Portrait
Im Dialog mit dem Boden
Demeter Landwirt Knut Ellenberg spürt dem Betriebsganzen nach
von Michael Olbrich-Majer

Wir laufen über ein Feld des Hofs Klostersee. Demeter-Landwirt Knut Ellenberg hat mich zu einem Rundgang über den biodynamischen Betrieb mitgenommen. Jetzt stehen unsere Füße fest auf dem Boden, wir sind still konzentriert auf unsere innere Wahrnehmung, Augen geschlossen. Tut sich was in den Bereichen meines Leibes? Und tatsächlich, was wir dann jeder beschreiben, klingt ähnlich: auf diesem Boden hat man das Gefühl, zu versinken. Diese Übung machen wir noch an anderen Standorten mit je anderen inneren Eindrücken. Knut Ellenberg ergänzt mit dieser Punktmeditation die Kenntnis seiner Böden, von denen er natürlich die üblichen Parameter wie Humus, Ertragskraft, Aktivität des Bodenlebens oder Stoffgehalte weiß. Aber dieses Hinspüren gibt dem Bauern jenseits der physischen Messwerte einen leisen Hinweis auf die Kräftedynamik, die einen Standort ausmacht – auf das, wohin der Boden immer wieder tendiert.
Was machst Du als Landwirt mit einem solchen Eindruck? Nun, es bringt dich im besten Fall auf Ideen oder zumindest auf Fragen und schult den Blick. Knut Ellenberg erkennt so Unterschiede auf den Flächen, fragt sich, was das Aufkommen von Huflattich an einer Stelle bedeutet, oder überlegt, mit welchem der biodynamischen Präparate er die extrem wüchsigen Böden, mit Blättertorf im Untergrund, bändigt. Oder, welche Bodenbearbeitung wann sinnvoll ist, oder, wie der Kräuteranteil im Grünland zu steigern wäre. Er beschreibt es als einen über viele Jahre gehenden Dialog mit dem Boden.
In seiner eigenen Kombination aus fachlicher Ansprache des Bodens, augenfälligem Eindruck und dem Hinspüren bleibt offen, wie das denn funktioniert, das „die Kräfte spüren“. Der Landwirt beschreibt es mit einer Geste: „Das ist wie ein Griff hinter den Vorhang. Du ertastest etwas, aber alles andere bleibt im Dunkeln.“
Intuition und Betriebsentwicklung

Man könnte es Intuition des erfahrenen Bauern nennen. Die überlässt Ellenberg aber nicht immer dem Zufall. Eine Eingebung kann nur erscheinen, wenn sie vorbereitet ist: Zum Boden braucht der Landwirt profunde Kenntnis der äußeren Fakten wie Bodentyp, aktuelle Fruchtfolge, Witterungs- und Wachstumsverlauf, Standortgeschichte, hier z. B. ein trockengelegter See, Gesamtbetriebszusammenhänge, hier z. B. Milchvieh, Käserei, Backstube, eigene Fleischvermarktung und Hofladen, all das, was in die Landwirtschaft des Hofs hineinarbeitet. Intuition funktioniert nur in einer inneren Haltung des Zuhörens. Der Boden spricht ja nicht – also muss ich selbst einen Raum für diese Wahrnehmung schaffen.
Dafür ist im Alltag als Landwirt in der Regel wenig Zeit, manchmal blitzt nur kurz was auf. Wie vor gut zwölf Jahren, als Ellenberg die Idee hatte, zwei Weißdornhecken mit einer Obstbaumreihe zu verbinden. Inzwischen haben sich ein Wiesenweihe-Paar und Grauammern dort eingefunden, freut er sich. Als biodynamischem Landwirt kommt es ihm darauf an, so zu arbeiten, dass sich Beziehungen knüpfen können im Hoforganismus. Das betrifft auch die Tierhaltung, konkret z. B. die kuhgebundene Kälberaufzucht. Mit dem Stallneubau 2013 sind die Abläufe, erst Kälber und die betreffenden Kühe zusammenbringen, dann Kühe in den Melkstand lassen zum Ausmelken, ohne Zusatzaufwand möglich. Auch für dieses in der Tierhaltung neue Verfahren brauchte es die Idee, die sich erst bildet, wenn man beobachtend tiefer eintaucht und dann der eigenen seelischen Resonanz Raum gibt. Übrigens auch zur Finanzierung – Kunden beteiligten sich mittels einer Kuhanleihe.
Denn das biodynamische Konzept von Landwirtschaft als Organismus lässt sich auch in der Praxis nur geistig erfahren – vom Durchdenken bis hin zum Erspüren, dass auf den Ebenen des Betriebs etwas Neues funktioniert oder dem Hof gut tut. Es gibt ja keine sichtbare Grenze, nur eine Verschränkung von Prozessen, das Gestalten von Beziehungen der Organe untereinander, das Intensivieren derselben mittels biodynamischer Präparate. Ein weiteres Beispiel für diesen Blick ist die Wahl der vom Betrieb vermehrten Rotkleesorten: angebaut werden solche, deren Blütenkelche für Bienen geeignet sind. Gute Ideen kommen dem Landwirt auch an seinem Lieblingsplatz zwischen Stall und Melkstand oder unterm Pflaumenbaum hinter dem Gutshaus, wo er innerlich den ganzen Betrieb wahrnehmen kann. Klostersee ist schon ein besonderer Betrieb. Jahrhundertelang war hier ein Haff, eine verlandende Meeresbucht vor dem Kloster Cismar. Bis Hamburger Kaufleute 1862 die sumpfigen Flächen kauften, trockenlegten und einen großen Milchviehbetrieb mit 300 Kühen und Park errichteten. Nach wie vor läuft das Pumpwerk, die Flächen liegen unter dem Meeresspiegel. 1987 übernahmen Gerlinde und Wigand Nägel den inzwischen geteilten Betrieb und stellten ihn um auf Demeter. Sie übertrugen 1997 das Eigentum an den eigens dazu gegründeten Verein und bauten eine Hofgemeinschaft mit Knut und Kristine Ellenberg auf. Wigand Nägel schied Ende der 1990er aus, Gerlinde blieb. Mit ihrem neuen Partner Alberto Ariberti führt sie heute den Hofladen. Hofgemeinschaft bedeutet Wandel, die Familien Jahn und Kraul (vgl. LE 4-19), waren einige Jahre Teil derselben. Umso wichtiger die Frage: wie trägt man den gemeinsamen Geist weiter, entwickelt ihn weiter und verbindet sich neu damit?
Seelen backen in Klostersee

Verbindungen schaffen im Betrieb – das bezieht sich auch auf die hier tätigen Menschen. Ein Viertel der Milch, von im Schnitt 6200 Liter je Kuh, wird in der Hofkäserei verarbeitet, die Julia Steinbrück leitet. Getreide wird zu einem guten Teil zu Brot, Brötchen und Kuchen: Knuts Frau Kristine und Dirk Öllerich führen die Backstube, die wahrscheinlich die nördlichsten schwäbischen Seelen backt – Kristine kommt aus Schwaben und hat das Rezept für das traditionelle Gebäck mitgebracht. Fünf Ferienwohnungen gibt es auf und am Hof, gemanagt von Annika Nägel, darüber hinaus die Altenscheune mit zehn Bewohnern sowie den Hofladen mit Café und knapp einer Million Jahresumsatz, den das Ehepaar Ariberti leitet. All das sind Informations- und Stoffströme, die auf der sozialen Seite des Hoforganismus Abstimmung brauchen, aber auch gemeinsame Bilder. Den Raum dafür zu schaffen, bedarf Aufmerksamkeit im vielfältigen Hofgeschehen.
Die Bereiche des Hofs sind in zwei GbRs gefasst, die fünf Gesellschafter, also die Paare Ellenberg und Ariberti sowie Dirk Öllerich, sind in beiden vertreten. Auf dem wöchentlichen Hofabend koordinieren sie sich mit den Leitern der Arbeitsbereiche, was neben der Verarbeitung auch Außenwirtschaft (Malte Ellenberg) und Stall (Stella Löppmann) umfasst. Morgens und mittags gibt es Arbeitsbesprechungen in der Landwirtschaft, ähnlich in den drei anderen Bereichen. Und alle sechs Wochen treffen sich die fünf Gesellschafter zur Supervision. Träger und Eigentümer des Ganzen, sowie von der Altenscheune, ist der Verein Hof Klostersee: die Landwirtschaft soll damit im biodynamischen Geist sichergestellt werden, unabhängig vom Bewirtschafter.
Eine besondere Herausforderung ist es für Ellenberg, seinen Ansatz an die jüngere Generation weiterzugeben. Im Alltag geht es eher kurzatmig zu: Gesprächsraum zu schaffen, um am großen, gemeinsamen Bild zu arbeiten, und daraus die Entscheidungen fürs Tägliche abzuleiten wäre das eine. Die Übung des Wahrnehmens und Hinhörens zu kultivieren das andere. „Mit der gemeinsamen Idee könnten wir dann herauspellen, was ansteht“, hofft der Bauer.
Gemeinsame Ideen werden auch in der Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft Landwege in Lübeck entwickelt, bei der der Hof Mitglied ist. Mit fünf Bio-Regionalsupermärkten ist Landwege (vgl. LE 6-2018) ein wichtiger Abnehmer für die Erzeugnisse der Klosterseer und pflegt durch den gut gegriffenen Bezug zur Region zugleich die Idee einer Ernährungswirtschaft mit Nähe. Der große Teil der Milch aber geht zur Gläsernen Molkerei bei Ratzeburg. Das Getreide verkauft der Hof an die eigene Backstube, über die Domäne Fredeburg als Lohnschäler an die Mühlenbäckerei Medewege und an den norddeutschen Erzeugerzusammenschluss für Demeter-Produkte.
Landwirtschaft umfasst auch einen geistigen Auftrag
Landwirtschaft als Art Individualität, von der Steiner in seinem Kurs für Landwirte spricht, entsteht durchs Handeln der Bauern, davon ist Knut Ellenberg überzeugt. Dabei geht es nicht allein um die Verknüpfungen – gedanklich wie praktisch – sondern jeder Standort bringt den Landwirten auch etwas entgegen, hat eine Eigenlebendigkeit. Diese wahrzunehmen, ist der erste Schritt. Im zweiten Schritt geht es darum, bewusst den Zusammenhang als Organismus auch physisch herzustellen, durch Auswahl und Management von Pflanzen, Tieren – bis hin zu Insekten und durch die biodynamischen Maßnahmen wie Halten von Raufutterfressern, Kompost, Präparate, Landschaftsgestaltung. Und dann, im dritten Schritt, wach beobachten und begleiten, was sich da tut: die richtige Frage abzulesen, die sich auf den Flächen, im Stall zwischen den Menschen oder im Zusammenspiel des Ganzen stellt. Bloß nichts konstruieren. Dafür muss man sich aber durchlässig, empfindsam machen und ruhige Momente schaffen. Das ist ein Schulungsweg, meint der Landwirt. Gelingt all das, dann bildet der Hof auch einen Seelenraum, den z. B. die Kunden wahrnehmen als Atmosphäre, der gepflegt und geschützt werden muss.
Einmal in Monat findet in der Bibliothek des Gutshauses der Sonntagsritus der Christengemeinschaft, die Menschenweihehandlung, statt. Für Ellenberg ein spiritueller Anker, ebenso wie die meditative Arbeit mit den Wochensprüchen von Rudolf Steiner oder das Lesen anthroposophischer Grundlagen – aktuell Steiners Vorträge für Ärzte. Darin findet der Landwirt interessante Parallelen und Hinweise, geht es doch in der Medizin ebenfalls um einen Organismus, wenn auch den des Menschen. Und ums Heilen. Denn dafür ist er angetreten, seit er im Zivildienst in einer Gärtnerei mit zu betreuenden Menschen verstanden hat, dass es die Aufgabe des Menschen ist, die Welt durch eine entsprechende Wirtschaftsweise zu erhalten. Das ist für ihn der geistige Auftrag der Landwirtschaft. Konkretisiert im biodynamischen Ansatz, der die Kräfte, die kosmisch auf die Erde strömen, wirksam macht und zum gesunden Ganzen auch im Lebensmittel führen soll. So ging Ellenbergs Weg über ein biodynamisches Ausbildungsjahr, Landwirtschaftsstudium, und dann vier Jahre Praxis auf dem Heggelbachhof am Bodensee dem Einstieg auf Hofgut Klostersee 1999 voraus. „Der Ort hat mich gefunden“, so der Landwirt.

Gemeinschaften brauchen ein gemeinsames Bild
Eigentlich ist Knut Ellenberg zur Hälfte Manager. Neben seiner Geschäftsführertätigkeit im Trägerverein des Hofes arbeitet er auch im Vorstand der Bäuerlichen Gesellschaft (Demeter im Norden) mit und ist Mitglied des Aufsichtsrates des Demeter-Bundesverbandes. In all diesen Lebensfeldern geht es darum, Entscheidungen zu treffen und dazu braucht es das richtige Gespür – Intuition. Ginge es nur nach Zahlen, würde ja ein Algorithmus ausreichen, doch sind Zahlen und Fakten nur die Basis für das je individuelle Urteil, das im Gespräch darüber zu einer Entscheidung im Geiste des gemeinsamen Bildes führt. Die Managementliteratur zu Intuition füllt Regalmeter – nur die landwirtschaftliche Betriebslehre hat das noch nicht erreicht.
Zusammen mit seiner Aufsichtsratskollegin, der Landwirtin Sabine Adam, hat Ellenberg angestoßen, dass der Verband sich stärker Entwicklungsfeldern der biodynamischen Praxis widmen soll und mit einer Art „Katalog der Buntheit“ zeigt, was seine Mitglieder leisten und leisten könnten. Denn auch eine große Gemeinschaft wie ein Verband hat eine geistige Seite, die gestärkt werden muss. „Der Ausverkauf von Demeter findet nicht im konventionellen Lebensmittelhandel statt“, so der Landwirt, sondern weil seiner Ansicht nach die biodynamisch-spirituellen Wurzeln verloren gehen und wieder mehr Hinwendung bedürfen. Denn bei der Landwirtschaft, so Steiner, müssten „aus dem Geiste heraus Kräfte geholt werden …, die heute ganz unbekannt sind“ und nur so könne das physische Leben auf der Erde weitergehen.
Hof Klostersee
Lage in Ostholstein, Flächen auf einem verlandeten See (Haff), teils sehr organisch, bis 45 Bodenpunkte
Demeter seit 1990
im Jahresdurchschnitt 8,3° C, 654 mm Niederschlag
ca. 160 ha, je zur Hälfte Acker bzw. Grünland 3 ha Wald (incl. 2 ha Park), 4,7 km Hecken
Ackerfrüchte: Hafer, Weizen, Dinkel, Roggen, Triticale, Gerste-Bohnen-Erbsen-Gemenge, Kleegras, Rotkleevermehrung
Ca. 65 Milchkühe (DSN) mit Nachzucht, 1 Stier, kuhgebundene Kälberaufzucht, Stallbau mittels Kuhanleihe, 12 Mastochsen, 32 Mastschweineplätze, 4 Bienenvölker, Kooperation mit Schäfer
Hofkäserei und Backstube, hofeigene Fleisch und Wurstwaren über externen Metzger
Vermarktung: 150qm Hofladen und Hofcafé (Bester Hofladen 2019), Genossenschaft Landwege e.G., Gläserne Molkerei, Erzeugergemeinschaft
Altenwohnprojekt, 5 Ferienwohnungen, Kulturveranstaltungen, 2 Plätze für Schulpraktikanten
Hofgemeinschaft in zwei GbRs: Landwirtschaft und Käserei sowie Hofladen incl. Backstube, Fleisch und Feriengäste
Fünf Gesellschafter: Knut und Kristine Ellenberg, Dirk Öllerich, Gerlinde und Alberto Ariberti sowie 24 Mitarbeiter plus 2-3 Azubis
Eigentümer: Hof Klostersee e.V., Verein zur Förderung der biologisch-dynamischen Landwirtschaft, der Kultur und der Sozialarbeit auf dem Lande e.V.
Hofgemeinschaft Klostersee, 23743 Cismar www.klostersee.org