Portrait

Neuen Demeter-Nachwuchs ausbilden

Die Freie Landbauschule Bodensee bietet ein praxisnahes Fundament

von Michael Olbrich-Majer

Heute gehe ich wieder zur Schule, als Besucher. Ohne Schulbank, aber im coronagerechten Stuhlkreis, maskiert und getestet, haben sich fünfzehn Auszubildende des zweiten Lehrjahrs versammelt, zum zweiten Tag der dritten Kurswoche. Drei Auszubildende sind per Video zugeschaltet und grüßen von der Leinwand. Die Sonne lässt das zum Tagungsort umgebaute Gewächshaus des Andreashof glänzen. Und regelmäßig leicht knacken. Der Morgen beginnt mit der Frage „Was macht landwirtschaftliche Individualität aus?“ Mittels Textzitaten und Gespräch zum Thema, angeleitet von Dr. Simone Helmle, entsteht ein gemeinsames Bild davon, was das Besondere eines landwirtschaftlichen oder gärtnerischen Betriebes ausmacht. Vielfalt, Entwicklung, Lebendigkeit, Potenzial des Standorts horizontal wie vertikal sowie Einzigartigkeit fallen u.a. als Begriffe: Zu erkennen ist: es geht beim Biodynamischen nicht allein um Verfahren und Techniken, sondern um Gestaltung, den ganzheitlichen Blick auf den Betrieb.

Fachwissen ergänzen um Menschenbildung

Dieser komplexen Anforderung soll die Ausbildung Rechnung tragen: einerseits solides landwirtschaftlich-gärtnerisches Handwerk vermitteln, andererseits den Blick fürs Ganze und für Lösungen in einer stets sich weiterentwickelnden Landwirtschaft üben. Auf Ansprüche biodyamischer Betriebe eingestellt – 24 Demeter-Lehrbetriebe sind im Netzwerk der Landbauschule – unterscheidet sich die Ausbildung daher von der üblichen Berufsschule, geht hier und da darüber hinaus bzw. ersetzt rein konventionelle Agrarthemen durch biodynamische. Ausgangspunkt ist die praktische Ausbildung auf den Betrieben, ergänzt um Theorie und künstlerische Fächer. Gärtner, hier in der Bodenseeregion reichlich vertreten, und Landwirte werden je nach Fach auch getrennt unterrichtet. Alle jedoch sollen mit der Sicht­weise und dem Erleben künstler­ischen Vorgehen sensibilisiert wer­den für Lebensprozesse in der Landwirtschaft und so eine differenzierte Wahrnehmung schulen. Die Form des Unterrichts trägt dem Rechnung, dass hier nicht nur Wissen und handwerkliche Fähigkeiten vermittelt werden, sondern Initiative gefordert ist, auch beim Angehen der eigenen Orientierung im Leben. Hier wie im Umgang mit Lebendigem ist der offene Blick für die leisen Phänomene und ihre Verortung im Ganzen ein Übungsfeld.

Wir sind inzwischen draußen, auf dem Weg zwischen den Gebäuden des Andreashofes zu einer besonderen Landmarke: Die Sonne bricht dramatisch durch die Wolken, die Landbauschüler stehen um ein steinernes Gipfelkreuz mit weitem Blick herum, sollen Landschaft und Stimmung der Natur wahrnehmen: Licht, Boden, Rhythmus – und sich dann im Zweiergespräch über das Beobachtete und die Zusammenhänge austauschen.

Beobachten und praktisches Erleben steht vor allem im Sommer auf dem Programm: Wenn die Kurswochen pausieren, geht es in Feldbegehungen und Exkursionen ungefähr alle vier Wochen auf einen anderen Hof, um Boden, Bestände, Zwischenfrüchte, Geräte oder andere fachliche Aspekte und Besonderheiten kennenzulernen. Übrigens wechselt auch der Ort der Winterkurse über ein knappes Dutzend Betriebe.

Freie Landbauschule Bodensee e.V.

  • gegründet 1978 von Demeter Landwirt Bernhard Philipps, zusammen mit Freunden

  • zweijährige biodynamische Berufs­ausbildung (statt Berufsschule), ein staatlicher Abschluss ist separat möglich

  • in Kurswochen übers Winterhalbjahr

  • im Sommerhalbjahr Exkursionen, Feldbegehungen, Projektarbeit

  • zwei Jahrgänge mit je bis zu 40 Auszubildenden, zweizügig

  • getragen von den 24 kooperierenden Demeter-Ausbildungsbetrieben,

  • unterstützt durch den Demeter-Landesverband, den Verein zur Förderung der biologisch-dynamischen Landwirtschaftsausbildung, das Netzwerk Biodynamische Bildung, Stiftungen (SAGST, Mahle, Columban, Rudolf Steiner Stiftung f.d. Land­wirtschaft) sowie private Spender.

  • Mindestalter 18 Jahre, Beginn jeweils Oktober


Ansprechpartner: Thomas Müller
Brachenreute 4, 88662 Überlingen
Tel.: 07551 / 83 47 9 47
t.mueller@landbauschule-bodensee.de www.landbauschule-bodensee.de

 

Theorie und Praxis, Fachliches und Kreatives

Zurück im Kursraum: Fachrechnen und Tabellenkalkulation am Computer ist sicher nicht das, wovon junge Leute träumen, wenn sie eine praktische biodynamische Ausbildung aufnehmen. Aber schon zur gärtnerischen Anbauplanung ist das heute unerlässlich. Ebenso wie ein Überblick über die neue EU- Öko-Verordnung und die Demeter-Richtlinien. Möhren knabbernd, Notizen schreibend oder strickend wird der Vortrag von Demeter-Beraterin Martina Barbi verfolgt, eine Reihe von Fragen gestellt. Jede Kurswoche hat einen Schwerpunkt, z. B. Tierhaltung oder Gemüsebau, aber es stehen auch Menschenkunde, Obstbaumschnitt, Chemie oder Milchverarbeitung auf dem Lehrplan. Ein dicker Schwerpunkt ist die Bodenkunde und ebenso die Grundbodenbearbeitung. Mit Biodynamisch-Anthroposophischem beginnt jeder Unterrichtstag und zwischen den Fachthemen pflegen Eurythmie, Plastizieren, Zeichnen oder Singen die kreative Seite der Lernenden.

Bryson Govender hat seinen Job als Versicherungsmakler in Südafrika hinter sich gelassen, der Liebe wegen. Zur Gesundung von Mensch oder Natur beitragen war sein neues Ziel. Über seine Frau, die in Kassel-Witzenhausen Agrarwissenschaften studiert hat, entdeckte er die Landwirtschaft und lernte das erste Jahr auf dem Hofgut Rengoldshausen. Das zweite Lehrjahr verbringt der studierte Medienwissenschaftler auf dem Breitwiesenhof im Schwerpunkt Tierhaltung. Nach der Ausbildung will er mit seiner Frau gemeinsam eine Hofgemeinschaft mit Fokus auf regenerative Landwirtschaft und sozialem, vielleicht pädagogischem Schwerpunkt betreiben.

Nachmittag – Raum für ein Referat: Zsuzsa Seiben stellt ihr Jahresprojekt vor. Auf ihrem Lehrbetrieb hat sie im letzten Sommer neue Weideverfahren für Jungrinder erprobt: Holistic Grazing, das Gras darf länger stehen als üblich, bevor es abgeweidet wird, der Boden dankt es mit Humusaufbau. Wie ist das im Betrieb zu verwirklichen? Jeder der Auszubildenden hat ein solches Sommerprojekt, um für sich, für den Betrieb, fürs Biodynamische neue Schritte zu testen. Zsusza, Münchener Stadtkind, lernt heute am Lichthof Landwirtschaft. Der Garten der Großeltern in Ungarn, das Landwirtschaftspraktikum der Waldorfschule – in Südfrankreich – die Arbeit als Willing Worker on Organic Farms (WWOOF) waren ihre Stationen zuvor: schon ab der zehnten Klasse war es ihr Wunsch, in die Landwirtschaft zu gehen. Auf dem Betrieb hat sie auch die Arbeit mit dem Milchvieh schätzen gelernt, und dass es bei Demeter nicht nur um Handwerk, sondern ebenso um eine geistige Dimension geht. Ein eigener Hof ist ihr Ziel, vielleicht noch eine Zusatzausbildung zur Landmaschinenmechanikerin.

Wer kommt an die Landbauschule?

Wer an der Landbauschule Unterricht genießen will, braucht eine Lehrstelle an einem der angeschlossenen Betriebe, die alle im Bodenseeraum oder nahen Südschwarzwald liegen und muss mindestens 18 Jahre sein. Staatlicher Lehrvertrag, ein vollständiges Berichtsheft, überbetriebliche Pflichtlehrgänge wie DEULA oder Milchviehkurs und die absolvierte staatliche Zwischenprüfung ermöglichen auch die Anmeldung zur staatlichen Gesellenprüfung nach der biodynamischen Ausbildung. Ein paar Stunden des Lehrplans der Landbauschule sind denn auch für die Vorbereitung da­rauf vorgesehen, das Wesentliche liegt in Verantwortung der Azubis. Bisher haben sie es alle geschafft.

Ravi de Queiroz Martins kam über ein praktisches Jahr in der Camphill-Bewegung nach Deutschland. Erst war die Landwirtschaft für ihn nur ein Ausgleich, doch inzwischen ist sie die Hauptsache. Nach der Ausbildung will er den Jahreskurs auf der Landbauschule Dottenfelderhof absolvieren. Dort kann man einen Ab­schluss als staatlich anerkannte Fachkraft für biologisch-dynamischen Landbau machen. Aber auch die Heilkunde fasziniert ihn.

In diesem Kurs sind die Auszubildenden bunt gemischt: soviel Frauen wie Männer, Berufseinsteiger und Berufsumsteiger, zwischen 19 und fast 50 Jahren, handwerklich Interessierte wie sozial Aufgeschlossene, ein Drittel war auf einer Waldorfschule, keiner, keine kommt aus einem landwirtschaftlichen Betrieb. Ähnlich sieht es in den anderen Gruppen aus. Warum beginnen sie eine solche Art der Ausbildung, die weder Karriere im Blick hat, noch in einem Boomsektor der Wirtschaft Chancen bietet? Da ist zum einen das ökologische Motiv, sinnvolle Arbeit in einem nachhaltigen Bereich, die Verbindung zur Natur, aber auch die Vielseitigkeit, die Landwirtschaft noch bieten kann, das Handwerkliche, nah am Lebendigen. Das wirkt erfüllend, ebenso wie das erlebte soziale Miteinander auf den Höfen, überzeugende Menschen. Bei manchen war es auch Zufall, der besondere Stundenplan der Landbauschule, manche wollten wissen, wie die Milch in die Flasche kommt, oder lernen, was Landwirtschaft als Organismus ausmacht. Das Angebot von praktischer Ausbildung und Landbauschule hat sie da nicht enttäuscht, im Gegenteil. Als Besucher erlebe ich motivierte, offene und fachlich gut eingestiegene Menschen, die das lieben, was sie tun und so auch den Unterreicht mittragen.

Ausbildung und Meisterkurs: getragen von Landwirten und Gärtnern

Der Demeter-Landwirt Bernhard Phillips gründete 1978 mit Bauern, Gärtnern, Künstlern, Forschern einen Initiativkreis, um jungen Menschen, die damals auf den Höfen alternative und nachhaltige Lebensentwürfe suchten, ein entsprechendes Ausbildungsangebot machen zu können. Mehr als 700 Absolventen wurden seitdem als Landwirt oder Gärtner hier ausgebildet. Teilweise war das biodynamische Grundjahr, das Brigitte und Eckard von Wistinghausen von 1985 bis 2009 anboten, ein vorgeschalteter Anfang für Quereinsteiger, zum Reinschnuppern. Heute kommen in Baden-Württemberg jährlich ungefähr 20 frischgebackene Gesellen von der Landbauschule Bodensee, ab 2023 dann bis zu 40 Gesellen/Jahr.

Aktuell konzipiert der Leitungskreis des Kollegiums rund um Vorstand und Geschäftsführer Thomas Müller eine fortführende Ausbildung zum Meister, nach ähnlichem Konzept: biodynamisch-fachliche Vorbereitung, Prüfung dann staatlich. „Wir wollen denen etwas bieten, die sich fragen, wie es nach einer biodynamischen Ausbildung weiter geht“, erklärt Thomas Müller die geplante Weiterbildung. „Mit der Meisterklasse legen wir die Grundlage für die nächste Generation von Unternehmerinnen und Unternehmern auf den Höfen.“ Der berufsbegleitende Meisterkurs wird in Blockkursen ganzjährig unterrichtet, dauert drei Jahre und startet erstmals im Oktober 2022 (s. Kästchen).

Die Landbauschule lebt von Engagement der Beteiligten: Von den aktuell 52 Auszubildenden ist Eigenverantwortung gefragt, die 24 beteiligten Betriebe bilden nicht nur aus, stellen ggf. Schulräume oder bieten überbetriebliche Lerngelegenheiten, sondern unterstützen auch mit einem Jahresbeitrag die Arbeit der Landbauschule. Daneben tragen 67 Dozenten ihr Wissen zu den verschiedenen Themen bei. Seit diesem Jahr ist nicht mehr alles ehrenamtlich, die Weichen stehen auf Ausbau des Angebots, die Nachfrage ist groß. Ein Förderverein sorgt seit jeher für Unterstützung, und seit kurzem machen die biodynamischen Ausbildungen, die es in den verschiedenen Regionen der Republik gibt, gemeinsames Fundraising. Auch der Demeter-Landesverband beteiligt sich neuerdings. Der Meisterkurs wird kostenpflichtig. Die Vorstände der Schule, Markus Knösel, Viola Langner, Thomas Müller und das Entwicklungsteam haben also reichlich zu organisieren.

Gesellenbrief und dann?

Zwei Lehrjahre sind rasch vorbei – was kommt dann? Ohne elterlichen Hof? Was eigenes, einen eigenen Hof gründen, das ist bei einigen im Blick. Aber auch weitere praktische Erfahrung sammeln auf anderen Betrieben, vielleicht den Meister machen. Manche wissen es auch noch nicht. Das Biodynamische anwenden und weiter verbreiten im Heimatland oder die Arbeit mit der Natur einbringen in die schulische Ausbildung, das stellen sich zwei der Teilnehmenden als Aufgabe. Alle jedenfalls haben dann gelernt, was dazu gehört, mit Hingabe verantwortlich zu wirken als Teil der Natur und, dass Biodynamische Landwirtschaft noch viele praktische Lernfelder zum Vertiefen bereit hält.

LEHRE > FACHKRAFT > MEISTER
BIODYNAMISCH!

  • Ausbildungen gibt es in Deutschlands Norden, Westen, Osten und Süden www.biodynamische-ausbildung.de, sowie u.a. in der Schweiz, den Niederlanden und Großbritannien. Mehr siehe S. 23

  • Zur Fachkraft biologisch-dynamischen Landbau bildet der Jahreskurs der Landbauschule Dottenfelderhof weiter: www.dottenfelderhof.de/landbauschule/jahreskurs/

  • Eine dreijährige Meisterschule startet im Herbst 2022 an der Landbauschule Bodensee mit vier Schwerpunkten: Fachpraxis, Ökonomie, Soziales und Kulturelles, sowie Künstlerisch-Geisteswissenschaftliches: „Meisterkurs für eine resiliente Unternehmensführung“. Näheres:
    t.mueller(at)landbauschule-bodensee.de