Schwerpunkt

Hofübergabe: Keine Angst vor Fragen

Rahmen schaffen für das offene Gespräch

von Michael Wehinger

 

Hofübergabe beinhaltet mehr als die Übergabe eines landwirtschaftlichen Unternehmens. Aus meinen Erfahrungen als landwirtschaftlicher Familienberater stellt sich dieser Vorgang als ein sehr komplexes Geschehen dar, bei dem zwischenmenschliche Themen eine entscheidende Rolle spielen. Eine gute Lösung kann sich dann entwickeln, wenn jeder Beteiligte mit seinen Themen ernst genommen wird und seinen Platz findet. Dies kann dann geschehen, wenn alles offen ausgesprochen werden kann, vor allem auch Gefühle.

Rollen und Gefühle klären

Zunächst ist die Übergebergeneration gefragt. Sie muss sich darüber klar werden, was sie will. Dabei ist es hilfreich, sich klar zu machen, dass damit unweigerlich ein Rollenkonflikt verbunden ist: Einerseits wollen die Eltern allen Kindern gerecht werden. Auf der anderen Seite sind sie als Unternehmer verpflichtet, das Unternehmen so weiterzugeben, dass es zukunftsfähig ist. Auch die eigenen Erfahrungen als Übernehmer spielen eine Rolle: Mit welchem Auftrag wurde die Übernahme einst angetreten? Wurde dieser Auftrag erfüllt? Wie wurde dieser Rollenkonflikt von der vorigen Generation gelöst? Wie wurden die Geschwister abgefunden? All diese Erfahrungen haben Einfluss auf die Art und Weise, wie die aktuelle Übergabe gestaltet wird.

 

Übergabezeit bedeutet immer auch, mit der eigenen Vergänglichkeit konfrontiert zu sein. Manche bezeichnen den Übergabeprozess deshalb auch als das „kleine Sterben“. Wie leicht fällt mir das Loslassen? Wie möchte ich die neue Lebensphase gestalten? Wie sieht meine Versorgung aus? Was passiert, wenn ich krank werde? Wer bin ich, wenn ich alles abgegeben habe und die Nachfolger die Entscheidungen treffen? Wie geht es mir, wenn alte Geschäftspartner mit dem Sohn oder der Tochter verhandeln? Wie gestalte ich als Altenteiler meinen Platz im Betrieb? Wie verhalte ich mich, wenn die Nachfolger den Betrieb umstrukturieren und Betriebszweige abbauen, die mir wichtig waren?

Die Landwirtschaftliche Familienberatung unterstützt Landwirtschaftliche Familien-Unternehmen in Krisen und Umbruchsituationen wie Generations-, Ehe- und Partnerschaftskonflikte, Kommunikationsproblemen bis zu Fragen der Betriebsentwicklung, der Arbeitsorganisation oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Voraussetzung für die Beratung ist eine direkte Kontaktaufnahme durch die Ratsuchenden. Ein Schwerpunkt in der Arbeit der LFB ist die Beratung und Begleitung von Hofübergabe- bzw. Unternehmens­nachfolgeprozessen in landwirtschaftlichen Familienunternehmen. Auf der Homepage der BAG Familie und Betrieb sind die Adressen aller Mitgliedseinrichtungen und deren Beratungsangebote zu finden: http://www.landwirtschaftliche-familienberatung.de

Verborgene Aufträge und äußere Voraussetzungen

Für den Nachfolger oder die Nachfolgerin stellen sich ebenfalls gravierende Fragen: Welchen Auftrag bekomme ich und welchen kann ich annehmen? Welche Voraussetzungen brauche ich, um die Nachfolge antreten zu können? Bekomme ich den Segen auch von meinen Geschwistern? Sind die Übernahmebedingungen, wie etwa die Abfindung für die anderen Geschwister, für das Unternehmen tragbar? Wie wird mein Partner aufgenommen, und wie gehen er oder sie und wir als Paar mit den Erwartungen um? Welche Privatsphäre gibt es für unsere neue Familie bzw. Partnerschaft? Werden Veränderungen privat und beruflich akzeptiert? Werde ich unterstützt oder eher behindert in der Umsetzung meiner Pläne? Wie reagiere ich, wenn meine Veränderungswünsche als Missachtung der Leistung meiner Eltern ange­sehen werden?

Familie als System berücksichtigen

Für die weichenden Geschwister stellen sich wiederum andere Fragen: Wie geht es mir, wenn mein Bruder oder meine Schwester den gesamten Hof übertragen bekommt und ich eine verhältnismäßig geringe Abfindung erhalte? Traue ich dem Nachfolger zu, dass er den Auftrag der Eltern gut umsetzt? Hätte ich selbst gerne den Hof übernommen? Oder bin ich froh, dass es ein anderer getan hat? Wie wird die Arbeit wertgeschätzt, die auch ich bisher eingebracht habe? Was heißt für mich noch Heimat, wenn der Hof nicht mehr meinen Eltern gehört? Welchen Platz habe ich dann noch? Sind meine Eltern gut aufgehoben? Erhalten sie die nötige Unterstützung, um gut alt werden zu können? Welche Rolle spiele ich dabei?

Jede Familie muss ihren eigenen Weg finden – Beratung hilft dabei

In der Übergabesituation zeigt sich, dass jede Familie ihre eigenen Prozesse durchlaufen und ihre eigenen Antworten finden muss. Es gibt keine Rezepte. Jede Familie nimmt ihren eigenen Weg. Dabei können alte Wunden und Konflikte aus der Kindheit aufbrechen. Wichtig ist, dass eine Atmosphäre geschaffen wird, in der alle persönlichen und zwischenmenschlichen Fragen in respektvollem Umgang miteinander ausgesprochen werden können, auch Schmerz und Trauer über die Veränderungen, die die Übergabe mit sich bringt. Wenn es gelingt, damit gut umzugehen, kann das eine Chance sein, mit der Vergangenheit Frieden zu schließen. Wenn sein darf, was ist, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Lösung kommt, zu der alle mit gutem Gefühl „Ja“ sagen können.

 

Als landwirtschaftlicher Familienberater werde ich in der Regel bei problematischen Situationen zu Rate gezogen. Hilfe von außen zu holen, ist kein Zeichen von Schwäche. Der Blick und die Erfahrung von Externen – ob Bauernverband, Steuerberater, Landwirtschaftsamt oder Notariat – kann der erste Impuls sein, all die wichtigen Fragen auf den Tisch zu legen und ohne Angst darüber zu sprechen. Wie oft fällt der Satz: „Wir sollten uns mal zusammensetzen“, aber dann macht keiner den ersten Schritt. Diesen Schritt zu gehen, erfordert oft Mut. Wer ihn aufbringt und einen Rahmen schafft, in dem sich jeder äußern kann und das Gefühl bekommt, dass seine emotionale Befindlichkeit wahrgenommen und ernst genommen wird, wird meist belohnt durch eine sachliche und gute Lösung. Man muss sich aber auf den Weg machen und die rechte Zeit ist dann, wenn die Beteiligten bereit sind, sich dem zu stellen.

Hofübergabe: Adressen und Literatur

Hofübergabe und Existenzgründung:

Die Broschüre des AID geht auf alle Aspekte der Nachfolge und des Einstiegs ein. Wirtschaftliche wie persönliche Voraussetzungen für die Übernahme, praktische und rechtliche Gestaltung der Übergabe, Veränderungen bei den Versicherungen, Besonderheiten bei Nebenerwerb und natürlich die Gestaltung der Verträge – alle Grundlagen werden übersicht­lich erläutert. Auch die außerfamiliäre Hofübergabe wird dargestellt. Checklisten und Tipps ergänzen dieses zum Einstieg hilfreiche Heft.

AID-Bestell-Nr. 1186, 3,50 Euro

„Materialien zur Hofübergabe“

hat das Evangelische Bauernwerk in Württemberg e. V. zusammengestellt. Hier geht es um viele wichtige Details, die zu besprechen sind, wie die Alterssicherung der weichenden Generation, Geschwisterabfindung, Testament und Ehevertrag, Steuern und Eigentumsbewertung. Denn es gibt viele konkrete Fragen aller Beteiligten. Die enthaltenen Hinweise zu Musterverträgen sind eine ganz praktische Hilfestellung.

Bezug: Evangelisches Bauernwerk in Baden-Württemberg e.V., 74638 Waldenburg –Hohebuch, http://www.hohebuch.de

Im Internet:

Autor

Michael Wehinger leitet die Familienberatung beim Verband Katholisches Landvolk, Jahnstraße 30, 70597 Stuttgart,

Tel.: 0711-979 11 18, http://www.landvolk.de, wehinger(at)landvolk.de