Schwerpunkt

Urbane Ernährungssouveränität

Was tut sich in einer Großstadt wie Frankfurt?

Autorin: Margarethe Hinterlang, Dottenfelderhof

margarethe.hinterlang(at)dottenfelderhof.de

Margarethe Hinterlang ist Mitglied der Dottenfelder Hofgemeinschaft und Vorständin im Verein BIONALES e.V

Supermärkte lagern heute nur noch, was binnen drei Tagen verkauft werden kann, gerade bei verderblichen Waren. Wie versorgen sich Metropolen mit Lebensmitteln, wenn die Energie knapp wird und Grenzen geschlossen werden? Dass Lebensmittel direkt aus der Region die nachhaltigste Quelle und wirkungsvollste Verbindung von Landwirtschaft und Stadtbevölkerung ist, sieht man auf den Bauernmärkten, erfolgreichen Solawis und Marktschwärmereien sowie den zahlreichen Saisongärten rund um die Städte. Wie aber sieht es mit der Lebensmittelerzeugung im Stadtbereich aus? Welche Initiativen gibt es, um die Stadt gesund zu ernähren und Resilienz in der Nahrungsmittelversorgung zu schaffen? Schauen wir auf Frankfurt am Main.

Land- und Gartenbau in der Stadt?

Städtischer Gartenbau wird betrieben, seit es Städte gibt. Je trans­portsensibler ein Lebensmittel war, desto dichter wurde es an den Absatzmärkten angebaut. In Paris bauten geschätzt 8.500 selbstständige Gärtnereien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf 1.400 Hektar, einem Sechstel der Stadtfläche von Paris, ca.100.000 t Obst und Gemüse intensiv in Marktgärten an.

Frankfurt ist ein Dorf – auch hier wird ein Sechstel des Stadtgebiets, ca. 4.000 Hektar, landwirtschaftlich und erwerbsgartenbaulich genutzt – bis auf zwei kleinere ökologisch geführte Betriebe konventionell. Vorwiegend werden hier Getreide- und Zucker­rüben, aber auch Gemüse angebaut. Der „Frankfurter Landwirtschaftliche Verein“ ist eine wirksame politische Kraft in der Stadt der Banken. Bis ins 21. Jahrhundert versorgten Frankfurter Gartenbaubetriebe die städtische Bevölkerung mit Gemüse – selbst­bewusst setzten sie der Frankfurter Grünen Soße ein Denkmal im „Gärtnerdorf“ Oberrad und sorgten dafür, dass die „Original Frankfurter Grüne Soße“ diese Herkunftsbezeichnung nur tragen darf, wenn sämtliche sieben Kräuter aus dem Frankfurter Stadtgebiet stammen.

 

Ernährungsrat gab Schwung

Dennoch warteten strukturbedingt brachliegende fruchtbare Flächen am Main auf neue Initiativen. Die starteten 2018 mit der Besiedelung durch „Die Kooperative – Stadt.Land.Wirtschaft“ von Silas Müller und Christoph Graul. In Windeseile beteiligten sich mehr als 500 Menschen mit Ernteanteilen und im Arbeitseinsatz. Die Kooperative bewirtschaftet heute 10 ha Gemüsefläche mit Hennenhaltung im Hühnermobil (die Anschaffung wurde unterstützt von der BürgerAG für regionales und nachhaltiges Wirtschaften buerger-ag-frm.de) Intensiver Austausch mit landwirtschaftlichen Bio- Betrieben in der Region und ökologischen Verarbeitungsbetrieben ergänzen die Ernteanteils-Kisten und machen regionale Lebensmittelversorgung konkret.

Bereits seit dem Jahr zuvor, im August 2017, brachte die Gründung des Frankfurter Ernährungsrats Schwung in die Diskussion für eine „Essbare Stadt“. Bürger:innen unterstützen hier die Stadt Frankfurt am Main dabei, deren nachhaltigen Ziele, zu denen sie sich im „Milan Urban Food Policy Pact“ bekannt hatte, zu realisieren. Sie organisieren Arbeitskreise, initiieren und unterstützen Wege zur Ernährungssouveränität und für gesundes Essen für alle Frank­furter:innen. Aktuell 120 Bürger:innen engagieren sich im Ernährungsrat Frankfurt ernaehrungsrat-frankfurt.de in verschiedenen Arbeitskreisen und in die Stadtgesellschaft hinein.

Der Arbeitskreis „Ernährungsbildung“ agiert im Bereich von Kitas, Schulen, aber auch in der Erwachsenenbildung und betreibt einen Schulgarten im Frankfurter Ostpark. Der Arbeitskreis Produktion & Vermarktung beschäftigt sich mit dem Aufbau bzw. der Stärkung regionaler Wertschöpfungsketten und der Vernetzung von verschiedenen Interessensgruppen rund um die Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung von Lebensmitteln (insbesondere in Bioqualität) im Großraum Frankfurt bzw. in der Metropolregion Rhein-Main. Ziel ist eine flächendeckende Verfügbarkeit von regional erzeugten und verarbeiteten (Bio-) Lebensmitteln. Bürger:innen in der Stadt sollen die Möglichkeit haben, (jederzeit) (Bio-)Lebensmittel aus Frankfurt und dem Umland kaufen zu können. Das integrierte Projekt „LogRegio“ des Arbeitskreises betreibt dazu in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Fulda Grundlagenforschung. Der Arbeitskreis Main-Mittagessen beschäftigt sich insbesondere mit der Verbesserung der Ernährungsqualität in den öffentlichen Einrichtungen, besonders in Schulen.

Der Arbeitskreis „Zero Waste“ ist bezüglich Müllvermeidung aktiv: Er unterstützt die Gastronomie bei der Einführung von Mehrweg-/Pfandsystemen für das Essen und Coffee to go, initiiert Workshops für Kinder, unterhält Taschenstationen auf dem Bauernmarkt Konstablerwache (zum Austausch gegen Plastikbeutel). Seine Teil­nehmer:innen sind Botschafter:innen der Stadt Frankfurt bei Aktionen für verpackungsfreie Verpflegung.

Die Initiative „House of Food“ des Ernährungsrates will die Plattform sein für saisonale Bio-Erzeugnisse aus der Region, Mediator für die Bedürfnisse von Landwirt:innen und Kantinen und einen Ort für den praktischen – und Wissensaustausch von Erzeuger:innen und Verbraucher:innen schaffen. Sie informiert Essende und Kan­tinenbetreiber über die Vorteile von Regionalität und Bio-Landwirtschaft.

Tragende Struktur vor Ort: Bionales e.V.

Getragen wird der Ernährungsrat vom Verein BIONALES e.V. bionales.de, der auch weiteren Initiativen rund um Landwirtschaft und Ernährung in der Region ein Dach bietet. Z. B. den „Gartenrettern“, die verlassene (Schreber-) Gärten wieder für die Nahrungsmittelproduktion nutzbar machen wollen. BIONALES e.V. bietet auch den Rahmen für die Gemüseheld:innen, die 2019 zu zweit in der „Grünen Lunge“ am Günthersburgpark in verwilderten Gärten begannen. Heute zählen sich 250 aktive Gärtner:innen dazu und betreiben gemeinschaftlich 19 Gärten mit je 5 bis 20 Menschen. Überall in Frankfurt sollen essbare Inseln kreiert werden, in denen sich die Be­wohne:innen der jeweiligen Viertel treffen, gemeinsam Beete bewirtschaften, in der Stadt hochproduktiv Gemüse anbauen und sich dabei noch erholen können. Auch sollen dauerhafte Ökosystemstrukturen mit Sträuchern und Bäumen überall in der Stadt installiert werden, die dann mit einjährigen Gemüsekulturen kombiniert werden. Bislang gibt es diese „PermaKulturInseln“ in der Grünen Lunge, am Riederwald und auf dem Campus der Goethe-Universität im Westend. 2022 starteten die Ge­mü­se­held:innen in Kooperation mit der traditionsreichen Gärtnerei Rappelt auf 2 ha eine „Stadtfarm“ als Market Gardening-Standort. Dort arbeiten weitere Mitwirkende für den eigenen Bedarf mit und schätzen Arbeit und Gemeinschaft als Ausgleich zum Job – die Frankfurter Skyline stets im Blick. In der Gärtnersiedlung Oberrad versorgt schon seit 2012 Irmtraud Schmid mit der Bioland-Gärtnerei „Bärengarten“ die Solawi „maingrün“ – ein Hingucker im Stadtgebiet.“

Das Umweltamt Frankfurt mit seiner engagierten Dezernentin Rosemarie Heilig unterstützt kräftig alle diese gärtnerischen Initiativen, die in den Stadtteilen Gemeinschaftsgärten mit sehr unterschiedlichen Ideen erblühen lassen: So wurde ein Teil des Hauptfriedhofs zum insektenfreundlichen ökologischen Mustergarten um­gestaltet, ein Garten an der Bahntrasse zum Naturparadies für die Kinder in der Umgebung, der Gemeinschaftsgarten „Chamisso“ in Eschersheim integriert Menschen mit Behinderung und Geflüchtete; Kunst, Kräuter und Blumen schaffen einen Stadtteil – Treffpunkt in Enkheim, die Volkshochschule erstellt mit ihren Kurs­teilnehmer:innen einen Garten und entwickelt ihn weiter, ein Gemeinschaftsprojekt gärtnert auf einem Grünstreifen im Gallus, die Rödelheimer:innen verwandeln ihren Bahnhof in „Bahnhofsgrün“. Die Initiative „Kirchplatzgärtchen e.V.“ startet die „KlimaWerkstatt“ Ginnheim, im „Essbaren Fechenheim“ kann jeder naschen, um danach in den interkulturellen „GelaGarten“ im Stadtteil Enkheim zu gehen oder in die Hinterhofgärten von „Rote Beete“ Bockenheim…

Bürgerschaftliches Engagement allerorten

Im Bemühen, Lebensmittelressourcen nicht ungenutzt zu lassen, vermittelt das „MainÄppelshaus“ ungenutzte Streuobstflächen an junge Familien und schult sie in der Pflege der Bäume und der Verwertung der Produkte. Neben der „Tafel“ können Menschen an über zwanzig „Fairteiler“-Stellen in der Stadt oder unter „foodsharing e.V“ aussortierte Lebensmittel bekommen und so wertvolle Ressourcen nutzen. Die Initiative „Shoutoutloud e.V.“ betreibt einen Foodtruck mit geretteter Nahrung und hat ein eigenes Bier: „Das Knärzche“ aus altem Brot entwickelt. Das Umweltamt Frankfurt führt jährlich „Klimagourmet-Wochen“ durch, in denen gezeigt wird, wie Ernährung mit kleinem ökologischen Fußabdruck funktioniert und hat Ausstellungen zu diesem Thema entwickelt. Die Stadt kaufte 2019 einen 45 ha großen landwirtschaftlichen Betrieb im Stadtteil Nied. Hier gibt es die Idee, ökologische Landwirtschaft und Naturschutz in Kombination mit einem Schulbauernhof für die Kinder der Siedlungen rundum aufzubauen.

Es wird grüner und lebendiger in der Stadt – sehr unterschiedliche Garteninitiativen machen sich auf, die Stadt nicht nur mit Lebensmitteln zu versorgen, sondern auch kühlende Puffer im klimatisch aufgeheizten städtischen Raum zu schaffen und als Basis für die Gestaltung neuer sozialer Netzwerke zu nutzen. Es ist viel passiert in den letzten fünf Jahren – viele hoffnungsvolle Projekte sind am Start – der Weg in eine wirklich resiliente städtische Lebensmittelversorgung ist jedoch noch weit.

Zum Reinschauen und Reinhören:

• Anders Ackern: Urban Farming (ZDF 37 Grad Leben Doku)
• Urban Farming – Gärtnern fürs Klima (HR1 Doku)
• HR Inforadio: „Wir wollen die Stadt essbar machen"

Im Netzwerk der Ernährungsräte haben sich Ernährungsräte und Gründungsinitiativen aus Deutschland, Österreich, Italien, der Schweiz, Luxemburg und den Niederlanden zusammengeschlossen, um das Ernährungssystem umzugestalten. Unter dem Motto „Ernährungsdemokratie Jetzt!“ arbeiten sie bereits in 45 Städten und Regionen daran, die Versorgung regional, fair und ökologisch zu gestalten.
www.ernaehrungsraete.org