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Wetterextreme puffern

Praktische Erfahrungen zur Selbstheilung unserer Böden

von Jens Petermann

Im August 2007 musste ich mir mein Scheitern als „erfolgreicher“ Landwirt eingestehen: Eine mannshohe Erosionsrinne in meinem Maisacker, verursacht durch drei Regengüsse mit je 30 mm/qm in zehn Tagen. Auch andere Schläge waren massiv betroffen. Dadurch bekam ich die Chance, meinen bisherigen Umgang mit dem Boden neu zu überdenken, mich intensiv mit ihm zu beschäftigen und seine Pflege anders anzugehen.

Die Veränderung meines Bodens bis hin zum Schadensereignis ist ein Komplex aus erklärbaren Zusammenhängen. Seine Chemie und die Physik waren die letzten messbaren Größen vor seinem Zerfall. War es alles am Ende eine Frage der mineralischen Düngung, des Pflanzenschutzes und der intensiven Bodenbearbeitung? Oder habe ich eine weitere Größe übersehen? Die dritte Größe des Bodenzustands ist seine Biologie, wahrscheinlich die Wichtigste. Ihre Bedeutung und wie sie gefördert werden kann, möchte ich anhand meiner Erfahrungen gern darstellen.

Analyse des Ist-Zustands unserer Böden

Es beginnt mit der Spatenanalyse zur Feststellung der aktuellen Struktur und Biologie: Wie geht es dem Boden? Es geht nicht um höchsten wissenschaftlichen Anspruch, sondern um die Schulung der Sinne darin, gesund von ungesund zu unterscheiden. Wer noch nicht viel über den Boden weiß, gräbt spatentief in Böden offener Wälder und Feldraine zur Wahrnehmung von Geruch, Beschaffenheit und Lebenszeichen wie Würmer etc. Gern kann man dieses Erlebnis wiederholen, bis sich ein Gefühl für die gemachten Beobachtungen einstellt. Mit diesem Eindruck wendet man nun diese Methode auf einem intensiv bewirtschafteten Boden an. Im Vergleich zu bereits gesammelten Eindrücken zeigen die schlechtere Struktur und der oft fehlende Geruch dieses Bodens seine kaum vorhandene Biologie an. Wenn der Boden muffig oder faulig riecht, dann vergammelt vergrabenes organisches Material bei zu wenig Sauerstoff im Boden. Optimal wäre das Verhältnis: Boden 50 %, Organik 10 %, Wasser 25 % und Luft 25 %. Bei diesem Verhältnis sollte man einen angenehmen Geruch, wie von Gartenerde an Gemüsewurzeln, wahrnehmen. Eine weitere sehr praktische Hilfe zur Analyse: Man nimmt eine kleine Hand voll Boden und setzt sie dem Strahl einer Handsprühflasche mit Wasser aus, um das Zerfließen seiner Struktur zu provozieren. Bleibt er relativ intakt, steht es gut um den Boden und seine Biologie. Wenn er zu brauner Brühe zerläuft, steht der Boden kurz vor seinem biologischen Ende.

Vielfältige Fruchtfolgen

Biodiverse Fruchtfolgen mit hohem Anteil mehrjähriger Kulturen tragen zur Erhöhung der Artenvielfalt und zur ausgewogenen Ernährung des Bodenlebens bei – daher sollten wir diese fördern. Pflanzen und ihre Wurzeln besitzen individuelle Eigenschaften. Monokultur bedeutet, das Team besteht allein aus ein und demselben Individuum, nur dupliziert. So ist ein Erfolg als Team unmöglich! Jede Art hat ihre Eigenschaft und spezielle Wirkung auf den Boden. Die Summe dieser Eigenschaften aller Arten im Zusammenspiel entscheidet über die Biodynamik der Böden. Die Quantität der Bodenbiologie ist direkt abhängig von der Biodiversität je Quadratmeter.

Untersaaten und Zwischenfrüchte

Sie dienen der weiteren Stabilisierung der Bodenstruktur und Förderung der Biodiversität von Pflanzen und Bodenleben. Ein brachliegender Boden ohne lebendige Wurzeln verfügt nicht über genügend Futter für den Erhalt der Bodenbiologie. Diese beiden Bausteine des Bodenaufbaus spielen eine tragende Rolle. Im Frühjahr (bei der Sommerung), im Herbst (bei der Winterung) und bei besonders rücksichtsloser Bodenbewirtschaftung auch über den Winter bis zur Sommerung verfügen unsere Kulturböden über zu wenig Wurzeln zur Ernährung des Bodenlebens. Erkläre Deiner Milchkuh, sie soll bei halber Ration volle Leistung bringen! Jeder Landwirt weiß, was bei zu wenig Futter im Stall passiert. Wenn das Bodenleben bei Hunger schreien würde, wäre Bodenbearbeitung ohne Gehörschutz oft nicht möglich.

Analyse der Anbauverfahren

Der Anbau von Kulturpflanzen muss auf Störfaktoren für das Bodenleben hin untersucht und dann optimiert werden – beispielsweise durch Anschaffung geeigneter Technik für die jeweilige Situation. Wenn dem Landwirt dieses Leben unter seinen Füßen wieder bewusst geworden ist, bleibt es seine Pflicht, mit derselben Achtung wie seinen Tieren im Stall gegenüber, die Arbeiten auf und im Boden dem Wohl der Bodenlebewesen unterzuordnen. Diese Bodenlebewesen entscheiden mit ihrer Gesundheit und ihrer Vielfalt über die Qualität unserer Ernten und unserer Nahrung und damit über die Gesundheit von uns. Also muss der Landwirt vor jeder Maßnahme die Wirkung auf die Bodenbiologie hinterfragen und entsprechend zum Wohl der Bodenbewohner entscheiden.

Ganzjährige Begrünung

Die ganzjährige Bedeckung der Bodenoberfläche bzw. Reduktion der Phasen von ungeschützter Bodenoberfläche zum Schutz vor UV-Strahlung, zu hohen Temperaturen und Austrocknung ist entscheidend. Wir leben in Zeiten des Klimawandels. Unsere Bodenoberfläche war, bevor der Mensch eingriff, wesentlich unverletzlicher, da sie mit mehr schützender Vegetation überzogen war. Ganz nebenbei eine Tatsache, die dem Boden half, Kohlenstoff einzu­lagern. Diese ungestörte Vegetation entlässt CO2 nicht als „Treib­hausgas“ in die Atmosphäre, sondern nutzt dieses als Pflanzen­nährstoff. Ein einfacher Zusammenhang, der sich uns so einfach nicht erschließen will, weshalb sonst die gerade geführte CO2-Diskussion? Niemand bleibt freiwillig in unerbittlicher Hitze in der Sonne und liefert sich dem Verdursten schutzlos aus! Die Klima­anlage unserer Böden ist die Vegetation. Wer jetzt noch fragt was wir gegen den Klimawandel unternehmen können, der bekommt die Antwort: Ganzjährige Bedeckung unserer Böden mit Vegeta­tion oder einer temporären organischen Schutzschicht.

Biomasse einbringen

Sämtliche nicht benötigte Biomasse muss in das Bodensystem zurückgeführt werden. Wichtig ist dabei die Vermeidung von Fäulnisprozessen durch die in den Boden eingearbeitete „unverdaute“ Biomasse. Die Stärke der Natur basiert im Wesentlichen auf ihrem geschlossenen Stoffkreislauf, dem ewigen Stoffkreislauf aus Leben und Tod. Je mehr wir diesen Kreislauf stören, desto unvollständiger, teils auch völlig verschwunden, sind geschlossene Stoffkreisläufe. Man kann von einer klassischen Stoffwechselstörung sprechen. Wir leben in der Überzeugung und in dem scheinbaren Wissen, jeden Mangel technisch ausgleichen zu können. Stimmt das? Wenn es tatsächlich so ist, warum wachsen dann unsere Probleme? Wer an die Biodynamik und Selbständigkeit der Natur nicht glauben mag, soll erklären, weshalb die Naturlandschaften so üppige Ernten tragen, ohne Nitrat im Grundwasser oder Nähstoffdefizite. Wir bleiben lebenslang Schüler und die Natur ist unser Klassenzimmer, dass sollten wir nie vergessen!

Kleinklimazonen schaffen

Der Umbau der Kulturlandschaft zur Schaffung von sogenanntem Kleinklima mit dem Ziel des Schutzes vor Erosionseinflüssen, der besseren Nutzung von CO2 als Pflanzennährstoff und zur Optimierung der lokalen Wasserkreisläufe – dieses Ziel ist erstrebenswert.

Es geht bei diesem Punkt um die Analyse der eigenen Landschaft, deren Elemente mit ihren Funktionen als Schutz- und Lebensräume. Dabei sind große ausgeräumte Landschaften mit engen Fruchtfolgen zu vermeiden. Gut strukturierte Landschaften fördern alle bisher angesprochenen Punkte zur Selbstheilung unserer Böden. Das Vermögen, Wasser in kurzer Zeit aufzunehmen, ist eine der wichtigsten Bodeneigenschaften solcher Landschaften. Ein kleiner Versuch zu verschiedenen Bodenzuständen: Man drückt ein handliches KG-Rohr mit der scharfen Kante in den Boden, soweit dies möglich ist. Anschließend eine Menge Wasser in das Rohr von oben einfüllen und die Zeit stoppen, bis das Wasser versickert ist. Dieses Experiment kann mit gleicher Wassermenge auf verschiedensten Flächen und Kulturen wiederholt werden. Umgerechnet auf den Quadratmeter kann ein biologisch aktiver Boden 400 Liter pro Stunde und Quadratmeter aufnehmen. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, weiß jetzt aber leider auch, warum unsere aktuelle Landwirtschaft unter Trockenheit leidet.

Blühflächen anlegen

Der Anbau von Langzeit-Blühflächen dient dem Erhalt und der Steigerung der Artenvielfalt. Jeder Landwirt muss für sich entscheiden, ob er in seinem Betrieb Flächen hat, die er in Form von mehrjährigen Blühflächen oder Agroforstsystemen der Artenvielfalt als Dauerhabitat widmet. Es geht um dauerhafte Lebensräume und Winterquartiere. Einjährige Blühstreifen sind gut gemeint, aber schlecht durchdacht, da sie keine langfristige Wirkung zeigen. Auch in diesem Punkt geht es wieder ausschließlich um die Förderung der Biologie unserer Böden.

Tierhaltung integrieren

Die Tierhaltung in Kombination mit Weidehaltung und Futterbau als Bestandteil der Fruchtfolgen ist ein Mittel zum effektiven Humusaufbau! Die Bedeutung der Wechselwirkung von mehrjährigen offenen Graslandschaften in Verbindung mit der Beweidung von Wiederkäuern ist mittlerweile mehrfach publiziert und in der Natur seit Jahrtausenden bewiesen. Die fruchtbarsten Böden unserer Erde sind ohne den Menschen entstanden. Genau darum geht es in der modernen Tierhaltung: Mob Grazing – Wurzelregeneration durch Kurzumtriebsweiden. Durch die Verletzungen der Pflanzen beim Verbiss durch Weidetiere wird für die Mobilisierung von Nährstoffen zur Heilung der Pflanze das Wurzelwachstum angeregt. Flüssiger Kohlenstoff wird von den Pflanzen für das Bodenleben als Nahrung geliefert – was zur Kohlenstoffspeicherung führt. Das gilt es zu verstehen.

Dauervegetation etablieren

Der Erhalt und die Schaffung von Dauervegetation, der Stopp der Bodenversiegelung und die Entsiegelung ungenutzter Infrastrukturen müssen vorangetrieben werden! Landgrabbing und ungebremster Durst nach Infrastruktur für die Energiewende und den Erhalt des globalen Überflusses verhindern jedoch den Gedanken an Dauervegetation und Entsiegelung. Möglichkeiten für die Ver­besserung dieser Fehlentwicklung gibt es viele: Geschlossene regionale Stoffkreisläufe, Dachbegrünungen, Stadtgärten, Dauerhabitate statt robotergemähte Rasenflächen, regionale Wertschöpfungsketten, gesellschaftliche Wertschätzung von Bodenwiederaufbau, usw. Jeder Einzelne von uns hat es Tag für Tag, lieber heute als morgen, in der Hand, auf die Fehlentwicklungen des eigenen Handelns zu reagieren – das ist der wohl wichtigste Beitrag zu unserer „Rettung“. Egal ob als Bauer, Verbraucher oder Politiker: auch kleine Veränderungen beeinflussen das große Ganze.

Darüber hinaus sollten wir eins nicht vergessen, nämlich die verständliche Weitergabe der erlangten Fähigkeiten und des entstandenen Wissens zum Erhalt der Böden an die nächste Generation!

 

Quellen:
Anita Idel, Die Kuh ist kein Klimakiller. Marburg, 2010 • Gabe Brown, Aus toten Böden wird fruchtbare Erde. Rottenburg 2020 • Christine Jones, Fünf Prinzipien der Bodengesundheit. 2017

Autoreninfo

Jens Petermann

führt die Produktivgesellschaft Dannenberg mbH „Dannenberger Biohof“ mit 700ha Hektar seit 2003 – und ist seit 1.7.2019 anerkannter Demeter-Betrieb.

Dannenberger Biohof (Demeter) www.der-dannenberger.de

„Die Bodenlebewesen entscheiden mit ihrer Gesundheit und Vielfalt über die Qualität unserer Ernten.“