Portrait
Genossen, die die Ernte teilen
SoLaWi Jolling eG vereint drei Betriebe und 280 Menschen
von Michael Olbrich-Majer
Es war einmal ein Demeter-Milchviehbetrieb im schönen Chiemgau: Andi und Sabine Mitterer wolltenmehr Leben am Hof, weniger Milchvieh, mehr Gemüse, auch im Hinblick auf eine mögliche Hofnachfolge. Ein Vortrag an der nahen Waldorfschule gab den Anstoß: ein knapper Hektar wurde 2015 zur Gemüsefläche umgebrochen und gut 20 Menschen schlossen sich zur Abnahme der Feldfrüchte in der „SoLaWi beim Kainzlbauer“ zusammen. Der Startschuss, aus dem eine Genossenschaft wurde, in der heute drei Betriebe zusammenarbeiten, von fast 300 SoLaWistas getragen.
Was als betriebliche Ergänzung mit Perspektive begann, wuchs rasch: Andis Bruder Hubert kam mit Kartoffeln von seinem Betrieb dazu, die Mitgliederzahl der SoLaWi stieg, und fürs Gemüse war ein Gärtner zuständig, Johannes Schindhelm, anfangs unterstützt von Gerd Dietlmeyer. Schnell stellte sich die Frage, ob der Gemüsebereich eine Art zeitaufwändiges Hobby bleiben oder erwerbsmäßig aufgestellt werden soll. 2017 wurde eine Zierpflanzengärtnerei in der Nachbarschaft frei, vom Eigentümer, dem „Verein für berufliche Integration“ für zehn Jahre zur Pacht angeboten. Der Gärtner griff zu. Und baute eine eigene Demeter-Gärtnerei auf, erst zwei Jahre umstellen, jetzt aktuell 2800 qm geschütztem Anbau und 3 ha Freiland. Eier brachte der 1 km entfernte Woifmoarhof ein, und Schnittblumen baute Arjen Huese auf einem Streifen an der Gärtnerei an. Die Zahl kleiner und großer Gemüsekisten stieg auf weit über 100, der Aufwand fürs Kommissionieren und abholbereit Machen wurde immer größer. Koordination war gefragt. Aber was wäre die geeignete Form, das alles zu verbinden? Die Gärtner, damals Moritz Feuchtmeir und Johannes Schindhelm, entwickelten die Idee einer Genossenschaft.
Der Kainzlhof – Impuls zur Vielfalt
Der Kainzlhof liegt in einem Ortsteil von Bad Endorf: Jolling, das sind vier Höfe, ein paar Wohnhäuser, eiszeitlich geprägte Landschaft mit rasch wechselnden Böden. 32 Milchkühe, eigener Bulle, die Milch geht nach Piding, die Kälber zu einem Demeter-Hof in der Nähe. Dazu muttergebundene Kälberaufzucht, Heufütterung, Photovoltaik auf dem Stall, Mietwohnungen im schmucken Bauernhaus: alles rund, trotzdem waren Andi Mitterer, einst vom Zimmerer zum Hofnachfolger geworden und Sabine Mitterer, Biologin und Wildnispädagogin, offen für etwas Neues: Gemüse anbauen wollte Andi schon immer, in ihren Auslandsjahren hatten beide andere Formen von Landwirtschaft kennengelernt. So lag eine Gemüse-SoLaWi als zweites Standbein durchaus nahe, gerade auch wegen der so möglichen Gemeinschaft: „Wir brauchten frische Power!“, blickt Sabine zurück. Hilfreich für den Anfang war das Umfeld der Waldorfschule in Prien. Und auch das jährliche Sommerfest des Hofes. Nachdem etwas später die Gärtnerei Jolling nebenan erfolgreich gestartet war, fuhren sie den Gemüsebau wieder zurück: aktuell kommen nur noch Kraut und Kürbis und Rhabarber vom Kainzlhof.
Die Gärtnerei – Schwerpunkt und Treffpunkt
Johannes Schindhelm hat auf dem biodynamischen Obergrashof gelernt, seinen Meister gemacht und sich zum Betriebswirt weitergebildet. Noch zwischen der großen Demeter-Gärtnerei bei Dachau und Einsätzen in der kleinen SoLaWi am Kainzlhof pendelnd, bot sich mit der Pacht der Glashäuser in Jolling die Chance zur Selbständigkeit. Eigentlich wollte er nur Jungpflanzen erzeugen, doch wurde daraus Gemüseproduktion unter Glas und im Marketgarden-Stil auf dem benachbarten Feld für die SoLaWi. Gemeinsam mit dem Gärtnermeister Fred Büsel managt er mit dem insgesamt neunköpfigen Gärtnereiteam alles vom Anbau bis zur Ernte: ca. 40 Gemüsesorten, ein paar Topfkräuter, eigene Jungpflanzenaufzucht, 2 Hektar Feldgemüse im Nachbarort.
„Der Aufbau war nur mit der SoLaWi möglich“, sagt Johannes im Hinblick auf seinen Start mit wenig Eigenkapital. „Das Risiko einzugehen, fiel leichter.“ Schlepper und weitere Geräte nutzen Gärtner und Landwirte gemeinsam bzw. leihen sie sich gegenseitig aus. Dennoch musste investiert werden, was aber weitgehend ohne Bankkredite ging: Die Packstraße, die Gemüsewaschanlage und die Kühlung trug die Genossenschaft. Salatbadewanne, Hoftrac und zwei Einachser, Sämaschine für Feldgemüse, Kompostwender, Futterstreuer für die Kleinflächendüngung – zusammen mehr als hunderttausend Euro – gingen auf Kosten der Gärtnerei. Hinzu kommt, dass der Standort nicht ideal für eine Gärtnerei ist: teils zu schwere, teils steinige Böden und im Schnitt 1200 Liter Jahresniederschlag. „Freilandtomaten gehen hier nicht“, weiß der Gärtnereichef. Und Bewässerung braucht es in den zunehmenden Trockenphasen dennoch.
Für eine SoLaWi zu produzieren, erfordert teilweise andere Arbeitsweisen als für Marktstand oder Großhandel. Es muss eher auf Stückzahl als auf Kilo produziert werden und es braucht eine gute Planung, denn es ist ein guter Mix gefragt, mit viel Salat. „Wichtig ist die Optik, die in der Kiste ist.“ Das Interessante am Modell SoLaWi ist für die Gärtner, die Moderation zwischen den Mitgliedern und der praktischen bzw. wirtschaftlichen Machbarkeit im Betrieb.
Solidarisch die Ernte teilen – wie?
Solidarische Landwirtschaft – das bedeutet, Konsumenten und Erzeuger werden zu Mitgliedern und wirtschaften gemeinsam. Die Ernte teilen ist das Motto. Gemeinsam werden Anbau und Mengen geplant, der Umfang eines Ernteanteils festgelegt sowie der monatliche Beitrag dafür. Die Erzeugung verantworten die Gärtner bzw. Landwirte, die Verteilung die SoLaWi. Freitags ist für die Jollinger Abholtag: Die wöchentlichen Anteile werden von Haupt- und Ehrenamtlichen der SoLaWi am Vortag in Kisten gepackt und von Mitgliedern zu zehn Verteilerstellen im Umkreis von ca. 20 km deponiert, mal in der privaten Garage, mal im Blumenladen. Hier holen die Mitglieder vor Ort ihre Kiste ab. Der Anteil für die kleine Kiste für zwei Personen liegt in diesem Wirtschaftsjahr bei 63 €, der für die große 3-5 Personenkiste bei 100 € monatlich, Brot und Eier zusätzlich. Obst ist nicht drin, auch nicht spezielle Gemüse wie Buschbohnen und Auberginen: die sind für die Gärtner zu aufwändig. Anders als bei einer Abokiste muss man einen Genossenschaftsanteil von 100 € einzahlen, damit man Mitglied wird, bei der SoLaWi Jolling eG mindestens für zwei Jahre. Wer mal reinschnuppern will, bezieht den Ernteanteil für drei Monate auf Probe. Mitarbeit, ob auf dem Feld oder beim Packen, ist gern gesehen, aber keine Pflicht. Zum Kennenlernen der Gärtner bzw. Landwirte und deren Arbeit gibt es weitere Aktivitäten.
Solidarisch wirtschaften – als Genossen
Es gibt verschiedenste Organisationsformen von SoLaWi. Eine Genossenschaft hat den Vorzug, dass sie im Eigentum der Mitglieder ist und Entscheidungen bzw. deren Umsetzung sehr transparent sind. Mitglied können zugleich Betriebe und Verbraucher sein. Sie zu gründen ist aber etwas aufwändiger: rechtliche Anforderungen, die Pflicht zur Mitgliedschaft im Genossenschaftsverband, der seine Mitglieder vor der Aufnahme, aber auch danach alle zwei Jahre prüft, ein ordentlicher Finanzplan und 2.000 € Jahresbeitrag für den Verband. Dafür können die Genossen gemeinsam entscheiden und investieren, einen finanziellen Grundstock legt der Genossenschaftsanteil. Oder sie tragen, wie 2022 gemeinsam per „Krautfunding“ die kriegsbedingt gestiegenen Energiekosten der produzierenden Betriebe.
In der SoLaWi Jolling eG kümmert sich ein dreiköpfiger Vorstand ums Tagesgeschäft, hauptamtlich, in Teilzeit: die Heilpraktikerin und ehemalige Prokuristin Melanie Schröter um die Finanzen, der Landwirt Hubert Mitterer um den Bereich Erzeugung und Packen, die Biologin Mareike Melain um Öffentlichkeitsarbeit und Mitgliederkommunikation, zusammen ungefähr eine Vollzeitstelle. Ein fünfköpfiger, von der Generalversammlung der eG gewählter Aufsichtsrat begleitet die Arbeit. Die Gärtner Johannes und Moritz hatten zwar keine Erfahrung mit der genossenschaftlichen Form, fanden aber nach Recherchen und Befragen von in dieser Art organisierten Kollegen den passenden Rahmen. Und dann ging es 2019/2020 ziemlich rasch, Johannes machte die Zahlen und Moritz das Marketing, u. a. mit einer professionellen Fotokampagne und Website. So konnte die SoLaWi mit ihrem Konzept überzeugen und ihre Mitglieder binnen eines Jahres bis 2021 fast verdoppeln.
Ort für Aktivitäten
Den Draht zu diesen zu halten, ist die Aufgabe von Vorständin Mareike Melain. Sie wohnt mit Mann und Kindern auf dem Kainzlhof und hat ihr Büro in einem Holzwürfel an der Gärtnerei. Jede SoLaWi muss ihren Stamm an SoLaWistas gut einbinden, ist doch die Zahl der Ernteanteile die Kalkulationsgrundlage fürs Jahr. Und überall ist Fluktuation. Die Jolling eG hat aktuell 280 Genossen, davon 60 neue, obwohl die Zahl kaum gestiegen ist. Kalkuliert und angebaut wurde für mehr. Mitglieder werden Menschen, weil sie etwas tun wollen gegen Klimawandel, wegen gesunder Lebensmittel, weil sie ein anderes, auch regionales Wirtschaften unterstützen wollen und durchaus auch, um Gleichgesinnte zu treffen.
Die gut gemachte Website lockt mit Berichten, guten Fotos und Rezepten. Eine Wochenmail hält die Mitglieder auf dem Laufenden und ruft auch zu den gelegentlichen gemeinsamen Feldaktionen auf, zu denen zwischen 3 und 15 Leute kommen. Zum Gratisjäten gibt es einen Gratiskaffee im Hofcafé im Glashaus. Der Frühjahrsmarkt macht mit Jungpflanzenverkauf, Kunsthandwerk und mehr Werbung für die SoLaWi, das Erntefest lädt zum gemeinsamen Feiern ein. Dazwischen gibt es eine Reihe weitere Aktivitäten: monatliche Hofführungen, Gemüseworkshops für Hobbygärtner, ein regelmäßiges Worldcafé mit den Mitgliedern, um Feedback und Ideen zur Mitgestaltung einzuholen, einen offenen Stammtisch, Konzerte sowie Fachtage zu Themen rund um den Ökolandbau. Der letzte fragte: Kann uns lokale Landwirtschaft ernähren?
Betriebe und Genossenschaft weiterentwickeln
Hilfreich für diese Aktivitäten der SoLaWi ist, dass die Gärtnerei sich um Backstube mit Hofcafé und einen Eventbetrieb – beides eigenständige Gewerbe – erweitert hat – das ergänzt den SoLaWi-Ansatz ideal. Regelmäßig blicken Gärtner und der Vorstand der SoLaWi auf die wirtschaftliche Seite: eigentlich braucht es noch etwas mehr Mitglieder. Immer wieder wird in der SoLaWi das Thema samenfeste Sorten diskutiert – die Gärtner sind hier bei 70 Prozent samenfestem Pflanzgut, bei Saaten ca. bei 50 Prozent. Hinsichtlich Gemüseoptik und -ertrag mehr ins Risiko zu gehen, ist aber für die Gärtner – Grenzertragslage, kleine Sätze – wenn´s schief geht, in der Kiste nicht auszugleichen. Die Gastronomie ist jetzt schon ein zweiter Absatzkanal der Gärtnerei, die Gärtner könnten sich vorstellen, dorthin mehr zu liefern: Denn hier gilt ein ganz anderer Blick auf die Ernte, Gastwirte brauchen auch eine Geschichte zum Gemüse und die liefert Jolling.
Kann die Genossenschaft – nicht stadtnah gelegen- noch mehr Mitglieder gewinnen? Gibt es nicht auch Konkurrenten, normale Gärtnereien, Bioläden, andere SoLaWis? Für Mareike Melain sind andere SoLaWis jedenfalls keine Konkurrenz, eher Multiplikatoren des Gedankens. „Das macht mir meine Arbeit einfacher.“ Sie findet, dass besonders die Vielfalt der Menschen in einer SoLaWi bereichernd ist, auch wenn sie hier und da herausfordernd sein kann. Es kommen so viele verschiedene Fähigkeiten zusammen! Überzeugt von diesem Modell, arbeitet sie im AK SoLaWi-Genossenschaften des Netzwerks Solidarische Landwirtschaft e.V. an dessen Weiterentwicklung mit. Immerhin fast 30 genossenschaftliche SoLaWis gibt es in Deutschland, von insgesamt rund 500 solidarischen Landwirtschaften.
Andi und Sabine vom Kainzlhof genießen ebenfalls die Vielfalt und das Leben, das sich in der Nachbarschaft entwickelt hat. Sie haben etwas Großes angestoßen, betrieblich können sie sich nun wieder mehr auf ihren eigenen Hof konzentrieren, auch wenn die Verbindung zur SoLaWi eng bleibt, nicht nur bei den vielen gemeinsamen Feiern. Die vielfältigen Aufgaben am Hof fordern: Aktuell kümmert sich Michal, ein ehemaliger Wwoofer (willing worker on Organic farms) um den Gemüseanbau. Um die Vielfalt am Hof von Fleischvermarktung über Getreideanbau bis Milchproduktion erhalten zu können, suchen Andi und Sabine derzeit Unterstützung durch eine Teilzeitkraft, im Februar scheidet die Auszubildende aus. Sie können sich auch vorstellen, neue Betriebszweige wie Milchverarbeitung oder verstärkte Bildungsarbeit dazu zu nehmen, um die Stelle auszubauen – Ideen gibt es noch genug.
Michael Olbrich-Majer
Redaktion Lebendige Erde
michael.olbrich(at)demeter.de
SoLaWi Jolling eG
Solidarische Landwirtschaft mit 3 Demeter-Betrieben: Mehrhof-SoLaWi
Gärtnerei Jolling, Johannes Schindhelm: 2800 qm geschützter Anbau, 3 ha Freilandgemüse, freitags Backstube und Hofcafé
Kainzlhof – Andi und Sabine Mitterer: 34 ha, davon 13 Acker, je 1 ha bzw. Feldgemüse, plus 5.5 Wald; 32 Kühe, Nachzucht bis 10 Monate,
Endmast am Hof, 6 Schweine, Milchlieferung an Berchtesgadener LandHubert Mitterer: Kartoffelanbau; Fleischvermarktung (ab Hof, nicht SoLaWi)
280 Ernteteilende
Zusatzangebote: Woifmarhof, Familie Mayer (Eier), Backstube Jolling (Brot), Imkerei Leingärtner (Honig)
SoLaWi Jolling eG, Jolling 14, 83093 Bad Endorf, 08053-49440, www.jolling.de