Schwerpunkt
Meine Landwirtschaft soll sich solidarisch tragen – wie geht das?
Motive, Formen und erste Schritte aus Erzeugersicht
von Klaus Strüber
Solidarische Landwirtschaft – das bedeutet, dass die Kosten der Bewirtschaftung eines Betriebes unter den Menschen geteilt werden, die ihre Lebensmittel von diesem Hof beziehen. Was 1986 mit dem bis heute aktiven Demeter-Betrieb Buschberghof (vgl. S. 19) begann, wird heute von ca. 470 ganz unterschiedlichen Betrieben in Deutschland praktiziert. Besonders in den letzten zehn Jahren gibt es ein zunehmendes Interesse an SoLaWi: in den Medien, der Wissenschaft, der Politik und in weiteren Handlungsfeldern der gesellschaftlichen Systeme. Es ist weniger eine weitere Form der Direktvermarktung, sondern vielmehr ein Reallabor zum Erproben neuer Wege des Miteinanders in der Lebensmittelproduktion und somit eine handfeste Möglichkeit für eine Gestaltung der zukünftigen Landwirtschaft.
Was sind Beweggründe für SoLaWi?
Wenn Bäuerinnen und Bauern eines bestehenden landwirtschaftlichen Betriebes darüber nachdenken, ob SoLaWi für Sie ein passendes Konzept ist, braucht es von Anfang an eine klare innere Motivation dazu. Denn SoLaWi ist kein Selbstläufer und braucht schon Aufwand und Überzeugung, um sie erfolgreich zu etablieren. „Warum will ich eine SoLaWi? Was erwarte ich mir davon?“ sind daher zwei wichtige Fragen.
Antworten darauf können von innen herauskommen, wenn ein Buch, ein Film oder ein Vortrag begeistern. Oft ist auch äußerer Druck der Anstoß, wenn die Hofübergabe ansteht und die junge Generation außer- oder innerfamiliär gern mit SoLaWi beginnen möchte. Oder, wenn es bedingt durch Arbeitsüberlastung oder ein knappes Einkommen eine grundlegende Veränderung braucht, die mit wenig neuem Fremdkapital realisiert werden kann. Letztlich können auch interessierte Verbraucher den Anstoß geben, die eine SoLaWi-Initiative starten und einen produzierenden Betrieb dazu suchen.
Anteilsgestaltung: Was Ernteteilende möchten
Lebensmittel
Weil statt des üblichen Produktkaufs die Erzeugungskosten getragen werden, nennen SoLaWi-Betriebe ihre „Kunden“: die Ernteteilenden. Wie kommt ein landwirtschaftlicher Betrieb zu einer Produktauswahl, die zu seinen künftigen Ernteteilenden passt? Das derzeit wichtigste Lebensmittel in SoLaWi-Betrieben ist der vielfältige Gemüseanbau. Sicher ist das dadurch bedingt, dass Gemüsebau eher geringer Investitionskosten und einer geringen Fläche bedarf, z. B. im Vergleich zu Milch- oder Fleischproduktion. Andererseits ist der Selbstversorgungsgrad mit Frischgemüse in Deutschland recht gering bei einer eigentlich hohen Nachfrage. Für einen Ernteanteil, der ein, zwei erwachsene Menschen versorgt, werden als Faustzahl 100 m² Freilandfläche und mind. 5 m² geschützter Anbau kalkuliert, auf denen oft mindestens 40 Gemüsekulturen angebaut werden. Eine Vollzeitarbeitskraft kann dabei je nach Betriebssituation und Anbaumethode bzw. Grad der Mechanisierung resp. Intensität des Anbaus, meist zwischen 40 und 100 Ernteanteile meistern.
Gleich nach dem Gemüse stehen bei vielen Ernteteilenden Eier auf der Wunschliste. Hier hat sich eine wöchentliche Lieferung von 3 bis 6 Eiern je Ernteteil etabliert. An nächster Stelle der Beliebtheit stehen Molkereiprodukte. Hier sind es bisher oft Kuhbetriebe, aber es ist auch Schaf- oder Ziegenmilch in SoLaWi-Betrieben zu finden, wobei diese oft als Beigabe zu den Milchprodukten der Kuh den Ernteanteil bereichern. Als Erfahrungswert hat sich hier „1 Liter Kuhmilch pro Tag und Ernteanteil“ als Menge für verarbeitete Produkte durchgesetzt, wobei für die weiße Linie (Quark, Joghurt, Frischkäse) etwas mehr produziert wird als Butter oder Hartkäse.
Auch Fleisch kann Teil einer SoLaWi sein. Die meisten Betriebe richten sich in der Kalkulation des Viehbesatzes und der Schlachttermine nach der Vorgabe der deutschen Gesellschaft für Ernährung, wonach 500 – 600 g Fleischprodukte pro Woche gesund sind für einen Menschen.
Im Getreideanbau beläuft sich der Verbrauch für einen Ernteanteil als erste Daumenregel auf 1 kg Backwaren (meist Brot, Brötchen) und Müsliflocken. Der im Biobereich boomende Artikel der pflanzlichen Milchalternative hat bislang noch nicht im SoLaWi-Bereich Einzug gehalten und kommt vielleicht bald?
Obst (z. B. 500 g Äpfel pro Woche), Honig (z. B. 1 Glas mtl.) und Wein (z. B. 1 Flasche mtl.) sind weitere Produkte, die zu einem Ernteanteil gehören können.
Dienstleistungen
Wie auch in anderen Systemen von Direktvermarktung bekommen Ernteteilende in einer SoLaWi neben den Lebensmitteln auch Dienstleistungen des Betriebes, am wichtigsten ist dabei die Abholung und die Auswahl der Produkte. Studien besagen, dass der häufigste Ausstiegsgrund aus SoLaWi-Betrieben ein Zuviel an Angebot ist: Wer als Ernteteilende:r nicht gewohnt ist, Gemüse zuzubereiten, kommt da schnell in eine Überforderung. Daher ist eine SoLaWi gut beraten, durch Feedback (z. B. Umfragen) die Meinung zu Produkten einzuholen und die Ergebnisse des Feedbacks auch umzusetzen.
Ernteteilenden ist ebenfalls ein für sie passender Zugang zu den Lebensmitteln wichtig. Für viele ist es schwierig, große Entfernungen zum Abholen zu bewältigen, daher ist die Gründung sogenannter Depots als Abholstellen an Brennpunkten von Wohnorten von Ernteteilenden sehr verbreitet in SoLaWi-Betrieben. Hier ist wichtig, genau zu klären, wer die Organisation der Depots trägt, es gibt die Varianten der betriebsgeführten Depots und der selbstorganisierten der Ernteteilenden.
Kostenberechnung: der Etat
Wenn ein SoLaWi-interessierter landwirtschaftlicher Betrieb die Art und Menge seiner möglichen Produkte analysiert hat, geht es an die Kostenberechnung. Wer eine gute Deckungsbeitragsrechnung seines Betriebes hat (z. B. in „JUP PS“ o.ä. Programmen), kann den monetären Richtwert für einen Ernteanteil einfach daraus kalkulieren. Als Richtwert wird in SoLaWis die monetäre Summe bezeichnet, die für einen Ernteanteil in einem Monat zu zahlen ist. Wenn aber neue Betriebszweige durch SoLaWi hinzukommen sollen, ändern sich auch die fixen Kosten des Betriebes und dann ist eine Vollkostenrechnung angezeigt, in der die gesamten fixen und variablen Kosten berücksichtigt werden. Wenn eine Teil-SoLaWi geplant ist, in der neben den Einnahmen aus SoLaWi auch solche aus anderen Bereichen wie z. B. dem Hofladen fließen, müssen auch alle Kostenkonten prozentual verteilt werden auf „SoLaWi“ und „Restbetrieb“. Dieser Prozess kann manchmal etwas überfordernd wirken, trägt aber ungemein zu einer Klarheit der Betriebskosten bei.
So entstehen ein oder mehrere Richtwerte. Denn mittlerweile bieten viele SoLaWi-Betriebe mehre unterschiedliche Ernteanteile an, wie „nur Gemüse“, oder mit Aufschlägen Zusatzprodukte wie „plus MoPro“ oder „plus Fleisch“ usw. Auch die Größe des Ernteanteils wird häufig differenziert, z. B. in „Single-Anteil“ und „normaler Anteil“ etc.
Beitragsrunde und Verträge
Die Beitragsrunde (auch Bieterunde) wurde 1986 vom Buschberghof erfunden und seitdem von vielen Betriebe übernommen. Dabei geht es darum, dass der Betrieb zuerst durch die Kostenberechnung ein oder mehre Richtwerte erstellt hat und diese an die Ernteteilenden kommuniziert. Diese geben dann ein Gebot ab, das je nach den persönlichen Möglichkeiten der Ernteteilenden in Summe auch über oder unter dem Richtwert liegen kann, wenn denn in der Gesamtsumme die Betriebskosten gedeckt werden. In einer Beitragsrunde kann so eine enorme Solidarität unter den Ernteteilenden stattfinden. Wem der Aufwand einer Beitragsrunde zu groß ist, kann auch darauf verzichten und den Richtwert als fixen Kostenpunkt kommunizieren.
Die Verträge mit den Ernteteilenden beinhalten die Kontaktdaten der Ernteteilenden, die Zahlungsabwicklung (meist monatliche Beiträge per Bankeinzug) und die Regelungen zur Abholung. Wichtig ist in jedem Fall eine Erklärung darüber, dass es keinen Anspruch auf eine festgesetzte Menge an Produkten gibt.
Das an sich simple Prinzip von SoLaWi wird etwas diffiziler, wenn es genauer betrachtet wird. Daher wird mittlerweile von drei Typen der SoLaWi-Betriebe gesprochen, so dass jeder Betrieb eine passende Gestaltungsmöglichkeit für sich finden kann.
Formtyp 1: Erzeuger-SoLaWi
Bei einer Typ-1-SoLaWi gestaltet ein landwirtschaftliches Unternehmen Art und Umfang der Produktion (Gemüse, Milch, Brot, usw.), legt die Produktionskosten dafür fest, sucht selbst Ernteteilende und gestaltet die vertragliche Bindung über individuelle Wirtschaftsverträge mit ihnen. Die Ernteteilenden sind untereinander nicht miteinander in einer rechtlichen Beziehung, nur in jeweiligen Einzelverträgen mit dem Betrieb. Die Haftung und somit die Verantwortung über den Anbau befinden sich beim Betrieb. Damit eignet sich der Typ 1 gut für Betriebe, die sich ihre Entscheidungsautarkie beibehalten möchten. Als Unternehmensformen werden bei Typ 1 oft das Einzelunternehmen oder die GbR gewählt, auch die GmbH ist geeignet.
Formtyp 2: Kooperations-SoLaWi
Diese Form der SoLaWi ist besonders gut für spezialisierte Betriebe geeignet. Jeder Betrieb (z. B. eine Gärtnerei, ein Milchviehbetrieb und ein Ackerbaubetrieb) bleibt dabei ein eigenständiges Unternehmen in seiner Rechtsform und gibt seine Produkte an einen Rechtsträger ab, den die Ernteteilenden betreiben. Von dort wird dann ein vielfältiger Ernteanteil ausgegeben. Die Verwaltung der einzelnen Kostenbeiträge, die Mitgliederkommunikation, die Koordination von Mitarbeit und die Logistik der Ernteanteile liegt in der Regel bei der Mitglieder-Körperschaft. Die Betriebe und die Mitglieder-Körperschaft gestalten gemeinsam einen Kooperationsvertrag über die Produktion.
SoLaWi-Gemeinschaften des Typ 2 entscheiden sich meist als Rechtsform der Verbrauchsgemeinschaft für einen eingetragenen Verein, gelegentlich auch für eine eingetragene Genossenschaft. Auch nicht eingetragene Vereine und mehr oder weniger informelle GbRs kommen vor. Der Typ 2 ist auch geeignet, wenn es nur einen Betrieb gibt, z. B. einen Gemüse-Betrieb.
Formtyp 3: Die Mitunternehmerschaft
Bei den Typen 1 und 2 sind die Betriebe Eigentümer der Produktionsmittel wie Maschinen, Tierbestand usw. Um Ernteteilende noch mehr in die Produktion von Lebensmitteln einzubinden und eine intensivere gemeinschaftliche Gestaltung des Anbaus zu erreichen, können im Typ 3 die Ernteteilenden zu Mitunternehmenden werden. Dafür wird eine Rechtsform gewählt, die selbst einen landwirtschaftlichen Betrieb gründet. Zu diesem Zweck werden Flächen und Gebäude gepachtet oder gekauft, Maschinen erworben und die Anbauenden werden angestellt. Als Finanzierungsmodell eignet sich hier die Schwarmfinanzierung der Ernteteilenden, die neben ihrem Richtwert für die Lebensmittel noch Einlagen oder Privatdarlehen leisten, deren Summe im Idealfall für die gesamten betrieblichen Investitionen ausreicht. Falls Fremdkapital benötigt wird, nimmt dieses die Rechtsform auf. Im Typ 3 ist damit wesentlich mehr Haftung und damit Mit-Verantwortung als im Typ 1 oder 2 gegeben. Die Umsetzung einer Typ 3-SoLaWi erfolgt oft bei Neugründungen, die aus Initiative der Ernteteilenden entstehen. Dafür eignen sich die Rechtsformen der eingetragenen Genossenschaft oder des eingetragenen Vereins am besten.
Jeder Betrieb kann eine passende Gestaltungsform für sich finden.
Autor: Klaus Strüber
berät Betriebe und Initiativen zu Solidarischer Landwirtschaft und ihren Formen
Eine Checkliste
Erste Schritte
Informationen sammeln: Weiß ich genau, was SoLaWi ist und was da auf mich zukommt, wenn ich damit beginne?
Die innere Motivation klären: Ist es wirklich SoLaWi, was ich möchte? Bin ich bereit, mich dahin zu ändern?
Produkte wählen: Was passt zu mir und meinem Betrieb? Gemüse? Acker? Milchvieh? Verarbeitung? Obst? Bienen? Wein? Inwieweit möchte ich an der Verteilung der Lebensmittel teilhaben?
Etat erstellen: Was wären die richtigen monetären Beiträge, die ermöglichen, dass der Betrieb reinvestieren kann und die Löhne und der Gewinn stimmen? Möchte ich eine Beitragsrunde?
Form wählen: Welcher Typ SoLaWi passt zu mir und meinem Betrieb?