Berichte & Initiativen

Der Tierschutz bleibt auf der Strecke

Tierärztliches Forum für verantwortbare Landwirtschaft fordert einen Systemwechsel – Fragen an Anita Idel

 

Das „Tierärztliche Forum für verantwortbare Landwirtschaft“ – ein loser Zusammenschluss von Tierärzten – schlägt kritische Töne an. Die Veterinäre fühlen sich als verlängerter Arm der Fleischindustrie. Was steckt dahinter?

 

Als Tierärzte sollen wir Krankheiten verhindern oder kranke Tiere wieder gesund machen. Aber was ist krank, was gesund, was ist „normal“? In unserer Ausbildung war „Freilandhaltung“ ein Fremdwort: Das Schwein lernten wir im Stall auf Vollspalten kennen und das Huhn im Käfig. Die meisten von uns haben bis zum Ende ihres Studiums – und vielleicht bis heute – nie einen Schweinsgalopp gesehen...

 

Ist das „Tierärztliche Forum“ also eine Antwort auf Intensiv- und Massentierhaltung?

 

Einige von uns waren schon in der Arbeitsgemeinschaft kritische Tiermedizin. Eine unserer ersten Veröffentlichungen richtete sich gegen den zunehmenden Medikamenteneinsatz. Heute, fast 30 Jahre später, ist es Alltagserfahrung in der tierärztlichen Praxis, auf dem Schlachthof, im Veterinäramt: Getrieben von global agierenden Chemie-, Pharma-, Dünge­mittel-, Gentechnik-, Futtermittel- und Tierzuchtkonzernen mit suprana­tio­nalem Einfluss verur­sacht die industrialisierte Landwirtschaft erheb­liche Probleme, die systembedingt weiter zunehmen. Bei Maximalleistungen und Massentierhaltung werden Medikamente zum Normalfall und der Tierschutz bleibt erst recht auf der Strecke.

 

Aber sind nicht Tier­schutz wie auch Medikation tierärztliche Kernaufgaben, haben die Tierärzte hier nicht eine Schlüsselposition zur Veränderung?

 

Ja, eigentlich. Doch unsere tierärztliche Arbeit an den systembe­dingten tierschutzrelevanten Symptomen und Begleiterscheinun­gen der industriemäßigen Tierhaltung ändert nichts an deren Grundpro­blematik. Im Gegenteil: fachlich gute Arbeit wirkt letztlich als Stütze des kranken Systems – ein Dilemma. Ein weiteres Dilemma liegt in den Abhängigkeiten: In den Nutztierpraxen bestimmen Sachzwänge des industrialisierten Systems zunehmend das tier­ärztliche Handeln. Und die Amtstierärzte sind einem über­mäßi­gen Druck aus Politik und Agrarwirtschaft aus­gesetzt. Das Erteilen von Aus­nahmegenehmigungen für Eingrif­fe an den Tieren, um sie an die Haltungsbedingungen anzupassen, ist zum Regelfall gewor­den.

 

Was hat sich das Forum vorgenommen?

 

Im Sinne des Tierschutzes und hinsichtlich der Lebensmittelqualität fühlen wir uns als Tierärzte verpflichtet, diese Entwicklungen und un­seren Beitrag dazu öffentlich zu machen. Wir dürfen nicht länger zulassen, dass auch tier­ärztliche Stan­des­vertre­ter die Probleme der Tierhaltung auf Managementfehler im einzelnen Bestand reduzieren und letztlich zum „weiter so“ des agrar­in­dustriellen Systems beitragen. Deshalb haben wir ein eindeutiges Positionspapier verfasst, das das Agrarsystem mit seinen weiter zunehmenden Bestands­größen, Bestandsdichten, hohem Infektionsdruck und Medikamenteneinsatz kritisiert. Um glaubwür­dig zu einem Systemwechsel beitragen zu können, gilt die Kritik natürlich auch dem Ausmaß des Fleischkonsums. Alle – auch angehende – Tierärzte können das Positionspapier unterzeichnen.

 

http://www.anti-biotika.de/forum