Portrait
Von allem etwas
Der "Linke Hof" setzt auf (Bio-)Diversität
von Katrin Bader
Wenn man auf den Linke Hof fährt, hat man das Gefühl, auf einem Bilderbuch-Bauernhof gelandet zu sein: Das mit Kopfsteinen gepflasterte Hofareal ist von Wohn- und Lagergebäuden umschlossen, direkt links hinterm Einfahrtstor ist der neue Hofladen, ein Walnussbaum steht in der Hofmitte – von ihm ausgehend hängen bunte Wimpelketten über den Hof gespannt. Diese sind „Überreste“ des letzten Hoffestes, die noch für Hoftheater und Hofkino den Hof schmücken sollen. Ein Lieferauto, die Hofräder, Kinderspielzeug, Bänke und Handwerkszeug fügen sich in das Hofbild ein.
Erkundet man die Fläche des Hofes, entdeckt man auf der Obstwiese eine Kuh und die kleine Hühnerschar, nebenan stehen die Bienenbeuten. Dieser Mix, in dem viele Einzelelemente zu einem Gesamtbild zusammenwirken, prägt den Linke Hof: dieser Ort lebt.
Die Hofstelle des Linke Hofs wurde um 1850 erbaut. Eigentümer ist der Verein für Ernährungsökologie e.V., der auf den Leipziger Arzt Christoph Richter zurückgeht und etwa 20 Mitglieder hat. Christoph Richter erkannte, nach einem Praktikum beim biodynamischen Gärtnerhof von Veit Ludewig in Dresden die Bedeutung gesunder Nahrung für den Menschen und wollte einen ähnlichen Betrieb in Leipzig aufbauen. Dafür suchte er sowohl einen Hof als auch Menschen für die Bewirtschaftung. Kurz vor der Wende kaufte er den Hof vom Bauern Linke ab – daher der Name Linke Hof. Christoph Richter ist heute Mitte siebzig und immer noch Kunde des Hofes sowie Vorstand im Verein. Die heutigen Bewirtschafter, Lindela und Reinhard Sommer, sind seit 1990 auf dem Betrieb und lernten sich in Halle beim Landwirtschaftsstudium kennen.
Bis 1994 führte Reinhard den Linke Hof in einer GbR mit Axel Caspary. Der trat 1994 aus und seitdem ist der Betrieb ein Familienunternehmen. Eine wichtige Person auf dem Hof ist Sabine Heinze – sie ist seit 1996 dabei und kümmert sich mit Lindela um den Kräuteranbau und die -Verarbeitung. „Wir haben unsere Kinder zusammen großgezogen.“, erinnert sich Lindela und betont, wie hilfreich und verbindend es war, sich die Kinderbetreuung und Arbeit am Hof aufzuteilen. Nach ihrer Gärtnerausbildung auf dem Hof verschob sich Sabines Arbeitsschwerpunkt über die Jahre in Richtung Vermarktung, als Verkäuferin auf dem Wochenmarkt. Heute ist sie Hauptverantwortliche für den Hofladen. Sabine ist seit 2023 auch als Gesellschafterin in der Linke Hof Handel UG, deren Gründung nötig wurde, da der Zukaufanteil im Hofladen mit dem Ladenneubau umfangreicher wurde. Drei Gärtner sowie vier Menschen in Teilzeit bzw. auf Minijob-Basis, FÖJler, Auszubildende und Praktikanten bestreiten den Arbeitsalltag. Die Kunden, Vereinsmitglieder und Besucher bei kulturellen Veranstaltungen machen die Vielfalt komplett.
Prinzip Gärtnerhof
Insgesamt bewirtschaften Lindela und Reinhard rund 8,5 Hektar Pachtland, wobei jüngst im Herbst 2023 weitere drei Hektar neu hinzugepachtet werden konnten. Die befinden sich jetzt in Umstellung. Der größte Teil der Fläche schließt direkt am Hof an. Auf drei Hektar bauen sie Fein- und Feldgemüse an, die restliche Fläche ist Futter- oder Weidefläche; Streuobst und essbare Hecken ergänzen die Strukturen – Vielfalt spielt eine entscheidende Rolle. „Auch wenn es vielleicht mehr Arbeit bedeutet, gehört für uns die Mischung aus Pflanzen, Tieren, Menschen und Vermarktungswegen einfach zusammen.“, sind sich Lindela und Reinhard Sommer einig.
Der Schwerpunkt des Betriebes ist der Gemüsebau, den Reinhard verantwortet. Fein- und Feldgemüse, aufgeteilt in verschiedene Fruchtfolgen, die an die verschiedenen Bewässerungsmöglichkeiten angepasst sind. Entsprechend liegen die regelmäßig zu bewässernden Kulturen nah an der Hofstelle und die, die besser mit Trockenheit klarkommen, weiter entfernt. Das Feingemüse startet mit einer Gründüngung, gefolgt von Kürbis, Mais, Zucchini und Freilandtomaten. Danach stehen Salat, Radieschen, Möhren, Mangold, Dill und Bohnen auf den Flächen, in der Folgesaison dann Broccoli, Kohlrabi und dann wieder die Gründüngung. Beim Feldgemüse folgen auf drei Jahre Kleegras Lager- und Rosenkohl sowie Porree. Danach stehen Sellerie, Fenchel, Brokkoli und Rüben (für die Tiere) auf den Parzellen, denen wiederum Zwiebeln sowie Möhren und Rote Bete folgen. Auf den Flächen ohne Bewässerung wächst erst Kleegras und dann Gemüse wie Hokkaido Kürbisse, Frühkartoffeln, Grünkohl oder Sonnenblumen. Alle Kulturen, und auch die Komposte natürlich, werden mit den biodynamischen Präparaten behandelt – nach Bedarf, und wie es die Arbeitszeit aktuell zulässt.
In den sechs Folientunneln wachsen im Sommer beispielsweise Tomaten, Auberginen, Paprika oder auch mal Melonen. Im Herbst und Winter stehen dann Asiasalate, Feldsalat, Hirschhornwegerich oder Postelein, gefolgt von Radieschen, Lauchzwiebeln, Salaten und Kohlrabi im Frühjahr. Etwa 50 verschiedene Kulturen bauen die Gärtner an, die Vielfalt an Kräutern sowie Stauden und Sommerblumen noch nicht mitgerechnet, und puffern so das Risiko: Selbst bei einem Totalausfall einer Kultur gibt es noch genug andere, die gedeihen. Bis auf Gurken und Feldsalat ziehen sie ihre Jungpflanzen alle selbst – mit eigenem Kompost, im Frühjahr in einem beheizbaren Folienzelt. Ein Blumenfeld, zwischen den Folientunneln platziert, trägt zur Angebotsdiversifizierung auf dem Markt bei – im Sommer gibt es immer selbstgebundene Blumensträuße zu kaufen. „Die Blumen sind einfach schön, das gehört für mich auch dazu, dass man den Ort, an dem man lebt, schön gestaltet und sich an der Vielfalt der Natur erfreut.“, beschreibt Lindela die Beweggründe für das Anlegen und Pflegen der Blumenbeete, Vorgärten und Kübel, um die sich hauptsächlich Reinhards Schwester Elke kümmert. Neben Gemüse, Kräutern, Tee und Blumensträußen vermarkten Sommers auch ihren eigenen Honig und Saft.
Gärtnerei und Tierhaltung gehören zusammen
Zu jedem Demeter-Hof gehören Rinder – sie liefern den Mist, der die Grundlage für das biodynamische Wirtschaften legt. Obwohl die Rinderhaltung für Gemüsebaubetriebe nicht verpflichtend ist, ist es für Lindela und Reinhard Sommer aus Prinzip selbstverständlich, eine Milchkuh und ihre Nachzucht zu halten. So ist kein Mistzukauf nötig und der Gärtnerhof entwickelt aus eigenen Ressourcen die notwendige Fruchtbarkeit, um die Felder zu düngen und gesunde Lebensmittel zu produzieren. Etwa alle ein bis zwei Jahre wird auch ein Rind geschlachtet und das Fleisch vermarktet. Zwei Rheinisch Deutsche Kaltblüter werden für die Grundbodenbearbeitung und Kulturpflege eingespannt – sie und ihre Fohlen liefern ebenso Mist für den Kompost. Um die Pferde kümmert sich der langjährige Mitarbeiter Axel Santiago Steinhäuser. Ein paar Schweine gehören auch zum Hof, als Abfallverwerter oder eher Abfallveredler, denn ihr Fleisch bzw. Wurst werden im Hofladen verkauft. Die kleine Schafherde dient hauptsächlich der Flächenpflege und Sommers nutzen ihre Wolle und Fleisch meist privat. „Wir mögen die Schafe einfach, daher halten wir sie nicht nur aus praktischen Gründen.“ erzählen Reinhard und Lindela. Zehn bis zwanzig Bienenvölker runden die tierische Vielfalt ab. So ist der Betriebskreislauf fast geschlossen, bis auf Saatgut- oder Strohzukauf. Die bunte Mischung in der Tierhaltung ist auch anderweitig von Vorteil: Oft kommen Grundschulklassen auf den Hof, um die Haus- und Nutztiere zu erleben und zu erfahren, woher Lebensmittel stammen. Über 16 Jahre kam die Eingangs- oder Vorschulklasse der Waldorfschule einmal pro Woche vormittags zum Mithelfen auf den Hof. Seit über 30 Jahren bestellen die jeweiligen 3. Klassen der Waldorfschulen in der Ackerbauepoche ihr Roggenfeld.
Aufgaben, so vielfältig wie der Hof
Die Aufgaben von Reinhard und Lindela haben sich über die Jahre gut eingespielt. Reinhard verantwortet den Gemüsebau und damit einhergehend auch die Arbeitsplanung und Führung der Mitarbeitenden – egal ob Praktikanten, Freiwillige oder Angestellte. Er fährt auch mit auf den Wochenmarkt zum Auf- und Abbau. Die anfallenden Arbeiten im Gemüsebau reichen von der Anbauplanung, Beetvorbereitung, über die Jungpflanzenanzucht, Aussaat bzw. Pflanzung, Bewässerung, Beikrautregu-lierung, etc. bis hin zur Ernte und Maschinenwartung und die vielfältigen Aufgaben am Schreibtisch.
Lindelas Hauptaufgabe war lange Zeit die Familie – fünf Kinder ziehen sich schließlich nicht von allein groß. Daran angedockt waren bzw. sind die Obstverarbeitung, Marmeladenproduktion und die Hauswirtschaft. Ebenso zählen die Milchverarbeitung für den Eigenbedarf, die Imkerei und die Versorgung des Kleinviehs, also alles außer den Pferden und Rindern zu ihren Aufgaben. Unzählige Vormittage waren und sind mit der Betreuung von Schulklassen gefüllt. Seit 2004 sind Bienen am Hof heimisch, um die sich Lindela kümmert. Demeter-zertifiziert sind ihre Bienen nicht – dafür müsste sie beispielsweise das Wachs komplett austauschen, ist sie doch stolz darauf, seit 16 Jahren einen eigenen Wachskreislauf zu haben. Ihren Kunden ist es wichtiger, die Imkerin und den Standort zu kennen, als dass der Honig ein Demeter-Siegel trägt. Etwas anders ist es beim Gemüse, da wird Demeter-Ware nachgefragt und die Kunden des Linke Hofs sind auch auf der Suche nach Regionalität: „Sie wollen Gemüse vom Hof, das, was hier je nach Saison eben wächst.“, bestätigt Reinhard. Der Baalsdorfer Kräutertee, eine Mischung aus über 20 Kräutern, alle selbst auf den Hofflächen angebaut oder gesammelt, kommt bei den Kunden gut an – etwa 100 kg werden pro Jahr verkauft.
Von hoher Bedeutung für den Gemüsebau ist der Kompost: Der Mistkompost ist relativ pflegeleicht, wird einmal versetzt und natürlich mit den Präparaten behandelt; um den kümmert sich Reinhard mit seinen Mitarbeitern. Aufwändiger ist der Grünkompost, um den sich Lindela kümmert. Er hat im Hausgartenbereich seinen festen Platz. Hier ist Handarbeit angesagt – alle Grünabfälle und der Kaninchen- oder Hühnermist werden ordentlich gestapelt, etwa 1,5 m hoch und je nach Rotteprozess zwei- bis dreimal umgesetzt. Gesiebt entsteht daraus die hofeigene Anzuchterde. Die Faszination für Kompost hat Lindela von ihrem Vater, der auch Gärtner war und sie mit seiner intensiven Kompostpflege inspiriert hat.
Über 30 Jahre Betriebsführung mit wechselnden Mitarbeitern, Lehrlingen, Praktikanten, Waldorfschülern und Menschen in schwierigen Lebenssituationen bringen soziale Herausforderungen mit sich. „Eigentlich ist es ein Sozialprojekt – und wir bauen auch Gemüse an“ fasst Lindela die Aufgabenpalette zusammen.
Vermarktung breit aufgestellt
In der Gemüsevermarktung bedient der Linke Hof vier Kanäle: Abo-Kisten, den Leipziger Wochenmarkt, den Hofladen sowie kleine Regionalläden und Bio-Läden in der Region. Aktuell bestückt der Linke Hof 80 bis 90 Abo-Kisten, die von zwei Fahrern an zwei Liefertagen einzeln ausgeliefert werden. Die Kunden können zwischen zwei Kistengrößen wählen. Auf dem Leipziger Wochenmarkt lockt der Stand mit der Demeter-Ware nicht nur Stammkunden an. Die Marke ist bekannt und Menschen suchen immer öfter danach. Der Hofladen zog 2019 in ein neues geräumigeres Gebäude um. Vorher war er in einem ca. zehn qm kleinen Raum untergebracht. Mit der Vergrößerung wurde aus dem Gemüseladen ein vielfältiger Dorfladen mit Waren des täglichen Bedarfs. Viele regionale Bioprodukte haben so ihren Platz in den Regalen gefunden. „Während Corona stieg die Nachfrage enorm; durch Krieg, Inflation und Energiekrise etc. spürten wir schon einen deutlichen Rückgang – aus diesem Tief erholen wir uns langsam.“, fasst Reinhard Sommer die Entwicklungen der vergangenen Jahre zusammen. Nicht zu unterschätzen ist auch die Konkurrenz im Gemüsebereich, beispielsweise durch eine neu gegründete 35 Hektar große SoLaWi im Leipziger Umland.
Blick nach vorn
Der Linke Hof ist kein klassischer Familienbetrieb, in dem klar ist, dass eines der Kinder der Hofnachfolger wird. Bis auf einen Sohn, der die biodynamische Ausbildung absolviert hat, hat keines der Kinder von Lindela und Reinhard einen landwirtschaftlichen Beruf ergriffen – und der Hof ist auch nur gepachtet. Von daher liegt es sowieso in der Hand des Vereins, Nachfolger zu benennen, die biodynamische Bewirtschaftung ist dabei Voraussetzung. „Wir möchten unser Lebenswerk natürlich in guten Händen wissen. Aber dann weiterhin am Hof wohnen und den nächsten Bewirtschaftern auf die Finger schauen – das wollen wir nicht.“, sind sich Lindela und Reinhard einig. Doch in der Gegend bleiben möchten sie schon. Bis dahin dauert es aber noch ein paar Jahre. Und so lange wird auf dem Linke Hof weiterhin ein buntes Treiben herrschen, das vielen jungen Menschen Einblicke in die biodynamische Wirtschaftsweise bietet und dafür sorgt, dass die Idee des Gärtnerhofes in die Zukunft getragen wird.
Katrin Bader
Redaktion Lebendige Erde
katrin.bader(at)demeter.de
Betriebsspiegel
Hofstelle von 1850 wurde 1989 vom Leipziger Arzt Christoph Richter erworben
Eigentümer des Hofes ist der „Verein für Ernährungsökologie e.V.“
Pächter / Bewirtschafter: Lindela & Reinhard Sommer, seit 1990 am Hof, Demeter seit 1991
8,5 ha Pachtland plus 3 ha Futterfläche in Umstellung, 3 ha Fein- & Feldgemüse, Kräuter, Obst, Blumen, 6 Folienhäuser (700 qm)
Tiere: 2 - 3 Arbeitspferde, eine Kuh mit Nachzucht, 5 - 7 Schafe, 2 Schweine pro Jahr. 13 Bienenvölker, eine Schar Hühner, Kaninchen
4 Mitarbeitende, Praktikanten, FÖJler, Auszubildende
Produkte: Gemüse, Honig, Saft, Fleisch- & Wurstprodukte, Kräutertee
Vermarktung: Abokiste, Hofladen, Leipziger Wochenmarkt, Bio-/Regionalmärkte in Leipzig
Gartenbau Linke-Hof Reinhard Sommer; Brandiser Str. 79, 04316 Leipzig, www.linkehof.de