Schwerpunkt

Rudolf Steiners weltweite Wirkung

Impulse für nachhaltige Landwirtschaft und ländliche Entwicklung

von Tadeu Caldas

 

Was 1924 nur ein Kurs für ein handverlesenes Publikum in einem schlesischen Gutshaus war, ist heute, nach 90 Jahren eine konzeptionelle und praktische Kraft im Gebiet der Landwirtschaft und ländlichen Entwicklung geworden, die ihre originellen und kreativen Wellen nach wie vor aussendet. Ihre Wirkungen sollten nicht nur anhand der noch relativ kleinen zertifizierten Demeter-Fläche beurteilt werden, sondern anhand des breiteren Einflusses auf Ideen und Praktiken der organischen und nachhaltigen Landwirtschaft. Zwar sind nur 150.000 Hektar weltweit Demeter- zertifiziert, bei 39 Millionen Hektar organisch und hunderten Millionen, die nachhaltiger als der agrarische Mainstream bewirtschaftet werden, doch gehen meiner Ansicht nach einige Schlüsselideen und Innovationen auf diesen Kurs zurück.

Vorbild für Prinzipien und Regeln

In den 1970er bis 90 er Jahren, als ökologische Systeme zunehmend Akzeptanz bei Regierungen und Hochschulen fanden, waren die wenigen Beispiele eines über lange Jahrzehnte produktiven, ökonomisch stabilen, nachhaltigen Landbaus Demeter-Betriebe, von Pionieren gegründet, die der Kurs in Koberwitz inspiriert hatte. Die Vorlage für die Öko-Standards der IFOAM wurde in den 1980ern mit Blick auf die schon lange bewährten Demeter-Standards verfasst, als Praktiker und Forscher aus der biodynamischen wie der organischen Bewegung unter dem Dach der IFOAM zusammenarbeiteten, ebenso wie später die Bauern und die Forscher. Jan von Ledebur vom Forschungsring für Biologisch-Dynamische Wirtschaftsweise und die FiBL-Mitarbeiter und Mitglieder trugen hierzu Wesentliches bei. In diesen Jahren, als sich die organische Bewegung formte, waren zeitweise die Hälfte des IFOAM- Vorstandes Biodynamiker, z. B. zwischen 1990 und 1994 Jan von Ledebur, Tadeu Caldas, Jan Diek van Mansvelt und Rainer Bächi. Pierre Ott und später auch Patrick Holden hatten Biodynamik bei Herbert Koepf am Emerson College kennengelernt.

 

In dieser Zeit wurde auch die EU aufmerksam auf die von IFOAM vertretenen Farmer und ihre Methoden, die Lösungen für Ernährungssicherheit und Umweltprobleme versprachen. Akzeptanz, Förderung und eine gesetzliche Regulierung folgten: Der Entwurf der EU-Öko-Verordnung 1991 folgte den IFOAM Standards ebenso wie das National Organic Program des US Agrarministeriums im Jahr 2000.

 

Der Einfluss biodynamischer Prinzipien wie Selbstversorgung auf Grundlage geschlossener Kreisläufe bei Böden und Pflanzenährstoffen oder die Entwicklung biodynamischer Betriebsorganismen diffundierte tief in die akademische Welt wie auch in die Politik. In Dokumenten der FAO anlässlich der Konferenz in Rio 1992 finden sich bereits bemerkenswerte Aussagen wie: „Es ist erforderlich, die Landwirtschaft zu intensivieren, indem die Produktionssysteme diversifiziert werden im Hinblick auf maximale Effizienz in der Nutzung lokaler Ressourcen, und dabei Umwelt – und ökonomische Risiken zu minimieren...“. Das erinnert an Steiners Konzept des individuellen Betriebsorganismus. Im gleichen Jahr verabschiedete die UN ihre Konvention zu Biodiversität und rief damit Bauern auf, in ihrem Anbau und ihren Flächen auf Vielfalt zu achten. Von nun an definierte und förderte auch die FAO nachhaltige Landwirtschaft, stellte eine Referenz für Agrarpolitik weltweit auf. Heute arbeiten FAO, WHO und UNCTAD gemeinsam daran, die multifunktionalen und bereichsübergreifenden Vorteile der ökologischen und nachhaltigen Landwirtschaft aufzuzeigen und mehr zur Geltung zu bringen.

Ganzheitliche Sicht und Partizipation

Ursprünglich formulierte Steiner während seiner Vorträge in Koberwitz das Konzept eines landwirtschaftlichen Ökosystems. In der Wissenschaft wurde dieser Begriff erst in den späten 1930er Jahren benutzt. Die Beziehung zwischen den Elementen des Agrar-Ökosystems wurde erst deutlich in Untersuchungen von Landwirtschaftssystemen in den 1970ern. So zeigte die Beschreibung der Energieflüsse, dass biodynamische Systeme effizienter waren als die von Energie und Erdöl abhängige konventionelle Landwirtschaft. Die Bedeutung der Vielfalt im Betrieb maß sich später auch durch die Ermöglichung von Ökosystemleistungen.

 

Steiner regte auch ein neues Verständnis von Spurenelementen in der Landwirtschaft an, einschließlich Silicium und anderer Mikronährstoffe. Seine ganzheitliche Sicht und seine Empfehlungen zur Entwicklung lebendiger Böden als Grundlage für gesündere Lebensmittel ist heute gültige Wahrnehmung, wie z. B. die „gute landwirtschaftliche Praxis“ der FAO beschreibt.

 

Steiner schätzte ebenfalls traditionelles indigenes Wissen und forderte gesündere Landwirtschaftspraktiken, die bäuerliche Weisheit und ganzheitliche Wissenschaft verbanden. Die biodynamischen experimentellen Kreise vereinten denn auch Bauern und Forscher auf der Suche nach Lösungen für landwirtschaftliche Betriebe. Diese Herangehensweise wurde später in den 1980ern die Grundlage für eine Revolution der Forschungsmethoden weltweit, die die Wissenschaft nötigten, sich mit Landwirten zu verbinden und bodenständige Wissenssysteme in die Forschungsstrategien und Verfahrensentwicklung einzubeziehen. Ein neues Konzept, partizipative Forschung und Entwicklung von unten her, wurde kreiert: Grundlage war Robert Chambers (University of Sussex) Formulierung: „Den letzten nach vorne stellen“. Das biodynamische Emerson College, ebenfalls in Sussex, wurde damals eingeladen, zu diesem Ansatz beizutragen. In seinen Kursen kamen Studenten auch mit Paolo Freires „Erwachsenenbildung als Freiheitspraxis“ in Berührung, einer Methode, Bauern in partizipa­tive Entwicklung einzubeziehen. Ein ganz anderer Aspekt, heute weitverbreitet, ist der Einsatz von Mischkultur und pflanzlichen Pesti­ziden.

Weltweit praktiziert und zunehmend anerkannt

Der Einsatz biodynamischer Präparate wird heute als gute landwirtschaftliche Praxis in Indien, China und inzwischen Bhutan gefördert. Empfindliche Kristallisation und Bodenchromatographie überwinden langsam die Beschränkung auf die biodynamische Bewegung, werden von Wissenschaftlern wie von Praktikern genutzt. Der biodynamische Kurs in Brasilien wird von einer nahen Universität anerkannt. Biodynamische Praktiken werden von mehr als 600 Weingütern und den wichtigsten Winzern in Frankreich, Deutschland, Italien, USA, Argentinien, Chile und Aus­tralien genutzt. Kompost mit Ehrenfried Pfeiffers Kompoststarter wird überall in der Welt hergestellt, und Maria Thuns Aussaattage werden in mehr als 50 Ländern übersetzt.

 

Insgesamt hat Rudolf Steiner 1924 einen neuen Weg für die Entwicklung einer ganzheitlicheren Wissenschaft und Praxis der Landwirtschaft eingeführt, der zeigt, wie optimale Produktivität und hohe Ernährungsqualität in den sehr diversen Klimaten unseres Planeten auf ökonomisch und kulturell völlig unterschiedlichen Betrieben erreicht werden kann.

 

Das unvoreingenommene Engagement für eine Agrikultur, die über gute Landwirtschaft hinausgeht, war entscheidend für die Ausbreitung biodynamischer Prinzipien in die breite Landwirtschaft: So gibt es heute eine Basis für eine nachhaltige Landwirtschaft, mit Respekt für den weiten ganzheitlichen Impuls Rudolf Steiners in Koberwitz.

Übersetzung: mom

Autorennotiz:

Tadeu Caldas berät international zu Biodynamik, Ökolandbau und zu Nachhaltigkeit,

www.ecotropic-consulting.com