Portrait
Loheland – Bewegung, Kunst und Landwirtschaft
eine der ersten biodynamischen Gärtnereien
von Michael Olbrich-Majer

Biologisch-dynamisch, diese Art Landwirtschaft zu verstehen und zu praktizieren, war vor fast hundert Jahren aufregend neu. Ihre Entwicklung wurde auch von Frauen vorangetrieben: Sie züchteten, sie forschten oder sie gestalteten Landwirtschaft als Bäuerinnen oder Betriebsleiterinnen mit. Im Kultur- und Bildungsprojekt Loheland war es eine Gemeinschaft allein aus Frauen, die Ende 1926 beschloss, ihre Gärtnerei biodynamisch zu bewirtschaften und zugleich diese damals neue Art der Landwirtschaft beforschte. Heute ist aus der Gymnastik- und Kunstschule mit handwerklichem Selbstversorgungsanspruch eine Stiftung mit Waldorfschule, Kindergarten, Werkbereichen und Tagungsbetrieb geworden, in der Landwirtschaft und Gärtnerei ihren Platz neu finden müssen.
Loheland 1931

1931 tagt der „Versuchsring anthroposophischer Landwirte in Deutschland“ auf Loheland – und widmet sich im Programm praktischen Fragen rund um die noch junge biologisch-dynamische Wirtschaftsweise. Die Gastgeberinnen zeigen sich den 160 Teilnehmern von Ihrer besten Seite, von Unterkunft und Verpflegung bis zu künstlerischen Darbietungen – aber auch fachlich. Die Gärtnerin des Frauenprojektes, Maria Lohmann – als einzige Frau inhaltlich zur Tagung beitragend - hatte in den Jahren zuvor neun Versuchsreihen in der Gärtnerei angestellt, z.B. die Wirkung von Präparaten, Düngung oder Aussaatzeitpunkten verglichen. Dass Loheland auch ein Ort der Kunst ist, kommt ihrer Präsentation zugute: 67 postergroße Schwarzweiß-Abzüge aus der Lichtbildwerkstatt demonstrieren die Entwicklung unterschiedlicher Behandlungsvarianten - ein frühes Dokument biodynamischer Forschung, das auch die Kollegen im Versuchsring beeindruckt. Die weit gefassten Anregungen Rudolf Steiners zur Landwirtschaft von 1924 sind inzwischen so ausgearbeitet, dass man sich öffentlich in der 1930 gegründeten Demeter-Monatsschrift darüber austauscht. Maria Lohrmann schreibt einen Bericht und arbeitete temporär im Versuchsgarten im schlesischen Pilgramshain, einer heilpädagogischen Einrichtung, deren Landwirtschaft Immanuel Voegele führte.
Loheland – ein frühes Frauenprojekt
Die Siedlung Loheland geht auf das Jahr 1919 zurück, als Hedwig von Rohden und Louise Langgaard hier den Standort für ihr sieben Jahre zuvor gegründetes Seminar für klassische Gymnastik fanden. Sie erwarben das unbebaute Grundstück auf einer Anhöhe südöstlich von Fulda. 45 Hektar, zur Hälfte Wald, dazu Äcker und Weiden, mit weitem Blick in die Landschaft der Kuppenrhön. Es musste rasch gebaut werden – und es stand noch mehr auf dem Programm der „Schule für Körperbildung, Landbau und Handwerk“. Lernen, Arbeiten und Leben sollten hier Hand in Hand gehen. Intuitiv und vorsichtig - auch wegen begrenzter Finanzmittel - wurde das Gelände erschlossen, mit eigenständiger Architektur, aber auch mit improvisierten Werkstätten in herbeigeschafften Bahnwaggons. Wanderungen am Tag oder unterm Sternenhimmel gehörten zum Unterricht, die Wege auf Loheland blieben immer naturnah. Der biodynamische Gärtner und Landschaftsplaner Max-Karl Schwarz half mit einem Geländeplan, die Weitläufigkeit zu strukturieren und zu erhalten. Letztlich bildete sich so ein Landschaftspark mit eingestreuten Bauten.
Aus der ganzheitlichen Verbindung von Körpererfahrung, Kunst und Handwerk entstand eine ländlich-weiblich geprägte Kulturstätte, vergleichbar dem Bauhaus. Wer heute Loheland besucht oder die Ausstellung 2019 in Fulda sehen konnte, ist erstaunt, wie viele verschiedene künstlerisch-handwerkliche Aktivitäten aus dem Anspruch, ganze Menschen zu bilden, entsprangen: Um die Grundlagen der Gymnastik zu verstehen, wurde gezeichnet, modelliert und fotografiert, es entwickelten sich Puppentheater, Ausdruckstanz und Kostümierung – das Loheland Ensemble ging regelmäßig auf Tournee in den deutschen Städten. Die Werkstätten drechselten, stellten Möbel her, Leder-, Korb-, und Töpferwaren und prägten auch mit Weberei und Schneiderei einen Loheland-Stil. Und natürlich wurde gemalt, musiziert und komponiert. Durch ihre Schülerinnen gut vernetzt mit den Städten war Loheland damals ein Begriff. Erst recht die Doggenzucht, die Hedwig van Rohden betrieb und die Abnehmer sogar in den USA fand.
Im Gartenbau sollten die Studentinnen sich mit allen Sinnen erleben. Aufgabe der Gymnastik sei es unter anderem, dass der Mensch sein Potenzial zum Verlebendigen des Raumes erkenne. Passt genau auch auf die Landwirtschaft. Die Verantwortung für diese allerdings wurde, anders als die für die Gärtnerei, nach außen gegeben, Karl Jung hieß 1926 der erste Landwirt hier. Aber das Gärtnern erfuhr ebensolche Wertschätzung wie die anderen Werkbereiche, gemeinsames Arbeiten war angesagt – auch, um eine gesunde Ernährung sicherzustellen.
Oder Leinen für die Weberei zu gewinnen. Schon damals umfasste der Garten 1,5 Hektar, anfangs terrassiert am Osthang. Die Flächen wechselten später an den heutigen Standort weiter im Westen. Sowohl die Gründerinnen als auch Gärtnerin Maria Lohrman und die Allroundkünstlerin Eva Maria Deinhardt waren seit April 1927 Mitglied im Versuchsring.
Loheland-Stiftung heute

- Waldorfschule tw. Zweizügig (5-10 Klasse) mit ca. 500 Schülern
- Kindergarten für ca. 100 Kinder
- Tagungshotel (37 Betten, 26 Zimmer)
- Gemeinsame Mensa/Küche
- Laden und Cafe
- Schreinerei
- Landwirtschaft, Gärtnerei und Wald
- Seminare zu Loheland-Gymnastik
- Loheland-Archiv
Loheland heute
Die Landschaft Loheland mit ihren teils urigen kleinen und größeren Bauten kam unbeschadet durch den Zweiten Weltkrieg – auch weil die Frauen die Durchfahrt amerikanischer Panzer verhinderten. Heute ist das unter Denkmalschutz stehende Ensemble um eine zweizügige Waldorfschule, samt Mensa, Bewegungshaus, Kindergarten etc. gewachsen und auch die Landwirtschaft hat Stall und Scheune ergänzt. Ein Tagungshaus empfängt dank der zentralen Lage Gäste aus ganz Deutschland, die wie die Mensabesucher mit eigenem Gemüse und eigenem Fleisch versorgt werden. Ein Cafe mit Bio- und Buchladen empfängt an zentraler Stelle Kunden, meist „Loheländer“. Die Schreinerei baut Möbel für Kindergarten, Schule, Gartenmöbel für das Wiesenhaus und Küchen für die Siedlungshäuser und hält Gebäude instand. Aktuell wohnen ca. 60 bis 70 Menschen aller Altersklassen in den Gebäuden auf dem Gelände, pensionierte Lehrerinnen wie junge Familien. Gehalten und organisiert wird das alles von einer Stiftung, deren Geschäfte seit kurzem Maximilian Abou El Eisch-Boes zusammen mit Marika Abel führt. Die Loheland-Gymnastik, der Ausgangspunkt der Siedlung, aber wurde schrittweise abgebaut, aktuell gibt es vor Ort regelmäßig Wochenendseminare dazu und ein Netzwerk der Gymnastikerinnen.
Im Reigen der Werkstattbereiche der Loheland-Stiftung sind Landwirtschaft, Gärtnerei und Landschaftspflege samt Waldbau als „Grüner Bereich“ zusammengefasst und verwaltet. Satzungsgemäß gehören die Aufgaben zu Loheland, mit Blick auf pädagogischen Nutzen. Wer hier arbeitet, ist angestellt. Zugleich muss der Bereich wirtschaftlich geführt werden und braucht also Initiative. So schwebt die ökonomische Frage in den aktuellen Gesprächen, aber auch im Blick auf die künftige Gestaltung der drei Aufgabengebiete stets mit. Und wie wird es möglich, Leistungen im Stiftungsbereich wie pädagogische Aufgaben – für die neben der Durchführung mit Kindern Garten und Feld bereitet sein wollen – und die Versorgung mit Lebensmitteln finanziell in Wert zu setzen?
Nach wie vor Frauensache: die Gärtnerei
Die drei Gärtnerinnen – Maresa Burgert, Astrid Liermann und Margarethe Voegele treffe ich am 1931 gebauten Gewächshaus, das unter Denkmalschutz steht. Welche Gärtnerei hat so etwas schon? Und es braucht eine Renovierung, hier wird die ganze Anzucht gemacht. Aktuell stehen Physalis, Auberginen und ein paar Jungpflanzen darin.
Maresa Burgert ist seit 2022 hier und verantwortet mit einer guten halben Stelle die Gärtnerei. Dafür ist sie hierhergezogen, ihre zwei Töchter gehen in Loheland zur Schule und sie hofft, dass Gärtnerei und Landwirtschaft weitergeführt werden. Unterstützt wird sie von ihrer Vorgängerin Astrid Liermann, die mit ihren zehn Stunden die Woche auch Lohelands eigenen Friedhof pflegt. Sie liebt die Gartenarbeit, diese würde ihr fehlen. Den im Rahmen des schulischen Gartenbaus bearbeiteten Bereich betreut die Gartenbaulehrerin Elke Okrafka. Margarethe Voegele ergriff ab 2004 die Gärtnerei, zunächst für zwei Jahre, als die Gärtnerei mangels Fachkraft zu verwaisen drohte. Eigentlich ist sie Gymnastikdozentin, hat hier 1960 ihre Ausbildung begonnen, heute im Ruhestand. Immanuel Voegele war einer der Teilnehmer an Steiners Kurs. Aus dem Gefühl, „Weil ich die Tochter meines Vaters bin und von Kindheit an mit der biologisch-dynamischen Praxis vertraut“ - übernahm sie interimsmäßig die Verantwortung und sorgt sich auch in Umbruchszeiten um Kontinuität in Lohelands grünem Bereich. Ganz praktisch betreut sie die biologisch-dynamische Präparatearbeit. Diese werden seit letztem Jahr hier gemeinsam mit dem benachbarten Demeter-Betrieb Lindengut selbst hergestellt und in einem eigens dafür hergerichteten Keller aufbewahrt; übrigens auch das Dreikönigspräparat nach Hugo Erbe. Bis vor einigen Jahren hat die muntere ältere Dame auch biodynamische Präparatekurse in Litauen gegeben.
In der praktischen Gartenarbeit kommen die Präparate über die standardmäßige Verwendung hinaus auch gezielt zum Einsatz, z. B. zur Ausreifung von Wurzelgemüse. Teilweise wird dreimal gespritzt. Der Anbau ist auf den internen Bedarf ausgerichtet: im Freiland Salate, die üblichen Frucht- und Wurzelgemüse, aber auch Sellerie, Lauch, Zwiebeln, Rhabarber und Chicoree. Dieser wird in Erde zum Treiben gebracht. Und natürlich gehören auch Kräuter und Blumen zum Repertoire. Die Anzuchterde wird nach eigenem Rezept hergestellt, verschiedene Komposte aus Rinder- und Eselsmist Buchenlaub und Pflanzenabfällen bereitet. Sowohl im Freiland als auch im Gewächshaus bedeckt, wenn möglich Transfermulch den Boden. Bodenpflege ist auf den armen, flachgründigen und sandigen Sandsteinverwitterungsböden immer nötig. Auch Tomatensaatgut für die Bingenheimer vermehrt Maresa Burgert, auf Loheland wurde z.B. die Sorte Yellow Submarine gezüchtet.
Die Ernte der Gärtnerinnen wird zum Teil in Lohelands Küche von Thomas Griff und seinem Team verwertet, zu einem internen Verrechnungspreis. Schüler und Lehrer, sowie Tagungsgäste werden hier bewirtet, zum Teil auch Feiern bekocht. Im Ladencafe gibt es Gemüse und Backwaren auch zu kaufen. Die Gemüseabokisten, ca. 40-60 je Woche, hat die Gärtnerei wieder eingestellt, denn die Stiftung hätte im nächsten Schritt in Waschanlage, Kühlraum und Packraum investieren müssen.
Pädagogik und Agrikultur
Im Lebensraum Schule sollen die Kinder verschiedene Handwerke kennenlernen, Interessen und Fertigkeiten ausbilden. Dazu dienen auch der Garten und die Landwirtschaft, die neben dem üblichen, von Schülern gesäten Getreideacker auch Esel, ein paar Schafe und eine Herde Rotes Höhenvieh hält. Den Roggen erntet die dritte Klasse dann mit der Sichel, die Körner aus Garben und Ähren dann mit dem Dreschflegel gelöst, bis zum Mahlen und Backen praktischer Anschauungsunterricht, der das Verständnis für die Zusammenhänge der Lebensmittel fördert. In höheren Klassen steht dann das Landbaupraktikum an, das auf Loheland in Gärtnerei, Landwirtschaft oder Forst absolviert werden kann.
Auch die Ausrichtung des Bauernhofs ist zurzeit in der Schwebe. Bewirtschaftet wird er seit zwei Jahren von Sebastian Faupel. Je acht Hektar Acker – vor allem Futter - und Weide für die 7 Mutterkühe plus 20 Nachzucht zur Mast gehören noch dazu. Das Hühnermobil wurde gerade verkauft, die Kalkulation war nicht aufgegangen. Ziel des Landwirtes ist es unter anderem, den Futterzukauf zu verringern, die Tierzahl anzupassen. Die Schweine gibt es daher schon länger nicht mehr. Das umfangreiche Gelände samt Wald braucht eigentlich einen Pflegetrupp – Norbert Löwenguth kümmert sich zurzeit allein darum.
Ein besonderer Ort
Wie überall ist es mit Absprachen in einem komplexen sozialen Gebilde nicht ganz einfach, zumal das künftige Konzept noch offen ist. Auch das Mitverantworten z.B. für die Gärtnerei wie an Wochenenden oder bei der abendlichen Gieß- und Fütterungsrunde findet nur begrenzt Resonanz. Wie kann es gelingen, Schüler und Loheländer mehr für den Garten zu begeistern. Wie gelingt die Anbauplanung mit der Küche? Sollen wir das Backhaus reaktivieren? Für Margarethe Voegele ist Loheland nach wie vor eine besondere Gärtnerei, Teil eines Gesamtkunstwerks, mit Möglichkeiten zur Begegnung und als Ort für Kinder, das Gegenteil digitaler Welteinflüsse zu erleben, sich zu entwickeln und dabei Natur und sich selbst zu entdecken.
Michael Olbrich-Majer
Redaktion Lebendige Erde
Grüner Bereich Loheland Stiftung

- Lage auf einer Anhöhe (480 m ü NN) in der Röhn, flachgründige Böden … sL, ls, 990 mm Niederschlag, 8,4 C im Jahresdurchschnitt
- Gärtnerei (Maresa Burgert) mit 1,5 ha, davon 0,2 ha Schulgarten, 600 qm geschützter Anbau, seit 1927 Demeter
- Gemüseernte geht in den Verbrauch (Küche versorgt Schule, Kindergarten und Tagungshaus)
- Landwirtschaft (Sebastian Faupel) mit 16 ha, davon 8 ha Acker, 8 ha Grünland, 27-köpfige Herde Rotes Höhenvieh, seit Ende der 1980er Demeter
- Produktion v.a. für den Eigenbedarf
- Landschaftspark- und Waldpflege (Norbert Löwenguth) auf 17 bzw. 23 ha
- Grüner Bereich Koordination: Klaus Niedermann