Schwerpunkt

Grüne Brücke für den Boden

Interview mit Dietmar Näser, Autor und Bodencoach

Fragen Michael Olbrich-Majer

Regenerative Landwirtschaft ist zurzeit ein Top-Thema, gerade bei Öko-Landwirten. Ihnen geht es um einen belebten Boden. So besuchen viele die „Bodenkurse im Grünen“. Welche Maßnahmen folgen daraus, wenn man Pflanzen und Bodenlebenwesen als ein gemeinsames Stoffwechselsystem versteht?

Grüne Brücke, Regenerative Landwirtschaft – auf den ersten Blick klingt das nach dem bekannten System Immergrün im Ökolandbau? Was ist neu?

Der Name bezeichnet die grüne Brücke, welche die Pflanzen für das Sonnenlicht sind, um das Bodenleben an den Wurzeln zu ernähren. Das geht mit dem System Immergrün am besten – keine Frage. Neu ist an meiner Arbeit, dass die ackerbaulichen Maßnahmen an ihrer fördernden oder hemmenden Wirkung auf den Stoffwechsel im Boden und in den Pflanzen gemessen werden. Das bezeichne ich als Regenerative Landwirtschaft – die Vielfalt des Bodenlebens, der Humusgehalt und die Erntequalität werden wiederhergestellt. Das alles hängt zusammen, und mit möglichst dauerhaft be­wachsenen Feldern und dem gekonnten Umgang mit bewachsenen Flächen fängt es an.

Könnten Sie die Arbeitsschritte dieses Verfahrens in kurzen Worten umreißen?

Boden belebend düngen – da finden sich die Worte Rudolf Steiners aus dem 4. Vortrag des Landwirtschaftlichen Kurses wieder.

Den Unterboden belebend lockern, so dass Feinrisse gebildet werden und diese mit Wurzeln bestens stabilisiert werden können.

Das Bodenleben mit pflanzlicher Vielfalt ernähren, damit es sich vielfältig entwickeln kann. Darin sind Gründüngungen, zuerst Untersaaten, aber auch Fruchtwechsel und viele neue Ideen enthalten.

Den Oberboden beleben, indem der Bewuchs flach, locker und mit großer Kontaktfläche eingeschält wird. Das ist die Flächenrotte. Bodenmikroben werden mit pflanzlicher Frischmasse gefüttert. Da diese aber nicht mehr durch die Pflanzen gesteuert werden kann, weil sie gerade eingearbeitet werden, verwenden wir bei diesem Arbeitsgang Pflanzenfermente, um die Pflanzenwirkung in den Boden zu bringen.

Die Photosynthese fördern, denn das fördert auch das Bodenleben – und die Erntequalität bei stabilen Erträgen.

Was bewirkt die Flächenrotte im Vergleich zur üblichen Wirtschaftsdünger- oder Kompostgabe? Was unterscheidet die Flächenrotte von Gründüngung?

Die Flächenrotte basiert auf frischer Pflanzenmasse, flach eingebracht. Wirtschaftsdünger und Komposte dagegen sind bereits „verdaut“, sie enthalten keine leicht umsetzbaren Substanzen mehr, wirken langsamer. Bei der Flächenrotte senken wir durch die Fermenteinspritzung die Veratmungsrate und damit den gasförmige C- und N-Verlust. Der Boden puffert hier die Gase und bildet durch den Tonmineralgehalt gleichzeitig das Habitat für die Bodenmikroben. Anders als bei einer Silierung geht der Stoffwechsel nach den Phasen der Veratmung und folgenden Fermentation weiter. Es zieht wieder Luft ein und die aerobe Mikroflora kann sich durch die gespeicherten Abbauprodukte der Pflanzenmasse ernähren. Der Wechsel Veratmung-Fermentation-Aerobie steigert die mikrobielle Vielfalt im Oberboden enorm. Man sieht es nach wenigen Wochen auf dem Spaten: die Krümelung des Bodens, die Gare, nimmt deutlich zu.

Im Blick auf Humusgehalte gilt Pflanzenmasse als Nährdünger, Rottemist oder Kompost aber eher als Aufbaudünger. Wieso ist das bei Flächenrotte anders?

Entscheidend ist es, dem Boden Kohlenstoff zu geben. Das geht am besten mit Wurzeln. Es ist aber genauso wichtig für den Humusaufbau, die C-Verluste zu kennen und zu senken. Wenn Kompost und Rottemist in wachsende Gründüngungen gestreut werden, wirken auch sie Kohlenstoff aufbauend. Die Veratmungsverluste werden durch Pflanzen aufgefangen. Bei der Flächenrotte wird die Veratmung durch die Pflanzenfermente reduziert. Diese sind milchsauer vergorene „Unkräuter“ des eigenen Betriebes, Wildgehölze aus der Hecke, Wildstauden aus der Umgebung und Heil- und Gewürzpflanzen. Sie steuern mittels ihrer Aroma- und Vitalstoffe „ihre“ Mikroben an den Wurzeln. Mit der Fermenteinspritzung bei der Bodenbearbeitung wird also die Aufgabe der „Unkräuter“ und Wildstauden nachgebaut. Das Prinzip ist den biodynamischen Kompostpräparaten aus dem 5. Vortrag Rudolf Steiners ähnlich. Flächenrotte geht tatsächlich auch mit biodynamischem Fladenpräparat, aber dessen Wirkung wird bei nachfolgendem Nachtfrost leider stärker beeinträchtigt.

Viel Wert legen Sie u.a. auf die Versorgung der Pflanzen mit Mikronährstoffen.

Nun sind die Erträge und Entzüge im Ökolandbau ja nicht so hoch, ist das dann sinnvoll?

Diese Frage sollte anhand von Messwerten aus Bodenproben, Pflanzenanalysen, Futterproben und Beobachtung des Tierbestandes des Betriebes betrachtet werden. Es geht um das Gesamtbild der Nährstoffaufnahme. Zuerst sollte immer die Quelle schlechter Nährstoffaufnahme – zu geringe Wurzelbildung und zu geringe Garebildung – behoben werden. Vorher wirken Düngemaßnahmen nur schlecht. Bei maximaler Bewurzelung in garem Boden ist vieles an Düngung nicht mehr nötig, eventuell nur noch das, was dem Standort tatsächlich fehlt und die Erntequalität und Tiergesundheit beeinträchtigt.

Gibt es da inzwischen deutsche Labore, die rasch und verlässlich genug arbeiten?

Für Bodenproben noch nicht in großen Mengen, aber das klärt sich gerade. Für Pflanzen­analysen gibt es schon viele Jahre hervorragende Anbieter, z.B. IAU Freyburg/ U. oder Meyer-Spasche.

Manche der Düngeempfehlungen wirken sehr hoch und fraglich, z.B. Kali und Schwefel, oder bei der Zufuhr von Bor und Kupfer. Können Sie das erläutern?

Es sind errechnete Menge für Gleichgewichte, ohne dass die Nährstoffverfügbarkeit belebter Böden berücksichtigt wird. Wir betrachten Bodenanalysen als Monitoring, das ergänzt werden muss durch den betriebsindividuellen Blick auf Gare, betriebsinternen Kreislauf und Erfahrungen aus dem Anbau. Bei der Jahresplanung von Anbau und Düngung spielt die Bodenbelebung eine große Rolle. Werden Kali oder Schwefel Boden belebend gedüngt, also in wachsende Bestände, wenn das Bodenleben die Nährstoffe am besten verstoffwechseln kann, wird eher weniger gedüngt. Am besten geschieht das zusammen mit synergistischen Nährstoffen wie kohlensaurem Kalk und Schwefel.

Mikronährstoffe werden ebenfalls in der Aufwandmenge gesenkt, wenn sie in organische Dünger eingemischt werden. Dann kontrolliert man später, ob es reicht. Das gilt auch für organische Düngemaßnahmen, in wachsende Bestände und mit niedriger Menge ausgebracht, beleben sie den Boden. Die übliche Nährstoffbilanz ist daher zu hinterfragen: sie ist ein Kontrollinstrument, aber berücksichtigt die Boden belebenden Wirkungen der Maßnahmen, Zeitpunkte und des Anbauregimes nicht.

Wie viel Vertrauen setzt Ihre Methode in eine aktive Nährstoffmobilisierung durch die Pflanze?

Sehr viel. Es ist das Ziel, für hohe, hochwertige Erträge die Nährstoffaufnahme (fast) vollständig aus einem belebten, garen Boden zu ermöglichen! Das ist dann eine Grüne Brücke! Aufbauend auf den Erfahrungen des Betriebs, gilt es die Methoden weiter Boden belebend zu entwickeln – für höchste Erntequalität und höchste Lebendigkeit in den Produkten. Deshalb ist die Bodenbelebung, gemessen am ansteigenden Kohlenstoffgehalt, das Kriterium für eine Bodenleben wiederherstellende Landwirtschaft. Diese deckt sich in vielen Details mit der biodynamischen Wirtschaftsweise. Doch solange der Boden noch nicht über 3 % Humus und sichtbar gute Gare hat, brauchen die Kulturen wie gehabt Düngung. Deren Wirkung und die der Bodenbelebung kann man über Düngefenster be­werten. Ab 5 % Humus, das dauert bei kon­sequenter Umsetzung, ausgehend von 2 % Humus
10 – 15 Jahre, versorgen sich die Kulturen weitgehend aus dem Bodenstoffwechsel, der Düngebedarf nimmt ab.

Gibt es inzwischen wissenschaftliche Untersuchungen zum Verfahren?
Vielleich
t auch zu den regelmäßigen Neuerungen, wie z.B. Unterkrumen­lockerung mit Spurenelementgabe?
Oder sind das eher Erfahrungswerte?

Ja und nein. Es dauert immer ein wenig, weil die Landwirte schneller in der Umsetzung sein können, Uni´s und Institute müssen sich erst um Fördermittel bemühen. An mehreren Unis, in Gießen, Kassel-Witzenhausen und in Berlin gibt es erste Forschungsprojekte, auch Landesanstalten interessieren sich fürs Thema. Noch sind es vor allem Erfahrungswerte, aus dem Engagement der Landwirte entstanden. Ein erster Impulsgeber war übrigens Edwin Scheller. Die Unterkrumenlockerung ist bei alten Autoren auch schon beschrieben, z.B. „Die Grundlagen der Gare im Ackerbau“ von Johannes Görbing, zu nennen wären auch Franz und Margaret Sekera,
Erhard Hennig. Die mikrobiologischen Zu­sammenhänge sind von Hans-Peter Rusch bis Elaine Ingham beschrieben worden. Jährlich kommen neue Veröffentlichungen dazu, richtig interessant!

Sie steuern die Rotte durch Pflanzen-fermente, Pufferstoffe oder energetisch wirksame Präparate. Welche sind das? Und kann ich diese auf dem Betrieb selbst herstellen?

Zunächst werden die Betriebe von uns in die eigene Fermentherstellung eingewiesen, weil der betriebsindividuelle Charakter der Ackerbegleitflora genutzt wird und sich die Betriebsleiter so mit den Zusammenhängen der Natur auseinandersetzen. Das ist das Konzept „Bodenverjünger“, auf der Basis eines in kommerzieller Qualität hergestellten Starterfermentes. Die Pufferstoffe kauft man einfacher zu, vor allem Zeolith, Steinmehl, granulierten Kalk. Man kann aber kolloidalen Lehm in der Hennig-Humusmühle auch selbst herstellen. Energe­tische Präparate wie P500, 501, 508 oderNosoden und Homöopathika sind individuell herstellbar, wenn man die Methode kennt. Aber auch hier ist eine Bestellung oft zeitsparender und garantiert gleichbleibende Qualität. Übrigens ist die Pflanzen­homöopathie ein viel zu wenig eingesetztes Hilfsmittel! Auch damit fördert man ausgleichend Lebenskräfte!

Wann empfehlen Sie Pflanzentees?

Bei kritischen Entwicklungsstadien der Kulturen, wenn Ertragsmerkmale angelegt werden und keine stressbedingte Krankheit folgen soll. Auch wenn man schon Befall sieht, kann man mit Pflanzentees viel klären. Pierre Masson, französischer biodynamischer Weinbauberater, hat mich dabei sehr inspiriert. Im Feldbau nutzen wir den einfachen Heu-Tee, im schossenden Getreide, in Obst, Reben und geschütztem Anbau viele gut wirkende Pflanzenextrakte.

Wie passen diese Verfahren zum Einsatz der biodynamischen Präparate?

In der Regenerativen Landwirtschaft werden Lebenskräfte, zuerst in Boden und Pflanzen, endlich wieder ernst genommen, beobachtet, verstanden und gefördert. Biodynamische Präparate haben den gleichen Ansatz. Nach unserer Erfahrung zeigt Regenerative Landwirtschaft in biodynamisch wirtschaftenden Betrieben am schnellsten Effekte. Wir empfehlen daher, die Hornmistspritzung zur Saat und zum Auflaufen beizubehalten, ergänzend zur Vitalisierung mit Komposttee, die etwas später stattfindet. In jeder Kursgruppe im Mai/Juni, wenn wir gemeinsam die Reaktion von Pflanzen auf die Vitalisierung testen, wird immer Hornkieselpräparat gerührt und mit ausgespritzt. Da in den Kursen mehrheitlich konventionell wirtschaftende Kollegen teilnehmen, ist das Erstaunen jedesmal groß, dass die Photosyntheserate um 1 – 2 % Brix damit gesteigert werden kann. Übrigens wirkt auch bei uns P501 nur so, wenn vorher der Pflanzenstress nach dem Auflaufen durch Komposttee oder eben P500 behoben wurde.

Trockenheit ist ein immer häufigeres Problem für Landwirte, sei es im Frühjahr aber auch im Frühherbst: WelcheErfahrungen gibt es da mit der Regenerativen Landwirtschaft?

Wird es zu trocken, stellt die Bodenmikrobiologie ihre Arbeit ein. Das kann man verzögern, wenn die Kulturen zu Beginn der Trockenheit vitalisiert werden. Auflockern der meist vorhandenen Unterbodenverdichtung, mit Fermenteinspritzung und nachfolgend ordentlicher Durchwurzelung, Ausnutzen der Wurzelstärke der Gräser, wo immer es geht, und die Flächen be-wachsen oder bedeckt halten, gehört dazu. Bewachsene Flächen, so vielfältig wie möglich, fördern die Verdunstung, das fördert den Regen. Also ist die sommerliche Stoppelbearbeitung ein Problem. Untersaaten mindern das. Auch das Einbeziehen von Feldgehölzen und Hecken, also das Anlegen von Agroforst, fördert ein feuchtehaltendes Kleinklima. Rudolf Steiners Worte aus dem siebenten Vortrag finden so Eingang in die moderne Landwirtschaft.

Passt Ihr System für alle Betriebe oder gibt es Standorte, wo es eher problematisch sein kann? Manche Praktiker berichten beim reduzierten Eingriff in den Boden von Problemen bei Qualität, Ertrag oder Verkrautung.

Es geht um Förderung des mikrobiellen und pflanzlichen Stoffwechsels im Boden und im Aufwuchs. Welche Verfahren da die meiste Wirkung bringen, ist sehr betriebsindividuell. Meistens werden zuerst die Methoden umgesetzt, aber es wird zu wenig beobachtet und gemessen. Wenn es darum geht, Lebensprozesse als System zu verstehen, muss man aufbauend auf der Erfahrung systemisch entscheiden und handeln. Dann ist nicht die einzelne Methode, wie Fräsen, Komposttee fahren, Schwefel streuen, Fermente spritzen etc. entscheidend, sondern, ob ich mit Anbau, Technik, Viehbestand usw. überhaupt Lebensprozesse fördere. Und da fängt Regenerative Landwirtschaft an: ich nehme (endlich!) einen Spaten, eine Bodensonde und beurteile die Gare meiner Felder – den sichtbaren Ausdruck der Aktivität des Bodenlebens, auch der mikrobiellen Biodiversität. Dann nehme ich ein Refraktometer und beurteile am Pflanzensaft, wie aktiv die Photosynthese meiner Bestände ist.

In der Viehhaltung beobachte ich so das Fressverhalten der Tiere, Obsalim ist ein vergleichbarer Ansatz. Und dann verändere ich meine Verfahren: Getreide wieder mit Untersaat – das verändert den Unkrautdruck. Nach der Ernte verändert das die sommerliche Bodenbearbeitung: es gibt keine. Somit bleibt mehr Kohlenstoff im Boden. Wenn ich im Frühherbst dann schäle, bleibt wieder mehr Kohlenstoff im Boden, weil diese Bearbeitung nicht den ganzen Wurzelhorizont erfasst. Und jedesmal beobachte ich mit Spaten und Sonde, wie sich die Bodengare entwickelt.

Auf leichten Standorten, besonders im trockenen Brandenburg, wurden von je her die landwirtschaftlichen Verfahren sorgfältiger entwickelt als dort, wo der Boden alles verzeiht. Hier hilft die Kenntnis des Bodenlebens, der Bodenchemie und der Bodenphysik weiter. Wenn der Sand sehr wenig Pufferkapazität hat, schäle ich z.B. 1 – 2 cm tiefer. Verwende mineralische Pufferstoffe, wie Zeolith. Auf solchen Böden sind hohe Aufwandmengen organischer Dünger schnell gefährlich, das begegnet mir vor allem in Gartenbaubetrieben.

Also nicht reduzierte Bearbeitung ist das Problem, sondern, wie man es macht. Anfangs fehlt immer die Erfahrung. Deswegen sollte man damit erst auf Teilflächen beginnen. Aber zuvor mit der Beobachtung beginnen, regelmäßig und intensiv! Und das Wissen ergänzen – denn es geht immer um das Wohl von Bodenleben und Pflanzenleben.

Weitere Infos

Regenerative Landwirtschaft.Bodenl­eben und Pflanzenstoffwechsel verstehen.
Von Dietmar Näser, Verlag E. Ulmer Stuttgart 2020

Bodenkurse im Grünen
Weiterbildung bei Friedrich Wenz, Dr. Sonja Dreymann, Dietmar Näser
Positerra Akademie der Regenerativen Landwirtschaft.
www.gruenebruecke.de