Ab September 1950 Hennen und 50 Hähne im Mobilstall.

  • Vermarktung: Feldfrüchte über Spielberger und Schönberghof, Eier künftig über Erzeugergemeinschaft

  • Arbeitskräfte: Betriebsleiterehepaar, Azubi ab Herbst, Praktikumsplatz für Waldorfschüler

  • Jonathan und Sophie Kraul, Unterer Berghof 1, 72218 Wildberg, 07054-932 6532, www.unterer-berghof.de