Portrait

Mehrwert durch Vielfalt?

Hofgut Breitwiesen bilanziert Leistungen jenseits vom Verkauf

von Michael Olbrich-Majer

„Ein Hof ohne Hühner wirkt doch komisch, oder?“ Demeter-Landwirt Urs Sperling denkt in Vielfalt. Für ihn ist ein Landwirtschaftsbetrieb ein Organismus – gerade darin liege sein Potenzial. Und so betreibt er mit seinen Kolleginnen und Kollegen auch das Hofgut Breitwiesen im Südschwarzwald. Acker, Weide, Gärtnerei, Wald, Milchkühe, Mastschweine, eine Handvoll Schafe sowie zwei Bienenvölker gehören zum Betrieb. Wirtschaftlich rund läuft das – zumal auf dieser benachteiligten Höhenlage – nur durch Hofverarbeitung und Direktvermarktung. Doch wird der Hof auch zur Forschung genutzt, gibt Kulisse und Inhalt für pädagogische Aktivitäten und wird biodynamisch bewirtschaftet, mit allem Drum und Dran, vom Kompostieren bis zum Herstellen der biodynamischen Präparate. Diese Leistungen verursachen Extrakosten, schlagen aber in keiner Bilanz positiv zu Buche. Geht das auch anders? Kann der Mehrwert solcher Landwirtschaft gegriffen werden?

Großer Hof und viele Menschen

Das Hofgut liegt im Südosten des Schwarzwaldes, der hier schon leicht zu Rhein und Bodensee abfällt, und ist kein klassischer Schwarzwaldhof, sondern eine Neugründung von 1934. Gebaut in Alleinlage von Opel-Erben, um moderne Landwirtschaft mit Hofverarbeitung zu praktizieren, später Jagdsitz, Sanatorium und Hotel im Besitz der Binding-Stiftung. Von dieser pachtete 1977 ein Trägerverein – Anthroposophen aus dem Raum Stuttgart – das Gut, um hier vorbildliche Landwirtschaft zu betreiben, die Natur und Ökonomie zum Ausgleich bringt: also biodynamisch. Dessen Ziele kommen im aktuellen Namen nach wie vor zum Ausdruck: Hofgut Breitwiesen e.V., Demeter-Landwirtschaft, Forschung, Pädagogik. Urs Sperling, heute Vorstand, ist der Sohn eines der Gründungsmitglieder.

Doch brauchte es einige Umwege, bis es Sperling zur Landwirtschaft und an diesen Ort führte. Zwar arbeitete er in den Schulferien regelmäßig begeistert auf einem Bauernhof in den Vogesen mit, aber er studierte erst zwei Jahre Wirtschaftsingenieur, dann zwei Jahre Kunst, bevor er schließlich Landwirtschaft lernte: auf dem Hofgut Breitwiesen. 1990 stieg er in die Verantwortung für das Hofgut ein, damals noch mit Familie und im Rahmen einer Hofgemeinschaft. Das hat sich längst geändert, von damals sind nur noch wenige dabei. Aktuell besteht das Hofteam neben Urs Sperling, Joachim Leitz mit Schwerpunkt Stall, Martin Grehl (Technik), Johannes Hoopmann (Büro, Acker, Getreide, Fleisch) und einem Azubi Bernd Maluck (Vermarktung/Gärtnerei), Fabian Sanner und zwei weiteren Azubis (Gärtnerei). Die Backstube lässt Barbara Wyss zweimal die Woche duften und die Küche versorgt Regina Christen. 2008 konnte der Verein den Hof kaufen und betreibt ihn nun als gemeinnützigen Zweckbetrieb mit getrennter Gesellschaft für die Vermarktung.

Resilienz durch verschiedene Standbeine

Nicht nur unter dem ökologischen Aspekt, sondern auch ökonomisch macht Vielfalt Sinn. Als klassischer Grünland-Futterbaubetrieb, so wie viele Nachbarn einseitig auf Milch gestellt, wäre der Breitwiesenhof 2018 mit seiner katastrophalen Trockenheit – erstmals gab es braune Flecken im Schwarzwald – wohl in Schieflage geraten. So entsteht durch die verschiedenen Betriebszweige kombiniert mit Agrobiodiversität Stabilität: Die Gärtnerei, mit Bewässerung, und die Direktvermarktung konnten den Milchrückgang teilweise kompensieren – das Hofgut musste bedingt durch Futtermangel von über 50 auf 40 Kühe abstocken.

Ungefähr 6.000 Liter geben die Kühe im Schnitt, ganz ohne Kraftfutter. Kälber können im 2009 neugebauten Stall einfach den Kühen zugeführt werden – nach dem Melken. Nicht für die Nachzucht bestimmte Tiere mästet der Betrieb selbst, bis sie sechs Monate alt sind. Zusammen mit dem biodynamischen Nachbarn Stephen Jacoby, der eine Ammenkuhherde hält, wird das Kalbfleisch an regio­nale Gastronomen und eine Kantine vermarktet. Geschlachtet wird vom Lohnmetzger auf dem Hofgut selbst, in einem von der Fleischverarbeitung getrennten Raum. Hinter diesem Gebäude tummeln sich die Schweine – draußen. Knapp fünfzig im Jahr gehen durch die Hofverarbeitung. Auch hundert Hennen picken am Hof und runden mit ihren Eiern das eigene Angebot für die Direktvermarktung – Hofladen und zwei Märkte – ab. Diesem Zweck dient auch die kleine Gärtnerei, eigentlich kein Standort dafür auf dieser Höhe. Doch die Lebensmittel haben einen guten Ruf bei den Kunden, eigene Jungpflanzenanzucht, biodynamische Kompostwirtschaft etc. zeigen sich u.a. im Geschmack. Mehr als 40 Gemüsearten, dazu Blumen und Kräuter bieten mit Brot und Fleischwaren vom Hof ein umfassendes Angebot, dazu kommt der Saft von hundert Apfelbäumen. Ungefähr je ein Drittel des Umsatzes entsteht über den Milchverkauf an die Molkerei (Bioland) in Freiburg, über die Direktvermarktung sowie über den Getreideverkauf über Einzel- bzw. Großhandel und an befreundete Höfe.

Die Flächen des Hofes, 75% eigen, 25% Pacht, liegen zur Hälfte direkt am Hof, die andere nicht weiter als drei Kilometer entfernt. Die Fruchtfolge ist getreidestark ohne Hackfrüchte: Brot- bzw. Verkaufsgetreide, Futter für die Schweine und Grünes für die Kühe. Zum Humusaufbau und gegen Erosion werden reichlich Untersaaten und Zwischenfrüchte angebaut, die nur flach eingearbeitet werden. Tiefengelockert wird nach der Getreideernte mit dem Schichtengrubber vor den Zwischenfrüchten. Das Getreide kann komplett eingelagert, getrocknet, und mit Reinigung, Tischausleser und ggf. Dinkelschäler sowohl als hofeigenes Saatgut als auch als Verzehrsgetreide ladenfertig aufbereitet werden. Viele Geräte sind gebraucht und werden in der eigenen Werkstatt instand gehalten.

Vom Reiz, Landwirtschaft zu betreiben

„Was mich an der Landwirtschaft immer gereizt hat war, dass es da um einen lebendigen Organismus geht,“ so Sperling. Und der hat für ihn neben der wirtschaftlichen Komponente auch eine soziale bzw. kulturelle, die für ihn durchaus gleichwertig ist. Hier, im Nutzen der Landwirtschaft auch für pädagogische Aspekte und Naturerkenntnis bzw. Entwicklung durch Forschung liegt für den Landwirt ein kulturelles Kapital, das selten gesehen und noch weniger wertgeschätzt wird. Dabei ist vieles eigentlich selbstverständlich für Bauern gewesen, wie z.B. die Züchtung.

Der Breitwiesenhof nutzt seit Jahrzehnten eigenes Saatgut der längst an den Hof angepassten Sorten bei Roggen und Dinkel und arbeitet mit den Züchtern vom Keyserlingk-Institut zusammen. Bei den Milchkühen läuft ein stattlicher Bulle mit, Sperling entwickelt seit langem die ursprünglich schwarzbunte Holstein-Herde in Richtung schwarzbuntes Niederungsvieh. Er engagiert sich auch im entsprechenden Zuchtverein und beteiligte sich an der Schweizer biodynamischen Rinderzuchtgruppe. Beim Bau des neuen Stalls musste das Hofgut um den Raum für jede Kuh lange mit der Förderbehörde ringen: dass Kühe mit Hörnern mehr Platz brauchen, war dem Amt nicht klar. Die Kühe fressen nur Weide, Heu, Silage, der Hof war Initiator eines Forschungsprojektes zum verminderten Kraftfuttereinsatz (vgl. LE 5/2015) und Sperling selektiert die Herde seit Anfang an darauf. Überdies praktiziert der Betrieb seit zehn Jahren kuhgebundene Kälberaufzucht.

In der Entwicklung oder Bewertung solcher Innovationen arbeitet das Hofgut mit verschiedenen Forschungseinrichtungen zusammen, dem FiBL, der Uni Kassel, der ETH Zürich, der Firma Schaette und jetzt – für das Projekt Richtig Rechnen – mit den Agronauten.

Demeter ist für den Landwirt mehr als nur Ökolandbau plus biodynamische Präparate, vor allem kein Rezept: Auf die Betriebsgestaltung komme es an. Neben dem Bemühen um Vielfalt und dem Betreiben ökologischer Praxisforschung ist der Hof übrigens ein Ort für pädagogische Aktivitäten: von April bis November gibt es hier Landbaupraktika für jeweils zwei Schüler sowie ein gutes Dutzend Tagesveranstaltungen mit Schulklassen und Kindergärten. Auch können hier gerichtlich verordnete Sozialstunden abgeleistet werden – Landwirtschaft bietet Gelegenheit, im sinnvollen Zusammenhang sich selbst auch anders zu erfahren. In den pädagogischen Bereich fällt auch die Ausbildung von Lehrlingen – für diese gab es u.a. ein Seminar zu Steiners Landwirtschaftlichem Kurs – und das Herstellen aller biodynamischen Präparate: Das kann hier, angefangen von der Organentnahme bei der Schlachtung bis zur Anwendung demonstriert werden.

Betriebswirtschaft blendet Wesentliches der Landwirtschaft aus

Die aktuelle Dominanz des ökonomischen Blickwinkels verenge die Gestaltungswege landwirtschaftlicher Betriebe sehr stark, so Sperling: „Es macht einen Unterschied, ob nur betriebswirtschaftliche Erwägungen deine Entwicklungskriterien sind.“ Will man mit einem vielfältigen Hoforganismus auch Kultur schaffen, braucht man Freiräume dafür, die sich ökonomisch bisher schwer abbilden lassen. So war es dem Landwirt ein inneres Anliegen, die gemeinnützigen Aspekte seiner Art Landwirtschaft konkreter zu erfassen.

Mehr als 7.000 Euro für Heckenpflege, mehr als 20.000 Euro Aufwand für Diversität auf und zwischen den Feldern insgesamt, mehr als 20.000 Euro Extrakosten für Tierwohl – das sind im Ergebnis die Zahlen, die Urs Sperling interessierten, als er sich entschied, im Projekt „Richtig Rechnen“ mitzumachen. Die Forschungsgesellschaft „Die Agronauten“ und die Regionalwert AG Freiburg wollten im Vergleich von vier Agrarbetrieben ermitteln, ob und wie sich deren erfolgte oder unterlassene Investitionen in die Nachhaltigkeit erfassen und bewerten lassen. Bisher nämlich schlagen diese nicht zu Buche: Dem Kostenaufwand, den das Hofgut Breitwiesen z.B. zum Erhalt der Bodenfruchtbarkeit betreibt, u.a. biodynamische Kompostierung, steht auf der Habenseite nichts entgegen. Beim Hofgut geht es da um gut 40.000 Euro! Für das Projekt erfassten die beteiligten Betriebe ihren Aufwand in Stunden oder Kosten, in insgesamt knapp hundert Parameter in sieben Kategorien: Bodenfruchtbarkeit, Biodiversität, Tierwohl, wirtschaftliche Souveränität, Regionalwirtschaft, Fachwissen, gesellschaftliches Engagement. Manches, vor allem die Arbeitszeit, musste notiert werden, vieles ergibt sich aus der Buchhaltung, mit der Zeit dürften sich betriebliche Faustzahlen ergeben.

Was bringt die ökosoziale Bilanz dem Betrieb?

Dass das, was die Menschen vom Hofgut Breitwiesen aus Engagement ohnehin machen, jetzt auch differenziert und monetarisiert darstellbar ist, schärft das Bewusstsein: „Wir sehen erstmals unsere wirkliche Leistung,“ so Sperling, „Unser Bemühen um Nachhaltigkeit wird erkennbar. Das ist eine Bestätigung unserer Arbeit.“ Immerhin sind es gut 140.000 Euro, die so in die Bilanz gestellt werden müssten, bei einem Jahresumsatz von über 600.000 Euro. Die Zuordnung in Kategorien schafft mehr innerbetrieblichen Durchblick – was auch die nachhaltige Betriebsentwicklung stützen kann: „Das ist der Schlüssel für Entscheidungen im Rahmen des landwirtschaftlichen Organismus,“ ist der Betriebsleiter überzeugt. Jetzt sieht man: Hecken pflanzen lohnt sich so auch betriebswirtschaftlich. Das gilt auch für die 100 Hühner, obwohl der Betriebswirtschaftler in ihm sagt, dass man die Eier für Laden und Marktstände besser zukaufen würde. Sperling fühlt sich darin bestätigt, die Landwirtschaft aus dem Lebendigen heraus zu gestalten und nicht nur aus den Zahlen.

Wer bekommt die Rechnung?

Und wenn die Zahlen nun vorliegen, was wäre der nächste Schritt? Den Betrieb macht es transparenter, was wiederum die Planung klarer macht. Innerhalb des Vereins wird der Aufwand für den Zweckbetrieb besser darstellbar und es ist einfacher zu klären, welche wirtschaftliche Differenz der Verein warum tragen muss. Die Zahlen sind auch in der Öffentlichkeitsarbeit des Hofguts nutzbar, sowie im Rahmen der pädagogischen Aktivitäten, zeigen sie doch die monetarisierte Leistung. Doch muss sich die Gesellschaft fragen, ob nicht in der Landwirtschaft eine Art Verursacherprinzip eingeführt werden sollte, z. B. über die Agrarpolitik: diese könnten dann messbare Leistungen statt einfach Flächenprämien bezahlen. So könnten Agrarsubventionen auf allen Ebenen sinnvoll umgestaltet werden.

Die Projektträger wollen daran arbeiten, diese Art der Bilanzierung in ein gängiges Buchhaltungsprogramm zu integrieren (s. Folgeseiten). Und wie geht es weiter für den Betrieb? Hier steht wohl an, die Verantwortlichkeiten neu zu greifen, auch Reorganisiation im Hinblick auf eine künftige Hofnachfolge. Die Verwertung der Milch könnte besser werden – ob nun als Demeter-Heumilch oder als eigener Käse vom Hofgut, der Raum für letzteres ist da. Und sicher wird Hofgut Breitwiesen neben der Erzeugung weiterhin ein Ort für Pädagogik und Praxisforschung sein.

Hofgut Breitwiesen

  • Lage: Südschwarzwald, 640 ü. NN; Demeter seit 1979

  • Im Jahresdurchschnitt ca. 1050l/qm Niederschlag, 7,8°C Temperatur ; tonig-lehmige Böden ca. 18 bis 64 Bodenpunkte

  • 150 ha Nutzfläche, davon 85 ha Grünland und 65 ha Acker, 11 ha Wald

  • Gemüsegärtnerei: 1,75 ha, davon 0,13 ha geschützt, eigene Jungpflanzenanzucht

  • Vieh: 40-50 Milchkühe plus Nachzucht (SB, DSN Einkreuzung) Zuchtbulle, muttergebundene Aufzucht; 50 Mastschweine/Jahr, 70 Hennen, 5 Schafe

  • Fruchtfolge: 2jähr. Kleegras – Winterweizen – Dinkel – Alexandriner-+Perserklee/Grasgemenge – Wintergerste/Erbsen/Triticale/Ackerbohnen – Winterroggen

  • Vermarktung: eigene Fleischverarbeitung und Backstube, Hofladen, Wochenmärkte Waldshut und St. Blasien, regionale Bäckereien, Gastronomen (Mastrinder), Großhandel

  • Ferienwohnungen, Forschungspartner (u.a. für FiBL, ETH, Keyserlingk-Institut) z. B. zur kuhgebundenen Kälberaufzucht oder zur Kraftfutterminimierung, pädagogische Aktivitäten

  • Fotovoltaik, Hackschnitzelheizung

  • Betriebsleiter Urs Sperling, 8 Mitarbeiter, 1-2 Azubis, Praktikanten

  • Trägerverein: Hofgut Breitwiesen e.V. mit dem Hof als Zweckbetrieb Landwirtschaft, Forschung, Pädagogik und separater Vermarktungsgesellschaft

  • Hofgut Breitwiesen, 79777 Ühlingen-Birkdorf, 07743/232, https://breitwiesenhof.de