Forschung
Ist biodynamische Wissenschaft seriös?

Interview mit Dr. Christopher Brock,
Demeter-Forschungskoordinator, zur Kritik an Forschung zum Biodynamischen
Fragen: Michael Olbrich-Majer
Aus der Wissenschaft kommt der Vorwurf, Forscher aus dem biodynamischen Kontext seien „befangen“. Dürfen nur „neutrale“, also Unwissende dazu forschen?
Neutral und unwissend ist ja nicht das Gleiche. Neutralität im Sinne einer unvoreingenommenen, offenen Herangehensweise an ein Forschungsvorhaben ist natürlich wichtig – wobei Forschende auch Menschen mit eigenen Überzeugungen und Neigungen sind und daher grundsätzlich nicht ganz unbefangen. Wer sich einem Thema zuwendet, hat meistens eine Beziehung dazu, sonst würde man gar nicht die notwendige Neugier und Leidenschaft entwickeln. Es ist aber wichtig, sich dessen bewusst zu sein und in diesem Bewusstsein wissenschaftlich korrekt und ergebnisoffen an ein Vorhaben heranzugehen. Natürlich möchte ich als dem Biodynamischen verbundener Forscher gerne positive Effekte dieser Wirtschaftsweise aufzeigen. Wenn ich aber bereit bin, trotzdem auch ein Ergebnis zu akzeptieren, das nicht meinen Erwartungen oder Hoffnungen entspricht und dazu zu stehen, dann sehe ich kein Problem, was nicht jede wissenschaftliche Arbeit hätte.
Unwissend sollten Forschende ganz sicher nicht sein. Wobei das notwendige Vorwissen je nach Fragestellung variiert. Wenn die Frage ist, ob die Präparate die Bodenkohlenstoffgehalte anheben, braucht man bodenkundliches Wissen, muss sich aber nicht in der Biodynamik auskennen. Stellt man aber die Frage, wie man einen Wirkungsnachweis der Präparate erbringen kann, dann muss man sich schon mit dem biodynamischen Hintergrund beschäftigt haben, um überhaupt ein sinnvolles Untersuchungsdesign zu entwickeln.
Das Anthroposophische Wissenschaftsverständnis wird von manchen als „weltanschaulich“ eingestuft – wie kommt es dazu und was lässt sich dazu sagen?
Richtig ist: Die Anthroposophie hat eine eigene Ontologie, das heißt, sie erklärt die Welt anders als die modernen Naturwissenschaften. Das muss man einfach akzeptieren, dass es unterschiedliche Wege gibt, die Welt wahrzunehmen und zu erklären und kann das, je nach Perspektive, als Problem sehen oder als Bereicherung. Wie auch die traditionellen Wissenssysteme erkennt die Anthroposophie die Naturwissenschaften ja durchaus an, stellt sie aber in einen eigenen ontologischen Kontext, der auch Dimensionen beinhaltet, die den Naturwissenschaften nicht zugänglich sind. Es ist daher meines Erachtens nicht falsch, die Anthroposophie als eigene Art der Weltanschauung zu betrachten. Ich sehe darin allerdings keine Unvereinbarkeit mit den Standards der guten (natur-)wissenschaftlichen Praxis. Schließlich gibt es auch Top-Wissenschaftler:innen, die in einem religiösen Kontext verwurzelt sind, der ebenfalls eine eigene Ontologie hat.
Manche behaupten sogar, biodynamische Forschung sei mit naturwissenschaftlichen Standards unvereinbar …
Der allergrößte Teil der Forschung in der biodynamischen Wirtschaftsweise erfolgt mit naturwissenschaftlich nachvollziehbaren Methoden, in der Regel klassischen Standardmethoden der Agrar- und Umweltforschung. Es gibt aber auch Ansätze in der biodynamischen Forschung, die Erkenntnisse auf einer metaphysischen Basis erlangen. Diese Ansätze sind zumindest für die heutige Naturwissenschaft nicht nachvollziehbar und die Ergebnisse daher nicht überprüfbar. Solche Methoden als falsch oder wertlos anzusehen, wäre aber überheblich und sozial sowie kulturell diskriminierend. Dennoch muss man anerkennen, dass man solche Methoden nicht in Zusammenhängen einsetzen kann, in denen ihnen nicht vertraut wird.
Manche monieren z. B. bei den Bildschaffenden Methoden die fehlende Subjekt-Objekt-Trennung? Warum wäre das ein Problem?
Wenn die menschliche Wahrnehmung in die Ergebnisfindung involviert ist, dann fließt immer ein subjektives Moment ein. Dadurch wird es schwieriger, die objektive Richtigkeit oder Fehlerhaftigkeit von Ergebnissen festzustellen. Das ist schon so. Wenn aber mehr Leute die bildschaffenden Methoden anwenden, und sich auf bestimmte Regeln bei der Anwendung einigen, dann kann dennoch eine ausreichende Objektivität erreicht werden. Die Sensorik macht es vor. Denkbar wäre bei den bildschaffenden Methoden auch eine maschinelle Auswertung der Bilder – Überlegungen dazu gibt es schon. Ein beachtenswerter wissenschaftlicher Artikel der Uni Kassel1 legt aber nahe, dass eine emotionale Einstimmung auf die Bilder für deren Interpretation vorteilhaft sein kann. Solange nicht klar ist, was da genau geschieht, kann man es in einer maschinellen Auswertung auch nicht berücksichtigen und würde daher möglicherweise die analytische Qualität erstmal herabsetzen.
Es gibt die Behauptung von Holger Kirchmann, Agrarwissenschaftler an der schwedischen Landwirtschaftsuniversität SLU: Steiners Aussagen seien nicht in Hypothesen überführbar2 – kann man das so sagen?
An Kirchmann will ich mich jetzt nicht abarbeiten – er ist bekannt als Gegner des Ökolandbaus allgemein und das Paper zur Biodynamik, aus dem die Äußerung oben kommt, geht nicht sehr tief und entspricht absolut nicht dem heutigen Kenntnisstand zur Biodynamik.
Viele Aussagen aus dem Landwirtschaftlichen Kurs sind durchaus in Hypothesen überführbar. Das ist zwar oft herausfordernd, aber sonst wäre es ja auch langweilig. Jürgen Fritz, Hartmut Spieß, Wolfgang Schaumann und andere haben das erfolgreich gemacht3,4. Nur diejenigen Aussagen, die sich nicht oder nur am Rande auf bekannte Aspekte der physischen Welt beziehen, kann man (noch) nicht mit naturwissenschaftlich validen Hypothesen überprüfen.
In den letzten Jahren ist die Hypothesenbildung aus dem Landwirtschaftlichen Kurs allerdings etwas eingeschlafen – da sollten die Forschenden unbedingt wieder aktiver werden, z. B. auch mit Blick auf die Frage, wie wir in der weltweiten Verbreitung der Biodynamik zu regional angepassten Präparaten kommen, oder z. B., um zu entscheiden, ob und wie biodynamisch auch vegan – also ganz ohne Tierhaltung und tierische Betriebsmittel – geht.
Kennst Du andere Forschungsrichtungen oder Forschungsgruppen, die so intensiv ihre epistemologischen Grundlagen reflektieren? Warum dringt das nicht durch?
Wer in unserem westlichen Wissenssystem mit naturwissenschaftlichen Methoden arbeitet hat wenig Grund, seine erkenntnistheoretischen Grundlagen zu reflektieren – es fragt einfach kaum jemand nach. Allerdings wird schon anerkannt, dass die Naturwissenschaften in ihrer Erkenntnisfähigkeit auf den jeweiligen Stand der verfügbaren Methoden begrenzt sind und es Aspekte der Natur geben kann, die wir noch nicht erfassen können. Das Mikrobiom zum Beispiel gibt es ja schon, seit es Lebewesen gibt – aber analytisch erfassen können wir es erst seit wenigen Jahren. Was aus meiner Sicht aber wichtig wäre, ist mehr Offenheit gegenüber anderen Meinungen und Einstellungen, zumindest, solange daraus kein Schaden entsteht. Die Forderung nach einem wissenschaftsbasierten Leben ist unmenschlich und funktioniert vermutlich noch schlechter als Dienst nach Vorschrift. Vielfalt und Pluralität nicht nur auszuhalten, sondern sogar wertzuschätzen und zu schauen, wo man zusammen hinkommt, das halte ich für eine zukunftsweisende Perspektive auch in der Wissenschaft.
Machen wir es konkreter: eine Reihe Veröffentlichungen bezieht sich auf das Review von Chalker Scott5, die keine Präparateeffekte fand, bzw. merken an, dass der Einfluss von Kollateraleffekten anderer Maßnahmen nicht berücksichtigt worden sei.
Naja – das muss man erstmal so als Ergebnis hinnehmen und sollte auch nicht versuchen, die Studie zu diskreditieren. Allerdings ist es wichtig zu bedenken, dass die Ergebnisse sich auf bestimmte Merkmale beziehen und nicht den allgemeinen Schluss zulassen, dass die Präparate keinerlei Wirkung hätten. Neuere Studien legen nahe, dass das Mikrobiom im Boden – und eventuell auch in Pflanzen, Lebensmitteln und dem Menschen – ein Schlüssel zur Erfassung einer biodynamischen Präparatewirkung sein könnte, denn hier wurden signifikante Effekte gefunden6. Ich denke, wir müssen uns in der biodynamischen Präparateforschung noch mehr mit der Hypothesen- und Modellbildung beschäftigen, um weniger explorativ, sondern zielgerichteter nach deren Wirkungen zu suchen. Und ja, es kann auch sein, dass wir am Ende feststellen, dass die Präparate keine allgemeine Wirkung haben, sondern in Wechselwirkung mit anderen Faktoren stehen – oder dass Wirkungen zwar da sind, aber nicht der Erwartung entsprechen. Mit dieser Unsicherheit müssen wir als Forschende leben.
Wenig wohlmeinende Publizisten meinen, nicht bestätigende Ergebnisse würden unterschlagen, nicht publiziert – ist da was dran? Kennst Du Fälle?
Das kann man nie ausschließen, denn es ist ein allgemeines Phänomen, dass negative Ergebnisse – also kein Effekt einer Intervention – eher nicht publiziert werden als positive. Es gibt inzwischen schon statistische Verfahren, die versuchen, in Metaanalysen diesen „publication bias“ zu berücksichtigen. Ein Grund für die Zurückhaltung negativer Ergebnisse kann sein, dass man den eigenen Ansatz hinterfragt und erstmal optimieren möchte, bevor man etwas publiziert und später schreiben muss, dass der Ansatz nicht ausreichend durchdacht war. Daran trägt auch das Publikationswesen eine Mitschuld, denn ein solcher Entwicklungsprozess wird nicht anerkannt, sondern eher als Unzulänglichkeit bewertet.
Was ich ausschließe, ist eine systematische Unterschlagung von negativen Ergebnissen in der biodynamischen Bewegung – das ist schon eine Verschwörungstheorie, wenn man das unterstellt. Aus meiner Sicht gibt es eine wachsende solide Datengrundlage zur wissenschaftlichen Beurteilung der biodynamischen Präparate. Dass die dann nicht unbedingt zugunsten eines allgemeinen Nachweises von Präparateeffekten ausfällt, zeigt ja die erwähnte Studie von Chalker-Scott. Aber die Datenbasis wächst weiter und für mich sieht es im Moment so aus, als könnte es doch wissenschaftlich nachweisbare Effekte geben. Das ist jetzt aber nur eine Vermutung.
Im Fernsehen wurde vor einigen Jahren behauptet, biodynamische Forscher betrieben HARKING: kannst Du erklären was gemeint ist und ob das zutrifft?
HARKING heißt, dass man die Hypothese im Nachhinein an die Ergebnisse anpasst (HARK = Hypopthesis After Results Known). Nun ist es absolut nicht verwerflich und auch wissenschaftlich durchaus gerechtfertigt, Ergebnisse gründlich zu diskutieren und dabei auch das Versuchsdesign oder die Hypothesen infrage zu stellen, denn daraus können wertvolle Impulse für weiterführende oder überarbeitete Fragestellungen entstehen. Aber man muss natürlich aufpassen, dass man deutlich macht, was die Ergebnisse zeigen und was weiterführende Überlegungen sind. Die Hypothese im Nachhinein anzupassen, damit die Ergebnisse sie bestätigen, ist definitiv nicht okay – aber so ein Fall zum Biodynamischen ist mir zumindest nicht bekannt. Eine kritische Diskussion der Ergebnisse auch im Kontext von Ansatz und Fragestellung ist dagegen gute wissenschaftliche Praxis.
Literatur:
- Doesburg, P., Fritz, J., Athmann, M., Bornhütter, R., Busscher, N., Geier, U., Mergardt, G., Scherr, C. (2021): Kinesthetic engagement in Gestalt evaluation outscores analytical ‘atomic feature’ evaluation in perceiving aging in crystallization images of agricultural products. PLoS ONE 16(3): e0248124. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0248124
- Kirchmann, H. (1994): Biological Dynamic Farming – An Occult Form of Alternative Agriculture? Journal of Agricultural and Environmental Ethics 7, 173-187.
- Fritz, J. und Spieß, H. (2001) in: Forschungsring und Universität Kassel (Hrsg.): Biologisch-Dynamische Landwirtschaft in der Forschung. Verlag Lebendige Erde, Darmstadt, 196 S., ISBN 3-921536-62-6
- Schaumann, W. (2002): Das Lebendige in der Landwirtschaft. Schritte zum Verständnis der biologisch-dynamischen Grundlagen. Verlag Lebendige Erde, Darmstadt, 175 S., ISBN 978-3-921536-63-6
- Chalker Scott, L. (2013): The Science Behind Biodynamic Preparations: A Literature Review. HortTechnology 23, 814-819. https://doi.org/10.21273/HORTTECH.23.6.814
- Milke, F., Rodas-Gaitan, H., Meissner, G., Masson, V., Oltmanns, M., Möller, M., Wohlfahrt, Y., Kulig, B., Acedo, A., Athmann, M., Fritz, J. (2024): Enrichment of putative plant growth promoting microorganisms in biodynamic compared with organic agriculture soils, ISME Communications 4-1, ycae02. https://doi.org/10.1093/ismeco/ycae021
MEHR ZUR BIODYNAMISCHEN FORSCHUNG

Tagungsband
Biologisch-Dynamisch. 90 Jahre Impulse für eine Landwirtschaft der Zukunft
Forschungsring e.V. (Hg.): Wissenschaftliche Tagung 2014 in Bonn. Verlag Lebendige Erde, Darmstadt 2014,
184 S., 18,– €, ISBN 978-3-941-232-13-6
Aktuelle Studien
www.sektion-landwirtschaft.org/forschung/studienberichte
Sonderausgabe «Open Agriculture»
https://t1p.de/ozp9x
www.degruyter.com/view/j/opag.2019.4.issue-1/issue-files/opag.2019.4.issue-1.xml
Website Lebendige Erde
https://t1p.de/96y1l
www.lebendigeerde.de/index.php?id=biodyn_forschung