Schwerpunkt

Tierwohlberatung auf einem Milchviehbetrieb

Die Praxis zeigt auch Nutzen für die Landwirte

von Peter Hinterstoißer

 

„Die Kühe können sich im Tiefstreubereich so ablegen und wieder aufstehen wie auf der Weide. Und an den Vorderfußwurzel- und Sprunggelenken sind keine kahlen Stellen oder Irritationen erkennbar. Auch keine Verschmutzungen oder festgeklebte Placken. Gutes Einstreumanagement. Von dieser Seite ist wahrscheinlich die Eutergesundheit in Ordnung. Tiefstreu und Eutergesundheit ist ja so ein Thema. Wie sieht es da in Ihrer Herde aus?“

 

„Das haben wir im Griff. Die ersten Jahre als ich hier angefangen habe, war Eutergesundheit ein Problem. In der Tankmilch hatten wir oft so gegen 300.000 Zellen. Das haben wir dann aber in Griff bekommen. Wir fixieren die Kühe nach dem Melken, wenn sie zum Fressen gehen, erstmal, bis der Schließmuskel der Zitzen wieder zugemacht hat, und beim Einstreuen sind wir sowieso gut dahinter. Von der Eutergesundheit her ist bei uns die Tiefstreu mittlerweile kein Thema. Aber das mit dem freien Liegen mag schon gut und schön sein, vom Hinlegen und Aufstehen her. Aber die rangniederen Tiere liegen nicht lang, wenn eine Stärkere durchgeht. Aber das ist Ihnen sicher schon aufgefallen, dass einige Tiere dabei sind, die ganz schöne Streifen in der Haut haben. Zu viele.“

Beratungsinstrumente

Ein Tierwohlberatungsgespräch orientiert sich wie im oben beschriebenen Beispiel an dem von den vier Anbauverbänden in NRW entwickelten „Leitfaden Tierwohl für Rinder, kleine Wiederkäuer, Schweine und Geflügel“. Als Instrumente dienen eine Checkliste für die Beratung und ein darauf aufbauendes Beratungsprotokoll. Auf Milchviehbetrieben können mit Hilfe des Betriebsradars zusätzlich Parameter der Eutergesundheit, der Fütterung und Fruchtbarkeit aufgenommen werden. Die Datengrundlage liefern die Zwischenberichte der Milchleistungsprüfung, die Besamungsunterlagen und Futteruntersuchungen. Die Ergebnisse des Betriebradars gehen wie die der Checkliste in das Beratungsprotokoll ein. Das Betriebsradar ist eine Darstellung der Tiergesundheits- und Leistungsdaten in Form eines Netzdiagramms. Diese genauere Betrachtung von Leistungsdaten besteht auch für Zuchtsauen.

 

Anhand der Checkliste für die Beratung beurteilen der Landwirt und der Berater gemeinsam tierbezogene Indikatoren wie Körperkondition oder Sauberkeit und die Aufstallung. Das Beratungsgespräch entwickelt sich, Fragen werden gestellt und Antworten gesucht. Im Anschluss analysieren Landwirt und Berater die Ergebnisse und leiten im Beratungsprotokoll Stärken und Schwächen in der Haltung, Fütterung, Gesundheit und Leistung der Tiere ab. Abschließend verständigt man sich auf konkrete Ziele und formuliert verbindliche Maßnahmen. In NRW ist die Tierwohlberatung Teil eines Pilotprojekts mit Modellcharakter für das Bundesgebiet.

 

Die einzelbetriebliche Tierwohlberatung kann auch als Hofgespräch durchgeführt werden. Wie beim Seminar „Tierwohl in der Rinderhaltung“ im Februar 2014 können zudem Gruppenberatungstermine zu Themen wie Liegeboxengestaltung und -pflege, Kälberaufzucht, Eutergesundheit, etc. angeboten werden. Auch solche Beratungsinstrumente eignen sich, um in die beschriebenen Themen einzusteigen und einen Mehrwert für den Landwirt zu schaffen. Verbesserungen in der Tiergesundheit sind besonders im Ökolandbau, der suboptimale Haltungsbedingungen nicht mit Antibiotika etc. kaschieren kann, letztlich mit einer Mehrleistung der Tiere bzw. einer Qualitätssteigerung der Produkte verbunden. So zahlt sich eine Beratung zum Beispiel in der monatlichen Milchgeldabrechnung aus.

Im Beratungsgespräch

Zusätzlich kommen zu den Tiergesundheitsaspekten des überverbandlichen Leitfadens auch die besonderen biodynamischen Aspekte im Bereich Tierwohl zur Sprache. Land­wirt und Berater tauschen sich zu Alternativen zur allopathischen Behandlung von Erkrankungen, Fragen der Züchtung, Umgang mit einer behornten Herde und der Mensch-Tier-Beziehung auf dem Hof aus.

Warum Tierwohlberatung?

Im Hinblick darauf, dass Tierwohl in der Verbandskontrolle seit 2014 abgeprüft wird, bietet die Beratung vorab eine Möglichkeit, den Stall und die Herde dahingehend zu eichen. Unabhängig vom Einhalten der Verbandsrichtlinien kann Tierwohlberatung als eine Hilfe im Sicherstellen und Erreichen eines hohen Standards in der Tierhaltung und als Begleitung in einem Optimierungsprozess verstanden werden. Die Chance besteht auch darin, neben den Parameter die das Wohlergehen und die Gesundheit der Tiere beeinflussen, auch solche in den Blick zu rücken, die die Leistung beeinflussen; eine solche Ausweitung der Beratung ist naheliegend.

Zurück zum Beispiel

In unserem Beratungsbeispiel stellen sich hornstoßbedingte Hautverletzungen an Hals und Flanke als die dringlichste Herausforderung heraus. Über zehn Prozent der Tiere weisen Verletzungen auf, ein Umstand, der dem Landwirt bekannt ist und nicht gefällt. Nach bisheriger Erfahrung sind den meisten Landwirten etwaige Schwachstellen in der Tierhaltung bewusst. Neben augenscheinlichen Verbesserungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel einer ausreichend weichen Liegebox bei kahlen Hautstellen an Gelenken, stellen sich die meisten Beratungsfälle in der Praxis deutlich komplexer dar.

 

So auch in unserem Beispiel. Die Herde wird zu den Hauptfutterzeiten nach dem Melken im Selbstfangfressgitter fixiert. So ist neben den beschriebenen Effekten auf die Eutergesundheit auch eine ungestörte Futteraufnahme für alle Tiere möglich. Die Fressplätze sind ausreichend breit, das Fress-Liegeplatzverhältnis liegt bei 1 zu 1,1 und der Stall ist nicht überbelegt. Auf den ersten Blick reicht das Raumangebot – nach Literatur – für die 50-köp­fige Herde aus. Nachteilig wirkt sich aber die fehlende Trennung der Funktionsbereiche Liegen und Fortbewegung aus. Ruhende Tiere liegen auf einer nach allen Seiten offenen Fläche. Eine Ursache im gehäuften Auftreten von Verletzungen kann auch im zu geringen Raumangebot im Wartebereich vermutet werden. Im Laufe des Gesprächs stellt sich noch heraus, dass das Melkpersonal häufig wechselt.

 

Berater und Landwirt diskutieren Lösungsmöglichkeiten im Raumangebot und der Strukturierung des Liegebereichs. Tretmistställe können durch Anbringen einfacher Strukturelemente wie Fluchtketten oder Balken in kleinere Bereiche unterteilt werden. Dabei ist aber darauf zu achten, dass diese Unterbereiche ausreichend groß sind, damit sie nicht von einer einzelnen Kuh blockiert werden können. Die Struk­turelemente müssen ohne Gefahr für Verletzungen montiert werden. Flüchtende Tiere sollen im Notfall unten hindurch schlüpfen können.

 

Als weitere Stellschraube identifizieren Berater und Landwirt den ruhigen und konsequenten Umgang mit der Herde, auch unter Zeitdruck. Vor allem beim Melken soll die Herde in einem entspannten Zustand im Wartebereich stehen, und so das geringe Raumangebot von dieser Seite angegangen werden. Zusammen mit einer Vergrößerung des Wartebereichs können die hornbedingten Verletzungen zurückgehen. Landwirt und Berater fixieren dieses Ziel und die Maßnahmen im Beratungsprotokoll. Ob die eingeleiteten Maßnahmen zu einer Verbesserung führen, bedarf der Rückkoppelung.

Finanzierung

Idealerweise setzt Beratung einen stetigen Verbesserungsprozess in Gang, der zum Halten eines hohen Standards in der Tierhaltung sowie zu einer Steigerung der Produkt­qualität – z. B. Milch – genutzt wird. Mit den Beratern aus unserem Demeter-Berater-Netzwerk stehen Ansprechpartner zu den verschiedenen Tierarten zur Verfügung. In NRW wird die einzelbetriebliche Beratung für die Betriebe aus Landesmitteln finanziert. Denkbar ist auch ein Modell, in dem Molkereien Tierwohlberatung für ihre Lieferanten als Instrument der Qualitätssicherung anbieten und bezahlen.

Autor

Peter Hinterstoißer ist Trainee in der Demeter-Beratung Mitte-Nord.

 

Kontakt über Demeter-Erzeugerberatung Mitte-Nord:

Peter Hinterstoißer, Trainee,

Tel.: 06155-846936, peter.hinterstoisser(at)demeter.de