Portrait

Ernährungswende – Regionale Versorgung mit Pferdekraft

Solawi Oberellenbach

von Katrin Bader

Ein anderes Konzept der Lebensmittelversorgung – weg vom Konsumenten, der anonymes Gemüse im Supermarkt kauft, hin zur verantwortungsvollen Solidar­gemeinschaft, in der ein Landwirt Gemüse und Obst für eine Gemeinschaft anbaut. Das ist der Antrieb von Dörte und Günter Hufmann, die mit ihrer Solawi im nordhessischen Oberellenbach zeigen, dass das möglich ist.

Gestartet sind Dörte und Günter ohne Hof, ohne Land, ohne Kunden und ohne Mitarbeiter. Im Jahr 2004 sind sie ins hessische Oberellenbach gezogen, um auf dem Demeter-Betrieb Kirchhof mitzuarbeiten. Dort waren sie bis 2008 beschäftigt und begannen danach, ihren eigenen Gemüsebau im Nebenerwerb aufzubauen. Günter ging währenddessen Vollzeit in seinem alten Beruf als Elektroniker arbeiten, Dörte war im Gemüsebau aktiv und kümmerte sich um die drei gemeinsamen Kinder. Was als Garagenverkauf von Gemüse aus dem eigenen Garten anfing, sich über Wochenmärkte und einzelne Kistenbestellungen weiterentwickelte, war bald nebenbei nicht mehr zu stemmen. So standen sie 2014 vor der Wahl: Den Gemüsebau entweder wieder zu verkleinern, oder richtig angehen. Von Günters Lehrzeit auf dem Buschberghof, der ersten „Wirtschaftsgemeinschaft“ in Deutschland, und über Kontakte zu Klaus Strüber, der damals noch auf Hof Hollergraben tätig war und dort eine Solawi mit Arbeitspferden aufgebaut hatte, war das Konzept der Solawi bekannt. „Wir sahen darin eine Möglichkeit, endlich das Gemüse ohne große Verluste an den Menschen zu bekommen und es bot uns die Möglichkeit, ohne viel Eigenkapital einen Betrieb aufzubauen.“ erinnert sich Dörte Hufmann. Kontakte zum Solawi-Netzwerk und vor allem zu Jürgen Hassemeier von der Gärtnerei Wurzelwerk bei Kassel haben sie in ihrer Idee bestärkt. Er hat die beiden beraten und bei der Gründungsveranstaltung unterstützt – die fand 2015 statt. Von 40 Teilnehmenden haben direkt 35 Menschen Abnahmeverträge unterschrieben. Ein voller Erfolg, somit war der Start gemacht. Anfangs führten sie die Solawi im Nebenerwerb und seit Juli 2020 im Vollerwerb. Mittlerweile sind sie durch persönliche Weiterempfehlungen auf 220 ganze Anteile, was 270 Haushalten entspricht, gewachsen, die sie ganzjährig mit eigenen Produkten versorgen.

Komm und brrr – Pferdearbeit will gelernt sein

Eine Besonderheit der Solawi Oberellenbach ist die Arbeit mit Pferden. Trotz des erhöhten Arbeitsaufwandes ist die lebendige, aus dem Betrieb stammende Zugkraft für Günter seit mehr als 30 Jahren ein Herzensanliegen zur Unterstützung des biodynamischen Impulses. Die französische Rasse „Cheval Breton“ hat es ihm besonders angetan. Aktuell sind drei Pferde am Hof im Einsatz: Paquerette, 19, aus Frankreich, Silas,17 und Valerian, 12, aus eigener Nachzucht. Paquerette und Valerian gehen als Gespann und Silas ist Mistlieferant und Gesellschafter. Ein Geräteträger, das Stoll Vielfachgerät von 1952, ermöglicht die Nutzung verschiedener Geräte – die sind entweder zugekauft oder selbstgebaut bzw. selbst umgebaut. Zur Anfangszeit der Solawi haben sie die meisten Arbeiten auf dem Feld mit den Pferden erledigt, jetzt sind ihnen – auch aus Kapazitätsgründen – bestimmte Bereiche zugeordnet. Nach der Grundbodenbearbeitung kommen die Pferde zum Zug: Hacken, Mist streuen, Dämme ziehen, etc. Im Sommer sind die Pferde tagsüber im Stall, so sind sie für anfallende Arbeiten schnell verfügbar und auch ihr Mist ist an einem Ort gesammelt. Nachts dürfen sie dann auf die Weide. Im Winter ist es umgekehrt – da kommen sie seltener zum Einsatz und sind daher tagsüber auf den Weiden, die weiter entfernt vom Hof liegen.

Die Arbeit mit Pferden muss gelernt sein, es reicht nicht aus, die Kommandos zu kennen. Ein gewisses Gespür für den Umgang mit den Tieren und ein ausdauernder Wille sind dafür Grundvoraussetzung. „Alles andere kann man erlernen“ sagt Günter Hufmann und ergänzt „am besten ist es, wenn es eine verantwortliche Person für die Pferde gibt. Das gibt den Pferden Stabilität, Routine und auch die Arbeitsabläufe im Team sind dadurch klar aufgeteilt.“ Momentan übernimmt der Lehrling Tobit Wecker gemeinsam mit Günter einen Teil der Pferdearbeit. Tobit ist im 1. Lehrjahr der Biodynamischen Ausbildung. Mit Pferden hat er bereits auf seinem elterlichen Betrieb Erfahrungen gesammelt. Für die kommende Saison wird wieder ein begabter Lehrling oder noch besser ein Mensch in Altersteilzeit gesucht, der sich ganz auf die Pferde einlassen will.

Solidarische Landwirtschaft – gemeinsam Veränderung voranbringen

Die Ursprungsidee, für einen festen Kundenstamm ganzjährig Gemüse anzubauen und vorzuleben, wie eine Ernährungswende aussehen kann, ist Dörte und Günter Hufmann gelungen. Anfangs mussten sie in Vorleistung gehen: liefern, liefern, liefern – auch im Winter. Zeigen, dass es möglich ist, und so das Vertrauen der Kunden gewinnen. Die derzeit 270 Anteiler stammen aus einem 25 km Radius. Die Gegend hier ist ländlich, kein Speckgürtel wie man ihn um Berlin oder München kennt, wo Bio kaufen zum guten Ton gehört. Ein Bio-Siegel ist hier kein Verkaufsargument. Zu den Teilnehmern der Solawi Oberellenbach gehörten erst meist ältere Menschen, die den eigenen Garten nicht mehr bewirtschaften können, aber auf die Frische und den Geschmack nicht verzichten möchten. Mittlerweile ist der Teilnehmerkreis gut gemischt.

Es gibt insgesamt sieben Verteilergruppen, je zwei in Bad Hersfeld, Melsungen, Oberellenbach und eine in Bebra. In jeder Abholstelle hängen Listen aus, wie viel Gemüse jeweils für einen kleinen oder einen großen Anteil vorgesehen ist. Das Zusammenpacken ist Vertrauenssache: Jeder nimmt sich die entsprechende Menge seines Anteils. Wer mal ein Gemüse nicht mag oder dem etwas zu viel ist, der kann es in eine Tauschkiste legen und sich etwas anderes dafür herausnehmen. Eine weitere Kiste mit der Aufschrift „Freie Entnahme“ dient dazu, Gemüse abzugeben, ohne die Teilnehmer zu überfordern. Dazu gehört z. B. Stangensellerie, Mangold, Pak Choi oder Erntereste, die nicht mehr für alle reichen. Oder zweite Wahl wie beispielsweise reife Tomaten oder geplatzter Radicchio. Bisher wurden ausschließlich eigene Erzeugnisse verteilt und Überschüsse an eine Biokiste vermarktet. In der Trockenheit von 2022 sind zwei Möhrensätze misslungen, die durch Zukauf ergänzt wurden.

Das Solawi-Konzept sieht oftmals auch eine Mithilfe der Anteilseigner vor – in Oberellenbach ist das kein Muss. Doch zu besonderen Aktionen wie Kartoffeln legen oder der Organisation eines Erntedankfestes packen viele mit an. Über einen wöchent­lichen Rundbrief, der jeden Montagabend erscheint, halten die Hufmanns ihre Teilnehmer auf dem Laufenden, was sich auf den Feldern und in den Foliengewächshäusern so tut. Auf einer jährlichen Vollversammlung legen die Anteilseigner die Beiträge für das kommende Jahr fest. Was letztlich angebaut wird, das entscheiden die Gärtner.

Bodenfruchtbarkeit birgt Vielfalt

Um den Boden möglichst schonend zu bewirtschaften, werden die Äcker nach der Grundbodenbearbeitung nicht mehr mit den Schleppern befahren. Entweder kommen die Pferde zum Einsatz oder die menschliche Arbeitskraft. Geerntet wird per Hand und mit der Schubkarre. Um die Gemüsefelder dauerhaft gesund zu erhalten und humusmehrend zu wirtschaften, ist neben der Fruchtfolge auch Mist eine wichtige Komponente: Der Pferdemist wird als Kompost aufgesetzt und präpariert. 18 m³ zugekaufter Naturland-Rindermist kommen aus einem Tretmiststall und sind entsprechend streufertig. Ausgebracht werden Mist und Kompost im Frühjahr vor Kohl, Knoblauch und Mais. In 2022 wurden erstmalig auch Handelsdünger in Form von Ackerbohnenschrot, Schafwollpellets und Vinasse zugekauft. Gründe dafür waren Probleme in den neuen Gewächshäusern, in denen nach den Planiermaßnahmen für den Bau die Bodenfruchtbarkeit noch sehr zu wünschen übrig ließ.

Bei der Solawi Oberellenbach sind über 70 Kulturen in der Anbauplanung. Auf rund drei Hektar stehen die Gemüsekulturen und auf einem Hektar wachsen Kartoffeln – 15 verschiedene Sorten jährlich. Ein Drittel der Pflanzkartoffeln stammt aus eigener Vermehrung. Die Jungpflanzen kaufen sie zu, Fruchtgemüse ziehen sie selbst, sowie ein paar Spezialitäten. „Eine eigene Jungpflanzenzucht wäre schön, aber dafür bräuchte es eine weitere kontinuierliche Fachkraft“, beschreibt Dörte Hufmann die Situation. Seit Herbst 2021 ist Olivier Dufils für vier Tage die Woche als festangestellter Gärtner Mitglied im Team. Neu hinzugekommen ist auch Veli aus der Türkei – als geübter Gärtner sind ihm die anfallenden Arbeiten vertraut. Die Vielfalt der Gemüsekulturen bringt auch Sicherheit: Wenn eine Kultur ausfällt oder schlecht läuft, dann gibt es immer Alternativen. Manches, wie etwa die Süßkartoffeln, wird wieder aus dem Sortiment genommen, da Aufwand und Ertrag nicht im guten Verhältnis stehen. Kräuter jedoch sind gut nachgefragt und werden intensiviert. Eine Bewässerung ist von Anfang an nötig und läuft über wassersparende Tröpfchenschläuche. Um perspektivisch noch wasserschonender zu wirtschaften, werden immer mehr Kulturen nach dem ersten Hacken mit Heu oder Silage gemulcht. Auch die Gewächshäuser werden mit Mulch versorgt.

Für den Bezug der Biodynamischen Präparate sind Hufmanns in der Präparategruppe Nordhessen rund um das Gut Mönchhof aktiv. Um die Spritzpräparate für die verschiedenen Gemüsechargen immer parat zu haben, rühren sie etwa 150 Liter in einem Edelstahlfass auf Vorrat. Anschließend werden alle Flächen einmal behandelt. Bei den nächsten Pflanzungen und Aussaaten wird das in Edelstahl gelagerte Präparat verwendet. Gespritzt wird von Hand, dabei sind drei Personen mit der Rückenspritze auf der Fläche unterwegs – so können auch die Lehrlinge unmittelbar in die biodynamische Arbeit einbezogen werden. Bei großer Hitze hat sich eine Stressspritzung bewährt: Spät abends Hornmist und am darauffolgenden frühen Morgen Hornkiesel.

Bildung und Biodynamisches im Hofalltag integrieren

Auffällig sind die vielen jungen Menschen am Hof. Landwirtschaftliche Bildung und auch der Bezug zum Biodynamischen liegen Dörte und Günter Hufmann am Herzen. Anthroposophie und die biodynamischen Aspekte der Landwirtschaft sind ihnen eine gute Grundlage für eine lebendige Entwicklung des Hofes. Auch, wenn die Marke Demeter kein Verkaufsargument für ihre Kunden ist, sind sie seit 2018 Demeter-zertifiziert. Kritisch blicken sie in die Zukunft und fragen sich, wie man das Biodynamische für die Jugend oder jüngere Landwirte, Gärtner und Quereinsteiger attraktiver, erlebbarer machen kann. Denn das zunehmende Durchschnittsalter auf den Höfen macht ihnen Sorge. Sie selbst möchten „die biodynamische Landwirtschaft als Teil einer spirituellen Lebensweise entwickeln, um uns selbst und den Menschen auf dem Hof Kraft und Motivation für den Berufs- und Betriebsalltag zu eröffnen.“ so Günter Hufmann. Der Austausch in einer Gemeinschaft gehört für sie daher dazu. Im Betriebsalltag zeigt sich das durch das gemeinsame Frühstück und Mittagessen, sowie Hofabende, die von den Mitarbeitenden oder Lehrlingen gestaltet werden. Eine ausführliche Morgenbesprechung dient dazu, jeden Tag alle mitzunehmen und auf dem aktuellen Stand zu sein. Dörte und Günter Hufmann sind bestrebt, ihr Team so aufzustellen, dass sie als Betriebsleiter im Idealfall auch mal frei nehmen können. Meditation und Yoga sind für sie fester Bestandteil ihrer täglichen Routine. Damit starten sie in den Tag – und möchten auch ihren Mitarbeitenden die Möglichkeit bieten, diese Methode kennenzulernen. Daher versuchen sie, etwa zwei- bis dreimal im Jahr, einen Yogalehrer für einen Kurs auf den Hof zu holen. Ein Meditationskurs soll folgen.

Der Bau der Gewächshäuser in 2022 inklusive einer Brunnenbohrung und Installation der Bewässerung war ein großer Kraftakt. Davor wurde 2019 die neue Kühlung gebaut. Somit sind sie erstmal gut aufgestellt. Eine Solaranlage, um die Kühlung energieneutraler zu betreiben, wäre noch ein weiteres größeres Projekt. In naher Zukunft gehen die Arbeitspferde in ihren wohlverdienten Ruhestand, daher brauchen sie bald Nachfolger, damit auf den Feldern der Solawi Oberellenbach auch in Zukunft noch mit zwei PS geackert wird.

 

Autorin: Katrin Bader, Redaktion Lebendige Erde, katrin.bader(at)demeter.de

 

Solawi Oberellenbach

  • Gegründet 2015, Demeter seit 2018
  • Betriebsleitung: Dörte & Günter Hufmann
  • Nordhessen, lehmig-tonige Böden, max. 60 BP, 9 °C, 394 mm NS
  • Fläche 14 ha, davon dauerhaft gepachtetes Ackerland: 7,3 ha, Gemüse 3 ha, Kartoffeln 1 ha, Rest: Wiese, Streuobst
  • Produkte: Gemüse, Obst, Sauerkraut, Apfelsaft – Vermarktung rein über Solawi
  • Mitarbeitende: 2 Gärtner, 4 Azubis (2022), 2 Fahrer aus der Solawi, Köchin in Altersteilzeit

www.solawi-oberellenbach.de