Portrait

Wald und Kühe

Hof Kasten vereint Demeter-Tradition und Klimaschutz

von Michael Olbrich-Majer

Michael Ackermann genießt den außergewöhnlich warmen sommerlichen Tag im November, Klimawandel hin oder her. Die letzten Sonnenstrahlen bringen den Herbstwald, der den Hof rundum umgibt, zum Leuchten, die Kühe auf der Hofweide sammeln sich langsam in Richtung Stall: Jetzt rasch noch ein Fass Gülle vor dem Melken ausbringen, während seine Frau Annette sich bereit für den Stall macht. Apropos Klimaschutz: hier hat der Demeter-Betrieb der Ackermanns bereits Punkte gesammelt und ist an weiteren Verbesserungen dran. Dabei half unter anderem ein Projekt der Uni München, an dem Hof Kasten teilnahm.

Weide, Wiese, Milch

„Wir mögen Kühe“, sagen Annette und Michael Ackermann unisono, trotz der täglichen Arbeit, die diese erfordern und dem Gebunden-Sein an den Hof. Grünland, Kühe, Milch sind das eine Standbein des Betriebs, die zwanzig Hektar Wald das zweite. Die zehn Hektar Acker dienen mehr dem Futter als dem Verkauf von Feldfrüchten. Acht Hektar Weiden liegen relativ hofnah, sind zusammen fest umzäunt, sodass die beiden für die Weidezuteilung nur umtreiben, aber nicht umstecken müssen. Ackermanns sind vom System Kurzrasenweide wieder zurückgekehrt zur Umtriebsweide, die täglich gewechselt wird. Das längere Gras fand der Landwirt artgerechter, geweidet wird nur halbtags. Ausgefüttert wird im Stall, mit Sandwich-Silage aus Mais und (Klee-)Gras, bzw. unterschiedlichen Schnitten, sowie mit Heu. Die Mäh- und Werbetechnik – schlagkräftige neun Meter – teilt sich der Betrieb mit anderen, Heu wird am Boden getrocknet bzw. der zweite Kleegrasschnitt in der Rundballentrocknung beim Nachbarn. Der erste und zweite Wiesenschnitt kommt vor allem ins Fahrsilo, fünf Schnitte gibt es insgesamt.

Hof Kasten ist Herdbuchbetrieb, „Zucht macht mir Spaß“ sagt Michael Ackermann: natürlich Doppelnutzungsrinder ohne Holstein-Einkreuzung mit guter Grundfutterverwertung, Melkbarkeit und gesundem Fundament. Wobei er auf einen eher „sportlich-feinknochigeren Typ“ Wert legt, leichte Tiere, die seine sehr hängigen Weiden wenig durch Tritt schädigen – optimiert auf den Standort. Er hält dazu zwei Bullen, aber nutzt auch die künstliche Besamung. Im Schnitt sind seine Kühe 6,8 Jahre, die älteste kalbte gerade zum dreizehnten Mal. Ackermanns achten darauf, dass die Kälber nicht im November oder Dezember kommen, ihrer Erfahrung nach sind sie dann gesünder.

Standbein Wald

Auch der Wald liegt rund um den Hof, so dass Michael Ackermann für die Winterarbeit nicht weit fahren muss. Holzhackschnitzel für den Hof und zum Verkauf, ebenso wie Feuerholz, vor allem aber Stämme für die Holzindustrie tragen bis zu einem Drittel zum Hofeinkommen bei. Seit einigen Jahren baut der Landwirt auf Mischwald um, der ist klimawandelresistenter: mit Eiche, Ahorn, Douglasie, aber auch Fichte, zudem lässt er Naturverjüngung zu. Zum Pflanzrepertoire gehören auch Blühbäume wie Kirschen und Linden, denn Ackermann hat beobachtet, dass es für Insekten wenig Futterangebot im Wald gibt. Aktuell aber leidet der Wald unter Trockenheit, Borkenkäfer und dadurch verstärkten Windbruch, auch rund um Hof Kasten, vor allem auf den kiesigen Kuppen. So musste der Landwirt ausnahmsweise Sommers in den Wald, Käferholz entfernen. Auch gelingt bei Frühjahrstrockenheit die Neupflanzung nicht so recht. Ackermann arbeitet gerne im Wald: „Für mich ist das wie ein Hobby“. Auch im Bewusstsein, etwas für die Folgegeneration anzulegen.

Biodynamisch aus Tradition und Überzeugung

Michael Ackermann wollte eigentlich Deutsch und Geschichte studieren, doch dann war er es, der nach vielen Jahren in den Hof investierte und einen neuen, damals großen Stall baute: Seine Eltern, Reinhard und Lilly suchten Mitte der achtziger Jahre dringend einen Hofnachfolger unter ihren acht Kindern und Michael war der Jüngste. Sein Bruder Jochen bewirtschaftete bereits den familieneigenen Hof in Seeon, die Schwestern hatten andere Berufe oder auf Höfe geheiratet. Mit 21 Jahren stieg er 1987 gleich nach der Lehre in den elterlichen Betrieb ein und brachte ihn schrittweise auf Vordermann, keine Zeit für Meisterschule. Aber von zehn auf vierzig, fünfzig Kühe aufstocken und dann noch auf Kredit, das musste der Junglandwirt auf dem Traditionshof erst durchsetzen. Der Stall kam 1998, mit viel Eigenleistung und eigenem Holz. Er sichert noch heute den Betrieb.

Michaels Frau Annette ist späte Quereinsteigerin in die Landwirtschaft und seit 2008 auf dem Hof. Zuständig für Büro, Kälber, Küche, Gemüsegarten und Streuobst, ist sie beim Melken mit dabei und hat den Umstieg nicht bereut; sie ergänzt ihren Mann in der Betriebsführung. Über die Molkerei nahm sie an einem Kurs zu Homöopathie für Kühe teil, die seitdem auf Hof Kasten zum Einsatz kommt. Für ihre Geschichte als spätberufene Landwirtin interessierten sich damals sogar Frauenzeitschriften.

Michaels Großeltern – aus Nordrhein-Westfalen stammend – erwarben den Betrieb 1925. Adolf Stickforth war Diplom-Landwirt und baute mit seiner Frau Gertrud, die aus einer kunstsinnigen Industriellenfamilie kam, auf Hof Kasten eine renommierte Geflügelzucht auf: Der Betrieb verkaufte Zuchthähne und lieferte per Bahn Fleisch an Münchens Feinkostläden. Über die Freundschaft mit Graf Keyserlingk, auf dessen Gut Rudolf Steiner seinen Landwirtschaftlichen Kurs gehalten hatte, kam Stickforth zur biodynamischen Landwirtschaft und stellte um. Tochter Lilly lernte auf dem biodynamischen Einführungskurs direkt nach dem Zweiten Weltkrieg ihren künftigen Mann Reinhard, Sohn eines Waldorflehrers, kennen. Die beiden starteten 1949 auf Hof Kasten, fanden aber bald ihren eigenen Hof: auf dem Waltenberg bei Seeon. Auch der wurde umgestellt, Fleckvieh, Pferde und Geflügel gezüchtet. Die Tagungen und Feste der Ackermanns wurden zur Keimzelle der biodynamischen Arbeitsgemeinschaft im Chiemgau. Auch eine Waldorfschule gründeten die Eltern von Michael mit.

Pilotbetriebe vergleichen Nährstoffkreisläufe und Klimawirkung

Hof Kasten ist einer der Betriebe von 35 Vergleichspaaren im Projekt Pilotbetriebe der TU München und weiteren Partnern. Hier wurden seit 2009 je zwei ähnliche Höfe unterschiedlicher Betriebsformen und Regionen ziemlich komplett durchleuchtet: im ersten Schritt, was ihre Nährstoffströme und Klimawirkungen angeht, im zweiten Schritt seit 2014 auch auf Ressourceneffizienz. Dieses Forscher- und Betriebenetzwerk erarbeitete wesentliche Erkenntnisse zur Effizienz von Ökobetrieben (www.pilotbetriebe.de), von denen nicht nur die Branche, sondern auch unmittelbar die Betriebsleiter profitierten (vgl. u.a. LE 1-5/2015).

Das traf auch für Michael Ackermann zu: Hof Kasten stand zwar insgesamt recht gut da, als grünlandorientierter Ökobetrieb geht in der Hoftorbilanz nur wenig verloren bei zugleich guter Ausnutzung der standörtlichen Gegebenheiten. Doch bei den Ver­lusten von Kohlenstoff und Stickstoff wollte der Landwirt besser werden. Diese Erkenntnisse waren die Frucht umfangreichen Probenziehens und Dokumentierens bis hin zu Zeitpunkt und Art der Bodenbearbeitung bzw. dem dazu gehörenden Dieselverbrauch. Die von den Landwirten erhobenen Daten flossen in Modelle der Forscher ein. Spannend fand Ackermann auch die von den Forschern festgestellten Mengen an extrem klimaschädlichem Lachgas in Zusammenhang mit der Bodenbearbeitung, bei Bio zwar deutlich geringer als in konventionellen Böden – aber alles in allem Anstoß für Ackermann, verschiedene Verfahren mit den Projektjahren zu überdenken.

Stellschrauben für Klimaschutz

Die Bodenbearbeitung änderte er als erstes: weg vom regelmäßigen Pflügen hin zu Fräse und Grubber, am besten in der Saatkombination. Das ist tendenziell humusschonender und auf den meisten Äckern von Hof Kasten machbar. Den Treffler-Grubber mit flachen Gänsefußscharen, einen Schälpflug von Kverneland und die Winkelmesser-Fräse teilt er sich mit den Nachbarn. Das biodynamische Präparat Hornmist wird von Ackermann u.a. gezielt beim Fräsen des zuvor gemähten Kleegrases, das vor Mais steht, eingesetzt: es soll die rasche und verlustarme Umsetzung fördern. Nach sieben bis zehn Tagen wird geschält, Schollen oder Fäulnis wie beim Pflügen sind Vergangenheit. Weniger machbar ohne großen Umbau ist dagegen ein Kompoststall. Der wäre klimatechnisch das Optimum, so der Landwirt, muss aber täglich gegrubbert werden, hineinfahren aber ist im Stall auf Hof Kasten so nicht möglich. So bleibt es beim Tretmist im Stall und mehr Sorgfalt bei der Kompostwirtschaft, um Verluste zu vermeiden. Nach dem Aufsetzen wird verdichtet, die Zugabe biodynamischer Kompostpräparate fördert den Umsetzungsprozess. Bereits im Stall, spätestens beim Aufsetzen mischt der Landwirt noch Holzhackschnitzel ein, die helfen, flüchtigen Stickstoff zu binden.

Um Verluste bei der Fütterung zu mindern, bekamen die Kühe Transponder und Ackermann lässt nun das Kraftfutter mit einem Mahl- und Mischwagen bereiten. Die tierindividuelle Zuteilung unterbindet den Luxuskonsum beim Kraftfutter, die Verwertung von Grund- und Kraftfutter stieg, aktuell melken die Ackermanns 6000 Liter. Der nächste Schritt wird neue Technik zur Gülleausbringung sein: bodennah, wohl mit Schleppschlauch. Die Gülle wird alle fünf Wochen biodynamisch präpariert.

Die Versuche des Betriebs mit verschiedenen Untersaaten im Futtermais sollten einerseits die Nährstoffeffizienz erhöhen und zugleich die Silage aufwerten: Jeweils in Reinsaat haben sich Bohnen und Erbsen nicht bewährt, am ehesten noch die Sommerwicken. So sind es eine Reihe kleiner Stellschrauben, die den Demeter-Betrieb noch klimaeffizienter machen.

Engagiert im Verband

Lokal ist die Demeter-Betriebsdichte hoch, daher teilt sich Michael Ackermann viele Geräte mit seinen Kollegen, aber auch mit konventionellen Nachbarn. Hof Kasten gehört zur biodynamischen Arbeitsgemeinschaft Chiemgau, die gemeinsam die Präparate herstellt, Veranstaltungen und Betriebsbesichtigungen organisiert. Als Vertreter der Gruppe Nord war der Landwirt im Vorstand, seit ein paar Jahren ist er im Vorstand der bayerischen Demeter-Landesarbeitsgemeinschaft mit ihren 22 Regionalgruppen und des Demeter Erzeugerrings, der die Beratung organisiert. Hier beschäftigen ihn vor allem Personalfragen sowie das Mitwirken im Ausschuss des Landeskuratoriums für pflanzliche Erzeugung. Auch im Demeter-Bundesverband engagiert sich Michael Ackermann als Delegierter und als Mitglied des Sprecherkreises beim Verbandsumbau.

Im Blick: Arbeitserleichterung und Lebensqualität

Baulich haben die Ackermanns mittlerweile alles in Schuss, es steht nur noch die Holzverkleidung des Mitteltrakts an. Auch die Flächenausstattung passt für den Betrieb mit den eineinhalb Arbeitskräften des Landwirtepaars: im letzten Jahr haben sie sieben Hektar zugekauft. So geht es künftig mehr um Optimierung: wenn investieren, dann in Arbeitserleichterung, weniger altersbedingt, mehr, um Lebensqualität und Freizeit zu gewinnen. Wie Annette, die Rechnerin der beiden beschreibt: „Als Bauer siehst du die Stallarbeit nicht, wenn die getan ist, fängt der Arbeitstag erst an.“ So sollen die Oberfläche des Futtertischs und das Fahrsilo renoviert werden, damit es hier leichter geht. Auch der Bau einer Lagerhalle für die Holzhackschnitzel steht an, um durch Vorrat besser lieferfähig zu sein. In einen neuen Rückewagen und eine moderne, funkgesteuerte Seilwinde hat Michael Ackermann zusammen mit einem Kollegen investiert, um rascher und zur richtigen Zeit im Wald handeln zu können.

Neben betrieblichen Aspekten ist Reisen können eines der persönlichen Ziele. Und Theater: im Corona-Sommer entdeckte das Theater im nahen Wasserburg den Hof als Bühne vermittelt durch Annettes Tochter Theresa. Da wollen Michael und Annette mehr draus machen. Bleibt noch die langsam in den Blick rückende Hofnachfolge, die beiden sind Anfang fünfzig. Vielleicht bietet der Hof eine Perspektive für Michaels Sohn Johannes: der ist fünfzehn, lebt bei seiner Mutter auf einem Hof und beginnt eine Ausbildung zum Zimmermann. Danach kann er sich eine landwirtschaftliche Lehre vorstellen. Bis dahin heißt es vielleicht: Wald, Kühe und Kultur.

 

Autor: Michael Olbrich-Majer

Hof Kasten

  • seit 1936 biologisch-dynamisch
  • im Landkreis Mühldorf/Inn auf einer Endmoräne des Innhügellands gelegen
  • 480 m ü NN, 900 mm Niederschlag bzw. 8,0 °C im Jahresdurchschnitt
  • wechselhafte Böden, sL teils mit Kies, 35 bis 65 Bodenpunkte
  • Acker: 16 ha, Grünland: 34 ha, Wald: 20 ha
  • Fruchtfolge: Kleegras – Mais – Wintergetreide – Gemenge Hafer/Erbsen bzw. Triticale/Wintererbsen – Ackerbohnen – Roggen, tw. plus Zwischenfrüchte
  • 54 Fleckviehkühe (DN) plus Nachzucht, 2 eigene Bullen, 2 Schweine
  • Milchleistung ca. 6000 l, Lieferung an Molkerei Berchtesgadener Land
  • Herdbuchzüchter, Verkauf von Tieren, Holzverkauf
  • 78 kwh Fotovoltaik, Holzhackschnitzelheizung,
  • Waldorfpraktikanten
  • BioRegio-(Demonstrations-) Betrieb, u.a. Vergleichsbetrieb im Pilotbetriebe-Projekt der TU München
  • Annette und Michael Ackermann, Kasten im Wald, 83567 Unterreit, 08073-1263