Schwerpunkt

Ökonomie muss neu erfunden werden

Die Biobranche sollte Vorreiter für ein anderes Wirtschaften werden

von Dr. Alexander Beck

 

Unser ressourcenbasiertes Wirtschaftssystem ist auf Wachstum ausgelegt: Es ist aber längst an seine Grenzen gestoßen. Wir überstrapazieren unseren Planeten, denn wir missachten das Primat der Nachhaltigkeit und tun so, als hätten wir nicht einen, sondern 1,3 Planeten. Es gibt keine weiteren Wachstumsperspektiven ohne Zerstörung der Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen durch Klimawandel, Verlust der Biodiversität und Überschreiten des Peak Oil.

 

Das volkswirtschaftliche Wachstum wird als Bruttoinlandprodukt (BIP) gemessen. Haben wir ein Jahr mit Null-Prozent Wachstum, gilt dies als ökonomische Katastrophe. Wachstum generiert sich entweder aus dem zunehmenden Verbrauch von Material und Energie. Oder aus der Steigerung der Effizienz in Produktion und Dienstleistung, die dann in besserer Wettbewerbsfähigkeit, höherer Produktion oder mehr Dienstleistung mündet.

 

Die Folgen der Wachstumsorientierung sind eine sich selbst beschleunigende Konsumschlacht, verbunden mit zunehmend unzufriedenen Menschen, einhergehend mit dem exzessiven Verbrauch an Material und Energie, der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und dem massiven Export von Armut in die Regionen, in denen bettelarme Menschen unter unakzeptablen Bedingungen zu extrem niedrigen Lohnkosten Billig-Produkte herstellen.

Rolle der Biobranche in der Wachstumsgesellschaft

Aber wo steht die Bio-Branche? Es wird zwar viel über Partnerschaft und fairen Markt geredet und das ein oder andere auch umgesetzt. Doch letztendlich ist die Öko-Branche denselben wirtschaftlichen Mechanismen wie konventionelle Märkte ausgesetzt. Das seit zwanzig Jahren aufregend dynamische Wachstum von rund 10 Prozent im langjährigen Durchschnitt – für die Lebensmittelbranche mehr als sensa­tionell – hat im Biobereich Gestaltungsspielraum geschaffen. Theoretisch auch im Hinblick auf Konzepte der Fairness und der wirtschaftlichen Partnerschaft. Einige Beteiligte haben diesen Gestaltungsspielraum genutzt, um neue Konzepte zu erproben und zu implementieren.

 

Die Kernfrage lautet hier: Sollten Öko-Unternehmen Vorreiter sein für eine Null-Prozent-Wachstumsstrategie? Sollten sie vorleben, wie man ein Unternehmen ohne Wachstum erfolgreich führt und damit Vorreiter sein für eine „nachhaltige Ökonomie“? Oder geht es um neues ökologischeres Wachstum entlang von Nachhaltigkeitsleitplanken (Green economy). Also weiter wachsen, nur ökologischer?

Ersteres steht möglicherweise im Widerspruch zum erklärten Ziel der Branche, in der Lebensmittelwirtschaft nachhaltiges ökologisches Wirtschaften umzusetzen, und zwar zu 100 Prozent. Der zweite­ Ansatz löst nicht wirklich das Problem des Ressourcenverbrauchs, sondern mildert es nur ab.

 

Wachstum wird immer noch gleichgesetzt mit Erfolg und ist Garant für erreichte Ziele. Andere Wirtschafts­modelle werden gesellschaftlich nicht wirklich diskutiert.Die Marktwirtschaft hat viele Stärken. Ihre größte ist wahrscheinlich die Freiheit, die es ermöglicht, die Kreativität der Menschen freizulegen. Aber sie führt in der heutigen Gestalt auch zu Monopolbildung, Marktbeherrschung, Korruption, Ausbeutung von Menschen und Ressourcen.

 

Regionalkonzepte propagieren, dass viele kleine Akteure regional dasselbe leisten können wie ein Großer überregional. Aber griffige Konzepte sind nicht vorhanden und werden nur von wenigen Marktteilnehmern ernsthaft verfolgt. Die Fragestellung muss also so weiter entwickelt werden: Sie muss eine Antwort darauf ermöglichen, wie Bio-Akteure den Markt erfolgreich gestalten und dabei gleichzeitig das Wirtschaftssystem beeinflussen, so dass dieses nachhaltige Antworten ermöglicht auf die Umweltprobleme und die sozioökonomischen Herausforderungen unserer Zeit.

Was, wenn der Biomarkt stagniert?

Schauen wir nüchtern auf die Branche. Wachstum muss finanziert werden. Manche Unternehmen der Bio-Branche sind in der sprunghaften Entwicklung des Bio-Marktes an ihre Grenzen gestoßen. Investitionen in neue Produktionsanlagen und Rohstoffe müssen vorfinanziert werden. Dies geht nur mit Banken oder frischem Geld aus Beteiligungen. Letzteres hat die Branche stark verändert. Viele „Naturkostmarken“ sind heute Produkte verlängerter Werkbänke oder nur noch „Markenzauber“. Ganze Sortimente werden im Lohn von anderen Firmen hergestellt. Das ist zunächst nicht verwerflich, wird aber dann problematisch, wenn die Kunden glauben, im Bio-Markt mehr Transparenz vorzufinden als im konventionellen Markt. So ist bei vielen Naturkostmarken heute nicht klar, wer der Hersteller ist. Diese Intransparenz spiegelt auch die große Schwäche geteilter Markenstrategien wieder, wenn Firmen zugleich für den LEH und den Fachhandel produzieren.

 

Doch was passiert, wenn der Bio-Markt nicht mehr wächst oder sogar schrumpft? Dann wird der Kostendruck noch massiver und führt in der Folge zu den bekannten Kollateralschäden: Einsparungen in der Produktion, beim Personal und bei Rohstoffen. In England konnte man in den letzten Jahren beobachten, wie schnell eine solche Lage entstehen kann. In einem degressiven Markt greifen die Kostenmechanismen voll durch und damit all die Faktoren, die dazu geführt haben, was die konventionelle Lebensmittelwirtschaft heute im Negativen darstellt. Die Öko-Lebensmittelwirtschaft scheint mir weder auf eine solche Situation vorbereitet noch hat sie sich Strukturen gegeben, die eine solche Entwicklung verhindern können. Das ist eine substanzielle Schwäche.

 

Die Branche hat von Anfang an den Fachhandel etabliert. Sie agiert dort in einem besser geschützten Raum, sichert sich höhere Margen und federt den Preisdruck des konventionellen Marktes ab. Dieser erfolgreichen Strategie lastet der Makel an, dass sie nur in der Nische funktioniert. Sie kann damit im Gegensatz zum Ziel der „Gesamtumstellung“ der Lebensmittelwirtschaft gesehen werden. Aus meiner Sicht leistet diese Strategie hauptsächlich dann positive Beiträge zur Entwicklung, wenn die Akteure Vorreiter für die Weiterentwicklung des Marktes sind. Schaffen sie das nicht, droht ihnen dasselbe Schicksal wie der Reformwarenbewegung.

Was ist zu tun?

Transparenz ist extrem wichtig. Es geht um Glaubwürdigkeit. Diese ist Voraussetzung, um mit den Bürgern weiter an der „Umstellung der Lebensmittelwirtschaft“ zu arbeiten. Wird zu viel Nebel produziert, wird der Bürger enttäuscht sein und seine Unterstützung zurückziehen. Warum steht beispielsweise bei nur ganz wenigen Marken „produziert von… für…“ drauf? Ich verstehe, dass solche Aussagen Verbindlichkeiten schaffen in Richtung Hersteller und Erzeuger. Aber ist es nicht genau diese Verbindlichkeit, die die Bio-Branche von den konventionellen Kollegen unterscheidet?

 

Auf betriebswirtschaftlicher Ebene bieten neue Systeme zur Messung der betrieblichen Leistung verfolgenswerte Ansätze, die bisher von einigen Bio Unternehmen genutzt werden. Das spannendste ist die Gemeinwohlökonomie. Deren Protagonisten belassen es wohlweislich nicht dabei, sondern fordern konsequent eine Neuausrichtung des Wirtschaftssystem. Übrigens in bester Tradition von Silvio Gesell.

 

Eine Reihe ökonomischer Rahmenbedingungen lassen sich nur politisch ändern. Deshalb wünsche ich der Branche mehr Mut, die Fragen nach dem Umbau des Wirtschaftssystems öffentlich zu formulieren und einen Rahmen für „nachhaltiges Wirtschaften“ weltweit einzufordern. Bei aller Kontroverse, bei allen politischen Bedenken: Wir brauchen die gesellschaftliche Auseinandersetzung darüber, um langfristig das Überleben der Menschheit zu sichern.

Autor

Dr. Alexander Beck ist Vorstand der Assoziation Ökologischer Lebensmittelhersteller AÖL

http://www.aoel.org