Schwerpunkt

Verarbeitung auf dem Hof – Chance oder Arbeitsfalle ?

Einstieg in die handwerkliche Lebensmittelverarbeitung als Perspektive der Betriebsentwicklung

von Irene Leifert

 

Der Biomarkt in Deutschland boomt weiter. Indikatoren dafür sind steigende Umsatzzahlen mit Bioprodukten in den letzten Jahren. Im Naturkostfachhandel lagen die Umsatzzuwächse in den letzten Jahren fast immer um die 10 Prozent. Diese Zahlen werden auch von gut aufgestellten landwirtschaftlichen Direktvermarktern erreicht. Produkte mit eindeutigen Herkunftsangaben werden von bewussten Kunden bevorzugt. Bio – regional – lokal, das sind Attribute, die die Kaufentscheidung von Kunden positiv beeinflussen. Also: noch nie war die Marktlage so gut für Produkte direkt vom Hof. Ist das eine gute Voraussetzung, um in die Verarbeitung von landwirtschaftlichen Produkten einzusteigen oder diese zu erweitern?

Motiv erkennen, Ziele herleiten

Die Entwicklung landwirtschaftlicher Betriebe orientiert sich an langfristigen Trends im Bio-Markt. Der Einstieg in die Weiterverarbeitung landwirtschaftlicher Produkte ist da eine Möglichkeit. Schnell verbinden wir mit Betriebsentwicklung die Adjektive „größer, vielfältiger, umfangreicher“, auf jeden Fall: „mehr“. An dieser Stelle möchte ich jedoch betonen, dass Entwicklung im betrieblichen Kontext auch heißen kann, reduzieren und konzentrieren. Es kommt auf den Blickwinkel und die konkrete Ausgangssituation an. Wie kommt nun eine Betriebsleiterfamilie, eine Betriebsgemeinschaft zu einer guten Entscheidungsgrundlage, um sich für oder gegen einen Einstieg in eine eigene Hofverarbeitung zu entscheiden?

 

Was ist eigentlich genau der Auslöser für eine solche Überlegung? Die Antwort hierzu ist nicht immer im Zurückverfolgen zu finden, denn oft ist es ein langsamer, sich entwickelnder Prozess bei den Beteiligten. Dies ist aber die Gretchenfrage, die es gut zu beantworten gilt! Denn ist die Ausgangsfrage nicht klar, so kann oft das Ziel nicht prägnant benannt werden, das mit dem Einstieg in einen neuen Betriebszweig erreicht werden soll. Und wie und ob es erreicht werden soll, ist dann meist auch unklar. In dem Prozess der Entscheidungsfindung ist es jedenfalls hilfreich, die eigene Situation und die zu erreichenden Ziele aufzuschreiben. Je klarer alles festgehalten wird, desto konkreter können daran die nächsten Schritte im Hinblick auf die zu erreichenden Ziele geplant werden.

Ob sich´s rechnet, entscheidet auch die Vermarktung

In einen neuen Betriebszweig einzusteigen, wenn der Gesamtbetrieb wirtschaftlich nicht erfolgreich ist, ist ein Wagnis und bringt von Beginn zusätzliche Schwierigkeiten mit sich: Zum Beispiel sind dann Finanzierungszusagen fraglich. Das Ziel, mit der Verarbeitung im eigenen Betrieb die landwirtschaftliche Produktion innerbetrieblich zu subventionieren, kann in Ansätzen funktionieren. Dies ist aber meist nicht erfolgreich, wenn die angestrebten Endverkaufspreise erheblich über denen entsprechender Vergleichsprodukte (Qualität, Größe, Verpackung) liegen.

 

Mehr Wertschöpfung auf dem eigenen Betrieb generieren, selbstbestimmt Preise und Leistungen festsetzen (Kosten- und Leistungssituation) und in der Konsequenz unabhängiger vom „Markt“ zu sein, das sind häufig genannte Motive für den Einstieg in die Weiterverarbeitung. Bei der Nachkalkulation für den Bereich der Verarbeitung wird in vielen Betrieben ein positives Betriebsergebnis erwirtschaftet. Die Aufwendungen für die Vermarktung der eigenen Produkte aber sind oft hoch und bei einer Gesamtbetrachtung kann die angestrebte Wertschöpfung oft nicht erreicht werden. Mit entscheidend für den Erfolg der eigenen Verarbeitung ist daher das Vermarktungskonzept. Dies muss nach intensiver Marktanalyse in Bezug auf Art der Produkte, Produktauftritt (Verpackung, Verpackungseinheit) und Vermarktungswege (Hofladen, Onlineversand, Marktverkauf, Einzelhandels- oder Großhandelsbelieferung) erarbeitet werden.

Persönliche Qualitäten und Ansprüche berücksichtigen

Neben den harten Fakten, die für die Entscheidungsfindung wichtig sind, sind auch die persönlichen Anforderungen, die durch den zusätzlichen Betriebszweig Verarbeitung gestellt werden, zu überprüfen. Fragen nach den zur Verfügung stehenden Arbeitszeitressourcen, fachlichen Qualifikationen und der weiteren grundsätzlichen Belastbarkeit müssen realistisch beantwortet werden. Rückenstärkung im persönlichen Umfeld für die nächsten Entwicklungsschritte ist wichtig, gerade in der Aufbauphase. In der Regel bedingt ein neuer Betriebszweig auch mehr Mitarbeiter und es sind u. a. folgende Unternehmereigenschaften wie Kreativität, Kommunikation, Führung, Kontinuität, Risikobereitschaft, Controlling besonders gefordert.

 

Die gesetzlichen Anforderungen an die Verarbeitungsstätten, die Arbeitsprozesse und die Dokumentationspflichten, insbesondere für tierische Verarbeitungsprodukte (Milch und Fleisch) sind in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Dies als Ansporn zu nehmen und die Bedingungen im eigenen betrieblichen Kontext sinnvoll und betriebsindividuell angepasst umzusetzen, ist anzustreben. Als Inverkehrbringer von Lebensmitteln tragen die Betriebsleiter die volle Verantwortung und müssen diese psychische Belastung aushalten und persönlich damit umgehen.

Austausch und Beratung nutzen

Bei der Entscheidungsfindung ist ein intensiver Austausch mit Kollegen und das persönliche Anschauen ähnlich arbeitender Betriebe hilfreich. Dabei sollten auch die negativen Aspekte oder Fehlerquellen zur Sprache kommen, damit bei der eigenen Umsetzung andere Antworten gefunden werden können. Das spart Zeit und Kraft. Ebenso sollte Fachberatung mit einbezogen werden, was die Eigenreflektion im Entscheidungsprozess fördert. Es hilft, einen klareren Bild für den eigenen Weg zu finden, wenn man den Zugang zu Arbeitsgruppen sucht, die ähnliche Fragestellungen haben. So kann man von Erfahrungen anderer profitieren und in den aktiven Austausch gehen. Die Mitarbeit in solchen Erfahrungsgruppen oder Arbeitskreisen ist auch bei der Weiterentwicklung von Betriebszweigen empfehlenswert. Sie unterstützt dabei, den eigenen Blick auf den eigenen Betrieb zu schärfen, gibt Impulse für die weitere Arbeit.

 

Es gibt große und auch kleine Verarbeitungsbetriebe auf Bio-Höfen. Für beide Varianten gibt es sowohl erfolgreiche und weniger erfolgreiche Beispiele. Einige stellen ihren Verarbeitungsbetrieb ein, andere gehen voller Euphorie in die Neugründung. Das ist spannend. Aber ein generelles Handlungskonzept mit Erfolgsgarantie gibt es nicht. So vielfältig wie die jetzige Struktur der Bio-Betriebe ist, so vielfältig und unterschiedlich ist ihr Einstieg in die Hofverarbeitung. Erfolgversprechend sind die Konzepte, die berücksichtigen, dass die Professionalisierung im Bio-Business bestimmte Erwartungen und Ansprüche an die Produkte stellt. Die gilt es bestmöglich zu erfüllen. Dazu ist ein individuelles betriebs- und standortangepasstes Betriebskonzept zu erarbeiten, umzusetzen und zeitnah auf wechselnde Marktanforderungen zu überprüfen und anzupassen.

Autorennotiz

Irene Leifert – Beratung für Hofverarbeiter (Schwerpunkt Milch) und Direktvermarkter.

Konzeption, Businessplan, Controlling, Fach- und Prozessbegleitung, Betriebsentwicklung,

http://www.irene-leifert.de