Editorial

Sieben Prozent Bio – und jetzt?

Ein Herz für Bio – las ich neulich, ist es jetzt schon soweit? Brauchen wir ein Reservat für die nachhaltigste Form der Landwirtschaft? Blickt man auf die hiesige Agrarpolitik, könnte man das annehmen. Aber es muss nicht so kommen, wir können ja in diesem Monat wählen.

 

Bio wollte etwas verändern, und tatsächlich bringt die ökologische Landwirtschaft, eine umfassende und ideenreiche Erfindung mit Potenzial, im Durchschnitt recht gute Leistungen, Zehnkämpfer eben, in Einzeldisziplinen sind andere schon mal besser. Muss sich Bio die zum Maßstab nehmen? Nein, der Ökolandbau, der integer vieles integriert, sollte zu seinen Stärken und Schwächen stehen, die ersteren ausbauen, die zweiteren angehen, gerade zusammen mit der aktuellen Generation Hofnachfolger. Auch wenn dies vielleicht nur durch Kooperation über den Familienbetrieb hinaus möglich sein wird. Überhaupt: wäre es eigentlich an der Zeit, Slow-Bio zu erfinden? Oder eine Gemeinwohlbilanz für die großen, Solidarlandwirtschaft für die kleinen Betriebe einzuführen? Ideen und Potenzial gibt es noch mehr.

 

Die urbane Lebenswelt, zu der auch viele Agrarforscher zu rechnen sind, entwirft zugleich ihre eigenen Bilder von Landwirtschaft: in kühner Propaganda weiden da Kühe auf Hochhäusern, Salat wächst auf dem Supermarktdach, Roboter schneiden Obstbäume, oder mal wirklich praktisch: Minihelikopter suchen Rehkitze vor der Mahd.

 

Und was sagt der Ökolandbau dazu? Was hat er in diesem die Fantasie beflügelnden Wettbewerb zu bieten über gute, nachhaltig erzeugte Lebensmittel hinaus und hier und da den direkten Zugang zum Bauern? Öko ist solide, aber wenig hip, zudem mit mäßigen Möglichkeiten, Geld zu verdienen oder einzusteigen. Wie ist das Image des Ökobauern bei den ganz jungen Leuten? Arbeiten wir genügend dran? Das betrifft nicht nur die Praxis, die ebenfalls noch Entwicklung vor sich hat, z. B. mit Onland-Pflügen, einem Revival des Systems Immergrün durch Direktsaatverfahren oder neuen Ideen wie Kompoststall.

 

Auch am Bio-Markt tut sich viel: neue Kommunikationstechniken, neue Vermarktungsmodelle wie mymüsli – die persönliche Mischung auf Bestellung – oder Solidarhöfe, Produktinfos übers Smartphone und Produktnischen wie Nagerheu oder vegan erzeugte Produkte; schaut man sich um, geht da noch vieles, trotz Bio im Discounter. Und die Angebote müssen noch vielfältiger werden, denn die Gesellschaft ändert sich, wird älter, diverser, städtischer, alleinstehender. Erreicht die Ökobranche diese Gruppen? Und erreichen die Ökoverbände junge Menschen, Bewegungen wie Urban Gardening oder Konsumexperimentalisten wie Mülltaucher? Ist soziale Landwirtschaft schon ein gesellschaftliches Thema?

 

Auch der Aspekt Geld – jenseits von Agrarförderung – ist für die Zukunftsfähigkeit bedeutend: Bilden die Betriebe genug Eigenkapital für Investitionen? Können Höfe und Verarbeiter künftig der vertikalen Integration, dem gebunden werden durch Aufkauf oder enge Verträge standhalten? Und lässt sich eine Idee, ein Stall, ein Forschungsprojekt vielleicht durch crowd funding im Internet realisieren?

 

Neue Wege sollte auch die Forschung für den Ökolandbau suchen, sich neben klassischen Methoden und Fragestellungen mit anderen Disziplinen jenseits der klassischen Agrarwissenschaften vernetzen und austauschen, multi- und meta-disziplinär, kontextorientiert, partizipativ ganzheitlich im Sinne des Wie und Warum werden, darf gerne Wurzelröhren röntgen, epigenetische Konzepte in die Züchtung integrieren, soziologische Unternehmensforschung In-Farm praktizieren oder wissenschaftstheoretisch so merkwürdige Dinge wie biodynamische Präparate erklären. Damit letztlich die standortgemäße Agrarkultur eine gute Grundlage in der modernen Wissensgesellschaft hat, sich aber auch intensivieren kann, ohne ihre Prinzipien zu verwässern. Wer Vorbild bleiben will, muss daran arbeiten.

 

Ihr